Gestern treffe ich noch eine Frau Braun.
Oder besser gesagt: Eine Frau Braunitschka, kugelrund und mit weißem Haar, die sich die Treppe zur U-Bahn hinunterjongliert. Mit der einen Hand klammert sie sich ans Geländer, mit der anderen Hand balanciert sie ihren Rollator, an ihrem Arm baumelt ein Jutebeutel. Die Rolltreppe ist kaputt, der Aufzug auch.
„Ich nehme Ihnen mal den Rollator ab, ja?“ sage ich. Sie ist schon ganz bleich. Mit den Augen eines Monchichis schaut sie mich an.
„Mann ist krank“, sagt sie mit russischen Akzent. „Ich muss in Krankenhaus. Wäsche bringen.“ Sie deutet auf den Beutel, den sie in der Hand hat.
Ich trage den Rollator und stütze sie die Treppe hinunter.
„Danke“, sagt sie unten.
„пожалуйста, не стоит“, sage ich. Bitte, gern geschehen.
Ruckartig blickt sie mich an. „Вы говорите по-русски?“, fragt sie.
„Nein“, sage ich. „Ich spreche kein Russisch. Nur ein paar Sätze.“
Sie lächelt. Ihre runden Augen schimmern wässrig. „Wissen Sie, viele Leute mögen uns nicht. Weil wir Aussiedler sind.“
„Ja“, sage ich. „So ist das hier.“
Als ich in der Bahn sitze und bereits mein Buch ausgepackt habe, rollt sie mit ihrem Rollator noch einmal zu mir herüber.
„Wollte ich sagen“, sagt sie. „Aber ich habe nicht getraut. Sie sind eine sehr hübsche Mädchen. Wirklich hübsch. Wünsche ich Ihnen viel Glück für das Leben. Haben Sie eine schöne Tag.“
Kommentare
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Menschen, die helfen, sich kümmern und für andere da sein können, sind in der Tat schön…
Herzlichst!
Erwärmt das Herz.
sehnse frau nessy, hab ich ihnen ja auch gesagt sehr hübsch ;)
innen wie außen
Dem nächsten, der mich blöd anmacht, schicke ich Frau Braunitschka zur Aufklärung.
Nicht verkehrt. Respekt muss man lernen, wenn man ihn nicht von alleine hat. Und von wem besser, als von jemandem, der vermutlich schon einiges gesehen hat?
Vielleicht machen Sie einfach ne Serie draus, Publikum gäbs sicher.
Ja, wieder mal Punkte für das Karma – Konto. Für beide…
… und bunte Kringel ins Aura-Heftchen.
und ein Bienchen ins Muttiheft. :-)
Die goldene Fähnchen-Fieselschweif-Medaille!
:)
Ein paar Worte Russisch sprechen können, ist eine Sache. Aber sie auch zu schreiben, die andere. Wo haben Sie die kyrillische Tastatur her? Und überhaupt Sie sprechen wahrscheinlich auch noch ein bisschen finnisch, schwedisch, ungarisch und chinesisch und wir werden das erst im Laufe der Jahre so ganz beiläufig erfahren.
Ich habe keine kyrillische Tastatur, nur die Worte kopiert. Kyrillisch habe ich mir beigebracht, bevor ich nach Russland reiste. Das ist sehr praktisch: Ich kann lesen, was auf Schildern und Häusern steht, mir einen Reim darauf machen und muss beim U-Bahnfahren nicht jeden Buchstaben einzeln vergleichen, um am Ziel anzukommen. In Griechenland komme ich damit auch leidlich zurecht; ist ja ähnlich, das Alphabet.
Öffentliche Beschilderung lesen können ist definitiv eine sehr wichtige Sache. Wobei es eben manchmal nicht nur am Alphabet scheitert. Mein erster Ungarn-Besuch war in den 90ern und ich war glücklich, gab es neben den einheimischen Beschriftungen noch Piktogramme, obwohl das nur das gewohnte Alphabet ist dort.
Sagt man im Russischen wirklich »kost nix« für »gern geschehen«?
Hab ich so gelernt. Aber vielleicht kann Frau Mariwanna Näheres dazu sagen.
Manchmal gibt es eine Belohnung, auch wenn man sie gar nicht erwartet hat.
//* Notiz im Tagebuch: Sollte mehr nette Sachen machen und mehr nette Sachen sagen
Das funktioniert! Auch bei Menschen, die böse sind. Sie gucken dann immer ganz perplex.
Hach, eine schöne Geschichte. Wenn man Gutes tut, widerfährt einem selbst früher oder später etwas Gutes. Da bin ich mir ganz sicher.
Geschichten die das Leben schreibt – und ja – Frau Nessy ist wunderschön und wunderbar!
*Aber wem sag‘ ich das hier?*
Die ausgesiedelte Oma, die ich kenne, will immer nur sterben. „Дома“ („zu Hause“), das sagt sie gleich dazu. Ich frag, wo das ist. „Казахстан, домой, наконец …“ und zeigt mit dem ausgestreckten Arm im hohen Bogen in Richtung Horizont.
Ich glaub, Ommas siedelt man auch nicht um.
