Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Küken, Pudel und Elefanten

16. 7. 2020 8 Kommentare Aus der Kategorie »Tagebuchbloggen«

Broterwerb, zoologisch | Diese Woche hielt ich ein Webinar für Stipendiaten und Stipendiatinnen der Friedrich-Ebert-Stiftung, organisiert von Pro Content. Es war eine Adaption meines Webinars „Selbstorganisation im Homeoffice“- für Studierende. In der Vorbereitung habe ich allerdings festgestellt, dass es wenig zu adaptieren gab: Die Inhalte passten nicht auf die Zielgruppe. Also habe ich mir überlegt, was die Stipendiat*innen umtreibt, habe fast alles neu gestrickt und mich auf drei Aspekte fokussiert: Aufschieberitis, Zeitmanagement und gemeinsame Remote-Lerngruppen.

Viele der Stipendiat*innen waren schon fortgeschritten im Studium oder werden in ihrer Promotion gefördert. Zum Teil arbeiten sie parallel oder haben schon Familien. Ich habe ja auch neben dem Beruf promoviert. Mit Aufschieberei, Zeitmanagement und einem permanenten schlechten Gewissen kenne ich mich bestens aus. Ich habe also auch viel aus dem Nähkästchen geplaudert, allgemeine Methoden genannt, aber auch, was für mich funktioniert hat und was ich gerne eher herausgefunden hätte. Das war ganz gut, glaube ich.

Für Prokrastination, also Aufschiebertis, gibt es eine Handvoll Gründe, unter anderem Überforderung: Die Aufgabe ist riesengroß, und es ist schwierig, einen Anfang zu finden. Ich habe das so symbolisiert:

Folie "Mittel gegen das Aufschieben" - darunter ein gemaltes Küken, ein Hund, ein Pferd und ein Elefant.

Es gibt Aufgaben, die sind Küken. Man guckt sie an, denkt: „Oh, wie nett!“, streichelt sie zart, und schon sind sie erledigt. Dann gibt es Aufgaben, die Hunde sind. Sie sind mittelgroß, man geht eine größere Runde mit ihnen Gassi, und sie sind erledigt. Es gibt Pferde: Sie sind bereits ziemlich unhandlich. Und es gibt Elefanten. Vor ihnen steht man mit in den Nacken gelegten Kopf und denkt: „Oh mein Gott, WTF.“

Die Sache ist: Eigentlich ist der Elefant auch nur ein Küken, viele Küken. Um zu wissen, wie man anfängt, ist also die erste Aufgabe, die Küken zu finden: die riesengroße Aufgabe in viele kleine Aufgaben zu zerlegen.

Ein gemalter Elefant = viele gemalte Küken

Den Anfang zu finden, ist bereits das erste Küken. Oder nein, eigentlich ist es kein Küken. Die Suche nach dem Anfang ist etwas größer, sie ist ein Hund, ein mittelgroßer. Vielleicht ein Pudel.

Wie fange ich eine Bachelor-Arbeit an? Die Küken, die zu dem Pudel gehören, sind:

  • brainstormen: Was finde ich interessant? Was ist mir im Studium begegnet? Möchte ich eine empirische, experimentelle oder eine Literaturarbeit schreiben? Kommt eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen in Frage?
  • eine freie Internetrecherche machen
  • eine Bibliotheksrecherche machen
  • sich mit Kommilitoninnen und Kommilitonen unterhalten
  • in die Sprechstunde des (potentiellen) Betreuers/der Betreuerin gehen
  • wissenschaftliche Mitarbeiter*innen am Institut befragen – vielleicht solche, bei denen ich schonmal eine Veranstaltung besuche habe und zu denen ich ein gutes Verhältnis habe
  • Menschen suchen, die mein Fach bereits abgeschlossen haben und vielleicht Tipps haben
  • … (usw.)

Genauso ist es mit dem leeren Blatt Papier, also wenn es darum geht, mit dem Schreiben anzufangen. Beispiel Bachelorarbeit in den Geisteswissenschaften:

  • brainstormen, zum Beispiel mit einer Mindmap: Welche Aspekte habe ich in meinem Thema entdeckt, die ich besprechen möchte?
  • Thema einengen, Forschungsfrage oder Hypothesen formulieren oder eine Zusammenfassung formulieren, die ich meiner Oma erzähle: Worum geht es in meiner Arbeit? Woraus konzentriere ich mich?
  • Mutig aussortieren! Was lasse ich weg, mit welcher Begründung?
  • sich dazu mit der Betreuer*in besprechen
  • andere Bachelorarbeiten angucken: Wie sind sie aufgebaut?
  • eigenen Aufbau machen, schonmal provisorisch Kapitelüberschriften erdenken
  • sich dazu mit der Betreuer*in besprechen
  • dort anfangen, wo es am leichtesten fällt – muss nicht vorne sein und muss noch nicht gut sein

Alles kleine Küken, die man sich auf die Küken-Streichel-Liste setzt und abarbeitet. Dabei finden sich meistens wie von Zauberhand weitere Küken und Pudel auf der Liste ein.

