Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Expeditionen«

Wie ich wegen Jürgen fast in Dornbüschen verendete

13. 05. 2014  •  15 Kommentare

Im Nachhinein hat es mich nachdenklich gestimmt.

Ausgerechnet einen Tag nach Ostern wäre ich fast in Dornbüschen verendet. Wo Dornen in der Bibel doch so ein großes Thema sind (2. Mose 3, 2ff.), vor allem an Ostern (Matthäus 27, 29ff.; Markus 15,16ff.).

Es begab sich also zu der Zeit, dass Frau Nessy in Andalusien war, um Rast zu halten von der alltäglichen Mühsal. Sie beschloss, einen Marsch zu machen, denn sie hatte gehört, in der Gegend der Alpujarra gebe es erquickliche Wege. Und so begab sie sich auf eine Reise in die Berge.

Irgendwo hinter Capileira

In den Bergen begann sie am ersten Tag ihren Weg im dritten Dorf, dass da hieß Capileira. Sie stieg hinab und wieder hinauf und erreichte das zweite Dorf, dass da hieß Bubión. Und es war ihr nicht genug; so ging sie weiter und stieg stracks hinab ins erste Dorf. So erreichte sie Pampaneira.

Capileira, Bubión und Pampanieira

Von dort sollte sie der Weg in einen Talgrund führen, in dem sie auf einen Fluss traf, der aus den Bergen kam. Sie erfreute sich an dem Fluss und an dem Anblick der Dörfer und begann alsdann den Aufstieg auf der anderen Talseite. Denn wo es einen Hinweg gibt, da gibt es auch einen Rückweg.

Doch siehe, der Rückweg war versperrt. Sie deutete die Zeichen, die da zeigten in einen Dornbusch und suchte nach dem Weg, doch der Dornbusch war der Weg. So ging sie hindurch und vergoß ihr Blut und verfluchte Jürgen, der ihr den Weg hatte weisen sollen.

Gefährliche Kratzer von Dornen

Am zweiten Tag besuchte sie erneut das dritte Dorf und ging in Richtung des Berg Mulhacén, der den Namen des Abu l-Hasan Ali trägt, was die Menschen einst Muley Hacén aussprachen und der ein Herrscher war. Dort traf sie wieder auf den Fluss, den sie überquerte und dessen Lauf sie folgte in Richtung der Quelle. Dabei kam sie an Gehöften vorbei, die in dieser Gegend Cortijo heißen. Sie erkannte die Gehöfte an ihren Feldern und Dreschplätzen und an den Weiden, auf denen sie ihr Vieh gehalten hatten.

Feld irgendwo hinter Capileira

So begab es sich, dass sie ein Dorf erreichte, das da hieß La Cebadilla. La Cebadilla war wüst und leer, denn sie hatten das Land verlassen und waren an Orte gezogen, die weniger einsam waren.

La Cebadilla

Sie betrachtete das Dorf und stieg hinab in die Häuser, um zu sehen, wie sie gelebt hatten in der Einöde, in der sie das Wasser bändigen und zu Strom machen, so wie James B. Francis es ihnen gelehrt hatte. Und siehe: Sie hatten gut gelebt.

Verlassenes Haus in La Cebadilla

Sie verweilte und nahm Brot und Wasser, aß von dem Brot und trank von dem Wasser. Dann folgte sie dem Weg, der sie an den Ort führte, an dem sie ihren Marsch begonnen hatte. So kehrte sie zurück nach Capileira.

In der Sierra Nevada

Tour 1
Durch die Schlucht des Poqueira
Hinweg: PR-A 70 „Pueblos del Poqueira“
Rückweg: „Sendero Local La Atalaya“
6 Stunden Gehzeit, 900 Höhenmeter, 11 km

Tour 2
Von Capileira zum Oberlauf des Poqueira
PR-A 23 „Acequias del Poqueira“
3 Stunden Gehzeit, 350 Höhenmeter, 9 km

 

Der Versuch, Afrika zu fotografieren

10. 05. 2014  •  6 Kommentare

Es war schon reichlich spät, als ich, aus Marbella kommend, den Berg nach Tarifa hinabfuhr.

