Bus 720 von der Arbeit nach Hause. Die Plätze sind gut besetzt, die Luft ist verbraucht. Ich setze mich neben eine kleine Frau mit dunklen Augen und einem Kopftuch, wie die Mütter der 50er es bei der Hausarbeit trugen.
Der Bus fährt an, ich nehme meinen iPod und schaue einen Film über Betül Durmas, eine türkischstämmige Lehrerin, die an einer Förderschule viele Migrantenkinder betreut. Eine feine Reportage mit leisen Zwischentönen und guter Beobachtung, aber auch eine, die Herrn Sarazzin Recht geben würde.
Die kleine Frau neben mir hebt einen ihrer kleinen Finger und zeigt auf das Bild: „Ist das Fernsehen?“ fragt sie.
„Ja. Nur nicht live. Aufgenommen.“
„Aaaaaaaaaah.“ Sie nickt wissend. „Könnte ich auch gebrauchen“, sagt sie. „Fahre ich jeden Tag zu Burger King mit Bus. Ist 45 Minuten.“
„Arbeiten sie dort?“ frage ich.
„Ja, mache ich Kasse.“ Sie lächelt mich an. Um ihre Augen lachen ein paar Fältchen mit. Sie ist vielleicht 45, 50 Jahre alt. Ihre Haut ist dunkler als meine, capuccinofarben.
„Gehen Sie noch Uni?“ fragt sie.
„Nein“, sage ich. „Ich komme von der Arbeit.“
„Meine zwei Tochter gehen Uni. Die Große macht die Wirtschaft. Die Kleine macht die Jura.“ Sie blickt mich versonnen an und lächelt wieder, aber diesmal ist es ein anderes Lächeln, kein Anlächeln, sondern ein Für-sich-selbst-Lächeln. Sie selbst, sagt sie, habe nicht studieren können. „Nur VHS.“
„Sie sind sicher stolz auf Ihre Töchter“, sage ich und denke: Ausgerechnet jetzt diese Begegnung, während ich diese Doku schaue. Der Zufall ist ein Antagonist.
„Jaaaa“, sie zieht das Wort und wiegt den Kopf, „die Große hatte am Anfang von ihre Studien noch Sehnsucht nach Frankfurt. Weil – kommen wir aus Frankfurt. Mein Mann hat dort gearbeitet bei Versandhandel, und ich auch. Habe genommen Blusen und BHs und in Regale geräumt und mit Etiketten. Dann vor fünf Jahren sind wir hierher. Hat mein Mann neue Arbeit gefunden und ich auch.“
Ich frage sie, was ihr Mann arbeite.
„Mein Mann macht Koch. In deutsche Küche. Mit Schnitzel und Kloß und dieses.“ Sie lacht. „Auch immer zu Hause. Ich: nicht kochen. Nur unsere traditionellen Gerichte. Die koche ich.“
Sie erzählt mir, dass sie aus Sri Lanka komme. Ich erwidere, dass dort das Essen bestimmt sehr scharf sei. Daraufhin glänzen ihre Augen, als habe sie sich eine Chilischote hineingerieben.
„Jaaaaaa!“ sagt sie inbrünstig. „Aber Burger King macht auch mit Jalapeno.“
„Schon“, sage ich, „aber das ist dort nicht scharf.“
Ihre Mundwinkel erreichen fast ihre Ohren, als ich das sage. „Sage ich auch immer! Du könntest essen meine Essen!“ Sie streichelt mir mütterlich den Arm und kneift liebevoll hinein.
Der Bus biegt um die Ecke, und ich sage ihr, dass ich aussteigen müsse. „Wünsche ich dir viele Glück für deine Zukunft“, sagt sie, nimmt mich in ihre kleinen Arme und drückt mich. Ich drücke zurück, steige aus und fühle mich wunderbar gut.
Kommentare
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Mich versicherte letztens eine studierte Inderin, dort in Indien sei das Essen eigentlich gar nicht scharf. Man mache das nur bei kostbaren Speisen, wovon wenig da sei, damit verfressene Leute weniger davon nehmen und es länger reicht. Insbesondere sei Schärfe dazu da, um das Essen vor Kindern zu schützen.
*lacht herzlich
„Um das Essen vor Kindern und Verfressenen zu schützen“ – sehr, sehr, sehr gut. Und so wirksam.
