Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Hausarbeit ist ein Graus für jedes Projektmanagement.

Nehmen wir zum Beispiel den heutigen Morgen. Weil mein Rolladen-Gurt im Schlafzimmer gerissen ist, kommt ein Handwerker und repariert ihn. Dafür muss ich die Gardine abhängen. Dann kratzt der Handwerker die Tapete vom Rolladenkasten und öffnet ihn. Ein Riesendreck! Als er fort und die Jalousie wieder heile ist, blicke ich durch das nackte Fenster und sehe: Das ist ja total schmutzig. Nachdem ich es geputzt habe, bemerke ich: Boden vollgetropft! Um aber den Boden zu wischen, muss ich die Tapetenreste wegsaugen. Als ich den Staubsauger nehme, sehe ich: Beutel voll! Ich wechsle den Beutel, und als ich ihn wegwerfe: Mülleimer voll!

Verstehen Sie? Es ist ein Fass ohne Boden. Am besten ist es, nichts zu tun. Denn ist der erste Schritt gemacht, ist die Welle der Aufgaben nicht mehr aufzuhalten.

Thorsten hat sich das Rückgrat gebrochen.

Ich kam von der Schicht, und der Gute hing auf halb acht. Diagnose: gebrochener Stängel und ein herbes Weichteiltrauma durch zu schwere Früchte. Ich habe sofort Erste Hilfe geleistet und mit meinem Wäscheständer eine Extensionsbehandlung eingeleitet.

Marionette Thorsten

 Jetzt hängt Thorsten da wie eine Marionette. Aber er ist den Umständen entsprechend wohlauf.

Ein bisschen blöd ist natürlich, dass ich jetzt nur noch fünf T-Shirts gleichzeitig trocknen kann. Weil: Auf der anderen Seite hängt ja Thorsten. Aber was bedeutet diese Einschränkung schon in Anbetracht von 19 geretteten Tomatenleben?

Höchster Berg Spaniens: Pico del Teide, Teneriffa, 3718 Meter:

[vimeo 22439234 w=400 h=225]
Als ich dieses zauberhafte Video fand, war ich sofort wieder dort.

Ich bin im Januar 2010 von El Portillo zur Montaña Blanca unterhalb des Teide-Gipfels gewandert – ein Aufstieg von 2000 auf knapp 3000 Meter, zehn Kilometer hinauf, zehn wieder hinunter. Es war die anstrengendste Wanderung, die ich je unternommen habe. Nicht der Strecke oder der Höhe wegen, auch wenn es bisweilen steil war – sondern wegen des Windes. Unablässig fiel er den Berg herunter und mir entgegen. Mein Gesicht brannte. Meine Ohren dröhnten. Er war kurz davor, mich fertig zu machen.

Für die ersten 7,5 Kilometer brauchten wir drei Stunden.

Die ersten 7,5 Kilometer

Mit flatternder Hose am 7,5-Kilometer-Schild nach El Portillo

Auf der Montaña angekommen, blies der Wind so stark, dass ich kaum gerade stehen konnte. Mit Mühe und bebendem Arm machte ich ein Foto – ein einziges. Obwohl es für sich genommen sinnlos ist, einen Berg hinaufzulaufen, nur um hinunter zu blicken, ist das Gefühl, die Anstrengung überwunden zu haben und angekommen zu sein, befreiend und belebend. Ich bin dann sehr nah bei mir.

Am Fuße des Teide

Aussicht von der Montaña Blanca in die Ucanca-Ebene

Wir setzten uns hinter einen Felsen, tranken Wasser, aßen Baguette und Kekse. Viel Zeit war nicht. Denn für den Aufstieg hatten wir länger gebraucht als geplant. Als wir uns auf den Rückweg machten, waren die Schatten schon lang und die Wolken flossen wie Wasser ins Tal. Wir liefen fast, den Wind im Rücken. Am Ende war die Sonne hinter den Teide gesunken und unser Weg lag im Dunkel.