Tarifa – das ist die südlichste Stadt Festland-Spaniens, westlich von Gibraltar. Hier treffen sich Mittelmeer und Atlantik. Hier ist es immer windig – und hier ist die Straße von Gibraltar nur 14 Kilometer breit. Ich bog also um die Ecke und sah Afrika. Sehr nah. Von Tarifa aus kann man den Leuten dort in die Suppe gucken – nun ja, fast.

Sie fragen sich nun, warum Sie kein Foto davon sehen. Wie gesagt, ich war schon spät, außerdem war ich am Aussichtspunkt irgendwie vorbeigerauscht. Aber was sollte es: Ich würde noch eine Woche in der Gegend verbringen. Es würde sich also noch eine Gelegenheit ergeben.

Tarifa im Nebel

Wenn Sie an dieser Stelle stehen, sollten Sie Marokko sehen können – glasklar und zum Greifen  nah. Wie Sie allerdings sehen, sehen Sie nichts.

Deshalb können Sie sich auch direkt wieder umdrehen. Tarifa selbst nämlich sieht im Nebel ziemlich spooky aus:

Tarifa im Nebel

Besonders, wenn Sie sich die Geschichte des Ortes dazu vorstellen: Wikinger, Piraten, Fatimiden aus Marokko – sie alle kamen regelmäßig vorbei, um Tarifa und seine Schiffe zu überfallen. Im Jahre 710 führte der Berber Tarif abu Zura (daher der Name der Stadt) 500 Mann gegen den Ort – das erste Vordringen der Mauren nach Andalusien. Mehr als 580 Jahre später, 1292, eroberten katholische Spanier die Stadt zurück – nordafrikanische Meriniden belagerten sie prompt. Da ließ sich keiner die Butter vom Brot nehmen.

Damit kommen wir zur Festung von Tarifa. Die ist ziemlich hübsch und ziemlich alt, ungefähr aus dem Jahr 960:

Die Festung von Guzman el Bueno in Tarifa

In dem Ding wohnte Guzmán el Bueno. Guzmán war ein irrer Typ: Er spielte 1292 die Geschichte von Abraham und Isaak nach, als die Meriniden bei ihrer Belagerung seinen Sohn gefangen nahmen. Wenn Guzmán nicht die Stadt freigebe, brüllten sie ihm zu den Festungsmauern hinauf, werde man den Bub töten. Guzmán warf ihnen als Antwort ein Schwert von der Brüstung – als Werkzeug.

Aber genug der Geschichte! Von seiner Festung hatte Guzmán einen hübschen Blick über die Stadt:

Tarifa, Blick über die Dächer der Stadt

… und zum Punta de Tarifa, dem wirklich allersüdlichsten Punkt des spanischen Festlandes:

Punta de Tarifa

Und was ist nun mit Afrika? Nix. Es ist immer noch da – nur habe ich es während meines Urlaubs nie wieder gesehen.

Barranco Oscuro

6. 05. 2014  •  15 Kommentare

Der Wein, den Inocencio mir schenkt, ist eine Offenbarung. Noch niemals zuvor habe ich einen so leckeren Rotwein getrunken: trocken, fruchtig und sehr voll im Geschmack.

Der Wein stamme aus dem Barranco Oscuro, sagt Innocencio und zuckt mit den Schultern. Ein kleines Weingut sei es, das seine Freunde dort haben, nur ein paar Hektar. Allerdings das höchst gelegene Weinanbaugebiet Europas. Die Luft sei dort sehr gut. Und der Boden. Trotzdem: Der Preis für die Flasche sei nicht hoch. Die Winzerei, sagt er mir und greift sich ans Herz, sei „una pasión, una religión“, verstehst du?

