Abriss der Geschehnisse | Nun beginnt die Zeit mit den Feiertagen. Das wird großartig.
Den Vorabend des Himmelfahrtstages verbrachte ich auf der Terrasse mit einer Freundin. Spontanes gemeinsames Abendessen. Sehr schön.
Am Donnerstag kam Christian zum Spätstück, und wir nahmen eine Podcastfolge auf, in der es um Spielen, Computerspiele und Spielelemente im Arbeitskontext geht.
Am Freitag war ich beim Friseur; mit mir viele andere Menschen. Anlass für den Friseurbesuch war eine Bemerkung des Bonusjungen, der mich fragte, ob ich eine neue Haarfarbe habe, ich sehe irgendwie anders aus. Ich inspizierte mich im Spiegel und stellte fest, dass es sich nicht um eine neue, sondern vielmehr um eine alte Haarfarbe handelte. Ich stellte auf meinem Kopf dringenden Handlungsbedarf fest. Da ich ohnehin keinen Faible für Friseurbesuche habe, war der überlaufene Salon unerfreulich – gleichwohl war ich Teil des Problems. Nun bin ich wieder hübsch auf dem Kopf; das ist das Wesentliche.
Den Samstag und Sonntag habe ich wundervoll tatenlos verbracht, Alltagserledigungen ausgenommen.
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Lektüre | Ich lese gerade den neuesten Meyerhoff, Die Zweisamkeit der Einzelgänger. Das ist seit langem mal wieder ein Buch, bei dem ich froh bin, es gedruckt gekauft zu haben. Damit ich Dinge anstreichen kann.
Enttäuschung hat ja viele Temperaturen, vom absoluten Gefrierpunkt, ein kein Leben zulassende Tiefkühlenttäuschung, bei der man zu Eis erstarrt und zur Seite wegkippt, bis hinzu zäh und glühend über einen hinwegwalzenden Lavaenttäuschung. Auch nicht weniger peinigend ist die Enttäuschung, die einem jeden Tag Hunderte Male wie ein federleichtes Vögelchen mit spitzem Schnabel in das Gehirn pickt und einen, egal wie man sich plagt und um Ablenkung müht, nicht in Ruhe lässt. Ich habe auch Menschen getroffen, die mit ihrer Enttäuschung in glücklicher Symbiose leben und selbst mitten in der Nacht aufstehen, um mit ihr eine Runde Gassi zu gehen, sie mit ein paar Häppchen Kummer zu füttern. (S. 86 ff.)
Meyerhoffs rührende Unzulänglichkeit, seine Selbstentblößung, seine Verletzlichkeit, sein Ringen mit dem Leben – das ist alles authentisch und großartig.
Ja, das war es wohl, was man versuchen musste, den unabwendbaren tagtäglichen Sturz mit möglichst vielen Kunststücken zu verzieren, und wenn man Riesenglück hatte, dabei nicht alleine sein. (S.67)
Gleichzeitig bin ich an manchen Stellen grimmig, denn in dem Buch geht es um die ersten Lieben, und Meyerhoff verliebt sich in Frauen, die sich unmöglich benehmen, die unhöflich, reizbar und egozentrisch sind.
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Read on | Am Wochenende beschäftigte sich die Twitteria intensiv mit dem Fall von Mademoiselle Readon (Blog nun offline; Internetarchiv). Ausgangspunkt war diese Spiegel-Recherche (ich las sie bei Blende). Kurz gesagt legen die Recherchen nahe, dass die Bloggerin und Historikerin sich ein Leben zusammengebaut hat, das es so nicht gibt. Es ist allerdings nicht nur belangloses Erzählwerk, sondern beinhaltet eine jüdische Familienhistorie, eine angeeignete Opferrolle, gute Werke, Auftritte auf Podien und einen Versuch, die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zu täuschen.
