Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Eine Wanderung durch die Heimat und Neues aus dem Garten

26. 4. 2020 10 Kommentare Aus der Kategorie »Expeditionen«

Abenteuer | In meinem Kiez kenne ich inzwischen jeden Baum und jede Ente mit Vornamen. Es war Zeit, mal woanders durch die Gegend zu gehen. Also fuhr ich in die Heimat. Dort gibt es ausreichend Landschaft, um sich die Beine zu vertreten und dabei etwas Anderes zu sehen als das Übliche.

Rapsfeld in der Sonne

Ich ging die alte Runde, die wir sonntags immer mit der Familie gingen, damals in den 80ern und Anfang der 90er: vom Lahrfeld über Kempers Hof Richtung Barge, von dort zum Hexenteich, über den Kapellenberg und wieder zurück. Das sagt Ihnen jetzt nichts, Sie kennen das alles nicht, das macht aber nichts. Ich nehme Sie mit.

Kempers Hof ist ein Bauernhof zwischen dem Ortsteil, in dem ich aufwuchs, und Barge. Barge ist auch ein Ortsteil, ein besonderer, denn Barge hat einen Segelflugplatz.

Über Kempers Hof geht man drüber: beim Spazierengehen, beim Wandern, beim Joggen. Man geht an der einen Seite rein und an der anderen wieder raus, und wenn grad jemand aus dem Haus oder aus dem Stall kommt, grüßt man nett.

Fachwerkhaus unter Bäumen an Feldern

Als ich hier aufwuchs, fürchtete ich mich vor dem Gang über den Hof, denn dort lebten zwei Hunde, sehr wütende Hunde. Sie liefen frei herum. Sie bissen niemanden, aber sie waren eben sehr unfreundlich, sie bellten und liefen hinter jedem her, der ihr Revier betrat. Erst nach Durchqueren des Hofes, am immergleichen Zaunpfosten, ließen sie von den Besuchern ab und trotteten zurück an ihren Platz, mit stolz geschwellter Brust: Schau her! Ich habe die Eindringlinge vertrieben!

Gestern lag ein Großpudel auf dem Hof. Gelangweilt kaute er auf etwas. Kein Gebell, kein Gerenne. Hofhunde sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

blauer Himmel, grüne Wiesen, Rapsfeld

Hinter den Barger Hügeln liegt der Hexenteich. Um dorthin zu gelangen, läuft man durch einen dichten Wald, so war das jedenfalls damals. Heute ist der Wald licht. Stürme, Trockenheit, Käfer – was immer es war, das die Bäume zerlegt hat: Es war gründlich.

Baumstumpf von einem abgebrochenen Baum, dahinter tote Nadelbäume.

Alles sieht anders aus als in meiner Kindheit. Die Landschaft hat gelitten, hat sich verändert, die Wege sind nicht mehr dort, wo sie waren, vielleicht finde ich sie auch nur nicht. Es geht am Wald vorbei über die Wiese – und dann ist er wieder da, der Weg, markiert vom Sauerländischen Gebirgsverein.

Robuster Waldweg

Mitten im Wald liegt der Hexenteich. Er heißt so, weil dort im 16. und 17. Jahrhundert Frauen hingerichtet wurden. Sie wurden ertränkt oder verbrannt. 1631 überlebte eine Frau mit dem Namen Dorte Hilleke die Folter. Deshalb heißt die Mendener Bücherei „Dorte-Hilleke-Bücherei“.

Mein Großonkel Paul (*1906) ging bis ins hohe Alter mehrmals in der Woche zum Teich. Er spazierte viel, und er haute beim Spazierengehen viel auf die Erde. Er sagte immer, dort könne man gute Dinge aufsammeln, wenn man nur aufmerksam genug sei. Er fand oft Tennisbälle, die er uns Kindern mitbrachte. Außerdem fand er ständig Geld, mal Pfennige, mal eine oder zwei Mark, einmal sogar 20. Einmal rettete einen Menschen, der in den Hexenteich gefallen war, vor dem Ertrinken. Er erhielt dafür ein Verdienstkreuz.

Als ich klein war, liefen wir Schlittschuh auf dem Teich. Oder wir fuhren mit dem Schlitten den angrenzenden Berg hinab, durch dichten Tannenwald. In guten Wintern ging die Fahrt bis aufs zugefrorene Wasser, lang und steil und mit zahlreichen vereisten Stellen. Es gab eine Rampe hinab auf den Teich; wenn man richtig Schwung drauf hatte, hob man kurz ab.

Heute stehen Kunstwerke des Bildhauers Mile Prerad um den Teich. Er ist ein serbisch-bosnisch-deutscher Bildhauer, lebte lange in Menden, mittlerweile auf Rügen. Seine Skulpturen sind aus großen Baumstämmen und zeigen Krieg und Verfolgung.

Wenn man vom Teich aus weitergeht, kommt man in den Kapellenberg. Im Kapellenberg steht die Antoniuskapelle. Der Weg von der Vincenzkirche in der Mendener Altstadt bis zur Kapelle im Wald, der Weg über den Berg und wieder runter in die Stadt ist gesäumt von kleinen Häuschen mit Bildstöcken und Figuren. Sie zeichnen den Leidensweg Jesu nach.

