Broterwerb | Heute: Fahrt nach Frankfurt.
Beziehungsweise: Erst Fahrt zu Kunde #1, dort bis Mittag gearbeitet. Von dort aus auf die Autobahn und die A45 hinunter. Am späten Nachmittag Ankunft im Hotel.
Die Autofahrt war erwähnenswert unspektakulär: keine Raser, keine Sonntagsfahrer, keine anderen Blitzbirnen. Stattdessen fuhren alle Leute geschmeidige 120 bis 130, bremsten in Baustellen herunter, das Reißverschlussverfahren funktionierte, alle blinkten, man ließ sich rein, man ließ sich raus, ich hörte den „Zeit Verbrechen“-Podcast und ein Interview mit Juan Moreno, außerdem erzählte mir die Ärztin und Autistin Christine Preißmann, wie es ist, anders zu sein, und an der Raststätte Katzenfurt gab’s einen Milchkaffee.
Ich bin hier für ein Inhouse-Seminar zum Thema „Kommunikation und Storytelling“. Es geht darum, wie man komplizierte wissenschaftliche Dinge interessant erzählt, wie man es über verschiedene Medienkanäle tut und welche Kanäle überhaupt sinnvoll sind. Ich habe Best-Practice-Beispiele aus der Branche des Kunden mitgebracht. Wir sprechen über Formate und wie sie helfen, Inhalte auf mehrere Kanäle zu bringen – auch mit begrenzten Ressourcen. Denn die meisten Kommunikationsabteilungen haben einen bunten Strauß an Aufgaben: Pressemitteilungen, Broschüren, Geschäftsberichte, Social-Media-Betreuung bis zur Veranstaltungsorganisation; die Leute haben selten Zeit, sich zurückzulehnen und mal die Kreativität sprudeln zu lassen. Wir üben Methoden ein, mit denen man aus Themen Geschichten macht. Denn das ist im Alltagsgeschäft oft ein Problem: Wo finde ich den interessanten Erzählansatz?
Auf den ersten Blick hat meine Arbeit zum Storytelling wenig mit dem Thema „Organisationsentwicklung“ zu tun, das ich ebenfalls für und mit Kunden mache – also Teams und Zusammenarbeit zu gestalten. Tatsächlich hat es sehr viel miteinander zu tun. Denn wenn ich Organisationen entwickle, geht es immer auch um Kommunikation; darum, wie Informationen von A nach B kommen; wie wir es schaffen, dass Abteilung A die Abteilung B versteht; dass sie eine gemeinsame Sprache finden, um über gemeinsame Ziele zu reden. Das ist dann nicht Storytelling – aber irgendwie doch. Denn Bilder helfen oft, Brücken zu bauen und Fachfremden die eigene Sichtweise nahe zu bringen.
Gründungsberatung | In meinem Umkreis machen sich derzeit verschiedene Menschen selbstständig. Wir trinken dann Limo oder Kaffee oder Gin und sie fragen mich, wie sie herausfinden, welchen Stunden- und Tagessatz sie nehmen können. Ich antworte ihnen immer: Bevor Du Dir überlegst, was Du nehmen kannst, solltest du wissen, was du nehmen musst. Ich schreibe hier mal auf, wie man das ausrechnet.
Schritt 1: Du kennst Deine Ausgaben
Schreibe alle Deine Ausgaben auf. Schreibe auf, wie viel Geld Du im Jahr brauchst.
Das beinhaltet Wohnen, Strom, Gas, Heizung, Mobilität, Telefon und Internet. Das umfasst Deine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, denn die musst Du selbst zahlen. Für Deine Lebenshaltung veranschlagst Du mindestens 700 Euro pro Monat für Essen, Hygiene und sonstige Ausgaben, zum Beispiel Kleidung; das ist die unterste, realistische Grenze – glaub mir. Berücksichtige Deine Rücklagen für die Altersvorsorge. Denk an den Kleinkram und die Dinge, die nicht regelmäßig anfallen: den Beitrag fürs Fitnessstudio, die neuen Kontaktlinsen, die Zahnzusatz- oder die Haftpflichtversicherung, Krankentagegeld und andere Versicherungen (Lebensversicherung oder Arbeitsunfähigkeit), Frisörbesuche, Dein Haustier, Dein Hobby, Reparaturen – und so weiter. Du willst auch mal in den Urlaub fahren? Dann rechne die Kosten ein. Wenn Du Kinder oder einen Partner mitversorgst, gehören die Ausgaben natürlich auch dazu. Am Ende steht dort eine Summe, sagen wir: 50.000 Euro.
