Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Die Befindlichkeiten vom Dienstag und Anekdoten aus vergangenen Jahrhunderten

12. 8. 2020 2 Kommentare Aus der Kategorie »Tagebuchbloggen«

Befindlichkeiten | Was soll ich sagen? Es ist heiß. Ich möchte mich nicht beschweren; Murren und Knöttern ändern nichts. Zumal es nicht schlecht ist, das Wetter, zumindest wenn man keine Verpflichtungen hat. Im Dezember, spätestens im Januar und Februar werde ich mich zu diesen Tagen voller Licht und Sonnenschein zurücksehnen, Hitze hin oder her. Allerdings sind die Umstände, was Temperatur und Luftfeuchtigkeit angeht, durchaus am Rande des Erträglichen, machen wir uns nichts vor. Das möchte ich zumindest anmerken.

Deshalb sank ich gestern zu einem Mittagsschlaf nieder und nickerte ermattet eineinhalb Stunden. Das war einerseits erfrischend, geistig, andererseits klebte ich danach noch mehr. Als ich erwachte, hörte ich Donnergrollen. Ich zog die Markisen ein, holte die Wäsche ins Haus, und schon ging es los und goss aus Kübeln. Wie wunderbar!, kurzfristig. Nach einer Weile war es allerdings wieder genauso warm wie vorher und dazu noch regenwaldfeucht. So wie damals am Jangtse im fernen China, als ich auf diesem Schiff fuhr, am Ufer Bäume mit Luftwurzeln wuchsen und Pandabären Bambus fraßen. Aber was soll’s, man muss die Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, und als Nacktschnecke fände ich das Wetter herrlich. Ich stellte mir also vor, ich sei eine Nacktschnecke; das war gar nicht mal schwierig.


Käthe | Denn mein Hirn war Brei, Prozessorgeschwindigkeit auf Nacktschneckenniveau, und auch der Film auf meiner Haut tat sein Übriges zum Gefühl. Deshalb findet dieser Tage wenig Käthe-Arbeit statt, mehr Rumhängen. Aber das ist okay.

Ich las über Fallschirmtechnik und dass Käthe Paulus im Jahr 1900 ein Patent angemeldet hat: eine Ventiltechnik für einen Fallschirmballon. Mithilfe diese Technik konnte sie aus der Spitze des Fesselballballons Wasserstoff entweichen lassen, recht fix sogar. Daraufhin klappten die Ballonseiten um einen Ring herum nach innen, legten sich von innen über die Ballonspitze und verschlossen sie wieder. Ein Fallschirm entstand.

Die Beschreibungen sind aus Gustav von Falkenberg: Der Fallschirm, seine geschichtliche Entwicklung u. sein technisches Problem, Bibliothek für Luftschiffahrt und Flugtechnik, 1912. Damit trat Käthe auf, sehr oft sogar. Sie verbesserte die Technik ihres Mannes, bei dem das noch nicht ausgereift war.

Ich ergänzte deshalb noch eine Textstelle, einen Absatz. Viele Dinge finden nur kurz und nebenbei Erwähnung, so wie dieses Patent. Es geht ja um die Geschichte, ich schreibe keine flugtechnische Abhandlung. Dennoch: Einige Entdeckungen sind so interessant, dass ich sie gerne unterbringen möchte.

So stieß ich auch auf das Gesetz betreffend die Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung vom 12. März 1893. Bis dato gab es nämlich keine einheitliche Zeitmessung im Deutschen Reich: In Berlin war es später als in Karlsruhe, zwischen Bayern und Württemberg lagen 23 Minuten, und um den Bodensee herum galten fünf Zeitzonen: Großherzogtum Baden, Königreich Württemberg, Königreich Bayern, Österreich-Ungarn, die Schweiz, jeweils um einige Minuten verschoben. Ausschlaggebend war allein der Sonnenstand. Erst der Ausbau der Eisenbahn und die Synchronisierung der unterschiedlichen Staatseisenbahnen – der bayerischen, der preußisch-hessischen, der oldenburgischen, der sächsischen und so weiter – machte es notwendig, die Zeit zu vereinheitlichen.

Apropos Eisenbahn: Falls Sie etwas Muße haben, stöbern Sie in Kursbüchern von 1914. Hier die Eisenbahnkarte Deutschlands von 1893, beispielhaft der Fahrplan von Düsseldorf nach Barmen, etwas späteren Datums. Nicht Eisenbahn, sondern Schiff: Mit der Flotte der Hamburg-Südamerikanischen Dampschiffahrtsgesellschaft („Hamburg Süd“, heute Teil der Mærsk-Gruppe) ging es damals von Hamburg über Emden, Antwerpen, Boulogne, Le Havre und Lissabon nach Manáos oder Montevideo (Ankündigung).

Ich kann mir schon gut vorstellen, wie eine Lesung aussehen wird – mit Material aus Käthes Nachlass, mit Fotos von ihr, mit Zeichnungen von technischen Details, mit Rechnungen und Korrespondenz – und mit ein paar Anekdoten aus der Zeit. Zum Beispiel sorgte damals die Erfindung der Röntgenstrahlen für Fan-Tourismus und Kreativität: Während sich vor dem Salonfenster des Physikalischen Instituts von Wilhelm Conrad Röntgen Tausende Groupies versammelten, pries ein Geschäftsmann röntgenstrahlensichere Unterwäsche an, auf dass niemand den Damen mit den jüngst erfundenen, unsichtbaren Strahlen ins Intimste schaut.

Damals gab es bestimmt auch Schwurbler und Verschwörungstheoretiker: „Erst synchronisieren sie uns und jetzt durchleuchten sie uns auch noch!“


Gelesen und angeguckt | Für die Neigungsgruppe „Sortieren“ in der Leserschaft: die Zahlen von 1 bis 100 in alphabetischer Reihenfolge. | Das Designtagebuch wirft einen Blick auf Städtewebseiten und jüngsten Relaunchs | Die Wuppertaler Schwebebahn in einem Influencer-Video von 1902 – übrigens die Zeit, in der Käthe Paulus mit ihrem Ballon aufstieg.

Corona-Service | Andrea Zschocher hat versucht, an einen Corona-Test für ihr Kind zu kommen. | Das Designtagebuch hat sich mit der Frage beschäftigt: Wie sieht das Coronavirus aus? Im Text auch ein Link zu Virus-Druckvorlagen für den 3D-Drucker. | Kompromiss für Menschen, die ihre Nase über die Maske hängen lassen.

Kommentare

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  1. Kai Lü sagt:

    Sehr interessant zu lesen, ich habe Frau Paulus gleich mal bei Wikipedia rausgesucht, das ist alles so steampunkig.
    Was das Ballon-zu-Fallschirm-Patent angeht, las ich dort, das ihr Mann wohl bei einem der Versuche ums Leben gekommen ist, während Frau Paulus kurz vorher mit einem normalen Fallschirm absprang.
    Der kleine Sohn ist kurz darauf auch an einer Krankheit gestorben.
    Wie diese Frau angesichts solcher Schicksalsschläge noch eine derartige Schaffenskraft entwickeln konnte (oder vielleicht deswegen) ringt mir einigen Respekt ab.

    Jedenfalls bin ich gespannt auf dein Buch.
    Soll es ein Tatsachen-Roman oder eher etwas fiktiver sein?

    1. Vanessa sagt:

      Es wird eine Romanbiographie. Ich orientiere mich an den Fakten, die bekannt sind, unter anderem einigen autobiographischen Schriften und bekannten Daten. Da versuche ich auch, möglichst genau zu sein. Die Lücken – und das sind viele – fülle ich aber mich Fiktion. Es ist also fiktiv in Anlehnung an Tatsachen.

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