Kurz vor El Portillo

Kurz vor der Ankunft zurück in El Portillo

Als wir durch Lavafelder, Tannenwälder und Nebelwolken zurück an die Küste fuhren, war ich hundemüde. Im Hotel angekommen, duschte ich, aß Runzelkartoffeln, Dörrobst und würzigen Käse – es hätte kein besseres Mahl geben könnten.

Eins war noch am gleichen Abend klar: Sollte ich noch einmal nach Teneriffa reisen und fit genug sein, werde ich komplett aufsteigen – mit Übernachtung in der Schutzhütte und frühmorgendlichem Anstieg zum Teide-Gipfel.
(Der letzte Satz ist ein Beitrag aus dem Büchlein: Ziele, die ich noch habe.)

Stellen Sie sich vor, mein Herz sei eine Sonnenliege.

Ich weiß, das klingt ein bisschen eigenartig. Aber stellen Sie sich das bitte einfach vor: mein Herz, eine Plaste-Liege am Strand von Mallorca.

Es ist noch früh am Morgen, aber auf der Liege liegt schon ein Handtuch. Es liegt nicht dort, weil jemand früh aufgestanden ist und es dort hingelegt hat. Es liegt dort, weil es jemand vergessen hat. Weil sein Urlaub zu Ende war, er nach Hause geflogen ist, sein Handtuch aber liegen gelassen hat.

Das olle Teil ist jetzt sandbestäubt und ausgeblichen. Und um ehrlich zu sein: Es riecht auch schon. Aber der Urlauber kommt nicht wieder, um es wegzuräumen; nie mehr, obwohl noch Pfand auf dem Handtuch ist. Es kommt auch kein Hotelpersonal, das es mitnimmt; ein mobiler Aufräum- und Handtuchwegtrageservice ist nicht vorgesehen.

Vielleicht verstehen Sie, was ich meine. Vielleicht nicht. Jedenfalls: Ich wünschte mir, dass ein Sturm kommt und das Handtuch von meinem Herzen weht. Aber die Schönwetterperiode hält an.

Juchhu! Post!

Bücher aus Great Britain

Leihgabe aus einem fernen Land

„Einschreiben“ schallte es sonor durch den Hausflur – und kurz danach stand ein verschwitztes gelbes Männchen vor meiner Wohnungstür. „Einschreiben“, hechelte es noch einmal und drückte mir einen großen Umschlag der „Royal Mail“ in die Hand.

Wie aufregend! Post aus Übersee! Darin: drei Bücher, Shortbread und eine Packung Yorkshire Tea für glückliche Stunden mit der Lektüre.

Vielen Dank, Frau Charlotte!
Ich werde versuchen, nicht zwischen die Seiten zu krümeln.

Das Ghetto-Netto hat eine neue Kassierin.

Sie ist jung, blondgefärbt, trägt Glitzernagellack und verachtet ihre Kundschaft – all diese Menschen, die ihr ihre kostbare Lebenszeit stehlen, indem sie Waschmittel, Frischkäse und Kirschjoghurt kaufen. Mit zusammengekniffenen Augen und zu einem Strich gepressten Lippen hockt sie krummrückig hinter ihrem Scanner, ihr Blick ein Laserschwert.