Schritt 2: Du rechnest die Anzahl der Tage aus, die Du arbeiten wirst
Das Jahr hat 365 Tage. Minus 52 Wochenenden, also minus 104 Tage. Minus die Feiertage in Deinem Bundesland. Minus 10 Arbeitstage, die Du krank bist. Minus mindestens 24 Urlaubstage.
Ergebnis: 217 Tage. Das ist die Anzahl von Tagen, die Du theoretisch verkaufen kannst, wenn Du Vollzeit arbeitest.
Diese 217 Tage kriegst Du aber nicht alle verkauft. Du hast Reisetage, Tage für Vorbereitung und Nachbereitung. Es gibt Tage, an denen Du durch die Lande fährst und Aufträge akquirierst. Du musst Buchhaltung machen, Deine Website pflegen, Dich um allen möglichen Kram kümmern. Es gibt auch Tage, an denen Du einfach keine Aufträge hast: Die Sommerferien sind zum Beispiel mau (es sei denn, Du arbeitest im Freizeitpark); der Januar ist oft schlecht; der Dezember besteht zur Hälfte aus Weihnachten. Geh für den Anfang davon aus, dass Du maximal 50 Prozent Deiner Tage abrechnen kannst. Das sind dann 108 Tage.
Schritt 3: Du teilst die Summe Deiner Ausgaben durch die Tage, die Du abrechnen kannst
Sagen wir, Du benötigst die oben erwähnten 50.000 Euro im Jahr, um all Deine Ausgaben zu stemmen, um zu wohnen, zu essen, Dich zu waschen, zu kleiden, Deine Freizeit zu gestalten, Dich zu versichern und fürs Alter vorzusorgen – geteilt durch 108 Tage = 462.
462 Euro pro Tag musst Du mindestens verlangen, um Deine Ausgaben zu decken. Dann hast Du noch keinen Gewinn gemacht, keine Rücklagen gebildet, noch nichts gespart, nicht für längere Krankheitszeiten vorgesorgt. Du hast in keine Weiterbildung investierst. Du kannst noch keine Investition tätigen und hast Deine Geschäftsausgaben noch nicht berücksichtigt – ob Kugelschreiber, PC und Software, Anschaffung und Unterhalt eines Autos, Anmietung von Räumlichkeiten, geschäftliche Übernachtungen oder einfach nur der Notizblock.
Schritt 4: Du möchtest Gewinn machen
Rechne den Gewinn drauf, den Du machen musst (und möchtest), um zu investieren und Rücklagen zu bilden. Oder schlichtweg, um die Knete zu verprassen. Zum Beispiel, zehn Prozent. Dann hast Du einen Tagessatz von 508 Euro.
Schritt 5: Das Finanzamt will auch Geld haben
Bedenke, dass dieser Tagessatz noch versteuert wird. Das heißt, dass Dir noch Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag abgezogen werden. Das kann Dir Dein Steuerberater genau ausrechnen. Rechne einfach mal 30 Prozent drauf. Dann sind wir bei 660 Euro.
Schritt 6: Übers Business nachdenken
Wohlgemerkt: Das ist die unterste Grenze – ohne Geschäftsausgaben, netto, ohne Mehrwertsteuer. Gehst Du darunter, bringst Du Deinem Kunden Geld mit, damit Du arbeiten darfst.
Es ist wichtig, dass Du Dein unteres Limit kennst. Anhand dieses Limits kannst Du Dich fragen, ob Du das Richtige anbietest: Gibt es ausreichend Menschen, die bereit sind, mindestens 660 Euro pro Tag für den Nutzen auszugeben, den Du erbringst? Hast Du die richtigen Menschen für Dein Angebot im Blick oder brauchst Du eine zahlungskräftigere Zielgruppe? Oder hast Du das falsche Produkt? Kannst Du Kosten reduzieren, indem Du Dinge automatistierst, standardisiert, einmal vorbereitest und mehrfach verkaufst?