Zu Ostern findet dort die Karfreitagsprozession statt. Die ganze Nacht hindurch ziehen stündlich Prozessionen von Gläubigen über den Berg. Freiwillige melden sich bei der Kirchengemeinde, um das schwere Kreuz zu tragen. Die Träger bleiben anonym; sie sind in Sackleinen gehüllt, eine Perücke verhüllt ihre Gesichter.

In diesem Jahr trugen nur Zwei das Kreuz über‘n Berch: der Pfarrer und der Bürgermeister. Die große Tradition, die Prozession mit Hunderten, nochmal Hunderten und je tiefer die Nacht wird, mit Vereinzelten, fiel aus – wegen Corona. Wer dennoch wollte, ging allein den Weg, zum Tag oder zur Nacht.

Nach zweieinhalb Stunden war ich gestern wieder am Auto – mit dem Gefühl, ein großes Abenteuer erlebt zu haben, nach fünf Tagen nur im Dortmunder Kiez.


Gartenarbeit | Heute war ich im Garten. Die letzten Kürbisse wollten in die Erde. Ich säte Mangold und Lauchzwiebeln ein, setzte ein paar Blumenzwiebeln, macht das neue Beet vor den Wasserbecken schön und topfte ein bisschen was um.

Gartenutensilien auf der Terrasse, im Hintergrund die Wäscheleine und das Gewächshaus

Es ist erstaunlich, wie lange das alles dauert. Ich werkelte den ganze Nachmittag. Immer, wenn ich dachte, alles sei erledigt, sag ich noch etwas, das ich tun könnte. Es gibt immer noch etwas, das ich aufharken oder gießen kann, das noch eingepflanzt oder umgesetzt werden möchte.

Beet

Nun ist alles in der Erde, was dort hin soll. Auch die Kartoffeln sind gesetzt.

Der erste Salat ist schon fast gar, die Radieschen sind gut aufgestellt, und auch die ersten Möhren zeigen sich.

Reihen vor Gemüse vor einem Staketenzaun

Am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag soll es regnen. Das wäre toll.


Gelesen | Die Herzen der Männer von Nickolas Butler. Klappentext:

In den Augen seines Vaters ist Nelson eine Enttäuschung. Wer will schon ein Kind, das weder Freunde noch Selbstbewusstsein besitzt? Je intensiver der verunsicherte Junge sich nach Zuwendung sehnt, desto stärker sondert sich der Vater ab, bis er irgendwann ganz aus dem Leben seines Sohnes verschwindet. Doch in einem Punkt hat er sich getäuscht. Nelson ist nicht allein. Jonathan, sein bester Freund aus dem Pfadfinderlager, ist das genaue Gegenteil von Nelson: bei allen beliebt, pragmatisch und mit einer unverwüstlichen Leichtigkeit ausgestattet. Was aber treibt jemanden wie Jonathan dazu, sich mit einem Außenseiter anzufreunden? Und stand Jonathan wirklich immer so rückhaltlos zu ihm? Das Leben im rauhen Wisconsin verlangt Nelson, Jonathan und dessen Familie Prüfungen ab, die Freundschaft und Loyalität auf eine harte Probe stellen. 

Klett-Cotta

Gerne gelesen. Die Geschichte macht zwei Zeitsprünge: Sie beginnt, als Nelson und Jonathan etwa neun Jahre alt sind. Dann springt sie in einer Zeit, in der beide Ende 40 sind. Im letzten Teil sind sie um die 80.

Nickolas Butler entwickelt die Charaktere gut und nachvollziehbar, über verschiedene Szenen, ohne selbst zu werten. Er erzählt, beschreibt und lässt mir als Leserin ausreichend Leerstellen, um eigene Gedanken zu entwickeln. Das mochte ich.

Kommentare

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  1. ANNA sagt:

    Die Bilder aus dem Sauerland sehen aus als würde ein Filter darüber liegen, wahrscheinlich sieht es dort aber ja wirklich so aus-Wahnsinnsfarben !
    Und : große Bewunderung für den Garten- er sieht so heimelig und gemütlich aus .

    1. Vanessa sagt:

      Sauerland halt. Schon ganz schön. War auch schön, dort aufzuwachsen.

  2. Herr Rau sagt:

    Mit Trimmdichmännchen am Leidensweg!

  3. Uwe aus Schwerte sagt:

    Dank für den Hinweis auf Nickolas Butler, „Shotgun Love Songs“ habe ich sehr gerne gelesen.

    Und ja, auch hier bei mir sind die Wege zum Spazieren gehen (in den Ruhrwiesen im Ortsteil) dann doch allmählich etwas zu oft von mir gegangen worden. Schön wenn man dann Alternativen hat und schöne Bilder von seinem Tag dort mitbringt !

    1. Vanessa sagt:

      Das Projekt „Spazierengehen“ wird dieses Jahr noch weitere Meilensteine nehmen. Im Wortsinne.

  4. H. hat diesen Beitrag heute Abend sehr gern gelesen.

  5. Andrea sagt:

    Danke für das Mitnehmen auf die Wanderung. Besonders die Anmerkungen zum Hexenteich haben mir gefallen, es ist ein wenig auch der Blick in die eigene Kindheit.

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