Verzug | Ich hänge hinterher, was das Erzähltippen angeht. Es war zu heiß, außerdem gibt es noch das Offline-Leben. In dem sind manchmal Dinge los, die besser sind also die Online-Welt.
Wochenende | So begab ich mich dieser Tage ins Osnabrücker Land zu meiner ältesten Freundin. Sie hatte kinderfrei und den Wunsch, in der kinderfreien Zeit einfach dazusitzen und Pizza aus dem Karton zu essen, begleitet von dem ein oder anderen geistigen Getränk, letzteres womöglich im Gartenpool der Kinder verkostend, mit Papierschirmchen. Ihr fiel in diesem Zusammenhang mein Name ein. Ich kam kurz ins Grübeln, welches Bild meine Freunde von mir haben und was sie über meine Kernkompetenzen und Standardaktivitäten denken. Ich wischte den Gedanken aber beiseite, weil ich sofort damit begann, ein Sortiment an Getränken zusammenzustellen, das diesem Ereignis zuträglich sein würde.
Im Osnabrücker Land regnete es zunächst. Das machte aber nichts. Wir setzten uns auf den Dorfplatz unter einen Schirm, bestellten Käsekuchen mit Mandarinen und machten nichts außer in die Gegend zu gucken.
Für Menschen mit kleinen Kindern ist das eine ungewöhnliche Tätigkeit, das weiß ich aus vielfältigen Beobachtungen. Einfach nur dasitzen, in der Stille des Regens; es gibt nur das Plätschern, ein Stück Kuchen und die Frage, ob’s noch ein zweiter Milchkaffee sein darf; ab und zu geht jemand vorbei, den man grüßt. Hier grüßt man alle, das ist hier ein Dorf. Aber sonst sitzt man nur da und guckt in die Gegend. Das ist tatsächlich eine meine Kernkompetenzen; dabei bin ich eine gute Begleitung.
Am Nachmittag, als wir wieder zu Hause waren, kamen zwei Frauen aus dem Dorf vorbei. Es spricht sich herum, wenn eine der ihren sturmfrei und Besuch von einer Freundin aus der Großstadt hat. Da muss man mal rumkommen und etwas Wichtiges klären; vielleicht brauchen die beiden ja Hilfe, und Hilfe wird auf dem Dorf groß geschrieben. So saßen wir am Nachmittag, als der Regen nachgelassen hatte, unter dem Kirschbaum, es gab Eiskaffee, am Klettergerüst wiegte sich die Schaukel im Wind, und wir erzählten uns Dorftratsch. Genauer gesagt: Die drei Dorfdamen erzählten sich Dorftratsch, und ich lauschte, wer aktuell mit wem, wer einst wie zu wem kam und was bald wo vererbt wird.
Am nächsten Morgen besuchten wir das örtliche Freibad. Es befindet sich in der Dorfmitte, und weil es sich um einen Kurort handelt, ist das Bad sehr gut ausgestattet, für die jungen wie für die alten Gäste. Es gibt verschiedene Becken: eins zum Schwimmen für die Großen, eins zum Schwimmen für die Kleinen, eins zum Verweilen für Rücken und Hüfte, einen Wasserspielplatz für die ganz Jungen und eine Rutsche mit Hubbeln.
Als ich nach dem Schwimmen dasaß und vor mich hintrocknete, beobachtete ich ein Verhalten der indigenen Bevölkerung, das mich in dem Vorhaben bestärkte, meinen Altersruhesitz in diesen Ort zu verlegen. Denn Schwimmengehen geht dort so: Der verrentete Frühschwimmer legt daheim seine Schwimmkleidung an, steigt in seinen Frottee-Bademantel und seine Adiletten, wirft sich ein Handtuch über die Schulter und schlufft ebenso ausstaffiert durchs Dorf zum Freibad – der Weg ist schließlich nicht weit, nur einmal über’n Platz, links, rechts und überhaupt: Man kennt sich ja. Im Bad hängt er den Bademantel an einen dafür vorgesehenen Haken, schlüpft aus den Adiletten und schwimmt eine Runde. Dann legt er alles wieder an, rubbelt sich einmal kräftig mit dem Handtuch durchs Haar, wirft es über die Schulter und schlufft durchs Dorf wieder zurück. Vielleicht bleibt er dabei auf einen Plausch stehen oder kehrt kurz in die Bäckerei ein und nimmt sich ein Doppelback mit; das ist alles üblich und sorgt für keinerlei Aufruhr.
Als ich auf einem Holzpodest am Rande des Solewassers saß, sah ich sehr deutlich meine Zukunft vor mir. Wie ich mich im Anschluss an die tägliche Badeeinheit zu Hause in Ordnung bringe und mich dann im Bistro auf ein zweites Frühstück treffe, jeden Tag am gleichen Tisch, ist klar. Danach bin ich müde und ziehe mich zu einem Nickerchen zurück. Anschließend starte ich frisch erholt in den Nachmittag und gehe pünktlich zum Feierabend der Berufstätigen für ein paar Besorgungen in den Edeka.
Natürlich rutschten wir an diesem Morgen auch. Die Rutsche dort ist super, man kriegt richtig Fahrt, hebt ein bisschen ab und landet mit dicken Spritzern unten im Becken. Zur Frühschwimmerzeit sind dort keine Kinder – man kann sich also ungeniert und mit Karacho alle Sorgen von der Seele rutschen.
