Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Lebenslage«

Wolfi

6. 12. 2009  •  Keine Kommentare
Weihnachtsfeier der Handballhühner. Ort ist ein Partykeller im Ruhrgebiet – mit Tresen, rustikalem Fliesenspiegel und Eiche-Sitzgarnitur. An den Wänden hängen Hertha-Wimpel, verstaubte Trollfiguren, ein Grillmeister-Diplom und ein Foto mit alten Männern in engen Trikots, Titel: „Helden der Kreisklasse“. Zweite Reihe, dritter von links: Wolfi, der Hausherr.

Wolfi, Zeitnehmer meiner neuen Mannschaft, ist ein Mann mit braunen Knopfaugen, einem kurzen, silbernen Bart und grauem, strubbeligen Haar. In diesen Tagen könnte man ihn – auch figürlich – für den Weihnachtsmann halten, trüge er einen roten Mantel und kein kariertes Flanellhemd.

Wolfis Platz ist hinter der Theke. Links von ihm, dort, wo der Tresen seinen Schwung zur Wand macht, steht neben dem Plattenspieler sein Juwel: seine Sammlung Maxi-Singles. Während er seinen jungen Gästen Bier zapft, streicht er zärtlich über die Cover. Rechts von ihm, in einer gemauerten Nische neben dem Tresen, klemmt der Rest seiner Plattensammlung; 200, vielleicht 300 Scheiben sind es. „Kennste die?“ fragt er und zieht die Bay City Rollers hevor. Ich bin mir nicht sicher.

Ich stelle mir vor, wie Wolfi, wenn an einem verregneten Herbstsonntag seine melancholische Ader pulsiert, in karierten Pantinen in seinen Partykeller hinabsteigt, wie er sich einen Barhocker hinter die Theke zieht, ein Bierchen zapft und sich Platten auflegt – eine nach der anderen. Draußen wird es dunkel, das Bier im Glas ist nicht mehr das erste, und als es nach zwei Stunden mit Wolfi durchgeht, moscht er wippend, aber immer noch auf dem Hocker sitzend, zum Rhythmus der Musik.

Als es spät wird, gibt Wolfi tatsächlich den DJ. Die Mädels tanzen auf den Fliesen vor seinem Grillmeisterdiplom. Wolfis Wangen glühen rot unter seinem grauen Bart – vor Wärme und vor Freude, wenn er mit „Born to be alive“ die Twenty-Somethings in Bewegung hält. Dass zwischen den Liedern immer eine Pause bleibt, während er die Platten wechselt, stört die Mädchen nicht. Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt, die Stille füllen sie mit ihrem Lachen.

Wolfi ist glücklich.

Freddie muss ins Krankenhaus

19. 11. 2009  •  Keine Kommentare
Freddie ist ein Freund der Familie. Ein robuster Typ mit einer Neigung zur Korpulenz, bärbeißig, Doppelkinn, Dreitagebart. Er wuchs mit meinem Vater auf, ging mit ihm auf den Bolzplatz, zum Zelten und Trinken, später zum Wandern und Trinken und mittlerweile zum Kegeln und Trinken – jeden zweiten Freitag im Kolpinghaus.

Freddie sitzt der Schalk im Nacken. Er hat immer einen guten Witz auf Lager, kennt in der Stadt Hans und Kranz, jedes Gerücht und jedes Döneken. Im wirklichen Leben verkauft er kleine, asiatische Autos von mäßiger Qualität – nichts könnte besser zu ihm passen. Denn er verkauft sie, wie er sich selbst verkauft: im Bewusstsein um ihre kleinen Mängel preist er sie mit so viel Herzenswärme an, dass niemand widerstehen kann.

Seit vorgestern aber hat Freddie eine Thrombose. Das war nicht leicht festzustellen; Freddie hat keinen Hausarzt. Seit 25 Jahren hat ihn niemand untersucht, warum auch, er war ja nie krank, hatte höchstens mal einen Kater und ein bisschen Rücken. Als ihm plötzlich das Bein schmerzte, ging er zu Bosse, seinem Kumpel. Bosse ist Allgemeinarzt, Freddies Kumpel von der Volksschule, der Exfreund seiner Exfrau – und damit prädestiniert für eine Konsultation unter Freunden.

Bosse erkennt sofort den Ernst der Lage und schickt Freddie direktemang ins Krankenhaus – ein Ort, den Freddie noch nie betreten hat. Nicht mal seine Eltern musste er jemals dort besuchen; vom Hospital sahen beide, nachdem ein Infarkt sie wie ein Blitz erschlagen hat, nur die Pathologie – und dort musste Freddie ihnen keinen Obstkorb und kein Edelkirsch mehr vorbeibringen.

Nun liegt Freddie also im Krankenhaus und kriegt alle Untersuchungen, die er in den vergangenen 25 Jahren verpasst hat. Er wird den Ort als kranker Mann verlassen: Leberwerte, Cholesterin, Bluthochdruck – um Freddies Schwächen zu diagnostizieren, braucht niemand eine Blutprobe.

