Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Lebenslage«

Drumzu

18. 09. 2011  •  62 Kommentare

Am Wochenende habe ich ein neues Wort gelernt: drumzu.

Nimm das Paket und wickel das Band drumzu.
Ist das irgendwo in Lemförde und drumzu?

Wir gehen um den Dümmer drumzu.

Als Sauerländerin kenne ich ja viele komische Wörter, aber „drumzu“ ist mir noch nicht untergekommen. Wird offensichtlich auch nur in einem Radius von zehn Kilometern um Stemwede gebraucht. Dort aber reichlich und zu jeder Gelegenheit.

Frau Braun

15. 09. 2011  •  41 Kommentare

Von hinten sieht es aus, als kämpfe sie gegen einen Sturm.

Ihre Füße gehen neben der Hüfte, ihr Brustkorb vor den Füßen. Mit dem Kopf voran, den Blick gesenkt, schlurft sie über einen Rollator gebeugt die Straße entlang. Ein blaues Kleid schlackert um ihre dünnen, dick nylonbestrumpften Waden. Sie stecken in klobigen Klettverschluss-Schuhen.

Ich gehe gerade an ihr vorbei, als sie in Straucheln gerät. Ihr Rollator verfängt sich in der Grasnarbe neben dem Bürgersteig. Mit der linken Hand lässt sie den Griff los und sucht rudernd ihr Gleichgewicht. Ich fasse zu.

„Vorsicht“, sage ich.

Sie klammert sich an mich und blickt mich durch eine speckige Brille an. „Ich habe heute so wenig getrunken“, sagt sie.

„Dann ist Ihnen schwindelig?“ frage ich.

Sie nickt. Ich beschließe, sie zu begleiten. Sie muss nur um die Straßenecke, einmal um die Kurve dort vorne, wo die Vogelbeeren an einem üppigen Busch wachsen. Dahinter ist das Altenheim. Dort hat sie ihr Zimmer. Das ist auch die Runde, die sie immer dreht: aus dem Torbogen heraus und immer rechts herum, einmal ums Karree, jeden Tag. Das erzählt sie mir, während wir an den Beeren vorbeizuckeln. In dem Drahtkorb ihres Rollators liegt ein schütterer Strauß Wiesenblumen. Immer wieder fährt sie ins Gras, gegen einen Stromkasten, gegen einen Zaun. Ich überlege, an ihre rechte Seite zu wechseln, um gegenzusteuern, aber ich beschließe, dass es besser ist, sie zur Straße hin abzuschirmen.

„Parkinson“, sagt sie unvermittelt. „Heute. Besonders schlecht.“ Ich überlege, was ich entgegnen kann. Etwas, das nicht nach Plattitüde klingt. Doch sie spricht schon weiter. „Aber es musste sein. Für morgen. Es musste“, murmelt sie mit Blick auf den Bürgersteig, tief nach vorne gebeugt, weit nach rechts gelehnt. Schlurp, schlurp … schlurp, schlurp machen ihre Schuhe auf dem Pflaster.

„Haben Sie morgen etwas Besonderes vor?“, frage ich, doch sie murmelt nur: „Normal hätte ich zu Hause bleiben sollen.“ … schlurp, schlurp …. schlurp, schlurp … „Normal wäre ich zu Hause geblieben.“

Wir zuckeln durch den Backsteinbogen auf den Eingang des Heims zu. Windspiele drehen sich. Ein alter Mann mit einem herabhängenden Mundwinkel sitzt im Rollstuhl vor der automatischen Glastür, eine braune Wolldecke über den Beinen. Als wir schon an ihm vorbei sind, ist ihr Rollator schneller als sie. Fast fällt sie ins Foyer. Ich packe sie mir erneut.

„Vorsicht“, sage ich.

Sie blickt mich aus ihrem gebeugten Rücken heraus an. „Morgen hat er Geburtstag“, sagt sie, dreht sich leicht um und deutet auf den Mann im Rollstuhl. „Die sind für ihn.“ Sie zeigt auf die Blumen in ihrem Körbchen. „Seine Frau, tot. Krebs. Vor ein paar Monaten. Ich bin Frau Braun.“ Sie hält mir ihre Linke hin.