Die untere Grenze bildet die Grundlage für all Deine Kalkulationen – auch für Dienstleistungen, die Du nicht nach Tagessatz anbietest: die Programmierung einer Website, feste Seminarpakete oder die Gestaltung von Visitenkarten.
Nur mit dem unteren Limit kannst Du in Verhandlungen treten und Dir überlegen, was Deine Leistung darüber hinaus wert ist, was der Markt bereit ist zu bezahlen und welchen Preis zu erzielen kannst.
Du kannst Dich bewusst dazu entscheiden, für weniger zu arbeiten – wenn es für einen guten Zweck ist, wenn Du für Freunde arbeitest oder wenn Du damit Marketing für Dich machst. Aber Du musst Dir immer im Klaren darüber sein, was Du tust.
Disclaimer: Ich kenne mich mit dem Kram eigentlich nicht aus. Wenn Du es genau wissen willst, geh zu einer Gründungsberatung oder dem Steuerberater Deines Vertrauens.
Amtessn | Abends Essen, Buch und DFB-Pokal in der Hotelbar.
Kommentare
12 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓
Absolut richtig, gutes Rechenbeispiel. Achtung: manche Selbständigen MÜSSEN sich gesetzlich rentenversichern, das ist richtig teuer und muss erst mal erwirtschaftet werden
Letztendlich ist das die Summe, die ich ohnehin mindestens für die Altersvorsorge einkalkulieren sollte, auch privat. Was bei verpflichtend gesetzlicher Variante natürlich schwierig ist, ist die fehlende Flexibilität, gerade am Anfang: Die Beiträge werden monatlich zwingend in dieser Höhe fällig.
Es gibt noch weitere Spitzfindigkeiten: Künstlersozialkasse zum Beispiel.
Ah-wirklich gute Erläuterung! Bist du so auch auf deinen Tagessatz gekommen oder hat sich das erst im Laufe der Zeit entwickelt ?
Ich habe mir direkt am Anfang ausgerechnet, wie viel ich mindestens nehmen muss, netto, ohne Geschäftskosten.
Bei den Geschäftskosten kann nochmal ordentlich was zukommen: Material- und Anschaffungskosten, Kredite, Versicherungen (z.B. Betriebs- und Vermögenshaftpflicht, berufsspezifische Versicherungen), Reisekosten, Fortbildungen usw. Die Kunden wünschen in der Regel einen Komplettpreis für alles: Leistung inkl. Vorbereitung, Beratung und Nachbereitung, Reisekosten, Material.
Zudem sollte man überlegen, ob man sich die Flexibilität bezahlen lässt. Gerade bei Einzelaufträgen kommt es vor, dass Kunden kurzfristig Termine verschieben. Dann hast Du in KW 42 drei Tage verplant, und zwei oder drei Wochen vorher ruft der Kunde an, ob man den Termin nicht verlegen könne, es seien Urlaub, Krankheit, eine Konferenz, eine Geschäftsführungsklausur, ein Vorstandstermin oder brennendes Tagesgeschäft dazwischen gekommen. Auch in längeren Verpflichtungen muss der Freiberufler der Flexible sein, denn bezahlt wird meist nur die Leistung, die der Kunde auch tatsächlich abruft – nicht die, die Du angeboten hast. Ich finde: Das sollen die Kunden auch so tun dürfen; dafür beschäftigen sie ja Freelancer, und der Freiberufler ist Dienstleister.
Nur: Dann kommen die kalkulierten Einnahmen erstmal nicht. Damit muss man umgehen.
Sehr klare und gut durchdachte Berechnungen. Darf ich deinen Blogeintrag auf einer FB Seite für freiberufliche Übersetzer teilen? Viele von meinen ehemaligen Kollegen könnten davon profitieren. Sie verkaufen sich sooft unter Wert.
Klar, gern!
Mir als freiberuflicher Literaturübersetzerin ist bei der Rechnung erstmal ein hysterischer Lachkrampf gekommen. Also, ja, wäre alles schön und sinnvoll. Aber zahlt keiner, niemals. Und das, obwohl Übersetzungen einen hohen Kostenanteil am fertigen Buch haben. Unter Wert ist hier das einzige Verkaufen, und das reißt auch die KSK nicht raus – aber ohne die ginge es gar nicht.