Ich frage ihn, wo ich den Wein kaufen könne. Inocencio wirft seinen Arm geradeaus: dort drüben, hinter dem Berg. Dahinter sei noch ein Berg und noch einer. Dort einmal rechts runter Richtung Meer, so gelange man in das Tal. Dort könne ich kaufen. Er macht eine schlangenhafte Bewegung mit seinem Hand: „Una hora“, eine Stunde über gewundene Straßen, dann sei man da.

Einige Tage später beschließe ich spontan, dort hinzufahren. Der Weg ist tatsächlich sehr ländlich. Hier ist nichts, hier sind nur Olivenbäume – viele Olivenbäume. Später lese ich, ich finde den Link nicht mehr, dass in dieser Gegend 60 Millionen Olivenbäume stehen: eine der Hauptanbauregionen Spaniens.

Olivenbäume in der Alpujarra

Das Weingut ist leicht zu finden, denn rundherum ist sonst nichts. Dieses Haus muss es also sein, es besteht kein Zweifel. Ich fahre auf den Hof, Kies knirscht unter den Reifen. Grillen zirpen. Paletten mit Weinflaschen stehen neben Gärtanks. Ein Hund bellt und kommt auch schon angerannt. Groß und schwarz ist er und wedelt mit dem Schwanz. Sein kleiner, weißer Kompanion rennt hinterdrein, will gestreichelt werden. Als Wachhunde sind sie ein Totalausfall.

Ich mache mich auf den Weg übers Gehöft und suche Menschen, den Eingang, eine Klingel. Doch: nichts. Ich beschließe, ein wenig zu warten. In der Sonne ist es warm und angenehm. In der Ferne höre ich einen Trecker. Die beiden Wachhunde finden derweil eine Heuschrecke und knuffen sie. Vielleicht kommt ja bald jemand, der mir Wein verkaufen möchte.

Zwei gefährliche Wachhunde

Etwa eine halbe Stunde vergeht. In der Ferne, in den Weinbergen, steht ein Auto. Vielleicht der Winzer? Er klettert in den Rebstöcken herum. Ich könnte hinfahren und ihn fragen.

Ich steige also ins Auto, holpere ein Stück den Wirtschaftsweg hinauf, steige dann aus, gehe zu Fuß. Doch als ich an dem Auto ankomme, ist von dem Winzer keine Spur. Ich gehe ein wenig nach links und nach rechts und beschließe zu warten.

Die Landschaft ist wirklich einzigartig hier: karge Berghänge, leichter Wind im Schatten des schneebedeckten Mulhacén, dem höchsten Berg auf der Iberischen Halbinsel. Plötzlich, auf dem Gehöft: Bewegung. Ich sehe ein Auto, einen Menschen. Er bewegt sich. Soll ich wieder runterfahren? Ich komme mir vor wie bei „Hase und Igel“. Leider bin ich der Hase.

Bodega Barranco Oscuro

Ich laufe und fahre wieder hinunter zum Weingut. Doch dort: nichts. Wieder: vollkommene Leere und Stille. Das Auto ist fort. Ich warte noch eine halbe Stunde. Dann fahre ich.

Den Wein finde ich später, wie soll es anders sein, nur zwei Kilometer von meiner Berghütte entfernt, in einer kleinen Weinhandlung in Lanjarón.

Wie ich in Lanjarón einen Bruder im Geiste fand

5. 05. 2014  •  6 Kommentare

Als ich oben auf dem Berg ankomme, ist es schon dunkel. Sehr dunkel. „Hay un camino forestal“, dort gibt es einen Feldweg, hat er in seiner Mail geschrieben. Den solle ich hochfahren, immer hoch, zwei Kilometer lang. Irgendwann höre der Zement auf, dann sei der Weg nur noch festgestampfte Erde. Aber keine Sorge, ich sei dann immer noch richtig. Auf der linken Seite erscheine irgendwann die Finca.

Ich ahne den Abhang rechts von mir, sehe die Lichter im Tal. Im ersten Gang jodele ich das einspurige Gefälle in die Finsternis hinauf, unter mir holpern Erde und Steine. Hier kommt nichts mehr, denke ich. Aber er hat ja geschrieben: nicht nachdenken, immer weiter fahren.