Ich ergreife die Hand und schüttele sie. „Ich bin Frau Nessy“, sage ich.

„Sie können jetzt gehen“, sagt sie. „Ich komme nun zurecht.“

Ich lasse sie los, zögere kurz und sage dann: „Tschüs. Und schöne Feier morgen.“

Sie nickt, stützt sich auf ihren Rollator und schlurft, die Füße links, der Oberkörper rechts, ins Innere des Heims.

Ausflug ins Möbelhaus

14. 09. 2011  •  84 Kommentare

Wir ahnten schon, dass es eng werden würde.

„Drücken Sie noch ein bisschen“, raunt meine Mutter dem jungen Mann zu, einem verschwitzten Spätpubertierenden in einem roten Möbelhaushemd. Auf seinem Namensschild steht „Ich lerne noch“. Er blickt mich flehend an. „Oder besser quer?“, fragt Mutter und gestikuliert mit den Armen, als trage sie ein Paket aus.

Muttern und ich waren einkaufen: einen Teppich und ein Bild für mein Wohnzimmer. Der Teppich ist 1,60m lang, das Bild 1,80m. Der Innenraum von Mutters Suzuki Swift, einer dreizylindrigen Schuhschachtel mit Schminkspiegel, misst 1,75m. Der Beifahrersitz ist nach vorne geneigt, die halbe Rückbank dahinter umgeklappt.

„Wenn Sie es nun drehen“, sagt Mutter, und „Ich lerne noch“, man sieht es ihm an, verflucht innerlich seinen Entschluss, einen Beruf mit Kundenkontakt gewählt zu haben. Ich gehe zur Beifahrerseite und kippe die Rückenlehne des Sitzes nach hinten anstatt nach vorne. Dann schiebe ich mit dem Azubi erst den Teppich darüber, dann das Bild. Mit festem Druck geht die Tür so eben zu. „Ich lerne noch“ schließt die Heckklappe und brummt hektisch ein „Viel Freude mit dem Einkauf und gute Reise!“ Eilenden Schrittes, mit pendelnden Armen und ohne sich umzusehen, hetzt er davon wie Grobi, wenn er nah und fern erklärt.

„Und du jetzt hinter den Fahrersitz“, weist Mutter an. Ich blicke auf den schmalen Spalt zwischen Rückbank und Rückenlehne. Der Fond des Wagens ist eindeutig nicht für Über-Dreijährige konzipiert. Ich klemme erst mein rechtes Bein in die Ritze, drehe mich dann auf die Rückbank und lasse mich in die Polster fallen. Mein linkes Bein hängt draußen. Ich kann es gerade noch ins Auto ziehen, dann schiebt Mutter den Sitz zurück.

Ich kauere hintendrin wie Dittsche vor der Glotze, breitbeinig, gekrümmt, eingekeilt zwischen Autoblech und Auslegware. Mutter zieht den Fahrersitz etwas nach vorn, vielleicht zwei Zentimeter, mehr sind nicht drin. Dann quetscht sie sich zwischen Lehne und Lenkrad. Sie lässt den Wagen an.

Huppelnd fährt sie los. „Ich komm‘ nicht so gut an die Pedalen“, sagt sie entschuldigend, und tritt wie zur Erklärung auf die Bremse, dass ich mit der Stirn gegen ihre Kopfstütze schlage. „Ich hab da grad irgendwie kein Gefühl.“

„Meinst du nicht, wir sollten …“, beginne ich, doch sie winkt ab und biegt vom Möbelhausparkplatz auf die Landstraße. Die Gegend ist beschaulich. Mutter kommentiert alles, woran wir vorbeifahren, saftige Wiesen, tuckernde Trecker, abgeerntete Felder und die letzten blühenden Sonnenblumen. Ich hocke auf der Rückbank wie in einem Karton, rechts Bild und Teppich, deckenhoch, links ein Sonnenschutz, vor mir schwarzes Polster. Mein rechter Fuß klemmt zwischen Fahrersitz und Mittelkonsole und verliert an Gefühl.