Herzlichen Dank für diese wunderbare Geschichte!
Schön :-)
das zeigt, dass es sich immer lohnt offen auf Menschen zuzugehen – zu viele hätten doch einfach nur eine Frau mit Kopftuch gesehen, die etwas dunklere Haut und gedacht „Ausländerin, Muslimin, kann sicher kein deutsch, nicht integriert“ oder im schlimmsten Fall „Aha, schon wieder so eine Migrantin die Kopftuchmädchen produziert und unsere Sozialkassen ausplündert“.
Und ihre Töchter werden wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang immer, immer aus „Ausländer“ betrachtet werden.
Aber was will man anderes in einem Land erwarten in dem ein Bundespräsident, der ganz sachlich festgestellt hat dass der Islam inzwischen auch zu Deutschland gehört einen Sturm der Empörung zurück bekommt :-(. (will jetzt keine Islamdebatte lostreten, ist einfach nur meine Sichtweise).
Ich weiß gar nicht, ob sie Muslima war. Es war kein übliches Kopftuch. Ist ja aber auch egal.
Wahrscheinlich hätte ich dieser Begegnung nicht diese Bedeutung beigemessen, wenn nicht grad die Thilo-Debatte liefe und ich diese Doku nicht geschaut hätte.
Ich wohne ja nun schon seit mehr als zehn Jahren in Stadtteilen mit „gewachsener Arbeiter- und Migrantenbevölkerung“ und meine Sicht ist: Es gibt natürlich diese Probleme, die aktuell diskutiert werden. Die meisten Migranten – hier sind es viele Türken – sind aber wie die restliche Bevölkerung auch: mal schlau, mal dumm, mal fleißig, mal faul, mal dick, mal dünn. Also völlig durchschnittlich.
Ein in meinen Augen viel größeres Problem sind zunehmende Bildungsarmut, Verwahrlosung, Perspektivlosigkeit und ein nicht erziehungsfähiges Elternhaus – über alle Nationalitäten hinweg. Eine streng islamische Tradition verstärkt manchmal diese Probleme, sie ist aber aus meiner Beobachtung heraus nicht die Ursache – und anders, als man nach Reportagen aus Marxlo oder Neukölln vermuten mag, in der Fläche nicht so bedeutend, wie manchmal suggeriert wird.
Also völlig durchschnittlich.
Das entspricht auch meiner Auffassung.
Mir rollen sich auch immer die Fußnägel hoch, wenn Ethnien einfach willkürlich durch ihre (vermeintliche) Religionszugehörigkeit klassifiziert werden, und man dann aus einem ziemlich komplexen Problemszenario, in welchem Menschen Bestandteil sind, die weder alle einen ernstzunehmenden Migrationshintergrund haben, noch alle Muslime sind, eine beschämend simplifizierte Ursache herauszustellen versucht, indem man sagt: „Der Islam ist das Problem“.
(Randbemerkung: Ist es möglich, liebe Nessy, dass Sie eine Vorschau für die Kommentare aktivieren? So wegen des Formatierungskrams…)
Eine Religion an sich ist nicht das Problem, kann nicht das Problem sein, sondern immer nur eine gelebte Ausprägung. Warum diese Ausprägung gelebt wird – das ist die entscheidende Frage.
(Tut mir leid. Ich weiß nicht, wie das geht. Ich habe im Dashboard noch nichtmal die Möglichkeit entdeckt, den Header oder den Footer zu editieren. Irgendwie ist das eine in sich geschlossene Sache hier.)
@Nessy: Dem kann ich nur völlig zustimmen :-)
von wegen Muslima oder nicht – das ist auch eine fehlende Differenzierung, die ich leider zu oft sehe (jetzt natürlich nicht bei Ihnen :-)).
Fast alle Leute denken wenn sie ein Kopftuch sehen (egal wies nun aussieht ;-)) automatisch es müsse sich um eine Muslima handeln.
