Wie es sein wird | Es ist surreal.
Schaue ich in den Garten, ist die Welt wie immer. Die Tulpen und die Osterglocken blühen, die Meisen fliegen die Nistkästen an, es summt und brummt und zwischert. Auch, wenn ich auf die Straße blicke, ist kein Unterschied festzustellen – und doch ist alles anders.
Europa wird die Pausentaste drücken. Drei, vier, sechs oder mehr Wochen werden wir innehalten. Wir reisen nicht mehr. Wir sorgen uns um die Nachbarn, die Freunde, die entfernte Tante. Und bald?
Ich bin sicher: Wir werden uns an das andere Leben gewöhnen. Die Klopapierkäufer, Supermarktstürmer und Steriliumklauer werden sich beruhigen. Wir werden gelassener werden. Wir werden Respekt empfinden vor denen, die zu wenig Respekt erfahren. Wir werden denjenigen Danke sagen, die sonst selten einen Dank bekommen. Wir werden mehr lesen. Wir werden mehr spielen. Wir werden nicht pendeln. Wir werden mehr schlafen. Wir werden mehr miteinander reden. Wir werden uns anrufen und austauschen. Wir werden uns helfen. Wir werden Zeit haben nachzudenken. Wir werden Menschen neu kennenlernen, uns selbst und einander. Wir werden mit uns konfrontiert sein. Wir werden spüren, was wichtig ist. Wir werden erfahren: Plötzlich geht, was vorher nicht ging. Wir werden merken: Dinge, die nicht gehen, müssen nicht sein. Wir werden Schlüsse ziehen. Wir werden uns streiten. Vielleicht wird es mehr Scheidungen geben. Vielleicht werden aber auch mehr Babys geboren.
Wie wird es sein, wenn alles wieder anläuft, irgendwann? Wird unsere Gesellschaft eine Wiedereingliederung brauchen, nach Hamburger Modell? Wird es sein wie ein Umzug, wenn man alles einmal in die Hand nimmt und sich entscheidet, ob man es mitnimmt oder zurücklässt?
Bemerknis | Ich bin beeindruckt, wie entschlussfreudig unsere Regierung ist. Sehr beeindruckt. Dass sie gegen jeden wirtschaftlichen Lobbyismus handelt, stimmt froh. Und zeigt, dass es ernst ist.
Obwohl surreal, kommt mir ein Teil der aktuellen Situation emotional bekannt vor – vom Eremitenhäuschen auf La Gomera. Das Gefühl, das ich dort hatte, ist ähnlich des Gefühls, das sich nun einstellt. Einkaufen erforderte Geduld, der Weg zum Supermarkt war weit, die Auswahl war kleiner als gewohnt. Ich war allein. Die Umstände bestimmten das Sein: Bei Regen ging nichts. Ich plante vor und kochte, was da war. Ich arbeitete, atmete und war mir selbst genug. Man ahnt: Das könnte bald eine Fortsetzung finden.
Horizont erweitern | Am Donnerstag und Freitag war ich noch einmal unterwegs. Ich fuhr nach Bad Camberg in Hessen. Die Hotelwirtin freute sich wie Bolle, als ich kam. Sie habe so viele Absagen, sagte sie, sie sei glücklich, dass ich da sei. Ich erhielt ein größeres Zimmer.
Am Freitag nahm ich an einem Seminar teil. Es hieß: „Innovationskultur schaffen“ und war sehr prima. Einen Teil der Inhalte kannte ich, andere nicht. Meistens sind es ohnehin die kleinen Dinge, die mich weiterbringen.
Unter anderem beschäftigten wir uns mit Lean Startup als Methode, um neue Produkte, Dienstleistungen und Prozesse zu entwickeln. Gerade das Beschreiben und Beweisen von Annahmen habe ich als sehr hilfreich im empfunden: Man beweist mit Experimenten, dass die einzelnen Teile eines Geschäftsmodells funktionieren – oder eben nicht. Und das, bevor große Investitionen getätigt werden. Die Vorgehensweise ist ähnlich wie bei der interaktiven Innovation, mit der ich arbeite – und doch anders, nochmal zielgerichteter und einfacher.
