Es muss Dezember oder Januar gewesen sein, jedenfalls wurde ein Geburtstag in Essen gefeiert, als das Brautpaar, das zu diesem Zeitpunkt noch kein Brautpaar war, dem Freundeskreis mitteilte, das es eins werden wolle. Später verkündete das Brautpaar dann, dass es die Hochzeit etwas unkonventioneller als üblich gestalten wolle, weniger Kirche, mehr Schloss, weniger Zeremoniell, mehr Feier und Cocktails.
So begab es sich, dass 35 Menschen sich auf den Weg nach Pleurs in der Champagne machten, um drei Tage lang auf einem französischen Landschloss zu residieren und dem Brautpaar mit Wein, Gin und kleinen Mahlzeiten zu huldigen. Und mit einem Gummieinhorn.
Ich möchte es nicht beschönigen: Die Szenerie war wie gemalt, das Wetter fantastisch, die Gesellschaft illuster, die Getränke eiskalt und der Pool erfrischend kühl. Zehn weitere Bemerknisse:
EINS | Es ist erstaunlich, wie schnell man sich an ein Leben auf einem Schloss gewöhnt. Schon am zweiten Morgen war es, als habe ich niemals woanders gewohnt. Die Erhabenheit des Ortes legt sich wie selbstverständlich aufs Gemüt, der Gang wird aufrechter, der Blick fester, und die Schultern spannen sich, während man morgens ans Fensters des Gemachs tritt und durchs Sonnenlicht auf die Ländereien hinabblinzelt, von der Küche steigt der Duft frischen Kaffees auf.
ZWEI | Des Weiteren lebt so ein Schlossleben vom Stilbruch: Die Star-Wars-Matratze neben dem Himmelbett, mit Badelatschen durch die Halle schlappen, das Schwimm-Einhorn neben der Marmorstatue – es waren die kleinen Dinge, die der Sache Pfiff gaben.
DREI | Der Westfale bleibt Westfale, auch auf dem Schloss: Am Freitag haben wir für 35 Leute Gemüse geschnibbelt und auf dem großen Gasherd Suppe gekocht. Bei uns wird noch selbst angepackt, egal wie royal die Umstände sind.
VIER | Der französische Supermarkt war für mich, was Lavendel für Insekten ist: Mit der Aufmerksamkeitsspanne eines umhertrudelnden Schmetterlings stolperte ich von der Mango-Vinaigrette, vorbei an den Rosenblütenkeksen, zum Panaché und der Maronencreme, weiter zu den Waffeln zum Auftoasten, hin zum Petit-Marseillais-Regal, vor Ergriffenheit leise weinend.
FÜNF | Der Abend der Feier: Der Regisseur des ZDF-Herzkinos hätte sich mit einem weißen Tüchlein Tränen des Entzückens aus dem Augenwinkel getupft. Die lange Tafel im Schlosshof, gesäumt von zwei Brunnen, der knirschende Kies, die untergehende Sonne, die weißen, im Wind wehenden Tischdecken, die Champagnerkühler und das Brautpaar, das die Treppe in die Halle hinabschritt – pilcheresker ging es nicht.
SECHS | Das die Treppe hinabschreitende Brautpaar gab es auf Antrag von Little R, vier Jahre alt, die mit Harry- und-Meghan-haften Vorstellungen nach Frankreich gereist war und bereits vor Wochen ein Schreiten mit anschließendem Kuss am Fuß der Treppe eingefordert hatte, was auch so vonstatten ging. Die Herzkino-Redakteurin hätte die Szene herausgestrichen – „zu dick aufgetragen“, „wir werden unglaubwürdig“, „wir müssen die Leute mehr in der Lebensrealität abholen“. Doch wir haben die Schlosssache komplett durchgespielt, weil: wenn schon, denn schon.
SIEBEN | Komplett durchgespielt haben die Jungs auch die Klamottenfrage: Der Bräutigam hatte um festliche Kleidung gebeten und selbst viel Zeit auf seinen Smoking verwendet – von den Schuhen über die Jacke bis hin zu den geknöpften Seidenhosenträgern, und es war fürs Frauenauge ausgesprochen erfreulich, dass alle anwesenden Herren es ihm nachgetan hatten. Es war meine erste Hocheitsfeier, auf der die Männer herausgeputzter waren als die Frauen. Sehr adrett.