Auch zum Zeitmanagement habe ich einiges erzählt: Dass es hilft, in Sessions und Blöcken zu denken, dass die eigenen Ansprüche meist zu groß sind und wie sie realistisch aussehen können.

Am Ende war es also gar nicht so viel zum Thema „Homeoffice“, eher etwas zum Thema „Selbstorganisation beim Studieren und Promovieren“.


Ankündigung | Wenn Sie Lust haben, mir 90 Minuten zuzuhören und sich mit mir auszutauschen: Bei meinem nächsten Webinar sind noch Plätze frei. Termin: Dienstag, 28. Juli, 10 bis 11:30 Uhr.

Es geht darum, Führung zu reflektieren, besonders in Hinblick darauf, was einzelne Teammitglieder antreibt, und wie man, wenn man das weiß, gute Teams zusammenstellt. Die Teilnahme kostet 59 Euro. Anmeldung hier.


Musik | Elijah Bossenbroek hat ein neues Album herausgebracht: Adapt. Wer auf Klaviermusik steht: Empfehlung. Erhältlich bei den bekannten Streamingdiensten oder als Kauf. Ich fahre ja gerne mit Elijah Bossenbroek Auto oder höre ihn beim Schreiben.


Schwimm-Performance | Gestern war ich wieder schwimmen. Ab und zu schien die Sonne, das Wasser war weich und angenehm. Ich schwamm 3.500 Meter, circa 1 ½ Stunden – so viel bin ich noch nie am Stück geschwommen. 2.200 Kraul, 1.300 Brust.


Gelesen | Rassismus in der Polizei: Der Abwehrreflex hat GeschichtePolizeigewalt: Falscher Zeitpunkt, falscher Ort | Von 62 Kilo Sprengstoff, die beim KSK abhanden gekommen sind, sind zwei bei einem Soldaten in Nordsachsen wieder aufgetaucht. Sie lagen neben einem SS-Liederbuch. Ich schätze, die sächsische Polizei geht nicht von einem politischen Motiv aus. | Der traurige Zustand deutschen Wirtschaftsjournalismus am Beispiel Shopify, provokant zusammengefasst von Thomas Knüwer. | Ich möchte, dass du in deinem Internet von mir erzählst

Corona-Service | Our World in Data: Coronavirus | Jürgen Müller, Chief Technology Officer bei SAP, zieht ein erstes Fazit zur Corona-Warn-App: Wo stehen wir nach dem ersten Monat? Spoiler: 15,8 Millionen Downloads, 500 positive Testergebnisse | Distanz als Privileg der Reichen [€] : Sie bringen sich in SicherheitARD Kontraste fasst die beobachteten Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung zusammen, auch bei leichtem Verlauf. | Ein Nandu hat Brasiliens Präsident Bolsonaro in seiner Corona-Quarantäne gebissen. Seine politischen Gegner feiern den Vogel. | Warum die Deutsche Bahn in ihren Zügen die Maskenpflicht nicht durchsetzt

Kommentare

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  1. Berit sagt:

    Na dann freue ich mich auf den 28.!

  2. Ina sagt:

    Ein sehr interessanter Exkurs zum Thema Aufgaben aufschieben! Wäre ich auch nur annähernd Zielgruppe :) wäre ich dabei beim Webinar. Viel Erfolg!

    Danke für den Link zum KSK Sprengstoff Thema, auch wenn ich das Lesen vorzeitig abgebrochen habe. Und vor allem Danke für den Zusatz.
    So wahr.

    1. Vanessa sagt:

      Gern.

      Auch für Nicht-Führungskräfte ist das Webinar interessant, weil es darum geht, wie Persönlichkeiten zusammenwirken. Das kann man bei jeder Art von Arbeit reflektieren – und auch im familiären Umfeld oder mit Freunden.

  3. Lexi sagt:

    Kurze Frage zur Schwimmperformance: zählen Sie Bahnen oder kommt Technik zum Einsatz?
    Ich hatte heute erstmalig ein komplettes Freibad für mich alleine, leider nur 25m Bahn, aber da habe ich nach der 5. Bahn vergessen, wo ich bin.

    1. Vanessa sagt:

      Ich habe keine Technik, ich zähle Bahnen. Ich wechsle zwischendurch den Schwimmstil, schwimme mal mit, mal ohne pullbuoy, mit und oder Paddles, dann geht’s einigermaßen.

  4. Lena sagt:

    Danke, für den Teil, der die Aufschieberitis bildlich erklärt. Bei mir hat es umgekehrt funktioniert.
    Plötzlich ist mir klar geworden, es sind gar nicht hunderte Küken, die da jeden Tag gestreichelt werden wollen. Es ist nur ein einziger Elefant, und den im Haus zu halten ist wirklich unpraktisch.

    1. Vanessa sagt:

      Dazu gab’s auch ein Kapitel im Webinar: Loslassen, sein lassen.

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