Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Ein Geschenk, Gefriemel und Mental Load mit Patricia

29. 6. 2020 6 Kommentare Aus der Kategorie »Tagebuchbloggen«

Broterwerb | Als Geschenk für meine Zeit beim Kunden – am morgigen 30. Juni war ich 20 Monate dort im Vertrag – schenkte mir das Team in der vergangenen Woche eine riesige Pelargonie und bedankte sich für meine Arbeit.

Balkon: Zahlreiche Blumen am Balkongeländer, auf dem Boden eine große Pelargonie

Ich bin immer noch sehr gerührt.

Auf meine letzten Arbeitstage bearbeitete ich die ausstehenden Audios nach. Das Format, das ich bei dem Kunden produziere – ich habe da vieles gemacht, unter anderem das -, also das Format ist eigentlich schnell zu realisieren und bedarf wenig Arbeit. Wenn man allerdings sieben Folgen vorproduziert, weil man ja dann weg ist, summiert sich die wenige Arbeit pro Folge dann doch auf zwei Tage – zumal wir im Schlusspurt ein Experiment gewagt und ein Doppelinterview über Microsoft Teams aufgenommen haben. Wir mussten das, weil … ach, egal. Ergänzen Sie hier irgendwas mit VPN undsoweiter. Jedenfalls – Fazit dieses Experiments: nicht empfehlenswert. Schlechte Tonqualität, sehr dumpf. Ich hatte in der Nachbearbeitung alle Hände voll zu tun, habe dann, wo ich schonmal dran war, etliche „Äähs“ und „Uuuuhms“ rausgeschnitten – irgendwann erkennt man die „Äääähs“ ja ganz ohne Hören optisch in der Tonspur. Außderdem habe ich Gedankenpausen und Redundanzen entfernt, das Ganze von 17 auf 12 Minuten gestrafft und mich selbst nachvertont. Am Ende war es dann einigermaßen annehmbar – es klingt nun immerhin, wie wenn Heiner aus Bilmerich bei Antenne Unna anruft, um sich die Scorpions zu wünschen.

So sah es vorher aus:

Und so sieht es jetzt aus:

„Gefriemel“ sagt man im Ruhrgebiet dazu.


Buchrezension | Patricia Cammarata hat ein Buch über Mental Load geschrieben, über die Last der Verantwortung in einer Partnerschaft. Auch wenn die Ausführung von Arbeiten – beispielsweise in der Kindererziehung oder im Haushalt – gleich verteilt ist, liegt meist mehr Verantwortung bei einer der Partner, meist bei den Frauen. Sie denken an Impftermine und ob den Kindern die Schuhe noch passen, ans Geschenkebesorgen für Geburtstage, sie stehen auf den Anruflisten der Schulen, entwickeln Ideen für Freizeitaktivitäten, koordinieren den Besuch bei den Schwiegereltern und denken daran, dass Shampoo und Waschmittel bald alle sind. Aber muss das so sein?

Patricia schreibt, wie sie in die Mental-Load-Falle rutschte und hinausfand. Sie beginnt bei sich – wie sie begonnen hat, weniger Perfektion und Seinlassen auszuhalten. Dann schildert sie Möglichkeiten, die Verteilung der Mental Load in der Partnerschaft auszuhandeln.

Vielleicht fragen Sie sich, warum das Buch für mich interessant ist. Schließlich habe ich keine Kinder und auch keine Partnerschaft mit Zusammenwohnen und all den Dingen, die Mental Load erst so richtig spannend machen. Das ist wie mit der Raumfahrt: Ich muss nicht Astronautin sind, um mich dafür zu interessieren.

Einige Aspekte des Buches fand ich besonders spannend. Zum Beispiel der Perfektionismus des Instagram-tauglichen Mutterseins mit stets hübsch dekorierter Wohnung und Kindergeburtstagen aus dem Katalog. Denn Perfektionismus geht mir völlig ab; er ginge mir auch ab, wenn ich Kinder hätte, da bin ich mir sicher; ich bin inzwischen auch selbstbewusst genug, Kommentare Dritter passiv-aggressiv zu ignorieren. Was ich allerdings gut nachvollziehen kann, ist Patricias Erklärung, dass man es weder fürs Kind noch für den Besuch macht, sondern einzigfür sich selbst – um Anerkennung und Wertschätzung zu erhalten.

Wir machen das, weil das ganze fucking Mental Load, die Aufgaben, die Strapazen der Baby- und Kleinkinderzeit endlich mal gelobt und gehuldigt werden müssen. Aber niemand huldigt uns. Niemand feiert uns. Deswegen feiern wir uns selbst.

Raus aus der Mental-Load-Falle, S. 48

Das leuchtet mir ein.

Für die Partnerschaft und das Aushandeln von Verantwortung schlägt sie Projektmanagementmethodik vor – unter anderem das Auflisten aller Verantwortungen, das Sichten mit dem Partner und das Gespräch über die individuellen Rollen im „Projekt“. Das finde ich sehr einleuchtend, denn die Organisation und Koordination des Familienalltags ist letztendlich nichts anderes als Projektmanagement: Man muss alle Handlungsstränge im Blick behalten, vorausplanen und Risiken minimieren. Im Job ist das ganz normal und wird als umsichtig gewürdigt.