Wir biegen auf die Autobahn. Mutter nimmt mit ihrer Rennwarze direkt die linke Spur, wegen des Lkw-Verkehrs. Unbeirrt tritt sie aufs Gas. Sie flucht auf Drängler, Lichthuper und Linksblinker und sagt, als Kauffrau habe sie früher, also vor meiner Geburt, auch immer Waren disponieren müssen, das habe sie gut gekonnt, Logistik und Lagerwirtschaft seien ihre Steckenpferde gewesen, ach was war das schön. Ich schweige, blicke auf die Lehne vor mir und an ihrer Schulter vorbei in den Rückspiegel. Wütende Geschäftsmann-Gesichter starren aus geräumigen Limousinen zurück, den Unterkiefer leicht vorgeschoben. Mein Fuß ist eingeschlafen.

Bei mir vorm Haus entert Mutter einen freien Parkplatz. Wir pellen uns aus dem Wagen. Mein Bein wacht prickelnd und piekend wieder auf. Wir zerren das Bild und den Teppich aus dem Heck. Ich nehme die Auslwegware, Mutter die Leinwand, und wir stapfen in den ersten Stock.

Als wir den Teppich ausgerollt haben, sagt Mutter: „Ach, wie schön! Das können wir öfter machen.“ Ich blicke sie an. Ihre Wangen glühen rot. Sie beugt sich hinunter und zupft ein paar Fransen.

Noch einmal auf Toilette, dann fährt sie zurück ins Sauerland – mit ihrer neuen Schöpfkelle. Wegen der Kelle, der guten von Rösle, waren wir eigentlich dort im Möbelhaus, wo heute Haushaltswarentag war: 30 Prozent auf alles. Und wir ahnten schon, dass es eng werden würde. Aber es hat ja dann doch geklappt.

Körper

29. 08. 2011  •  276 Kommentare

Mit meinem Körper gibt es zwei Probleme:
Er ist zu groß, und er ist zu dick.

Das ist, seit ich mir dessen Gewahr bin – also ungefähr seit meinem vierten Lebensjahr – ein Problem für mich. Man sollte meinen, mittlerweile müsste ich darüber hinweg sein. Schließlich bin ich nicht mehr in der Pubertät. Doch immer, wenn ich mit meinem Körper im Reinen bin, kommt jemand daher, der es mir wieder vermiest – und aller Selbstschutz ist dahin.

Am Wochenende nannte mich eine Gegenspielerin „fette Sau“. Das tun Gegnerinnen öfter. Zwei- oder dreimal pro Saison muss ich mich so titulieren lassen. Das tut immer sehr weh. Sie könnte mir den Ball ins Gesicht werfen oder mich beim Wurf aus der Luft reißen – nichts schmerzt so sehr, wie „fette Sau“ genannt zu werden.

Ich habe mich immer dick gefühlt, schon als Kind. Jede Messung gibt meinem Gefühl Recht: Mein BMI ist zu hoch, jegliche Durchschnittswerte für eine Frau passen bei mir nicht.

Das fällt nicht nur Gegenspielerinnen auf. Auch Schiedsrichter haben schon, als ich mich nach Ende des Spiels beschwert habe, zu mir gesagt: „Wenn Sie nicht so groß wären, hätten Sie natürlich mehr Siebenmeter gekriegt. Aber bei Ihrer Statur!“ Als ob es weniger weh tut, nur weil ich nicht klein und niedlich bin.

Ein schlechtes Gefühl machen auch Kleidergrößen, zuletzt die von Trainingsanzügen. Die Mannschaft bestellt gerade neue, und natürlich muss ich das Herrenmodell nehmen. Das Damenmodell ist zu kurz und zu eng – nicht nur mir, auch vier weiteren Mitspielerinnen. Trotzdem fühle ich mich wie ein Trampel.