Wir hatten z.B. in unserer Firma einen Azubi mit deutschem Pass, kurdischem Migrationshintergrund und jezidischer Religionszugehörigkeit. Irgendwann hat der Arme aufgehört zu versuchen zu erklären, dass er weder „Türke“ noch Muslim ist (um den ganzen das Sahnehäubchen aufzusetzen ist er übrigens CDU-Mitglied, das hat erst recht für Verwirrung gesorgt :-))
Ein grünes Parteibuch könnte gerade noch hinhauen – da weiß man ja, dass das eine ökologische Multikultibande von Steinewerfern ist. Außerdem haben sie den Cem, der ist auch Türke, da kommt’s auf Ihren Azubi nicht mehr an. ;o)
Du hast manchmal wirklich Glück mit deinen zufälligen Begegnungen. Ein schönes Erlebnis! :-)
Irgendwie passiert mir das immer. Vielleicht liegt’s daran, dass ich Bus und Bahn fahre und es dann unweigerlich zu menschlichem Kontakt kommt – anders als beim individualistischen Im-Stau-Stehen.
Blitzlicht aus Neukölln, das ich in den letzten Jahren mitwohnenderweise genauer betrachten konnte: Das, was wirklich anstrengend war, war die Verwahrlosung. Und die war ich sags jetzt mal so pauschal) bei den deutschen Hartz4lern dort durchaus stärker ausgeprägt als bei den Türken.
Nein, auch ich trete keine neue Debatte los, sondern wollte Ihnen nur für diesen Beitrag danken.
Und ich habe dabei auch an das Gesicht meines türkischen Vermieters gedacht, wenn er von seinen beiden Söhnen erzählt: Beide auf dem Gymnasium, und der Große will vor dem Studium vielleicht ein Jahr nach Australien gehen. Das Vermietergesicht leuchtete sehr stolz dabei.
Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass die meisten Migranten – ja, auch die muslimischen – Wert auf die Schulbildung ihrer Kinder legen. Manche Nationalitäten bringen sogar eine strengere Schul- und Lerntradition mit.
Die, die auf Bildung pfeifen, stehen in einer Reihe mit den deutschen Problemfamilien. Das hat dann wenig mit Migration zu tun, sondern damit, dass sie einfach so sind – verwahrlost halt.
Danke. Für’s teilhaben lassen.
Dieses Posting hat ein Lächeln auf mein Gesicht gezaubert. Danke :-)
Hach. Schön. Danke fürs Mitlesendürfen.
Nette Geschichte! Da fährt man doch gerne Bus :-)
Ob man immer gerne Bus fährt – naja … *lacht. Aber in diesem Fall schon.
Eine schöne Begebenheit.
Es fasziniert mich immer wieder, wie einfach es ist, mit Menschen ins Gespräch zu kommen wenn man nur ein klein wenig offen für den Anderen ist, wieviel man erfahren kann aus dem Leben fremder Leute.
GLG Sweetkoffie
Am ehesten kommt man entweder mit Ausländern oder mit deutschen Omis ins Gespräch. Alle anderen sind entweder gestresst, schlecht gelaunt oder hören mp3.
Wie schön!
Eine sehr kostbare Begegnung…
Danke für’s Teilen!
Hach. So schön hier im Pott. Immer irgendeiner zum Quatschen da.
eine wundervolle Geschichte. You made my day…
Eine sehr schöne Begegnung. Vielen Dank fürs Teilhaben lassen!
Eine schöne Begegnung *lächel*
Meine beste Freundin, nein, falsch, die Eltern meiner besten Freundin kommen aus Sri Lanka (sie selbst ist in D geboren) und dort wird immer scharf gekocht. Meine Güte, was haben mir da schon die Lippen gebrannt wenn ich dort gegessen habe. Mir liefen die Tränen während sie und ihre Familie das aßen, als wäre es Wackelpudding.
oh, was für eine schöne geschichte *freu* ich liebe solche geschichten und begegnungen.
liebe grüße, katerwolf
Auch ich danke Dir für diese wunderschöne Geschichte.
LG E.
Ich vertrage nicht einmal die Burger-King-Schärfe. Und als ich das letzte mal exotisch Essen war (das ist bei mir quasi alles was kein Schnitzel mit Pommes ist) habe ich versehentlich auf eine Chilichote gebissen und mir den Rest des Abends meinen verbrannten Mund mit Bier ausgespült.
Ein bisschen unmännlich ist das aber schon.
[…] Alltagsbegegnung mit dem Migrationshintergrund bei “Draußen nur […]
Danke für die schöne Geschichte :-)
Es tut gut auch mal etwas normales zu lesen und nicht immer nur diese Hetze gegen den Islam.
Grüßli :-)
Du hast es wunderbar gefunden. Im Bus.
Ich musste weinen. Auf der Arbeit.
;)