Nach unendlichen Kurven, links von mir, ich bin fast vorbei, plötzlich ein wackelnder, „¡Hola!“ rufender Lichtschein. An der Taschenlampe hängt ein sehr kleines, sehr dünnes, altes Männlein. Es stellt sich als Inocencio vor, ob ich die Finca denn gut gefunden habe? Nun ja, antworte ich. Man könne lange meinen, man sei falsch … Er nickt wissend.

Inocencio weist mich an, den Wagen auf dem Feldweg zu drehen – aber halt! Er werde mich einweisen, das sei sonst ein bisschen heikel mit dem Abhang und der Dunkelheit, man habe gewisse Erfahrungen gemacht. Ich wende mit einem wild mit der Taschenlampe wedelnden Inocencio im Rückspiegel in zwölf Zügen, quasi auf der Stelle. Dann setzt ich durchs Tor in die Einfahrt zur Finca. Der alte Mann rennt, die Taschenlampe in der Hand und behände wie ein 17-Jähriger, vor mir den Berg hinauf  zum Haus und weist mich in ein Stück Wiese ein.

Ob ich denn schon etwas gegessen habe seit dem Flug?, fragt er, als er mir die Hütte zeigt. Falls nicht, er könne Eier holen, direkt von den Hühnern. Und Salat – ob ich Salat möge? Ohne weitere Worte stapft er zurück in die Dunkelheit und bedeutet mir mitzukommen. Wir pflügen zwanzig Meter ins Ungewisse, dann beleuchtet der Kegel seiner Lampe einen Salatkopf. „Todo ecológico“, alle ökologisch hier, sagt er, holt ein Kartoffelmesser aus der Hose, schneidet den Salat ab und drückt ihn mir in die Hand. Dann verschwindet er in die Nacht.

Zurück kommt er mit Eiern, Brot, Wein und Olivenöl. Der Wein, sagt er, sei sehr gut. Ohne Zusatzstoffe und überdies – er klopft sich mit der taschenlampenlosen Hand auf  Stirn und Bauch – ausgesprochen gesund für Kopf und Magen.

Eier, Brot, Wein

Am nächsten Tag sehe ich dann, wo ich eingezogen bin:

Berghütte in Lanjarón von außen

Und ich blicke zum ersten Mal vom Berg hinunter ins Tal am Südhang der Alpujarra, im Rücken die Sierra Nevada, vor mir, dreißig Kilometer in der Ferne: das Meer.

Aussicht Lanjarón

Es ist neun Uhr, und zwei Terrassen unter mir harkt Inocencio, mit Strohhut auf dem Kopf, schon seinen Garten. Salat, Lauchzwiebeln, Erdbeeren, Apfel- und Olivenbäume, außerdem diverse Dinge in Töpfen. Er winkt mir. Ich winke zurück. Später erzähle ich ihm, dass ich auch Salat anbaue. Er klopft mir auf die Schulter.

Am Abend liegt ein neuer Salat auf dem Fensterbrett. Einen Tag später Lauchzwiebeln.

Lauchzwiebeln auf der Fensterbank

„Die sind super im Salat“, sagt er. „Und Orangen.“ Die habe er aber leider nicht, die müsse ich kaufen. Als Trost liegen am nächsten Tag Erdbeeren vor dem Fenster.

Nächstes Kapitel: Warum ich drei Tage später wegen Inocencio ein Gehöft im Nirgendwo aufsuche.

Wieder da

3. 05. 2014  •  8 Kommentare

Nach harter Strandarbeit und wilden Bergbesteigungen melde ich mich zurück an der Kaffeehaustheke.

Strand mit Schlappen

Demnächst an dieser Stelle:

  • wie ich in Lanjarón einen Bruder im Geiste fand,
  • warum ich seinetwegen ein Gehöft im Nirgendwo aufsuchte,
  • der vergebliche Versuch, Afrika zu fotografieren,
  • wie ich, dank Jürgen, fast in Dornbüschen verendete,
  • was in all der Zeit aus Thorsten und seinen Gemüsefreunden wurde.

