Zuletzt habe ich selten über Bücher gebloggt. Jetzt geballt die Empfehlungen aus den vergangenen zölf Monaten:
Diane Brasseur: Der Preis der Treue (Hörbuch)
übersetzt von Bettina Bach, gelesen von Ulrich Noethen
Er ist gut situierter Anwalt und verliebt in Alix, die deutlich jünger ist als er. Er liebt aber auch seine Ehefrau. Eines Morgens zieht er sich, dessen Namen wir im Buch nicht erfahren, in sein Arbeitszimmer zurück, um eine Entscheidung zu treffen – und lässt uns im inneren Monolog an seiner Beziehung zu Alix und zu seiner Frau teilhaben. Ich glaube: Dies ist ein Buch, das man entweder mag oder total doof findet. Ich fand’s gut. Mal habe ich Sympathien für den Ich-Erzähler empfunden, mal habe ich gedacht: So ein Arsch. Diese Ambivalenz gefällt mir.
Lisa Genova: Still Alice
übersetzt von Veronika Dünninger
Alice Howland ist Harvard-Professorin und hat frühzeitig einsetzendes Alzheimer. Zunächst fallen ihr Wörter nicht mehr ein, dann verlegt sie Dinge, dann weiß sie auf ihrer üblichen Joggingrunde plötzlich nicht mehr, wo sie ist. Autorin und Neurologin Lisa Genova beschreibt sehr bewegend den Krankheitsverlauf von Alice, ihre Gefühle, ihre Hilflosigkeit, aber auch das, was bleibt, wenn der Geist nachlässt. Ein beeindruckendes Buch. Der Film mit Julianne Moore, Alec Baldwin und Kristen Stewart ist ebenfalls gut. Das Buch hat aber mehr Tiefe.
Daniel Glattauer: Gut gegen Nordwind & Alle sieben Wellen (Hörbücher)
gelesen von Andrea Sawatzki und Christian Berkel
Eigentlich ein alter Hut, aber in 2016 wieder als Hörbuch gehört. Sofort hat es mich wieder gepackt – unglaublich. Emmi Rothner schreibt versehentlich eine E-Mail an Leo Leike, die beiden beginnen einen E-Mail-Dialog, der erst kratzbürstig, dann liebevoll, dann verliebt wird. Na gut: Emmi bleibt immer kratzbürstig, weshalb ich oft „Oaaar!“ und Boah, neee!“ rufe, wenn ich das Hörbuch höre. Trotzdem: die Bücher mit und für Liebe.
Dörte Hansen: Altes Land
Gemein mit ihrer Mutter flieht Vera ins Alte Land nahe Hamburg. Dort kommt sie auf dem Bauernhof von Ida Echkoff unter. Sie erfährt Ablehnung, es gelten andere Regeln als daheim – es wird ein hartes Leben. Fünfzig Jahre später kommt Veras Nichte mit ihrem Sohn auf den Hof. Das Buch wechselt zwischen heute und damals. Ich mag den sachlichen Erzählstil von Dörte Hansen, ihren Blick für die Figuren, die Entwicklung der Geschichte, ohne sich anzubiedern.
Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur
Die Tagebucheinträge des Schriftstellers Wolfgang Herrndorfs („Tschick“), nachdem bei ihm ein Glioblastom, ein Hirntumor, diagnistiziert wurde. Herrndorf schreibt mal bruchstückhaft, mal ausführlicher. Mal hatte ich den Eindruck, er schreibt nur für sich. Mal, dass er sich bewusst an seine posthumen LeserInnen wendet. Er analysiert seine Krankheit, seziert Überlebensraten, begegnet dem Tumor einerseits kühl, andererseits verzweifelt und damit sehr menschlich. Daneben: seine Arbeit, sein Alltag – die Besessenheiten, Dinge zu Ende zu bringen. Eine Konfrontation mit dem Sterben und noch mehr mit dem Leben.
Hjorth & Rosenfeldt: Die Sebstian-Bergman-Krimis
Inzwischen gibt es fünf Bände. In 2016 gelesen: „Das Mädchen, das verstummte“ (Band 4) und „Die Menschen, die es nicht verdienen“ (Band 5). Hauptfigur ist Kriminalpsychologe Sebastian Bergman, ein unnachahmlicher Egoist, für den ich aber inzwischen ein Sympathien hege. Naja, nur ein paar. Aber mehr als in Band 1. In der Kriminalhandlung geht es immer um irgendeine Art von Serienmörder, das ist nicht weiter erwähnenswert. Doch der Wechsel zwischen Krimi und den persönlichen Geschichten der Ermittler kreiert einen schönen Spannungsbogen. Gute Unterhaltungslektüre.
Daniel Speck: Bella Germania
Julia ist Modedesignerin und schafft nach längerer Durststrecke endlich den Durchbruch. Gleichzeitig tritt ein alter Mann in ihr Leben, Vincent. Er berhauptet, ihr Großvater zu sein. Sie geht der Sache auf den Grund und folgt der Geschichte ihrer Familie – und der Geschichte Vincents. Er reiste 1954 als Vertreter von BMW nach Italien. Dort lernt er Giulietta kennen. Eine deutsch-italienische Liebe beginnt. Doch schon früh ist das Glück getrübt. Die Geschichte ist locker runtererzählt, kurzweilig, hat auch etwas Tiefgang. Gute Unterhaltung.