Ihre schlagkräftigste Waffe ist aber nicht ihre Mimik. Ihr Dolchstoß ist das Kassenband, das sie mit Präzision und Niedertracht entgegen jeglicher Serviceregeln bedient. Ist der Kunde gerade dabei, Waren aufzulegen, hält sie es an. Zwischen ihr und dem Beginn der Waren sind noch zwei Armlängen Platz, aber sie kassiert zunächst den Vordermann ab, blind für die Bedürfnisse des Nachfolgenden, taub für seine Bitten. Erst, als sie damit fertig ist, stellt sie es wieder an – und wird gleichzeitig zur Besessenen, wenn sie beginnt, die Waren einzuscannen. Zwei, drei, vier Teile pro Sekunde. Piep! Piep! Piep! Piep! Mit ihren Glitzernägeln krallt sie sich die Packungen, zieht sie über den Scanner und wirft sie auf das Förderband hinter der Kasse. Man kommt gar nicht so schnell nach mit dem Einräumen. Man ist ja noch mit dem Auflegen beschäftigt. Jede eingescannte Ware schiebt die frischen Einkäufe zu einem Knäuel zusammen. Wasserflaschen zerpressen die Tomaten. Pfirsische bangen um ihr Leben. Das Band, das vorher nicht lief, läuft jetzt umso schneller. „23 Euro 3! “ brüllt sie dann. Und befiehlt: „Drei Cent!“ Sie fragt nicht, ob man es passend hat: Sie ordnet Kleingeld an.

Es nützt nichts, freundlich zu ihr zu sein. Es nützt nichts, besonders zuvorkommend zu lächeln. Es nützt auch nichts, ihr noch einen reinzudrehen und mit Karte zu zahlen. Sie bleibt die misanthropischste Kassiererin des Ruhrgebiets.

Man sollte Dieter Bohlen anflehen, sie auf seine Bühne zu lassen. Damit sie endlich berühmt wird, so wie es ihr zugedacht ist, und nicht mehr unsere Tomaten tötet.

Am Nebentisch.

Mittdreißigerin: Mein neuer Freund hat morgens, wenn er aufsteht, eine total pornöse Sascha-Hehn-Matte. Und er kennt den nicht mal. Aber das eigentliche Problem ist, dass ich nie auf Udo Brinkmann stand. Ich stand immer auf Pfleger Mischa. Ich steh einfach mehr auf die independent-Typen.
Ihre Freundin:  Und jetzt findest du ihn unattraktiv?
Mittdreißigerin: Jetzt geh ich erstmal mit ihm zum Frisör und dann mal sehen.

Eine Stadt, vier tage, acht Weiber.

Frauenkirche

Frauenkirche

Um 8 Uhr morgens zwängen wir uns an Fronleichnam in die Autos, zwei Weiber vorne, zwei hinten. Kassel, Leipzig, Dresden bei 140 Kilometern pro Stunde. Um 16 Uhr sind wir am Ziel, sitzen im Café, essen Eierschecke und blicken auf die Stadt.

Reiseführerin Sabine hat unsere vier Tage minutiös verplant. Neustadt, Pillnitz, Stadtführung, Führung durch die Semperoper, Schloss, Flohmarkt, Frauenkirche, Hofkirche, Kreuzkirche, Sophienkeller. Am Sonntag Heimfahrt, zeitig, wegen der Staugefahr. Ein Reisebootcamp.

Zitronenpresse

Frauenkirche mit Zitronenpresse

Als ich 1999 zuletzt in Dresden war, wurden an der Frauenkirche noch die Steine gezählt. Ich erinnere mich nicht an viel, nur an Baukräne, Gerüste und Halbfertiges. Die Stadt war im Aufbruch, sie atmete das Flair eines befreienden Neuanfangs, aber gleichzeitig war da diese sozialistische Piefigkeit, tief wie ein alter Polstersessel.

Jetzt ist es die schönste Stadt Deutschlands. Ich denke, ich darf das sagen. Denn ich war schon in vielen Städten; in Köln, Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Stuttgart, Hannover und unzähligen mehr. Keine Stadt, nicht einmal das hübsche Erfurt, ist so einnehmend wie Dresden.

Wieso ich das sage? Es ist eher ein Gefühl als ein Urteil des Verstands. Einerseits ist die Stadt groß, üppig, bedeutungsschwanger. Frauenkirche, Semperoper, Zwinger. Überall Geschichte. Die Kurfürsten Sachsens, der Pomp August des Starken. Dann, im Februar 1945, die Bomben. Es scheint mir, als sei Dresden auch heute, 66 Jahre später, noch eine Brandverletzte: Der Körper ist verheilt, aber die Seele hat den Angriff nie verwunden. Über allem liegt der Mantel des Krieges, nur noch ein leichter Sommermantel – aber doch.