Kunsthistorikerin Anke Gröner hat dazu einen Beitrag verfasst, der sich mit der Fallhöhe beschäftigt. Archivar Klaus Graf fasst die Causa zusammen, bespricht die Quellen und die Rezeption des Falles im Netz. Die Schweizer Zeitung stellt ihn in Kontext mit anderen, so genannten Kostümjuden.
Ich las einen Beitrag im Guardian, in dem es um das Münchhausen-Syndrom und seine Ausprägungen im Internet geht, also um das Vortäuschen schwerer Erkrankungen. Die Fälle sind anders gelagert, und doch gibt es Parallelen. Außerdem las ich einen Beitrag der New York Times, Titel: Stolen Suffering. Er beschäftigt sich anhand eines anderen Falls mit der Aneignung von Opferbiographien – und mit Identität.
In an era obsessed with “identity,” it’s useful to remember that identity is precisely that quality in a person, or group, that cannot be appropriated by others; in a world in which theme-park-like simulacra of other places and experiences are increasingly available to anyone with the price of a ticket, the line dividing the authentic from the ersatz needs to be stressed, rather than blurred. As, indeed, Ms. De Wael has so clearly blurred it, for reasons that she has suggested were pitiably psychological. “The story is mine,” she announced. “It is not actually reality, but my reality, my way of surviving.”
Mademoiselle Readon streitet die Vorwürfe nicht ab, erklärt sich aber auch nicht – wenn man von ihrem zuletzt erschienenen Blogbeitrag absieht, in dem sie mitteilt, dass ihr Blog ein Projekt gewesen sei, das fiktionalisiere und literalisiere – was mit viel gutem Willen die digitale Identitätsaneignung erklärt, nicht aber die analoge.
Ich nenne ihren Klarnamen hier übrigens nicht – aus folgendem Grund: In der kurzfristigen Betrachtung überwiegt sicherlich das öffentliche Informationsinteresse gegenüber dem Schutz der Privatssphäre. In der Langfrist-Betrachtung bleibt der Klarname relevant, wenn es um das wissenschaftliche Handlungsfeld geht; hier muss er weiterhin genannt werden dürfen, um erneuten Täuschungsversuchen nicht Vorschub zu leisten – und auch, um weitere Forschung zu ermöglichen.
Außerhalb der wissenschaftlichen Teilöffentlichkeit bewerte ich den Fall an sich als relevanter als die Tatsache, wer die Handelnde ist. Da ich mich mit meinem Blog in der Gesamtöffentlichkeit bewege, halte ich von einer Erwähnung des Klarnamens Abstand.
Was bleibt, ist das Erstaunen ob der Konsequenz, mit der die Identität erdacht und von der Erzählwelt in den Alltag überführt wurde; und es ist die Frage, was nun aus einer Historikerin wird, die sich der Grundlage ihrer Arbeit beraubt hat: Wahrhaftigkeit.
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Urlaub in Brandenburg | Auf der re:publica besuchte ich eine Session über Digitalisierung auf dem Land. In dieser Session war eine der Gründerinnen des coconat zugegen. Das coconat ist ein ehemaliger, nun umgebauter Gutshof; man kann sich dort erholen und gleichzeitg arbeiten – wenn man möchte.
Ich werde dort im Juli eine Woche verbringen, denn ich suchte eine Unterkunft zwischen München und Berlin. In München habe ich Mitte Juli ein Engagement an der Universität der Bundeswehr, in Berlin findet Ende Juli eine Geburtstagsfeier statt, dazwischen möchte ich ein wenig Urlaub machen. Wem fiele da nicht als erstes Bad Beelitz in Brandenburg ein.
Ich werde dasitzen und in die Natur schauen, die Beelitz-Heilstätten besuchen, dasitzen, über den Baumkronenpfad laufen, dasitzen, lesen, da, in die Therme gehen und dann sitze ich noch ein bisschen da und schaue in die Natur.
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Gelesen | Innenministerium will Überwachung von Medien erlauben. Seid Ihr noch ganz frisch in Eurem Heimatministerium? Mir bleibt die Spucke weg.