Ich höre auch oft, dass es unnötig zeitaufwändig, ja, erbsenzählerisch sei, soche Listen zu machen. Dass es Zeit und Energie koste, die Dinge so detailliert zu besprechen, bestreite ich gar nicht. Das ist so. Ich gebe aber zu bedenken, dass es im Berufsleben völlig normal ist, ein solches Projekt-Kick-Off zu machen. Vor allem dann, wenn sich ein Projekt über mehrere Jahre (womöglich Jahrzehnte!) erstreckt. Nie würde jemand auf die Idee kommen und sagen: „Hier: Wir haben 130.000 Euro Budget, das Projekt läuft jetzt über 18 Jahre – viel Spaß, wird schon.“

Raus aus der Mental-Load-Falle, S.89

Mehr noch als Listen braucht man eigenständig denkende Projektmitglieder – und nicht Menschen, denen man sagen muss, was sie zu tun haben, die dann die angwiesene Handlung erledigen und den restlichen Teil der Prozesskette einfach unbeachtet lassen. Auch dazu hat Patricia etwas aufgeschrieben.

Ein prima Buch, zu empfehlen – auch wenn ich nicht weiß, ob die Lektüre bei Betroffenen wirklich das Problem löst. Das ist wahrscheinlich sehr individuell.

Was mir einzig gefehlt hat: der fehlende Kopplungsbindestrich auf dem Cover. (*brummt unzufrieden)


See-Pause | Heute Nachmittag ging ich mit der Dorfnachbarin eine Runde um den See. Wir aßen Eis, guckten Küken, ließen uns Wind um die Nase wehen und gingen wieder heim.

Danach setzt ich mich nochmal an den Schreibtisch. Das war eine gute Pause.


Corona-Service | Während sie schläft – das Dossier der aktuellen ZEIT (€). Beeindruckende Reportage von Amrai Coen und Malte Henk. Der Text umfasst die Zeitspanne von März bis Mai 2020 aus der Perspektive einer schwer an Covid-19 erkrankten Frau und ihrem Umfeld. Ich konnte nicht aufhören zu lesen. | Uruguay – eine Oase im Zentrum der Pandemie. Das Land hat den ältesten Sozialstaat Lateinamerikas – und die niedrigsten Infektionszahlen des Kontinents.

Gelesen | Der durchschnittliche deutsche Neuwagen hat 156 PS. Schaut man nur die Monate Januar bis Mai 2020 an, liegt die PS-Zahl höher: bei 166. Der Anteil der Kleinwagen sinkt. PS-stärkere Autos werden mit hoher Wahrscheinlichkeit unser Straßenbild der Zukunft prägen, so die Meinung im Text. Ich habe Zweifel. Oder Hoffnung – wie man’s nimmt.

Kommentare

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  1. Danke für den Buchtipp zu Patricia – die ist klasse.
    Steigende PS-Zahlen? Ja, das sind wohl meine fehlgelenkten Geschlechtsgenossen in der Mehrzahl.

    1. Vanessa sagt:

      Ich schätze: Das sind auch viele Geschäftswagen. Status und so.

  2. Berit sagt:

    Zu dasnuf kann ich als Betroffene sagen, dass ihre Tipps und Anregungen durchaus hilfreich sind.

    Ich hab mich zwar nicht mit einer Liste hingesetzt aber es reicht auch erstmal aufzuzeigen das etwas schief läuft und woran es liegen könnte,so dass man selber erstmal genug Futter zum Nachdenken hat.

    Ich weiß nicht ob es im Buch erwähnt wird aber im Blog hatte sie auch einen Artikel, der noch einmal betont das man dem ganzen auch Zeit geben muss und sich nichts von heute auf morgen ändern wird. Es braucht eben einen gewissen Wohlmut und Wiederholungen. Das leuchtet ein und hat mir dann oft geholfen aufkommenden Zorn in konstruktivere Bahnen zu lenken.

    1. Vanessa sagt:

      Danke für die Rückmeldung, interessant zu hören. Stimmt – oft hilft es schon zu lesen, dass man mit seiner Wahrnehmung nicht auf dem komplett falschen Pferd sitzt und Denkanstöße kriegt.

  3. Ursula sagt:

    Zitat „… Perfektionismus geht mir völlig ab
    … Was mir einzig gefehlt hat: der fehlende Kopplungsbindestrich auf dem Cover. (*brummt unzufrieden)“
    Ganz sicher?! ;-)
    Danke für Ihren Blog, ich lese gerne mit.
    Liebe Grüße aus der Nachbarstadt!

    1. Vanessa sagt:

      Ich denke, auf der Perfektionismus-Skala gibt es einen Unterschied zwischen dem Wunsch nach korrekter Rechtschreibung auf einem Buchcover und wie aufgeräumt meine Küche an einem Samstagabend ist.

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