Sehr guter Artikel und sehr sinnvolle Rechnung. Jeder Freiberufler sollte sich darüber im Klaren sein, wie hoch seine tatsächlichen Kosten sind, und was bei Tagessatz x am Ende übrig bleibt. Das Problem bleibt allerdings, erstmal jemanden zu finden der einem dann diesen Wunschtagessatz zahlt, wie du ja auch schreibst.
Mich erinnert diese Rechnung ein wenig an die Art, wie Mercedes angeblich früher seine Preise kalkuliert hat: Wir bauen alles in das Auto ein was gut und teuer ist, addieren die Kosten, schlagen auf die Summe 50% Marge, und fertig ist der Verkaufspreis für den neuen Daimler, den der Kunde gefälligst zu zahlen hat.
So verkauft heute natürlich niemand mehr Autos, sondern man geht in der Regel aus der anderen Richtung heran: Was ist der Kunde maximal bereit zu zahlen für einen bestimmten Autotyp mit Premiumanspruch. Das ist dann der Verkaufspreis, und produziert wird dann so billig wie möglich, um die Marge zu maximieren.
Wenn man seinen Zieltagessatz nicht erreicht, heißt das übrigens nicht, dass man bei niedrigerer Vergütung dem Kunden „Geld mitbringt“, sondern vielleicht schlicht, dass die eigenen Lebenshaltungskosten zu hoch sind. Wenn ich nur 300 Euro Tagessatz bekommen kann, aber eigentlich 600 brauche, sind 300 immer noch besser als nichts, sofern ich keine bessere Alternative habe.
Ist ja bei Festanstellung auch so: Der Friseur kann sich zwar prima ausrechnen, dass er mindestens 3.000 EUR netto pro Monat zum Leben braucht, aber wenn der Friseursalon ihm nur 1.500 EUR zahlt, und er keinen besser bezahlten Job findet, muss er halt trotzdem sehen wie er damit klar kommt.
Zunächst: Die Rechnung ist eine Beispielrechnung, die vom Ist ausgeht. Von irgendwas muss ich als Gründer/in ja ausgehen, um meine Überlegungen zu starten. Also nehme ich den Lebensstandard, den ich habe. Den kann ich natürlich reduzieren. Allerdings ist die Reduktion endlich: Bestimmte Kosten sind einfach da – Krankenversicherung beispielsweise und die Kosten, die ich habe, um mein Gewerbe auszuüben. Kosten für die Familie, die Kinder. Das lässt sich irgendwann nicht mehr reduzieren.
Zum Thema „geringerer Tagessatz“: Aus meiner Sicht bringt es nichts, dauerhaft für einen Tagessatz zu arbeiten, der nicht kostendeckend ist. Denn das Ergebnis ist, dass ich 50 Stunden pro Woche ackere, aber dennoch im Dispo bin. Wohin soll das führen? Das führt geradewegs in die Privatinsolvenz.
Ich muss entweder meine Kosten reduzieren (siehe oben), über mein Produkt oder über meine Kunden nachdenken. Für 300 Euro zu arbeiten, wenn ich 600 brauche, ergibt nur Sinn, wenn man die verbleibenden 300 Euro irgendwo anders herkriege – zum Beispiel subventioniert vom Ehepartner/der -partnerin. Ändert dann aber nichts an den grundsätzlichen Überlegungen.
Sehr anschaulich dargestellt!
Ich komme von der Kaltmamsell und hab mich jetzt komplett durch deinen Businessblog gelesen und 2 der Podcast gehört. Seit einem halben Jahr leite ich jetzt ein kleines Team, leite überhaupt zum ersten Mal jmd an und konnte mir sehr viel mitnehmen. Aus dem Wust an Infos für „Neuchefs“ etwas zu finden das einen methodisch anspricht und dann noch gut geschrieben und zusammen gefasst ist , ist wirklich schwierig.
Wirklich alles ganz großartig, großer Girl crush hier <3 einen zauberhaften Sonntag noch :)
Dankeschön! Ebenso!
[…] einen Blogbeitrag von Frau Nessy, in dem sie beschreibt, wie man einen Tagessatz berechnet. Sehr interessant auch für […]