Ein schlechtes Gefühl machen auch Männer. Als ich 20 war, sagte mein damaliger Freund mal zu mir: „Ich möchte nicht, dass wir Händchen halten. Dann denken alle, wir wären zusammen.“
„Aber wir sind zusammen.“
„Ja, hier in der Wohnung.“

Ich war zu jung, um sofort Schluss zu machen. Als ich es später doch tat, sagte er: „Ich wäre gerne richtig mit dir zusammen, aber optisch passt das einfach nicht.“ Vor einigen Wochen sagte ein Typ in der Kneipe zu mir: „Du bist echt klasse. Schade, dass du so groß bist.“ Und ging. Ich habe mich gefühlt wie damals. Da helfen auch Witz und Eloquenz nicht weiter.

Wegen all dem fühle ich mich schlecht. Obwohl ich ohne Wimpernzucken acht Kilometer durch den Wald renne (mit ein bisschen Zucken auch zehn), fühle ich mich schlecht. Das wird sich nie ändern.

Aktion

25. 08. 2011  •  73 Kommentare

In der Bäckerei.

Nessy: Eine Puddingschnecke bitte.
Fachverkäuferin:  Wir haben heute so eine Aktion. Wenn Sie zwei kaufen, kriegen Sie die dritte umsonst.
Nessy: Trotzdem nur eine bitte.
Fachverkäuferin: Wenn Sie aber zwei kaufen, gibt es noch eine dazu.
Nessy: Dann muss ich zwei bezahlen, obwohl ich nur eine möchte.
Fachverkäuferin: Sie kriegen aber drei.
Nessy: Von denen ich zwei nicht esse.
Fachverkäuferin: Das Angebot gilt nur heute.
Nessy: Danke. Nein.
Fachverkäuferin:  Wie Sie meinen. Kennen Sie schon unsere Frühstückstüte? Wenn Sie zehn Brötchen und eine Zeitung kaufen, gibt es ein Brot umsonst.
Nessy: Ich hätte gerne noch Ökostrom und drei Briefmarken.
Fachverkäuferin: Was? Sowas verkaufen wir hier nicht!
Nessy: Dann bleibt’s bei der Puddingschnecke, tut mir leid.

Demnächst gehe ich wieder zum Mickenbäcker. Da weiß man, was man hat:

Nessy: Zwei Micken, bitte.
Mickenverkäuferin: Heute ist Zuckergebäcktag.
Nessy: Mmmh.
Mickenverkäuferin: Jo.
Nessy: Dann komme ich morgen wieder.
Mickenverkäuferin:  Okay.

Das erste Mal: Thaimassage

12. 08. 2011  •  62 Kommentare

An meinem Geburtstag haben mir wohlmeinende Menschen einen Gutschein geschenkt: 60 Minuten Thaimassage für absolute Entspannung.

Der Laden ist klein, türkis und voller Holzstatuen. Er duftet nach Ölen. Über der Theke hängt ein Schild: „Keine Erotik!!“ Aus Lautsprechern, die mit Plastik-Orchideen berankt sind, kommt Plingpling. Eine kleine Frau tritt mir entgegen. Sie ist halb so groß wie ich. Sie ist auch nur ein Drittel so schwer, eine Elfe.

„Frau Nessy, ja?“ fragt die Elfe meinen Bauchnabel. „Komm u mit. Ha u scho macht die Thaimassaasch?“ Es ist ein bisschen schwierig, sie zu verstehen. Ich sage: „Das erste Mal.“ Sie nickt bedeutungsvoll: „Da wird ei besonder Lebnis.“

Wir gehen hinter einen Vorhang. Ich bin guter Dinge, streife mir die Thai-Schlabberhose über, lasse mir die Füße waschen und lege mich bäuchlings auf das Massagebett. Die Elfe sagt: „Ma du dich ganz entspannt. Is Entspannung.“ Sie massiert meine Füße, nimmt meine Beine und drückt sie leicht gegen meinen Po. Dann streicht sie mir Öl über den Rücken, wiegt plötzlich 100 Kilo und stemmt sich in meinen Rücken. Es fühlt sich an, als würde ein Schaufelradbagger mein Schulterblatt in meinen Hinterkopf rammen.  Ich ächze leise. Der Bagger ist unbeirrt. Auf seinem Ellenbogen balanciert er zwischen meiner Schulter und meiner Wirbelsäule. Ich ächze lauter.