Jan Weiler: Kühn hat zu tun (Hörbuch)
gelesen vom Autor
Ein Krimi mit einem Kommissar, der ein normales Leben hat: Martin Kühn wohnt im Reihenhaus in der Vorstadt, gemeinsam mit seiner Frau und seinen zwei Kindern. Er ist nicht desillusioniert, hat sich allerdings mit einem leichten Seufzen in seinem Leben eingerichtet: mit dem Gehalt, das chronisch zu nierdig ist, und der Tochter, die trotzdem gerne ein Pferd hätte. Dann wird in seiner Nachbarschaft ein toter Mann gefunden. Kühn nimmt die Ermittlungen auf: ohne Extravaganzen, beinahe hausbacken und deshalb so wohltuend. Ich mochte den Roman in seiner Abbildung der Normalität, und die Krimihandlung ist auch solide. Gerne mehr Krimis Martin Kühn, Jan Weiler.
Über Wibke Bruhns‘ Buch über ihren Vater habe ich ausführlich geschrieben. Auch dies eine Empfehlung.
Zu guter Letzt:
Correctiv – Recherchen für die Gesellschaft: Bookzines
Correctiv ist stiftungs- und spendenfinanzierter Journalismus: das erste gemeinnützige Recherchezentrum Deutschlands. Correctiv beschäftigt investigative Journalisten, Datenjournalisten und Programmierer und bereits zahlreiche Preise gewonnen, allein 2015 den Grimme Online Award, den Lead Award, den Deutschen Reporterpreis, den Ernst-Schneider-Preis, den Axel-Springer-Preis – und damit sind noch nicht alle Preise genannt. In ihrem Shop verkaufen die Correctiv-JournalistInnen unter anderem Bookzines mit ihren Recherchen. Als Fördermitglied bekomme ich die Bookzines kostenlos zugesendet. Das ist eine tolle Sache. Im aktuellen Buch „Ziele“ habe ich zum Beispiel die Undercover-Recherche im Pflegeheim und die Geschichte über geduldete und Drogen dealende, afrikanische Einwanderer mit viel Interesse gelesen.
Kommentare
9 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓
Moah! Jetzt muss ich wieder Geld für Bücher ausgeben! Naja, besser als für Kokain oder ähnlich unnützes Zeug ;-)
Was machen Sie während des Hörbuchhörens? Ich komm mir immer so unnütz vor, wenn ich nur auf dem Sofa dabei liege, aber beim Haushaltpuzzlen o.ä. brauche ich eher Musik, worauf ich mich nicht so stark konzentrieren muss. Ein Dilemma.
Ich höre Hörbücher beim Spazierengehen und beim Autofahren. Manchmal beim Joggen, aber das ist stimmungsabhängig. Meist brauche ich da Musik. Zum Einschlafen stelle ich den Timer auf 15 Minuten. Dass er ausgeht, erlebe ich meist nicht mehr.
Danke für die Liste , Dörte Hansen habe ich verschlungen :-), so ein tolles Buch! Jan Weiler als Krimiautor kannte ich noch nicht . Wiebke Bruns ist für mich ein Klassiker ,neulich habe ich ein Interview von ihr gehört und mir geschworen, wieder dieses Buch zu lesen……..
Correctiv ist als Lesezeichen gesetzt !
Ihnen ein gutes Jahr 2017 und ich freue mich auf weiteren Lesestoff
LG
Bettina
Auch ein gutes 2017! Lesestoff wird kommen.
Das alte Land steht auch schon lange auf meiner Liste, ansonsten haben wir einen ähnlichen Geschmack
gute Lesezeit
carlinda
Auch eine gute Lesezeit!
Beim ‚Alten Land‘ bin ich grundsaetzlich mit Ihnen einig, ich habe es gern gelesen – allein die Darstellung der ‚typischen‘ Staedter mit allem New Age Schischi fand ich auf die Dauer ein wenig anstrengend. Dass es da einen Gegensatz gibt haette man auch subtiler bauen koennen, denke ich (aber vielleicht fehlt mir da auch nur der Einblick in eine Wirklichkeit, die man lieber gar nicht sehen will).
Ansonsten: Danke fuer die vielseitigen Tipps – Zeit den Stapel wieder ein wenig zu erhoehen.
Das „Altes Land“ an der Stelle klischeehaft ist, ist mir gar nicht so negativ aufgefallen. Nur, dass der Kontrast halt etwas konstruiert ist. Da hätte der Generationenunterschied schon ausgereicht.
Ich kenne nichts davon, außer „Arbeit und Struktur“, aber das fand ich richtig gut. Mich hat z.B. nachdenklich gemacht, was er über Margot Käßmann und ihre Einstellungen zur Sterbehilfe gesagt hat.