Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

#bedforawayfans: Das Netz ist ein guter Ort, wenn wir es dazu machen

12. 4. 2017 13 Kommentare Aus der Kategorie »Milchwölkchen«

#bedforawayfans: The Internet is a great place, if we make it great
(English translation below)

Es ist kurz nach der Absage des Spiels des BVB gegen Monaco, als der Hashtag geboren wird: #bedforawayfans. Drei Stunden später sammele ich V. und seinen Freund P. am Stadion ein.

Es ist bereits mitten in der Nacht, halb zwölf, und die beiden stehen am Remydamm vor dem Gebäude der TSC Eintracht. Straßenlaternen beleuchten sie. Es ist still dort – auf dem großen Parkplatz in der Nähe des Stadions. Er ist leer. Der Wind weht leicht. Sie winken, als ich angefahren komme.

Am Mittag, erzählen sie, seien sie in Paris losgefahren, mit dem Fernbus. Dort wohnen und arbeiten sie. Eine Schande sei dieser Anschlag. Und eine Schande seien auch die Umstände. Nicht einmal das Stadion hätten sie von innen gesehen, denn ihr Bus habe stundenlang im Stau gestanden. Sie seien erst dort angekommen, als alle Leute es schon wieder verließen.

Wir fahren heim zu mir. Natürlich habe ich vorher abgewogen: Allein daheim, als Frau. Ist es da klug, zwei fremde Kerle einzuladen? Aber ich habe Befürchtungen satt, diese ständigen Bedenken, das Immer-vom-Schlimmsten-Ausgehen. Das hemmt einen nur, Tolles und Interessantes zu erleben, und was soll das auch, das ist doch alles Unsinn.

Wir schwatzen ein bisschen über dies und das, aber vor allem sind wir müde. Ich beziehe beiden ihre Oberbetten, P. bemerkt den Kerzenhalter mit den Weinkorken in meinem Wohnzimmer und meint anerkennend, dass ich sicher gerne Wein möge. „Ja,“ sage ich. Aber das, ich deute auf die Korken, sei die Sammlung einiger Jahre Beisammensein mit Freunden. „Bien sûr“, meint P., „natürlich einige Jahre. Und“, in seiner Stimme schwingt das sanfte Vibrato der Ironie mit, „natürlich viiiiieler Freunde.“ Wir verstehen uns.

Natürlich hätten sie heim fahren können nach Paris – mit dem Abendbus, wie geplant. Aber dann hätten sie den ganzen Weg auf sich genommen, ohne das Spiel zu sehen. Und auch ohne das Nachholspiel am nächsten Tag erleben zu können. Sicher: Sie hätten auch ein Hotel nehmen können, theoretisch. Doch bei 3.000 Franzosen in der Stadt, den üblichen Messe- und Geschäftsgästen und wenig Orientierung zu später Stunde – da ist es in der Praxis schwierig, ein Bett zu finden.

Als ich frage, ob die beiden Hunger haben, winken sie ab. Nein, nein, sagen sie. Nur keine Umstände. Und: Sie hätten Chips gehabt und einen Snack im Bus, das genüge für die Nacht.

Keinen Hunger? So kann ich nicht arbeiten. Ich habe Gastfreundschaft in Russland gelernt, da wird aufgetischt, bis sich die Tische biegen. Gäste, die nichts essen wollen? Undenkbar! Aber nun gut. Meine Stunde wird kommen.