 

Heldenplatz und Apfelstrudel

22. 01. 2014  •  36 Kommentare

Wien – an was denkt man, wenn man „Wien“ hört?

An Sachertorte, ganz sicher. An Kaffeehäuser. Ans Walzertanzen. Vielleicht an Sissi. An die Türken, die vor den Toren standen. An den Wiener Schmäh. All das hatte ich im Kopf, als ich hinflog – aber nur wenig mehr, denn ich war bis anhin noch nie in Wien.

Der kleine Reiseführer, ein backenbärtiger, älterer Herr, der sich von Kaiser Franz Joseph nur dadurch unterschied, dass er eine Brille trug, über die er verschmitzt hinwegschaute, stand irgendwann weinend auf dem Heldenplatz. Wir hatten uns dort versammelt, damit er uns die Geschichte der Stadt erzählt. Von den Habsurgern erzählte er – und vom Dritten Reich: „Dort oben hat er gestanden, der Führer, und hat den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich erklärt.“ Er sagte tatsächlich „Führer“, nannte niemals seinen Namen. Schwarz vor Menschen sei er gewesen, der Heldenplatz. Dabei seien die Wiener keine Nazis gewesen. „Die waren bloß neugierig“, sagt er. „So ist der Wiener halt: neugierig.“ Ich frage mich, ob das die jüdische Bevölkerung seinerzeit auch so empfand.

Später, im Jahr 1955, sei er Zeitzeuge gewesen; als die alliierten Besatzungsmächte abzogen, habe er dort vorne – er deutet auf eine Laterne – gestanden und habe Scherze gemacht, denn er habe nicht verstanden, was vor sich gehe. „‚Weißt du eigentlich'“, erzählte er von einem Mann, der hinter ihm gestanden und ihn angesprochen hatte, „weißt du, was gerade hier passiert? Wir werden heute frei.‘ Und wissen Sie was?“, fährt er fort. „Ich konnte nichts mit dem Begriff ‚Freiheit‘ anfangen.“ Er sei doch frei gewesen, habe sich frei bewegen können, sei freundlich zu den Soldaten gewesen und habe im Gegenzug von ihnen Kaugummis bekommen. Auf dem Dach der Hofburg, erzählt er weiter,  hätten seinerzeit die Flaggen der Besatzungsmächte geweht; die österreichische habe neben ihnen gehangen – als eine von vielen. Aber als die alliierten Soldaten an jenem Tag im Jahr 1955 nach rechts den Heldenplatz verließen und von links das österreichische Bundesheer gekommen sei, als man die alliierten Flaggen eingeholt habe und danach nur eine einzige, die österreichische, aufgezogen habe, die dann stolz auf dem Gebäude wehte – seine Augen wurden rot und füllen sich mit Tränen -, da, ja, da habe er begriffen, was Freiheit sei.

Ich habe mir noch andere Orte in Wien als die Hofburg mit dem Heldenplatz angeschaut. Sämtliche touristisch wertvollen Gebäude habe ich abgeklappert, meine Zu-Fuß-Geh-App hat rund 35 Kilometer aufgezeichnet. Ich möchte Sie aber nicht mit den üblichen Attraktionen belästigen. Stellvertretend hier ein Bild vom Schloss Belvedere. Da taten mir schon die Füße weh und ich brauchte dringend eine Melange.

Blick auf das untere Belvedere

Blick auf das untere Belvedere

Neben den vielen Sehenswürdigkeiten, die sich manchmal ankündigen, manchmal unverhofft hinter der nächsten Ecke überraschen, immer aber sehr beeindruckend sind – ein Glück, dass Wien kaum bombardiert wurde -, sind es viele kleine Dinge, die mich erfreuten. Stellvertretend:

Wäscheflott neben dem Theaterkartenbüro

„Wäscheflott“ in der Nähe der Nationalbibliothek

Praktisch erschienen die Weihnachtsbaumsammelstellen („Kein Lametta wäre netter.“), die auch vor hohem Kulturgut keine Scheu zeigen. Hier in Dortmund muss man den Baum an einem bestimmten Datum rausstellen – nicht früher, nicht später – und wer den Baum noch behalten oder ihn früher abgeben möchte, hat Pech gehabt.

