Eine Stadt, vier tage, acht Weiber.
Frauenkirche
Um 8 Uhr morgens zwängen wir uns an Fronleichnam in die Autos, zwei Weiber vorne, zwei hinten. Kassel, Leipzig, Dresden bei 140 Kilometern pro Stunde. Um 16 Uhr sind wir am Ziel, sitzen im Café, essen Eierschecke und blicken auf die Stadt.
Reiseführerin Sabine hat unsere vier Tage minutiös verplant. Neustadt, Pillnitz, Stadtführung, Führung durch die Semperoper, Schloss, Flohmarkt, Frauenkirche, Hofkirche, Kreuzkirche, Sophienkeller. Am Sonntag Heimfahrt, zeitig, wegen der Staugefahr. Ein Reisebootcamp.
Frauenkirche mit Zitronenpresse
Als ich 1999 zuletzt in Dresden war, wurden an der Frauenkirche noch die Steine gezählt. Ich erinnere mich nicht an viel, nur an Baukräne, Gerüste und Halbfertiges. Die Stadt war im Aufbruch, sie atmete das Flair eines befreienden Neuanfangs, aber gleichzeitig war da diese sozialistische Piefigkeit, tief wie ein alter Polstersessel.
Jetzt ist es die schönste Stadt Deutschlands. Ich denke, ich darf das sagen. Denn ich war schon in vielen Städten; in Köln, Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Stuttgart, Hannover und unzähligen mehr. Keine Stadt, nicht einmal das hübsche Erfurt, ist so einnehmend wie Dresden.
Wieso ich das sage? Es ist eher ein Gefühl als ein Urteil des Verstands. Einerseits ist die Stadt groß, üppig, bedeutungsschwanger. Frauenkirche, Semperoper, Zwinger. Überall Geschichte. Die Kurfürsten Sachsens, der Pomp August des Starken. Dann, im Februar 1945, die Bomben. Es scheint mir, als sei Dresden auch heute, 66 Jahre später, noch eine Brandverletzte: Der Körper ist verheilt, aber die Seele hat den Angriff nie verwunden. Über allem liegt der Mantel des Krieges, nur noch ein leichter Sommermantel – aber doch.
Neustadt, Görlitzer Straße
Auf der einen Seite also der Prunk, die Geschichte, die Verwundung. Auf der anderen Seite eine kleinstädtische Herzlichkeit, eine freimütige Freundlichkeit, die selbst dem Fremden Geborgenheit gibt. Vielleicht liegt es daran, dass die Urbanität sich nicht wie in Berlin aggressiv aufdrängt, sondern alles besonnener, gelassener ist. Es kommt mir vor, der Dresdner wisse, wer er ist und was er an sich hat. Er muss sich nicht suchen. Das tut auch dem Besucher gut: Überall fühle ich mich, als sei ich angekommen.
Pulp Fiction in der Neustadt
Am dritten Tag treffe ich, als ich auf einer Kante vor dem Schloss sitze und Apfelschorle trinke, auf August; ein groß gewachsener, älterer Herr. Ich sage „Herr“, denn obwohl er eine altbackene Nylonjacke und eine bemüht aufgebügelte Bundfaltenhose trägt, funkelt ihm großbürgerlicher Schalk in den Augen – der Glanz eines Mannes von Welt. Opernsänger sei er gewesen, sagt er, und gibt eine Kostprobe im Bariton: die „Fledermaus“ von Johann Strauss. „Auf der Bühne der Semberober habe isch geschdanden und gesungen und gedanzd.“ Den Krieg habe er auch miterlebt, denn er sei jetzt 81, aber immer noch fröhlich und deshalb auf der Suche nach einer Frau.
„Groß muss sie seen“, sagt er und zwinkert mir zu. Er hat wässrig-blaue Augen und Wimpern wie Bambi. Er selbst, sagt er, sei ein Meter achtundachtzig, „und isch will sie beim Danzn nischd hochhebn“. Wäre er es, der dies bloggt, er hätte das „Sie“ wohl groß geschrieben; wäre ich 63 und nicht 33, ich hätte noch am selben Abend mit ihm getanzt. Aber ich wiegele ab, und er rät mir, bereits im Gehen: „Lachen Sie. Isch habe das nie verlernd, selbsd als die Bomben fieln. Das Leben isd zu gurz, um draurig zu seen.“
Gerne wäre ich länger geblieben, hätte öfter inne gehalten. Die Elb-Auen sind wunderbar. Saftig-grüne Wiesen, Wälder, Häuser und Villen, die sich in Vororten in das Flußtal und seine Hügel schmiegen – sie passen irgendwie zu diesem heiteren, galanten und unprätentiösen Dresden, das selbst im Gewitter einladend aussieht. Das nächste Mal werde ich ein Fahrrad nehmen und an ihnen entlang radeln.
Elbe mit Fernsehturm
Überhaupt – das nächste Mal. Ich werde nicht nur radeln, sondern mindestens ein Dutzend Kneipen und Cafés besuchen, dasitzen und mich gut fühlen. Und sonst: mal sehen.
Einfach losgehen. Angekommen ist man ja schon vorher.