Außerdem haben wir über Messmethoden und sinnvolle KPIs für Innovationen gesprochen – über Aktivitätsmetriken, Wirkungsmetriken und Pitch-Kriterien. Aktivitätsmetriken sind Kennzahlen, die die Tätigkeiten im Innovationsprozess anzeigen. Wirkungsmetriken messen den Einfluss dieser Tätigkeiten auf den Geschäftserfolg. Pitch-Kriterien helfen bei der Entscheidung, ob man eine Idee oder einen Prototypen weiterverfolgen oder fallen lassen möchte.
Das Seminar fand im schönen Kloster Gnadenthal statt. Dort blühten die Osterglocken, und wir hatten reichlich Platz, uns aus dem Weg zu gehen – zumal wir aufgrund von Absagen nur zu Fünft waren.
Geburtstag unter Bedingungen | Am Tag darauf feierte ich Geburtstag – unter Girlanden und im kleinen Kreis, mit Lufküssen.
Kopf lüften | Der See lag am Sonntag sehr schön; der erste Frühlingstag nach langen Wochen des Regens. Der Himmel schimmerte rosa, die Luft war mild.
Im Freien konnte ich Abstand zu anderen Menschen halten. In den Cafés und Restaurants saßen hingegen Leute über Leute, es war rappelvoll.
Arbeit | Heute Home Office: Der Kunde hat seine Räumlichkeiten zwar geöffnet, wünscht aber, dass möglichst alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Home Office arbeiten – auch die Externen, wie ich eine bin.
Das tat ich: Ich bin vom Auftraggeber mit Hardware und allen Möglichkeiten zur Remote-Arbeit ausgestattet; er ist dahingehend sehr gut aufgestellt. Ich arbeitete weiter an den Themen, die mir obliegen. Das bedeutete vor allem: viel telefonieren – in Einzelgesprächen und in Telefonkonferenzen.
Ich ließ mir von unterschiedlichen Mitarbeiterinnen aus unterschiedlichen Disziplinen viel erklären, um ihre Perspektiven kennenzulernen und zu empfehlen, was gemeinsam zu tun ist.
Auch wenn ich Home Office und Remote-Arbeit gewohnt bin: Am Nachmittag rauschte mir ganz schön der Kopf. Denn normalerweise arbeite ich daheim hauptsächlich für mich – zwar unterbrochen von einzelnen Telefongesprächen. Aber der Anteil des Redens und Zuhörens ist deutlich kleiner, der des Nachdenkens größer. Wenn – wie heute – das Ohr der einzige Eingangskanal ist, ist das Zuhören und Schlüsseziehen deutlich anstrengender; alles muss über Sprache vermittelt werden, es fehlen die Informationen aus Mimik, Gestik und dem gemeinsam Gemalten.
Immerhin hatte ich einen schönen Blick in den Garten – mit Blümchencontent.
Gelesen und angeguckt | Die Washington Post zeigt anschaulich, warum das öffentliche Leben eingeschränkt wird und was Quarantäne bringt.
Gefreut | Die Dortmunder Makeup-Artistin Katja Grebner hat bei Microsoft Teams eine Plattform ins Leben gerufen, auf der Dortmunder Einzelunternehmer*innen sich in der Corona-Krise gegenseitig unterstützen können – mit Wissensaustausch, Teilen von Ressourcen und dem gemeinsamen Erarbeiten von Lösungen. Großartig.
Gelesen | You Can Virtually Tour These 500+ Museums and Galleries From Your Couch
Serviceblog | Tech against Coronavirus: Eine Liste von Tools fürs virtuelle Arbeiten alleine und im Team
Gelesen | Das merkwürdige Verhalten weinseliger Großstädter zur Coronazeit. Die Ausgangssperre wird kommen. Deshalb.
Gelesen | Das sind die wahren Sportler. Spoiler: Aki Watzke ist es nicht.
Zum Unterschreiben | Petition: Hilfen für Freiberufler und Künstler während des Corona-Shutdowns. Ein Appell, Finanzhilfen und Unterstützungen für Firmen und abhängig beschäftigte auch auf Einzelunternehmer auszuweiten.
Gelesen | Was ganz anderes: Wie es wirklich ist, seinen Penis verlängern zu lassen [€]
Kommentare
3 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓
Wunderbare Wildtulpen auf dem letzten Bild.
Ja, die sind toll!
[…] Frau Nessy im Kännchenblog […]