Gelesen | Die Politik in Neuseeland macht es anders: Neuseeland definiert den Staatshaushalt um.
Alle staatlichen Ausgaben werden danach bewertet, ob und in welcher Form sie dazu beitragen, fünf Ziele zu erreichen: die Verbesserung der psychischen Gesundheit, die Reduzierung von Kinderarmut, die Bekämpfung der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen der europäischstämmigen Bevölkerungsmehrheit und den Maori-Urbewohnern, das Prosperieren des Landes im digitalen Zeitalter sowie die Transformation der Wirtschaft in eine emissionsarme, nachhaltige Zukunft.
Die New York Times berichtet ausführlicher: New Zealand’s Next Liberal Milestone: A Budget Guided by ‘Well-Being’
Gelesen | Die ultimative Speck-Show. „Horrorbauch“, „Schenkelschande“ „Speckshow“, „Bauchblamage“, „Zellulitedrama“, „Reiterhosen“ – die Juramama hat Print-Magazine zur Hand genommen und eine Menge frauenverachtenden Mist gefunden.
Gelesen | Maike besucht den Ort, an dem sie nach ihrem Burnout viele Wochen verbrachte, blickt in die Vergangenheit zurück und erzählt, was sie von dort mitgenommen hat.
Gelesen | Der Allwetterzoo in Münster hat zwei neue Yaks. Eins heißt, wie auch sonst: Yakeline.
Kommentare
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Das mit „um erneuten Täuschungsversuchen Vorschub zu leisten“ habe ich nicht verstanden, ausser es fehlt ein „nicht“.
Danke. Berichtigt.
Das zweite könnte doch Jaques heißen.
Jaques und Yakeline.
Oder Yaques und Yakeline.
Hach. Schön.
Ist der Klarname im Auszug aus dem Guardian-Artikel bewußt sichtbar gelassen worden? Vielleicht ist das untergegangen.
Beim Guardian-Artikel,der aus dem März 2008 stammt, handelt es sich um einen anderen Fall. Ich habe das im Text nachträglich klarer formuliert (kursiv):
„Er beschäftigt sich anhand eines anderen Falls mit der Aneignung von Opferbiographien – und mit Identität.“
[…] Anke Gröner Tagebuch Samstag, 1. Juni 2019 – Offene Tabs Schwerdtfegr Kurz verlinkt BILDblog Fake on my dear, Rezo-Fallout, Facebook kennt keine Privatsphäre Draußen nur Kännchen Erstes langes Juniwochenende […]
Ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin schockiert. Ich habe den (das?) Blog sehr gern gelesen und war über manche Geschichten zutiefst betrübt – nun zweifle ich alles an, was ich da gelesen habe, wo meine Emotionen involviert waren. Ich möchte bei weitem nicht behaupten, dass dies das Schlimmste ist, was die Lügen angestellt haben … aber derart mit den Emotionen der Leserschaft zu spielen ist einfach eine Schweinerei. :(
geht mir genauso :(
Ich bin auch überrascht über das Ausmaß der Täuschung des „Fräuleins“, jedoch muss ich Sie leider korrigieren. Das „Fräulein“ streitet, wenigstens in der Irischen Presse (Stand 3. Juni 2019), die Beschuldigungen vehement ab:
http://trinitynews.ie/2019/06/trinity-phd-graduate-accused-of-inventing-holocaust-victims/
Zitat:
(Klarname des „Fräuleins“) told Trinity News: “I deny all of these rumours strongly as they are untrue, false and vile. We will take legal action against these false and vile accusations. I see with great despair how these lies have been concocted and are spread.”
Danke für die Ergänzung. Der Artikel war mir zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht bekannt.
[…] Quellenstudium und den wissenschaftlichen Ethos bei den Fakten zu bleiben, brauchen wir beim historischen Geschichtenerzählen unbedingt. Alles Andere macht sich lustig über die Menschen, die vor uns gelebt haben. Ganz egal, […]