Seine Frau allerdings ist gottfroh, dass die Ärzteschaft sich seiner annimmt. Nur eines wundert sie: „Im Kopp hamse bislang nix gefunden!“

Hummel, Lurchi und die Hühnerparty

1. 09. 2007  •  Keine Kommentare

Trotz meiner fortschreitenden Greisenhaftigkeit laden mich die neuen, kleinen Mannschaftskameradinnen zu ihren Partys ein. Als ich am Samstag gegen 21 Uhr die verqualmte Altbauwohnung betrete, ist die Bude bereits voll. Ein bärtiger Typ mit geballter Sozialistenfaust auf seinem Shirt empfängt mich und schlägt mir direkt freundschaftlich auf die Schulter.

„Ich bin Hummel“, sagt er. „Und wer bist du?“
„Ich bin Nessy“, sage ich. „Wo ist denn die Jenny?“ Jenny wird heute 21 und richtet die Feier aus.

„Musste mal gucken“, sagt Hummel und deutet mit der Hand flüchtig in die Wohnung. Er fläzt sich auf ein durchgesessenes Ledersofa, das im Flur vor dem Klo steht. Eine Mehrfachgepiercte mit strenger Ponyfrisur rückt an ihn heran und beknabbert sein Ohr. Ich gucke in das Zimmer links, eine verqualmte Höhle mit Bambusvorhängen. Jungs mit Hornbrillen und Mädels mit Dreadlocks sitzen auf dem Fußboden um einen niedrigen Tisch. Jenny ist nicht dabei. Ein Zimmer weiter stapelt eine Gruppe diverse Utensilien, darunter ein Kamasutra-Buch und Liebeskugeln. Ein Trinkspiel ist in vollem Gange. Jenny ist auch hier nicht dabei.

Rechts die Küche. Auf der Anrichte drei Kartons Spritzen mit grünen, roten und gelben Alkoholika. An den Wänden Werbepostkarten mit lustigen Comics. Auf dem kleinen Balkon eine Zapfanlage. Hier findet die eigentliche Party statt. Hier ist Jenny.

Sie entdeckt mich und fällt mir um den Hals. „Ist ja süüüüß, dass du da bist. Hier hast’n Bier. Hab ich dir schon die Schmiedi vorgestellt?“ Sie zieht eine pummelige Braungelockte in kurzem Rock und Doc Martens an ihre Seite. „Die Schmiedi kommt auch aus’m Sauerland.“

Wir stellen fest, dass wir beide aus demselben Dorf stammen und unterhalten uns über die soziale Bedeutung von Schützenfesten. Dann stellt mir die Schmiedi den Lurchi vor. Lurchi ist überzeugter Bayer, hat schon Kälber mit der Flasche groß gezogen und wohnt seit einem Jahr im Ruhrgebiet.

„Wegen Studium?“ frage ich.
Lurchi verneint. „I hoab nur weg g’wollt.“ Er jobbt jetzt im Kino. „I würd studiern wolln. Aber BWL oder so a kapitalistischer Schmarrn, da hoab I ka Lust net.“ Er wohnt jetzt erstmal bei Schmiedi.

So nimmt der Abend seinen Lauf. Der Lurchi stellt mir die Uli vor, die Uli den Piloten, der Pilot den Schmolli, und vor dem Klo sitzen den ganzen Abend Hummel und die Gepiercte und erzählen dir beim Anstehen, wie oft du schon schiffen warst.

Gegen 1 Uhr ist der Fußboden nicht mehr zu erkennen. Verschüttetes, Heruntergefallenes, Abgeaschtes, Plattgetretenes – alles sammelt sich auf den Fliesen und bildet einen schwarzen Brei. Vor dem Wischen werden sie den Boden einweichen müssen. Bis unter die stuckverzierten Decken sammelt sich dichter, grauer Qualm. Man raucht viel – allerdings nur Tabak.

Gegen 1.30 Uhr kotzt Lurchi aus dem dritten Stock durchs Treppenhaus. Der Schwall lässt keine Etage aus. Die Partygesellschaft reagiert gelassen und solidarisch. Sofort rückt ein fünfköpfiger Trupp aus und wischt Lurchis Bröckchen von Stufen und Geländer.

Ich beschließe, nach Hause zu gehen. Ich habe meine Erfahrungen gemacht. Wenn der Erste kotzt, ist es Zeit für den Abschied – auch wenn die Stimmung noch gut ist.
„Wie kommst’n nach Hause?“ fragt mich Hummel im Flur.
„Mit dem Taxi“, sage ich.
„Boah, krass“, sagt die Gepiercte.
„Wenn du alt bist, ist Busfahren voll aggro“, erklärt Hummel ihr.
Es entbrennt eine Diskussion, ob man links sein und trotzdem Taxi fahren kann.

Am nächsten Tag treffe ich Jenny in der Sporthalle. Sie ist heiser. Gewischt hat sie noch nicht, außer das Treppenhaus ein zweites Mal.



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