ACHT | Die Braut hatte, um den Wein- und Nahrungskonsum abzuschätzen, vier Listen angefertigt: die Liste der Vieltrinker, die Liste der Vielesser, die Liste der Wenigesser und die Liste der Wenigtrinker. Zwei Listen waren ziemlich leer. Sie dürfen raten, welche.
NEUN | Was auf den Bildern nicht zu sehen ist, sind die Bremsen und Mücken, die das Schloss, das von Wasserläufen umgeben ist, bebrummten – und mit dem Schloss die Gäste. Über der Feier lag eine Glocke Antibrumm forte, wir nannten es auch Eau de Pleurs – ein Duft, der entfernt an alte, in der Sonne liegende Bahnschwellen erinnert.
ZEHN | Vier Tage auf einem französischen Landschloss sind wie zwei Wochen Urlaub: Ich habe in der Zeit nichts mitgekriegt und mich auf der Rückfahrt gefragt, ob wir noch eine Regierung haben und was es mit Mesut Özil auf sich hat, habe mich aber entschlossen, dem nicht weiter nachzugehen. Die Rückkehr ins Vorstadtleben erforderte denn auch einen Tag der Akklimatisierung, an dem ich im Garten saß, Suze trank und versonnen Dompfaffen beobachtete. Weil das in Dortmund nicht so schön ist, hier die Schwesterszene aus Pleurs:
Kommentare
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♥️
Wirklich: Ganz furchtbar schrecklich!! :) Was für eine wunderschöne Location und wunderschöne Gäste noch dazu! Das mit dem französischen Supermarkt kann ich bestätigen. Und alle sind adrett hinter ihren Theken gekleidet und kennen sich aus mit den Produkten, die sie verkaufen. C’est incredibile!
Wahrlich incredibile – und sehr hilfsbereit im Supermarkt. Und auch auf der Straße waren die Leute sehr freundlich.
Heisst es nicht „incroyable“?
Es ist schön, mal ein Klugscheisser zu sein :-)
„Incroyable“ hört sich schlüssig an. Meine Französischkenntnisse beschränken sich auf Klasse 9 bis 12. Ich habe sie seither auch nicht mehr bemüht – außer auf einer Reise nach Paris, die allerdings nur minimalen Französischeinsatz erforderte. Sie reichen lediglich aus, um nicht zu verhungern.
Frau Nessy, DANKE für das ganz und gar wundervolle „pilcheresker“! :]
Und auch und immer wieder DANKESCHÖN für Ihre so klugen UND lustigen UND menschenfreundlichen Texte!
Suse
//*errötet
Dankeschön.
Hach, liebe Frau Nessy,
wie schön, dass Sie wieder da sind – und mit so wundervollen Eindrücken! Danke mal wieder fürs Teilhabenlassen.
Gern.
Es war einfach nur schön und ich fand uns Frauen auch sehr schön. Du bist ne coole Schnibbelhilfe
Vor allem Du warst schön – das ist im Artikel zugegebenermaßen etwas untergegangen.
Das Schnibbeln hat viel Spaß gemacht – und ohne Euch hätte ich dieses französische Supermarktparadies niemald kennengelernt.
Danke für’s Mitnehmen! ^^ Dieser Sommer ist großartig!
Und „Suze“, das interessiert mich brennend. Ich trinke gerne Enzian, kannte ihm aber noch nicht als Likör.
Das bedarf der Erforschung …
Kann ich sehr empfehlen. Jetzt geschmacklich, gemeinsam mit Tonic, in Richtung Aperol.
Liebe Frau Nessy,
Wie herrlich Sie schreiben und beschreiben. Ich konnte mich gar nicht satt lesen. Dankeschön!
//*knicks
Eure Durchlaucht, darf sich meine Wenigkeit die Bemerkung erlauben, dass Euer Bericht sich sehr durchlaucht liest, und die Fotodokumentation (samt Lauch im Bild) die Durchlauchtigkeit noch unterstreicht!
Durchlauchter Dank, Eure Leserschaft!
Liebe Frau Nessy,
wieviel Herzenswärme und aufrichtiges Mitfreuen mich nach dem Lesen Ihres Berichtes durchströmt! Es ist so schön, dass Sie uns teilhaben lassen an diesen wundervollen Momenten, man spürt Ihre Freude und Dankbarkeit ob dieser Tage – und ich dachte mir, nach dem Lesen: ich weiß schon, warum ich hier so gerne mitlese. Ich mag Ihre grundsätzlich positive Haltung zum Menschen und den Blick zum Detail sehr gern.
Herzlichst, Daniela
Dankeschön.
<3