Dresden Neustadt

Neustadt, Görlitzer Straße

Auf der einen Seite also der Prunk, die Geschichte, die Verwundung. Auf der anderen Seite eine kleinstädtische Herzlichkeit, eine freimütige Freundlichkeit, die selbst dem Fremden Geborgenheit gibt. Vielleicht liegt es daran, dass die Urbanität sich nicht wie in Berlin aggressiv aufdrängt, sondern alles besonnener, gelassener ist. Es kommt mir vor, der Dresdner wisse, wer er ist und was er an sich hat. Er muss sich nicht suchen. Das tut auch dem Besucher gut: Überall fühle ich mich, als sei ich angekommen.

Pulp Fiction

Pulp Fiction in der Neustadt

Am dritten Tag treffe ich, als ich auf einer Kante vor dem Schloss sitze und Apfelschorle trinke, auf August; ein groß gewachsener, älterer Herr. Ich sage „Herr“, denn obwohl er eine altbackene Nylonjacke und eine bemüht aufgebügelte Bundfaltenhose trägt, funkelt ihm großbürgerlicher Schalk in den Augen – der Glanz eines Mannes von Welt. Opernsänger sei er gewesen, sagt er, und gibt eine Kostprobe im Bariton: die „Fledermaus“ von Johann Strauss. „Auf der Bühne der Semberober habe isch geschdanden und gesungen und gedanzd.“ Den Krieg habe er auch miterlebt, denn er sei jetzt 81, aber immer noch fröhlich und deshalb auf der Suche nach einer Frau.

„Groß muss sie seen“, sagt er und zwinkert mir zu. Er hat wässrig-blaue Augen und Wimpern wie Bambi. Er selbst, sagt er, sei ein Meter achtundachtzig, „und isch will sie beim Danzn nischd hochhebn“. Wäre er es, der dies bloggt, er hätte das „Sie“ wohl groß geschrieben; wäre ich 63 und nicht 33, ich hätte noch am selben Abend mit ihm getanzt. Aber ich wiegele ab, und er rät mir, bereits im Gehen: „Lachen Sie. Isch habe das nie verlernd,  selbsd als die Bomben fieln. Das Leben isd zu gurz, um draurig zu seen.“

Gerne wäre ich länger geblieben, hätte öfter inne gehalten. Die Elb-Auen sind wunderbar. Saftig-grüne Wiesen, Wälder, Häuser und Villen, die sich in Vororten in das Flußtal und seine Hügel schmiegen – sie passen irgendwie zu diesem heiteren, galanten und unprätentiösen Dresden, das selbst im Gewitter einladend aussieht. Das nächste Mal werde ich ein Fahrrad nehmen und an ihnen entlang radeln.

Elbe mit Fernsehturm

Elbe mit Fernsehturm

Überhaupt – das nächste Mal. Ich werde nicht nur radeln, sondern mindestens ein Dutzend Kneipen und Cafés besuchen, dasitzen und mich gut fühlen. Und sonst: mal sehen.

Einfach losgehen. Angekommen ist man ja schon vorher.

Ein Tag,

der damit begann, dass ich schwitzend in der Schlange einer 30 Grad warmen Bäckerei stand und ein Rauhaardackel mit inbrünstiger Leidenschaft mein Bein begattete, während sein Herrchen mit den Worten „Züchteste deine eigenen Kirschen, kannste auch am Kern ersticken!“ versuchte, mit mir in ein Gespräch über EHEC zu kommen.



In diesem Kaffeehaus werden anonym Daten verarbeitet. Indem Sie auf „Ja, ich bin einverstanden“ klicken, bestätigen Sie, dass Sie mit dem Datenschutz dieser Website glücklich sind. Dieser Hinweis kommt dann nicht mehr wieder. Datenschutzerklärung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen