Montagsmorgens habe ich nun immer einen Termin: Ich gehe turnen. Im Fitti, mit einer Begleitung.
Meine Begleitung, nennen wir sie Richard, steht ebenso wie ich zwischen zwei Jobs. Im Gegensatz zu mir ist er bis zum Stellenwechsel kein Teilzeit-, sondern Vollzeitrentner – und hat deshalb Bedarf an regelmäßigen Vormittagsterminen, damit er weiß, wo ihm der Kopf steht. Vor lauter Freizeit.
Als Inhaberin eines Serviceblogs bin ich gerne bereit, ihm unter die Arme zu greifen. Wir treffen uns also immer Montagsmorgens, um aktiv und dynamisch in die Woche zu starten.
Unsere Dynamik wird von den zahlreich anwesenden, tatsächlichen Rentnern beflügelt. Um 10 Uhr morgens reißen wir den Altersschnitt im Fitti rasant nach unten, 70 Prozent der Anwesenden sind über 70. Das Generationenturnen ist prima:
Die Rentner bekommen etwas zu gucken und zu bereden, denn die älteren Damen freuen sich über Richard, die älteren Herren über mich, rein optisch zunächst, das ist ganz offensichtlich, aber auch inhaltlich. Sie beziehen uns gerne in ihre Gespräche ein. Es geht um Erfahrungsaustausch zwischen den Generation und darum, was man noch alles kann und was man damals konnte, wie ich das in meinem Alter mit dem Fahrradfahren halte, ob ich schon durch die Ardennen geradelt sei – nein? „Das solltest du tun, ich habe das damals gemacht, aber pass auf deinen Hintern auf, meiner brannte wie Feuer“, sagt er, wohingegen sie erwidert, ich solle besser wandern, aber nicht mit dem Partner, das gebe nur Knatsch, „mein Mann lief mir immer einen Kilometer voraus, jetzt ist er tot, damals hat die Wanderei fast zur Scheidung geführt, lass dir sich das einen Rat sein.“
Im Gegensatz zu den Feierabendsportlern, die allabendlich verbissen ihr Pensum abstrampeln, sehen die Rentner das Fitti eher als Begegnungszentrum. Ihre Muße überträgt sich auf mich, auf Richard und auf alle Anwesenden. Selbst Vormittags-Pumper, die vereinzelt im Hantelbereich stöhnen, beteiligen sich an Themen, die ich ihnen nie zugetraut hätte. Zuletzt tauschten sich zwei Maximalbemuskelte mit zwei Rentnerinnen zum Thema „Badeperlen“ aus, welche duftiger und welche schaumiger sind, für Erwachsene und für Kinder und für samtene Haut.
Wir stärken die Bauchmuskeln und reden dabei weiter – über Zaunaufbau, Bauarbeiten („Mein Sohn baut sich ein Dach über die Veranda“), und über den Kita-Streik, der die Rentner ebenso hart trifft wie Eltern, weil sie seit Wochen ständig auf ihre Enkel aufpassen müssen – was sie natürlich gerne tun, aber anstrengend ist es schon. Um die Aufpasserei in Zukunft durchzustehen und damit sie sich auch in einem Jahr noch in einen Sandkasten hocken können, halten sie sich im Studio fit – und müssen nun in die Beinpresse.
Ich verabschiede mich nach Hause, in den Garten. Das Gespräch setzen wir kommende Woche fort, morgens um 10. Denn das Leben braucht Struktur und einen dynamischen Wochenstart.
Kommentare
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Das ist so süß! Ich weiß schon, warum ich mich gerne mit den älteren Herrschaften unterhalte :-)
Und ja, die eigene Freizeit zu strukturieren ist schon eine Aufgabe … Fragen Sie mich mal, die (unfreiwillig) nur noch halb arbeiten kann *seufz*
Zugegeben, es gibt schlimmere Herausforderungen im Leben. Es geht mir leicht von der Hand. Und es eröffnet tatsächlich neue Einblicke. In das Leben von Rentnern zum Beispiel.
Ich sollte auch mal über das Thema „Donnerstagmorgen bei Aldi“ bloggen.
„Süß“ finde ich ganz schrecklich in dem Zusammenhang. Meine fast Erwachsene Tochter berichtete auch gern von der „süßen Omma“ mit der sie sich unterhalten hatte. Ich finde ja, dass „süß“ diese Omma (und die Rentner in Ihrem Beitrag) damit mit süßen Kleinkindern gleich stellt. Wie putzig, dass sie REDEN können! Finde ich doof.
Ich möchte keine süße, leicht debile Omma sein, wenn ich ins Rentenalter komme. Ich will ernstgenommen werden!
Danke für den Einwand. So habe ich Anikós Satz nicht empfunden, und ich kann mir vorstellen, so war er auch nicht gemeint. Aber ich kann nachvollziehen, dass man den Kommentar und den Post so interpretieren kann.
Ich finde es in der Tat prima, wenn die Leute sich mischen – völlig ernsthaft und unsüß. Durch andere Lebenswelten und Tagesabläufe ist das leider oft nicht gegeben – oder man trifft sich nur in beruflichen Situationen, niemals privat. Gilt übrigens nicht nur für Alt und Jung, sondern auch für Leute mit unterschiedlichen Ausbildungen.
Das „süß“ kommt mir nicht generell mit älteren Damen und Herren in den Sinn, die werden so von mir bezeichnet, voller Respekt und nicht als „süße Omma“. Süß dachte ich bei den beiden Maximalbemuskelten und den Badeperlen :-)
Ich war ja vor einigen Jahren längere Zeit in mehreren Krankenhäusern und lag dort öfter mit älteren Damen im Zimmer und fand es immer ganz furchtbar, wenn Pflegekräfte oder gar die Kinder der Damen, sie wie Kinder behandelten. Ich habe immer versucht, und hoffe auch geschafft, sie gleichberechtigt und respektvoll zu behandeln.
Ich bin sicher, dass meine Vorrednerin das gar nicht so gemeint hat und Ihren Beitrag habe ich auch richtig verstanden. Mir ist die Haltung gegenüber Senioren von jungen Menschen schon öfter begegnet und meine Tochter zB reagierte auch zunächst erstaunt, aber dann verständnisvoll, als ich ihr mein Empfinden zu ihrer Wortwahl beschrieb. Macht der Worte und so :-) Es zeigt, wie fern die „Welten“ sich manchmal sind, wenn junge Menschen so erstaunt und gerührt über die Gedanken und Meinungen von älteren Menschen sind und wie wenig selbstverständlich der ungezwungene Kontakt mittlerweile ist.
Ich selbst tanze zB in einer Linedance-Gruppe mit einer Altersrange von 25 bis 75. Ich stehe Altersmässig in der Mitte, bei den einen bin ich der Junge Hüpfer, bei den anderen schon jenseits von Gut und Böse :-) Es ist sehr bereichernd, mit allen Altersgruppen zu reden und ein gemeinsames, verbindendes Hobby zu haben. Es öffnet den Blick, finde ich.
Da merkt man plötzlich, dass man durch berufliche Eingebundenheit von anderen gesellschaftlichen Gruppen abgekoppellt ist und nicht mehr weiß, wie sie denken, was sie tun.
Dafür sind Vereine ganz gut, da ist manchmal ein wildes Gemische aus Berufen und Altern. Wir haben jetzt zwei Ingineure im Vorstand, unglaublich pragmatisch, wortfaul und allem Kreativen abgeneigt, zuerst.
Wir von der pädagogischen Abteilung haben uns erst geschüttelt, und wurschdeln uns aber mit der Zeit zusammen.
Jawohl! Für den Blick über den Tellerrand!
Leider braucht es dafür etwas, das vielen Leuten abgeht: Zeit und das Verlangen, den Blick dafür auch zu suchen. Und je mehr man im Alltag gefangen ist und nicht z.B. über Vereine, Freiwillige Feuerwehr oder irgend einen anderen Anknüpfungspunkt Kontakt mit der „anderen Welt“ hält passier im echten Leben genau das, was man auch online hat: Eine Filterblase mit allen positiven und negativen Effekten.
Ein schön geschriebener Artikel, Frau Nessy – vielen Dank!
Viele Grüße,
der Ponder
Ein Verein ist sehr hilfreich, da schließe ich mich an. Es gibt so unterschiedliche Leute dort, die (erstmal) nur über ein Hobby verbunden sind, das ist prima.
Zeit ist definitiv wichtig, um den Blick zu öffnen, aber man muss es auch wollen. Einfach mal den Leuten zuhören, die man so trifft, hilft. Ich habe auch nicht immer die Zeit, Muße oder Lust dazu, aber meiner Erfahrung nach ist es schon ein guter Schritt, einfach aufgeschlossen zu sein. Der Rest ergibt sich meist.
Bei den Ardennen war mein erster Gedanke: Da kommt jetzt ein gut abgehangener Spruch im Stil von „Seien Sie froh, dass Sie mit dem Rad da fahren könnten, wir mussten damals die Ardennen zu Fuß überqueren. Mit vollem Sturmgepäck. Das Schicksal der Infanterie. Benzin für die LKW war ja längst knapp.!“
Naja, don’t mention the war! Ach nee, das war was anderes…
Dafür sind die Beteiligten zu jung. Anfang, Mitte 70, geboren ab 1940 – da war noch nichts mit Sturmgepäck, schätze ich. Zumindest nicht in diesem Krieg.