Weihnachtsbaumablagestelle vor der Spanischen Hofreitschule

Tannensammelstelle

Kommen wir zu kulinarischen Aspekten der Reise. Ich möchte die Wiener Sehenswürdigkeiten nicht schmälern, aber wenn Sie, sagen wir, nur drei Stunden Zeit haben, um Wien zu entdecken: Schenken Sie sich die Hofreitschule – essen Sie! Die Kalorien, die ich beim Sightseeing verlaufen habe, habe ich nicht in Wien zurückgelassen – ich habe sie allesamt wieder mitgebracht (und wahrscheinlich noch mehr).

Café Drechsler am Naschmarkt

Café Drechsler am Naschmarkt

Sollte es bei mir beruflich einmal nicht mehr gut laufen, habe ich am vergangenen Wochenende eine neue Perspektive für mich entdeckt: als Apfelstrudel-Testerin. Test-Kriterien: „Vanillesoße“, „Teig“, „Apfelwürze“ und „begleitender Kaffee“. Ich habe in vier Tagen vier Apfelstrudel gegessen – und wäre auch zu mehr bereit gewesen, wenn ich nicht auch noch Wiener Schnitzel hätte essen wollen (und müssen, denn hey! Wien!). Vorläufiger Strudelfavorit ist:

Café Landtmann

Café Landtmann

Im Café Landtmann habe ich den besten Apfelstrudel meines Lebens gegessen, ein orgiastisches Fest, ein fast erotisches Erlebnis, eine musische Komposition – Sie werden alle Apfelstrudel vergessen, die Sie vorher jemals verzehrt haben, es wird eine Strudelamnesie einsetzen, sie werden nur noch an diesen einen Strudel denken können, und selbst, wenn Sie wieder zu Hause sind und wenn sie nur über diesen Strudel schreiben, wird es Sie wieder packen und Ihre Gedanken werden besessen sein.

Um wieder runterzukommen, folgt ein Bild von einem zusammengerollten Farnblatt:

Farnzeugs im Palmenhaus, Schloss Schönbrunn

Farnzeugs im Palmenhaus, Schloss Schönbrunn

So. Und morgen gibt’s erstmal ’ne Waffel. Übersprungshandlung.

Im Schlosspark Schönbrunn

Im Schlosspark Schönbrunn. Mit Wiener Mütze. Weil’s so kalt war.

Einmal in der Wiener Hofburg tanzen

21. 01. 2014  •  28 Kommentare

Es gibt Gelegenheiten im Leben, die man gerne verstreichen lässt. Und solche, die man ohne nachzudenken ergreift. So begibt es sich, dass ich am Wochenende in Wien Walzer tanzen durfte.

Wiener Hofburg bei Nacht

Die Wiener Hofburg, hübsch beleuchtet.

Es ist neun Uhr am Abend, als ich an der Hofburg ankomme.

Die Gäste im Foyer sind schon zahlreich und zudem prächtig anzuschauen: schmale Kleider, breite Kleider, raffinierte Kleider, tumpe Kleider, Kleider mit Reifrock und vereinzelte Trachten, Smokings, Uniformen und erst die Frisuren! Das alles unter Kronleuchtern und zwischen Marmorsäulen, neben Blumenbouquets und Damasttapeten. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hingucken soll.

Der Einlass

Das Publikum (illuster) defiliert in den Festsaal.

Ich tue es den anderen nach, hebe mein Kleid an und gehe die große Feststiege hinauf, dorthin, wo sich die Tanzsäle befinden. Es gibt an diesem Abend viele davon, 40 Stück.