Im Glauben aufwachsen | Irgendwann kamen dann die Kinder zurück, darunter das kleine Patenmädchen, das sich aufrichtig freute, dass ich da war, was wiederum mich sehr freute. Wir bauten dem Patenmädchen ein Bett auf, denn es ist jetzt Vorschulkind, und Vorschulkinder brauchen ein Bett für große Leute, das ist ja allgemein bekannt. Ich war die Schubladenbeauftragte. Weil ich in meinem Leben schon hundertdrölf Ikea-Schubladen zusammengeschraubt habe, ging das fix. Dann spielten wir noch etwas Ball und Frisbee im Pool, und ich las dem Patenmädchen aus dem mitgebrachten Buch vor, das da heißt: Überall Popos. Ein empfehlenswertes Werk über … ja, Popos und Brüste und Vulvas, klein und groß und spitz und weich, mit und ohne Dellen, prall und rund oder flach und schlaff, mit und ohne Haare; ein Buch darüber, wie unterschiedlich alles aussehen kann und dass das alles normal ist. Aufgabe einer Partytante Patentante ist ja, daran mitzuwirken, das Kind im Glauben zu erziehen, und ich finde, es sollte in dem Glauben aufwachsen, dass es richtig und perfekt ist, so wie es ist, und dass auch andere richtig sind, so wie sie sind.
Jutub| Vatta hat sein iPhone verlegt, genauer gesagt verloren. Vielleicht wurde es auch geklaut, jedenfalls zog das Ereignis einige Dinge nach sich. Bei diesen Dingen stieß ich auf eine Youtube-Influencerin.
Sie haben diese Influencer sicherlich vor Augen – junge Menschen, die Millionen Follower dadurch bekommen, dass sie über Dinge reden, von denen wir noch nie etwas gehört haben; die ein Video davon machen, wie sie Games zocken, oder die sich dabei filmen, wie sie Produkte auspacken.
Heute lernte ich Greta Silver kennen, auch eine Influencerin, aber eine für – wie sagt man? – Best Ager. Greta Silver hat einen Youtube-Kanal mit knapp 30.000 Abonnentinnen und Abonnenten und widmet sich Themen wie „Neue Freunde finden“, „Trauer loslassen“, „Warum Hausfrau sein so wichtig ist“ oder „Beziehung mit Vorgeschichte“. Das ist auf mehreren Ebenen faszinierend – nicht nur, dass es auch Youtube-Stars für Menschen Ü60 gibt. Auch die Themenwahl und die Darbietung im Video ist bemerkenswert. Ich muss mich noch näher einarbeiten.
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Kommentare
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Meine Mutter hat im letzten Jahr ein Buch von Greta Silver gelesen, von dem die sehr angetan war. Den YouTube-Kanal hat sie nur kurz gestreift: „Wo soll man denn die Zeit hernehmen, das immer zu schauen?“ Rentnerin eben
Natürlich, das sind ja alles lange Videos, das kriegt man gar nicht im Tagesgeschehen unter. Verständlich.
Sehr verehrte Pächterin,
Ihre Schilderung des Dorfs und da vor allem des Schwimmbads haben meinen Tag gerettet. Ich ging dann die Mascara abwaschen, denn auf Halbmast hing sie nach der Lektüre eh schon. Die Best Agerin allerdings kann ich nur schwer ertragen, so eine maskenstarre Lippenstiftwerbung bester Laune – näääää. Und dabei hätte ich es durchaus nötig, bin selber weißhaarig, äh platin meine ich natürlich!
Nachdem ich diesen Beitrag veröffentlichte, bekam ich zig Rückmeldungen von Menschen, die die Best Agerin kennen. Nur ich kannte sie nicht! Völlig andere Filterbubble.
Das mit dem Bade-Lebensgefühl kann ich unterstützen. Hier ist es ja auch so, dass man im Sommer immer wieder Menschen in Badekleidung irgendwo in der Stadt trifft, auf dem Weg in den Fluss oder wieder zurück. Und halt der Ufer-Trail, wo man sowieso die halbe Stadt flanieren sieht. Das schafft eine entspannte Atmosphäre, die super ist und man sich immer wieder fragt, warum das eigentlich nicht überall so ist.
Bei Euch ist das auch speziell, habe letztens erst noch ein Video gesehen. Wunderbar!
Hüstel…. selbst in Berlin gibt es solche Menschen. Mich. Ich steig in Badekleidung und Bademantel ins Auto und fahr direkt von Tür zu Tür ins Freibad und stürze mich in die Fluten. Aber nur am ganz frühen Morgen, wenn keiner guckt.
Aber durch’s Dorf zu laufen und noch ein paar Besorgungen auf dem Heimweg zu machen, verlockende Vorstellung. Hier wär‘ sowas gesellschaftlicher Selbstmord.
Schweigen und Glotzen mit der Freundin = Königsklasse. Besser geht nicht.
Nirgendwo sonst in einem Blog klicke (Und lese)ich soviele Links wie hier.
Immer wieder schön !danke !
„Überall Popos“, das haben wir auch und wird von meinen Kindern sehr geliebt!
Das finde ich großartig, dass Sie das dem Patenmädchen mitgebracht haben!
Ganz wichtig ist bei uns, beim Vorlesen ein kleines Pupsgeräusch zu machen, wenn das Wort gegen später erwähnt wird. ;)
Werde das beim nächsten Mal intensivieren.
Vielen Dank für die Idee mit „Überall Popos“! Das Mitbringsel war der Hit und ich nach einem Wochenende mit meinem Patenmädchen im ähnlichen Alter und bestimmt 17 Mal vorlesen jetzt heiser.
Wie schön!