„I ni entspannend, nein?“ fragt er. „Doch, doch“, stöhne ich. „Tu bissi weh?“ fragt er. „Hhhhhaaaaa“, röhre ich mit der letzten Luft, die er mir aus den Lungen presst. Ich erinnere mich an den Satz „Der Masseur erreicht oft die Nähe der Schmerzgrenze“, den ich vorab gelesen habe. Nett formuliert.

Während der nächsten 45 Minuten knackt es. Es kribbelt. Es ziept. Der Bagger kniet auf meinem Oberschenkel, meiner Hüfte, drückt Akkupressurpunkte, lehnt sich mit seiner Ellenbogenspitze so tief in meinen Körper, dass ich befürchte, er werde meinen Rippenbogen durchbrechen und mit seinem Arm in meinem Herzen stecken bleiben. Ich frage mich, ob ich das alles will. Irgendwann darf ich mich hinsetzen. Ich denke: „Dem Herrn sei’s gedankt, dann kann sie nicht mehr mit ihrem Knie in meinem Rücken stehen.“ Wie naiv von mir. Der Bagger nimmt meinen Kopf, dehnt ihn nach links und drückt mit seiner Handkante, die jetzt eine Maurerkelle ist, meine Schulter hinunter. Gleich wird in meinem Nacken etwas reißen.

Nach einer Stunde sagt er: „Soooo, ferti. Bissi Ingwertee, ja?“ Ich drehe mich um. Aus dem Schaufelradbagger ist wieder eine Elfe geworden. Sie lächelt milde. „Tate bissi weh, ja? I noomal. Ma i Duluckpunkte. Fur Energiefluss.“

Als ich den Ingwertee trinke, fühle ich mich warm, kribbelig, lebendig. Und sehr geschmeidig.

Ich sehe von meinem Sessel aus, wie ein schnauzbärtiger Mann in einem feschen Lederblouson den Laden betritt. Er hat auch einen Gutschein. „Ha u scho macht die Thaimassaasch?“ fragt ihn die Elfe und geht mit ihm zum Massagebett. Er verneint.

„Da wird ei besonder Lebnis“, sagt sie.

Oh ja. Wie wahr.

Passierschein A38 oder: Feld 10.1

26. 07. 2011  •  86 Kommentare

Letztens musste ich ein Formular für die Deutsche Rentenversicherung ausfüllen.

14 Seiten mit 14 weiteren Seiten kleingedruckter Erklärungen. Darunter Fragen wie: „Waren Sie hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit […]?“ Oder: „Haben Sie auf einem Rheinschiff eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit ausgeübt?“

Das alles war schon ein Riesenspaß. Am Ende genügte es aber nicht, dass ich dieses Formular unterschrieb. Ich musste meine Identität behördlich bestätigen lassen – eine Lebensbescheinigung vorlegen. Dafür gibt es in dem Formular einen eigenen Punkt 10.1 mit einem leeren Kästchen für amtliche Stempel.

Ich gehe also in mein Bürgerbüro, ziehe eine Nummer, setzte mich nach fünfzehn Minuten an Tisch sechs und erkläre mein Anliegen.

„Ihre Identität bestätigen?“ fragt Nummer Sechs.
„Ja“, sage ich und schiebe meinen Ausweis und meine Geburtsurkunde rüber.
„Tut mir leid. Für Personenstandssachen und Beglaubigungen müssen Sie ins Standesamt. Dritter Stock.“

Treppe, dritter Stock. Dort: verschlossene Türen. Ich frage im Nebenbüro.

„Das Standesamt?“ fragt das Nebenbüro zurück. „Die Kollegin hat Urlaub.“
„Aber hier steht, dass Sie ihre Vertretung sind.“
„Nur bei Geburten. Sie können zum Standesamt in die Innenstadt gehen. Die dürfen das.“

U-Bahnfahrt. Innenstadt. Ein unscheinbares Gebäude in einer Geschäftsstraße, erster Stock. Vor der Tür parken schwarze Autos mit länglichen Aufbauten. Im Flur kommen mir betroffen dreinblickende Anzugträger entgegen.