Am Morgen hole ich Brötchen und decke den Tisch. Wir halten es unkompliziert: Frühstück an der Kücheninsel. V. freut sich über ein typisch deutsches Frühstück mit Aufschnitt und Marmelade, das sei ausgesprochen prima. Wir sprechen über Fußball und über Marine Le Pen. Über Europa und den Brexit, über Flüchtlinge hier und dort, über die anstehenden Wahlen, über die Auswirkungen auf die Wirtschaft (P. arbeitet bei der Bank und verwaltet Aktienportfolios seiner Kunden), über die Rolle der Medien (V. arbeitet bei einem Fernsehsender als Community-Manager) und wieder über Fußball. Die beiden bekommen Zahnbürsten und eine Dusche. Danach jeder ein Bergmannbier für den Weg, das beste und traditionellste der Dortmunder Biere – natürlich, das muss sein. „Was steht da?“, fragt mich P. und deutet auf das Etikett. – „Harte Arbeit. Ehrlicher Lohn.“ – „That’s me.“ Ich gebe ihnen auch eine kleine Skizze mit Tipps für den Zeitvertreib und mit dem Weg zum Stadion.

Als ich sie in die Stadt fahre, sagen sie: „Vielleicht sind wir heute Abend die einzigen im Gästeblock. Gestern sind so viele Fans direkt wieder abgefahren.“ Sie schauen sich an und schwingen ihre Oberarme. Ich lache. „Geht auf den Alten Markt“, sage ich. „Dort werdet ihr Freunde treffen.“

P. drückt mir ein Kärtchen in die Hand. Dann verschwinden sie in die Stadt.

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*

It was shortly after the match had been cancelled, yesterday evening: Borussia Dortmund – AS Monaco, when the hashtag #bedforawayfans was born. Three hours later I pick up V. and his friend P. at the stadium.

It is already late at night, half past eleven, when they stand at Remydamm in front of the club house of TSC Eintracht Dortmund. Street lights are spending a blunt brightness. It’s quiet and silent out there, at this vast parking space next to the stadium. A smooth wind is blowing. They wave at me when I’m coming closer.

It was noon, they tell me, when they started their bus trip from Paris to Dortmund.  Paris, that’s where they live and that’s where they work. The attack’s a shame, a disgrace, they say. „And it’s also a shame that we haven’t even seen the stadium!“ Their bus had stuck in traffic jams for hours. When they’d finally reached the stadium people were already leaving it.

We go home to my house. Of course, I’d reflected: Alone at home, as a woman. Is it a good idea to host two strangers? But I’m tired of all those fear and doubts, of always considering the worst. Fear is a show stopper in experiencing wonderful und interesting things. The heck with it!

We’re chatting about this and that, but primariliy we’re tired. I prepare their beds, and P. takes notice of my candle holder with the wine corks. Impressed by their number he asks if I like wine.

– „Yes“, I say. But well, I point at the corks, „this is the result of many years with friends.“

-„Bien sûr“, P. answers, and his voice vibrates with the soft timbre of subtle irony, „many years. And a lot of friends.“ We’re getting along.

Of course, V. and P. could have gone home to Paris, could have taken the latest bus from Dortmund back to Paris as they’d planned. But if so, they had made the whole journey for nothing. They won’t be able to see the stadium from inside and they won’t be able to the watch the rearranged match which will take place the next day. Surely they could have taken a hotel room, hypothetically. But with 3.000 French people in town, with the common business and trade fair guests and with little knowledge of Dortmund late at night – with all that it’s difficult to find a hotel room.

I ask them if they’re hungry. They shake their heads. No, they say. No trouble, please. They’ve had chips and a snack in the bus. That’ll be enough for the night.

Not hungry? That’s not the way I work. I once learnt hospitality in Russia. Where they dish up until the table breaks. Guests who don’t want to eat? Impossible! But well. My time is yet to come.

In the morning I go to the bakery and fetch some rolls. We keep it simple: breakfast at the kitchen island. V. says he likes typical German breakfast with meat and jam. We talk about football and Marine le Pen. About Brexit and Europe, refugees here and there, about the nearby elections, about their impact on the economy (P. is portfolio manager at a bank), about the role of media (V. is community manager at a TV station) and about … football. They get some tooth brushes and they take a shower. And they get two bottles of beer for their day in town, Bergmann Bier (Digger’s beer), Dortmund’s best and most traditional beer.

– „What’s written there?“, P. asks and points at the label.