Man will sie zwar da haben, wo man selber ist und nicht hunderttausend Kilometer hinterm Horizont, aber für die Omma selber ist so ein Kulturschock sicher eine schreckliche Sache.
Ich glaube, Frau Braunitschka wohnt schon länger in Deutschland.
*schluck*
Da oben schrieb jemand „innen wie außen“.
Jawoll. Hübsch.
Gott sei Dank gibts noch so Menschlein.
Ich muss bei den Beiträgen hier immer entweder schallend lachend oder hab Tränen in den Augen. Dankeschön dafür.
Было очень правильно. Очень любезно.
Und danke für ein weiteres Beispiel gelebter Menschlichkeit und Hilfe.
Das war eine Kugelfee.
Sie haben jetzt einen Wunsch frei.
Wählen Sie mit Bedacht.
Jetzt bin ich plötzlich ganz aufgeregt.
Hm, wieder was gelernt. Mein Schulrussisch ist doch arg eingerostet, und gerade bei den Alltagsfloskeln mangelt es. Aber bei der Aussage der Frau zeigt sich halt die Schönheit der russischen Sprache – dies theatralisch-bildhafte. Während es hierzulande neben „Oma“ gerade noch „Omi“ gibt geht es im Russischen vom klassischen бабушка über старушка, бабулечка, бабка … bis hin zum бабуличка-мамуличка.
Die Verniedlichungsformen im Russischen und das, was die Leute mit Namen machen – für jeden Namen gibt es ja eine Koseform – finde ich sehr schön.
Das gibts im türkischen auch. Ich finde ja eh, das so viele Sprachen für Kosewörter und schönes darum herumreden besser geeignet sind als deutsch. Das ist mir manchmal einfach zu… praktisch.
In Dialekten geht das Kosen wunderbar.
Na, sehen Sie. Da wissen Sie es nun endlich!
Hübsch!
Sehr schön!
Zauberhaft! Innen wie außen finde ich auch sehr passend, liebe Grüße
Juniwelt
Hach ja… спасибо.
:) Frau Müller (Schulrussisch… 100 Jahre her).
An Dir sollen sie mal ein paar Leute eine Scheibe abschneiden!
Oh ja, in der Mitte bitte, am Bauchspeck. :-)
Eine sehr schöne Geschichte. Sie hat so viel Energie wie ein 90 Minuten Liebesfilm!
L.G.
Mrs. Jones
Danke!
Zeit für ein Foto…
;-)
Stellen Sie sich mal vor, ich poste hier ein Foto von so einer dicken, knorpeligen Elfe – das würde all Ihre Fantasie zerstören. Dann belassen wir es doch lieber so.
Hatten sie nicht schon mal ein Foto von ihren Beinen gepostet? Können ja einen Nessy Starschnitt daraus machen a la Bravo.
Jede Woche ein neues Foto.
Ich bin nun hoffentlich der einzige, der an das hier denkt.
@Frau Nessy: No offense!
Wie in der Metzgerei:
„Geschnitten oder am Stück?“
Es darf dann auch gern ein bisschen mehr sein. :)
Liebe Frau Nessy, Gänsehaut hab ich jetzt. Und Schönheit, das sind keine angeblichen Modelmaße, das ist das was man tut, ausstrahlt und ist. Sehr schön sin Sie, ich bin mir sicher! Viele Grüße für ein sonniges WE, AnJo
…was wäre eigentlich, nur mal so als Gedankenspiel, wenn Frau Braunitschka Recht hätte und die Handballgegnerin nicht?
Wenn „hübsch“ stimmen würde und nicht „f*** S***“?
Aber warum geht das eine viel tiefer rein als das andere? Warum schmerzt es so?
Ist es nicht so, dass Sie seit frühster Kindheit davon ausgehen, dass die Leute Recht haben, die Ihnen vermitteln, Sie seien zu groß, zu schwer, zu sonstirgendwas?
Mittlerweile glauben Sie es ja auch. Und die Handballgegnerin hat auch noch in die Kerbe reingehauen. Das tut weh, denn wer will schon mit so einer Wahrheit leben?
Wahrheit, Frau Nessy, ist das, was SIE über sich glauben.
Und nichts ist attraktiver als eine Frau, die sich „innen und außen hübsch“ findet.
Wenn Sie das eines Tages glauben (was ich Ihnen sehr wünsche), tut der gemeine Spruch der Handballgegnerin nicht mehr weh: denn Sie wissen, dass sie irrt.
private russen sind gute russen. will sagen, jeder russe/jede russin trägt die seele der ganzen welt in sich, aber das russische volk ist eine fortwährende katrastrophe.
Das könnte man auch vom deutschen Volk behaupten, also das letzte. Das erste nicht so.
Toll! Schöne, sehr plastisch geschilderte Alltagsgeschichte.
Und es wärmt das Herz :)
[…] “Gestern treffe ich noch eine Frau Braun. Oder besser gesagt: Eine Frau Braunitschka, kugelrund und mit weißem Haar, die sich die Treppe zur U-Bahn hinunterjongliert.” Draußen nur Kännchen: Noch eine Frau Braun […]