„Bestätigung der Identität?“ fragt die Standesbeamtin.
„Ja“, sage ich.
„Von wem? Von Ihnen?“
„Ja“, sage ich.
„Aber Sie leben noch.“
„Ähm … ja, doch. Ich denke … uhm, ja.“
„Wir machen hier nur Tote. Für Lebendige habe ich keinen Stempel. Dafür müssen Sie zum Standesamt Zwei in Bezirk Fünf. Oder zum Einwohnermeldeamt. Die machen das auch.“

U-Bahnfahrt. Einwohnermeldeamt. Ich bin an diesem Tag Nummer 5914. Nummer 5874 ist grad dran. Es dauert ungefähr 45 Minuten, bis ich an der Reihe bin. Dann rücke ich vor zu Tisch Drei und erkläre, was ich möchte.

„Bestätigen? Was genau?“, fragt Tisch Drei.
„Dass ich ich bin“, sage ich.
„Dass Sie Ihren Ausweis vorgezeigt haben?“
„Ja.“
„Das habe ich ja noch nie erlebt!“

Sie beugt sich langsam vor, wirft sich dann schwungvoll in ihre Rückenlehne, rollt rückwärts und kommt genau neben ihrer Kollegin an Tisch Vier zum Stehen. Leise reden sie miteinander. Dann rollert sie zurück an ihren Schreibtisch, zieht eine Schublade auf, nimmt erst einen runden roten Stempel, stempelt in mein Formular, dann einen eckigen schwarzen Stempel, stempelt in mein Formular und unterschreibt daneben in Blau. Feld 10.1 sieht nun nicht nur sehr bunt, sondern auch sehr wichtig aus.

„Wenn die Rentner das wollen, ist das so genau das Richtige“, sagt sie und schiebt mir lächelnd das Papier zurück. Ich bedanke mich herzlich und gehe lebendig wippend hinaus.

Das bisschen Haushalt

15. 07. 2011  •  60 Kommentare

Hausarbeit ist ein Graus für jedes Projektmanagement.

Nehmen wir zum Beispiel den heutigen Morgen. Weil mein Rolladen-Gurt im Schlafzimmer gerissen ist, kommt ein Handwerker und repariert ihn. Dafür muss ich die Gardine abhängen. Dann kratzt der Handwerker die Tapete vom Rolladenkasten und öffnet ihn. Ein Riesendreck! Als er fort und die Jalousie wieder heile ist, blicke ich durch das nackte Fenster und sehe: Das ist ja total schmutzig. Nachdem ich es geputzt habe, bemerke ich: Boden vollgetropft! Um aber den Boden zu wischen, muss ich die Tapetenreste wegsaugen. Als ich den Staubsauger nehme, sehe ich: Beutel voll! Ich wechsle den Beutel, und als ich ihn wegwerfe: Mülleimer voll!

Verstehen Sie? Es ist ein Fass ohne Boden. Am besten ist es, nichts zu tun. Denn ist der erste Schritt gemacht, ist die Welle der Aufgaben nicht mehr aufzuhalten.

Im Bett mit Udo Brinkmann

29. 06. 2011  •  51 Kommentare

Am Nebentisch.

Mittdreißigerin: Mein neuer Freund hat morgens, wenn er aufsteht, eine total pornöse Sascha-Hehn-Matte. Und er kennt den nicht mal. Aber das eigentliche Problem ist, dass ich nie auf Udo Brinkmann stand. Ich stand immer auf Pfleger Mischa. Ich steh einfach mehr auf die independent-Typen.
Ihre Freundin:  Und jetzt findest du ihn unattraktiv?
Mittdreißigerin: Jetzt geh ich erstmal mit ihm zum Frisör und dann mal sehen.

Mittwoch

22. 06. 2011  •  32 Kommentare

Ein Tag,

der damit begann, dass ich schwitzend in der Schlange einer 30 Grad warmen Bäckerei stand und ein Rauhaardackel mit inbrünstiger Leidenschaft mein Bein begattete, während sein Herrchen mit den Worten „Züchteste deine eigenen Kirschen, kannste auch am Kern ersticken!“ versuchte, mit mir in ein Gespräch über EHEC zu kommen.



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