– „For people who work hard.“

– „That’s me!“

They also get a draft with some sightseeing suggestions and the way from the centre to the stadium. When I drive them into town, they say:

-„Maybe we’re the only ones in the visitor’s block today. Many supporters left Dortmund yesterday.“ They look at each other and wave their arms enthusiastically.

I’m laughing.

-„Go to the Old Market“, I say. „There you’ll meet friends.“

P. hands me his business card with a note on the back. Then they disappear in town.

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Kommentare

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  1. Anikó sagt:

    <3
    Und Sie haben so recht mit dem Immer-Bedenken-haben, man beraubt sich selbst so vieler Möglichkeiten…

  2. Kiki sagt:

    Ja. Vergessen wir das nie.

  3. Stör sagt:

    Wenn wir alle in Europa mal die beängstigen Gedanken weg lassen, und nicht ständig das Schlimmste befürchten, dann wird Europa wieder zu dem Ort, den sich die Gründer der EU gewünscht haben.
    Alle Menschen die gestern Abend spontan Obhut angeboten haben, haben das einzig richtige in diesem Moment getan. Punkt.

  4. Mechthild sagt:

    Ganz großes Hachz.

  5. flyhigher sagt:

    Ja. So wird’s gemacht!

  6. fxf sagt:

    Bien joué!

  7. hin & weg sagt:

    Da bekommt mein Blogname mal wieder eine ganz neue Bedeutung: Ich bin hin & weg von dir und deiner Gastfreundschaft! Und man freut sich doch immer selbst am meisten darüber wenn man etwas geben kann ohne etwas zu erwarten – schöö… Außerdem du weißt ja: Man trifft sich immer zweimal im Leben. Ich glaube darauf kannst du dich freuen. Gruß Sylvia

  8. Alexandra sagt:

    Schön, wenn das Konzept nicht aufgeht. Offenheit, Zuneigung und Freundschaft sind so viel erstrebenswerter als Angst und Hass!

  9. Marco sagt:

    „Aber ich habe Befürchtungen satt, diese ständigen Bedenken, das Immer-vom-Schlimmsten-Ausgehen. Das hemmt einen nur, Tolles und Interessantes zu erleben, und was soll das auch, das ist doch alles Unsinn.“

    Alleine hierfür meinen herzlichsten Dank! Ich finde gar keine Worte, die meine Zustimmung so stark ausdrücken können, wie ich sie empfinde.

    Und natürlich auch für die Aktion, die Franzosen aufzunehmen, vielen Dank! Da haben Sie (und natürlich auch viele andere) sehr viel sehr richtig gemacht.

  10. Alwin sagt:

    Es gibt eine Sendung im Fernsehprogramm des Bayerischen Rundfunks, donnerstags spätabends, Ringlstetter. Der Hannes Ringlstetter ist letzten Donnerstag zum ersten Mal überhaupt aus seiner Rolle als Comedian gefallen und hat sinngemäß gefragt, wo wir denn als Land überhaupt hingekommen sind, wenn jemand aus reiner Geldgier und weil er auf Put-Optionen gesetzt hat ein Attentat verübt, und weshalb es da keine Sondersendungen und „Brennpunkte“ gegeben hat.

    Stimmt. Darüber sollte man nachdenken. Nein, darüber MUSS man nachdenken. Terroristen haben wenigstens politische Ziele, aber bomben für ein paar Ziffern auf einem Stück Papier, oder nicht einmal das, flüchtig auf einem Bildschirm oder virtuell auf irgendeiner Festplatte irgendwo auf dieser Welt, da ist der Attentäter zwar krank, aber die Frage stellt sich mir doch, was hat ihn krank gemacht, und ist das die Welt, in der ich gerne leben möchte?

    Hinterher zu helfen und Vertrauen zu beweisen ist gut und löblich, nur: In was für einem Wahnsinnssystem leben wir eigentlich, wenn jemand auf so eine absolut bescheuerte Idee kommen kann? Da ist was faul im Staate, und nicht nur in Dänemark.

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