Ich suche mir ein Plätzchen am Rand den großen Zeremoniensaals.

Die Eröffnung im Festsaal

Die Jungdamen und Jungherren betreten das Parkett. Das Orchester spielt. Links neben mir fällt eine Dame in Ohnmacht.

Das Fest beginnt. Erst marschieren die Jungdamen- und Jungherrenkomitees herein – die Männer in Uniform, die Damen in Weiß. Sie nehmen Aufstellung; es ist ihr großer Tag, man sieht ihnen an, wie zittrig sie sind, wie nervös sie lächeln. Es folgen Amts- und Würdenträger, das Musikkorps spielt. Es geht Schlag auf Schlag, neben mir fällt eine kleine Dame in Ohnmacht, Opernmenschen singen und Profitänzer tanzen. Auch auf dem Parkett sinkt eine der Weißen hernieder. Ein Minister spricht zur Menge, Fotografen machen Bilder, die Jungdamen und -herren eröffnen – in leichter Unterzahl – schließlich den Tanz. Als ich wieder auf die Uhr sehe, sind eineinhalb Stunden vergangen.

Ich bestelle ein Wasser. Es muss ein ganz besonderes Wasser sein, denn die Flasche kostet zwölf Euro. Ich trinke sie sehr langsam. Erst jetzt fallen mir die Jutetaschen auf, die hier und da an der Wand lehnen, Kleidung zuoberst. Wenn der Kellner nicht schaut, langen die Besitzer flink hinein: Eine behende Bewegung, und ihr Glas ist wieder voll. Hier zahlen nur die Laien – und die, die es sich leisten können oder wollen.

Schon kurz darauf wird der Walzer unterbrochen: Es ist zwölf, Andy Lee Lang startet seine Rock’n’Roll Piano Show, eine Big Band spielt auf, der Festsaal swingt. Ich flaniere durch die übrigen Räumlichkeiten. „Marmorsaal“,  „Redoutensaal“, „Radetzky-“ und „Maria-Theresia-Appartments“, „Antekammer“, „Trabantenstube“ – so heißen die Säle, in denen gespeist, getrunken und getanzt wird. Einer folgt dem nächsten, zwischendrin Stiegen und Galerien, irgendwo tanzt eine Profi-Formation; der Spaziergang dauert eine ganze Weile. Es ist alles sehr beeindruckend.

Das Damen-Schrammelorchester bittet zum Tanz.

Das Damen-Schrammelorchester bittet in einem Nebensaal zum Tanz.

Es ist gegen halb zwei, als ich mich an die große Feststiege stelle und schaue, wer hinauf kommt und hinunter geht: alte Männer mit alten Damen, junge Männer mit jungen Damen und alte Männer ebenfalls mit jungen Damen.

Kretschi gesellt sich zu mir und fragt mich, warum hier wohl so viele Väter mit ihren Töchtern sind.
„Kretschi“, sage ich, „das sind nicht deren Töchter.“
„Meinste?“
„Was glaubst du denn, warum die ihren Töchtern sonst so auf die Brüste starren?“
„Vielleicht haben sie sie lange nicht gesehen und wundern sich, wie groß sie geworden sind.“

Am nächsten Tag werden wir bei einem Wiener Schnitzel feststellen, dass uns allen dieselben Leute aufgefallen sind: die dünne Dunkelhäutige zum Beispiel mit Armen wie Streichhölzern, aber Dingern wie Melonen; die blasse Braunhaarige in dem weißen, berüschten Reifrock und der Sissi-Frisur; der Brite mit der slawischen Schönheit, auf deren Kleid von Nippel zu Nippel eine goldene Kette gespannt ist; das russische Pärchen, das hackedicht im Polkaschritt durch die walzernde Menge galoppiert.

Die Big Band ist fertig, im Zeremoniensaal bittet der Tanzmeister nun zum Contredanse: höfischer Tanz, paarweise. Es wird die Schrittfolge geübt, geknickst und huldvoll genickt. Die Russen tanzen weiter Polka.

