Wir ahnten schon, dass es eng werden würde.
„Drücken Sie noch ein bisschen“, raunt meine Mutter dem jungen Mann zu, einem verschwitzten Spätpubertierenden in einem roten Möbelhaushemd. Auf seinem Namensschild steht „Ich lerne noch“. Er blickt mich flehend an. „Oder besser quer?“, fragt Mutter und gestikuliert mit den Armen, als trage sie ein Paket aus.
Muttern und ich waren einkaufen: einen Teppich und ein Bild für mein Wohnzimmer. Der Teppich ist 1,60m lang, das Bild 1,80m. Der Innenraum von Mutters Suzuki Swift, einer dreizylindrigen Schuhschachtel mit Schminkspiegel, misst 1,75m. Der Beifahrersitz ist nach vorne geneigt, die halbe Rückbank dahinter umgeklappt.
„Wenn Sie es nun drehen“, sagt Mutter, und „Ich lerne noch“, man sieht es ihm an, verflucht innerlich seinen Entschluss, einen Beruf mit Kundenkontakt gewählt zu haben. Ich gehe zur Beifahrerseite und kippe die Rückenlehne des Sitzes nach hinten anstatt nach vorne. Dann schiebe ich mit dem Azubi erst den Teppich darüber, dann das Bild. Mit festem Druck geht die Tür so eben zu. „Ich lerne noch“ schließt die Heckklappe und brummt hektisch ein „Viel Freude mit dem Einkauf und gute Reise!“ Eilenden Schrittes, mit pendelnden Armen und ohne sich umzusehen, hetzt er davon wie Grobi, wenn er nah und fern erklärt.
„Und du jetzt hinter den Fahrersitz“, weist Mutter an. Ich blicke auf den schmalen Spalt zwischen Rückbank und Rückenlehne. Der Fond des Wagens ist eindeutig nicht für Über-Dreijährige konzipiert. Ich klemme erst mein rechtes Bein in die Ritze, drehe mich dann auf die Rückbank und lasse mich in die Polster fallen. Mein linkes Bein hängt draußen. Ich kann es gerade noch ins Auto ziehen, dann schiebt Mutter den Sitz zurück.
Ich kauere hintendrin wie Dittsche vor der Glotze, breitbeinig, gekrümmt, eingekeilt zwischen Autoblech und Auslegware. Mutter zieht den Fahrersitz etwas nach vorn, vielleicht zwei Zentimeter, mehr sind nicht drin. Dann quetscht sie sich zwischen Lehne und Lenkrad. Sie lässt den Wagen an.
Huppelnd fährt sie los. „Ich komm‘ nicht so gut an die Pedalen“, sagt sie entschuldigend, und tritt wie zur Erklärung auf die Bremse, dass ich mit der Stirn gegen ihre Kopfstütze schlage. „Ich hab da grad irgendwie kein Gefühl.“
„Meinst du nicht, wir sollten …“, beginne ich, doch sie winkt ab und biegt vom Möbelhausparkplatz auf die Landstraße. Die Gegend ist beschaulich. Mutter kommentiert alles, woran wir vorbeifahren, saftige Wiesen, tuckernde Trecker, abgeerntete Felder und die letzten blühenden Sonnenblumen. Ich hocke auf der Rückbank wie in einem Karton, rechts Bild und Teppich, deckenhoch, links ein Sonnenschutz, vor mir schwarzes Polster. Mein rechter Fuß klemmt zwischen Fahrersitz und Mittelkonsole und verliert an Gefühl.
Wir biegen auf die Autobahn. Mutter nimmt mit ihrer Rennwarze direkt die linke Spur, wegen des Lkw-Verkehrs. Unbeirrt tritt sie aufs Gas. Sie flucht auf Drängler, Lichthuper und Linksblinker und sagt, als Kauffrau habe sie früher, also vor meiner Geburt, auch immer Waren disponieren müssen, das habe sie gut gekonnt, Logistik und Lagerwirtschaft seien ihre Steckenpferde gewesen, ach was war das schön. Ich schweige, blicke auf die Lehne vor mir und an ihrer Schulter vorbei in den Rückspiegel. Wütende Geschäftsmann-Gesichter starren aus geräumigen Limousinen zurück, den Unterkiefer leicht vorgeschoben. Mein Fuß ist eingeschlafen.
Bei mir vorm Haus entert Mutter einen freien Parkplatz. Wir pellen uns aus dem Wagen. Mein Bein wacht prickelnd und piekend wieder auf. Wir zerren das Bild und den Teppich aus dem Heck. Ich nehme die Auslwegware, Mutter die Leinwand, und wir stapfen in den ersten Stock.
Als wir den Teppich ausgerollt haben, sagt Mutter: „Ach, wie schön! Das können wir öfter machen.“ Ich blicke sie an. Ihre Wangen glühen rot. Sie beugt sich hinunter und zupft ein paar Fransen.
Noch einmal auf Toilette, dann fährt sie zurück ins Sauerland – mit ihrer neuen Schöpfkelle. Wegen der Kelle, der guten von Rösle, waren wir eigentlich dort im Möbelhaus, wo heute Haushaltswarentag war: 30 Prozent auf alles. Und wir ahnten schon, dass es eng werden würde. Aber es hat ja dann doch geklappt.