Contredanse im Festsaal

Contredanse im Zeremoniensaal.

Gegen drei Uhr ist die Luft ein wenig raus. Noch eine Stunde, bis der Trompeter zum Zapfenstreich bläst. Ich schaue an der Tombola, ob ich etwas gewonnen habe: Es werden ein Schreibtischstuhl verlost, außerdem Rucksäcke und ein Flachbildfernseher. Die  Gäste beginnen, die Blumen zu zerlegen; das hat hier Tradition und ist keine schlechte Erziehung, auch wenn es vor den Orchideen vereinzelt zu Gerangel kommt.

Die Dame rechts zerrupft das Bouquet.

Halb vier in der Nacht. Eine Dame rechts zerrupft das Bouquet.

Um vier Uhr ist Schluss. Die Festgesellschaft zerstreut sich. Die Blumen verlassen in den Händen müder Damen das Haus. Männer rufen Taxen. Wem die Füße besonders weh tun, der verlässt das Haus auf Socken.

Im Bett angekommen, schlafe ich, glücklich und berauscht von der Ballnacht, im Dreivierteltakt ein.

Kreuzfahrt

21. 11. 2013  •  15 Kommentare

Er sitzt schon in der Bahn, als ich einsteige.

Er ist ein bisschen untersetzt, mit grauem Haar, einem Lächeln auf den Lippen und verschmitzten Augen. Ich setze mich neben ihn. Meinen Koffer schiebe ich vor meine Füße.

„Wo geht’s hin?“, fragt er und deutet auf den Koffer.
„Nur nach Hause“, antworte ich, denn ich bin nicht auf Reise. Ich habe den Koffer nur grad gekauft.
Er sei gerade erst wiedergekommen, sagt er. In der Karibik sei er gewesen, auf Kreuzfahrt.
„Das war bestimmt toll“, antworte ich.
Ja, meint er. Die Reise an sich sei prima gewesen. Aber ach. Er habe keinen gehaben, der hätte mitfahren können, und wenn man seine Erlebnisse nicht teilen könne, das sei doch nichts, nein, das ist nicht schön.
„Gab es denn niemanden, der sie begleiten wollte?“
„Weißt du“, antwortet er. „Meine Frau ist schon seit Jahren tot. Kinder haben wir nicht.“ Und eine neue Partnerin habe er auch nicht, dabei wünsche er sich sehnlichst eine, aber nun ja, das sei halt schwierig, er sei ja auch kein ganz einfacher Mensch.
„Ach was“, sage ich. „Sie sind doch kontaktfreudig.“

Er erzählt, dass er vor seiner Kreuzfahrt eine Anzeige aufgegeben habe: „Älterer Herr sucht Reisebegleitung.“ Er sagt, er hätte seiner Begleitung die Reise sogar bezahlt, nur damit er nicht alleine unterwegs sein müsse. „Aber es haben sich nur zwei Frauen gemeldet.“
„Immerhin“, sage ich.
Die eine, erzählt er, habe direkt ihr Zeugnis als diplomierte Pflegekraft mitgeschickt. Und die andere – ja, die habe geschrieben, sie begleite ihn gerne gegen ein Honorar von 5.000 Euro. Für 5.000 Euro stünde sie dann auch „für alle Dienstleistungen“ zur Verfügung.
„Das war doch ’ne Nutte!“, empört er sich.
Ich muss lachen. „Sie haben also keine der beiden Damen mitgenommen“, stelle ich fest.
„‚Ne Altenpflegerin und ’ne Nutte? Nä!“

Aber er habe beide Bewerbungen aufbewahrt. Für später mal. Man könne schließlich nie wissen, welche Notwendigkeiten sich im Leben noch ergäben.



In diesem Kaffeehaus werden anonym Daten verarbeitet. Indem Sie auf „Ja, ich bin einverstanden“ klicken, bestätigen Sie, dass Sie mit dem Datenschutz dieser Website glücklich sind. Dieser Hinweis kommt dann nicht mehr wieder. Datenschutzerklärung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen