Jeder wünscht sich eine Erbtante.
Es gibt Leute, die haben tatsächlich eine. Armin zum Beispiel, ein Freund von Freunden, der am Samstagabend auf einer Party wieder einmal ihre Geschichte zum Besten gab.
Die Tante, genauer gesagt die Großtante, wohnte in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Berlin – leidlich bescheiden auf 250 Quadratmetern. Allein das Wohnzimmer hatte 100 Quadratmeter – ein Tanzsaal. Jahrzehntelang hat sie als Buchbinderin geschafft, auch mit 80 Jahren noch. Die Firma war ihr Leben. Mehr als 100.000 Kilometer fuhr sie im Jahr durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, um Geschäfte zu machen.
Weil sie Spaß an schnellen Motoren hatte, kaufte sie sich mit Ende 70 noch einmal einen neuen Wagen: einen Ferrari. Der Wagen war mehr als prollo, leuchtend gelb, und die PS-Zahl nötigte sie dazu, öfter mal die Geschwindigkeit zu überschreiten. So auch einmal auf der Avus, als sie mit ihrem Großneffen Armin unterwegs war und ein mobiles Blitzgerät sie erwischte. Kurzerhand fuhr sie rechts ran und befehligte ihm: „Nimm den Bolzenschneider aus dem Kofferraum und pack das Ding ein!“ Denn den Führerschein zu verlieren, das konnte sie sich als Geschäftsfrau nicht leisten.
Als Armin, wohl auch aus Unglauben, zu langsam reagierte, herrschte sie ihn an: „Soll ich das etwa machen? Ich bin 79! Ich kann das Ding nicht heben.“
So durchschnitt Armin das Kabel des Blitzgerätes und trug es in den Kofferraum des Ferrari, ehe die Polizei, die in einem Bus im Gebüsch saß und gerade Kaffee trank, etwas bemerkte. Ab diesem Zeitpunkt stand neben vielen Büchern auch ein Blitzgerät in ihrem Tanzsaal.
Als ihre Augen schlechter wurden, verkaufte sie erst die Buchbinderei. Dann musste der Ferrari weg, denn was sollte das Auto herumstehen. Doch wer kauft solch einen Wagen, noch dazu in leuchtend Gelb, und bezahlt – nur Bares ist Wahres – direkt auf die Hand?
Sie zog ihr bestes Kleid an, fuhr zu diversen Puffs, klopfte dort an und sagte, sie habe ein Angebot für den Chef, ob er mal kurz rauskommen könne. Sie präsentierte den Wagen, sagte, was sie dafür haben wolle. Es brauchte nur wenige Besuche, dann war das Auto verkauft.
Weil das letzte Hemd keine Taschen hat, ging sie vor zwei Jahren, mit über 90, noch einmal auf Weltreise. Ihre letzte Karte bekam Armin aus Tonga. Kurz danach starb sie – irgendwo im Südpazifik. Heute ist sie in Berlin begraben, in der Nähe ihrer ehemaligen Wohnung.
Leider hatte sie dort nur zur Miete gewohnt – mit einem Mietvertrag aus dem Jahre 1946 und einem Mietpreis von etwas über drei Euro pro Quadratmeter. Der Ferrari war verkauft, und auf der Weltreise hatte sie einen Großteil ihres Geldes durchgebracht. Das Wertvollste, was Armin also bleibt, ist die Erinnerung an sie. Und ein Blitzgerät.
Kommentare
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„Armins Tante“
Das wäre doch für Inge Meysel DIE Paraderolle gewesen.
Nee, für Christel Peters.
Die hat’s genau richtig gemacht! Das nenne ich das Leben leben!
Das ist ja eine geniale Frau gewesen. Erinnert mich an die Maude ;)
Es ist doch schön wenn man sein Leben LEBT ;-)
Werd‘ ich doch glatt fast neidisch…
Alles richtig gemacht, die Gute!
Auf dem Weg in die nächst größere Stadt kommen wir an einer Nuß-Plantage vorbei: zwei Fußballfelder voller Walnussbäume. Der Urgroßvater muß sie angelegt haben für seine Nachkommen, damit diese durch den Verkauf der Ernte immer ein Zubrot haben. Er selbst wird an den kleinen Setzlingen wohl nur die Arbeit der Aufzucht gehabt haben.
Heute ist der Großteil der stattlichen Bäume umgefallen, krank, kaputt. Die Nachkommenschaft empfand diese Plantage offensichtlich nur als Belastung. Dieser Bauer hätte wohl nicht über seinen Tod hinaus denken brauchen – so wie Armins Tante.
Dabei kann man aus Nüssen so gutes Öl machen.
das ende der geschichte war leider vorhersehbar – als buchbinder konnte man noch nie große reichtümer verdienen, dafür hätte man etwas anständiges lernen müssen (kleine gehässigkeiten zwischen den berufszweigen gehören zum druckgewerbe ;) )
Für einen Ferrari und eine Weltreise hat’s gereicht.
wunderschöne Geschichte.
Allein diese Geschichten sind mehr Wert als jedes materielle Erbe. So bleibt man wahrhaftig in Erinnerung…und wer hat schon einen Blitzer im Wohnzimmer stehen…? :-)
Made my Day!
Die Frage ist nur: Was mache Armin damit? Und: Wie wird er ihn wieder los? Einfach beim Bringhof abgeben, wirft Fragen auf.
Ich mag Armins Tante. Und ich hätte gerne Armins Gesicht gesehen, als er merkte, dass seine Erbtante nicht viel zum vererben hatte ;)
Ach, erstens würde ich mal sagen, Armin hat das sicher schon gewusst. Und zweitens ist Armin auch sicher der Meinung, dass es Tantchens gutes Recht war, ihr Geld selbst zu verprassen.
Man weiß es nicht. Ich weiß es zumindest nicht. Wenn du besagten Armin kennst, dann weißt du es natürlich besser als ich.
Eine sehr schöne Geschichte! Bewundernswert die Tante! Lustig, wie Sie Ihren Ferrari verkauft hat! Und toll, dass Sie in Ihrem Alter nochmal auf Weltreise gegangen ist!
Die Verkaufsstory zum Ferrari finde ich auch am besten.
ich hatte eine Erbtante, das heißt, ich hab sie immer noch.
Als sie in Altenheim umgezogen ist, hat sie mir ihren halben Hausstand vermacht, vom Staubsauger zum Salatbesteck.
Das war sehr praktisch, weil ich damals gerade einen Haushalt eröffnete.
… war lange nicht bei ihr …
Sie freut sich bestimmt, Sie zu sehen.
Eine Lebensgeschichte, die nach einer Verfilmung schreit… In meiner Sippschaft gibt es fast nur das gegenteilige Syndrom: Meine Grosstante zum Beispiel hat nie auch nur eine kurze Reise gemacht, obwohl sie sich das durchaus hätte leisten können. Sie trägt mit 96 die selben Kleider wie mit 56, vermutlich auch die selben wir mit 21. Sie ist alt, gebrechlich und war in ihrem ganzen Leben noch nie in einem Spital. Sie möchte dort sterben, wo sie ihr gesamtes Leben verbracht hat. Ich wünsche mir inständig, dass sie eines Morgens einfach nicht mehr erwacht.
Liebe Grüsse,
Änni
Solch eine Großtante wie Sie haben bestimmt viele. Hosen hat sie nie angezogen, oder? Es gibt viele ältere Damen, die ich nur in Röcken kenne.
Was anderes: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass ich seit den Heldinnen in Strumpfhosen im Google-Reader keine neuen Artikel Ihres Blogs mehr angezeigt bekomme? Ich dachte schon, Sie seien auf der Hochzeit nachhaltig versackt.
Eine Erbtante hätt ich auch gerne, vor allem wenn sie mir so reizende Dinge wie abgesägte Blitzapparaturen hinterlassen hätte. Mir hat meine bigotte Großmutter väterlicherseits lediglich zwei Kartons voller Rosenkränze, Madonnenfigürchen, Bibeln und Heiligengeschichten vererbt, die wollte noch nicht mal wer auf dem Flohmarkt haben.
Für das Feed-Problem habe ich leider keine Lösung. Da ich das Blog auch nicht selbst hoste, sondern WordPress das für mich tut, habe ich auch keine Abhilfe. Bei mir selbst funktioniert mein Feed übrigens. Einfach mal neu abonnieren?
„Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.“ Mark Twain
„Ein Blitzgerät kann man schon mal brauchen.“
Maya
Was ist das für eine wundervolle Geschichte!… Ich schließe mich etlichen Vorkommentatoren/innen an – das ist DER Stoff für ein Buch bzw. Drehbuch!
Schön. Erinnert mich an die Zahnärztin. Immer gearbeitet, Porsche, Riesenhaus (1200 qm, weiss ich genau, wir haben’s entrümpelt), wegen Efeu quasi abbruchreif. Erben lechzend, aber wo war das Geld?! Dann fanden wir den Briefwechsel mit dem wesentlich jüngeren Liebhaber. Und die Kontoauszüge. Ok, er hat sie wohl ausgenommen – aaaber – sie hat’s genossen. Gut für sie. Daher die gute Laune. Immer. Übrigens war ich nicht mit ihr verwandt. Sie hat sich aus irgendeinem Grund gewünscht, dass Nicht-Verwandte sich um den Nachlass kümmern. Wirklich und wahrhaftig aus Freundschaft.
Armins Großtante hatte bestimmt auch einen Lover. Ich würde es ihr zutrauen.
Meine Tante lechzt und geifert nach dem Erbe ihres Vaters, mit dem sie seit Jahren kein Wort mehr gesprochen hat. Ihm den Kontakt zu seiner Enkelin verboten hat. Nicht auf seiner Beerdigung war.
Drei Tage danach hat sie bei den Ämtern nach dem Erbschein gefragt.
Tausche Tante gegen Armin!
Im Emsland gibt’s eine Redensart, die sinngemäß so geht: Die Familie wird gefragt, ob sie sich verträgt, und sie antwortet glaubwürdig mit „Ja!“; daraus zieht der Fragende den Schluss: „Denn hefft Ihr noch nich gedeeld (geteilt, geerbt)!“ Das trifft wohl nicht nur im Emsland zu…
Mein Schwager hat vor kurzem von seiner Erbtante einen SLK geschenkt gekriegt, da dieser schon 5 Jahre alt war – also zu alt für ihre Ansprüche – und „dafür kriegt man doch nichts mehr!“. Tja, reiche Tanten muss man haben… Nun ist meine Schwester schwanger und das Auto daher bald unbrauchbar, aber bis dahin ein tolles Geschenk!
Das Kind passt aber doch rein, in den SLK, oder? Muss halt der Mann zu Hause bleiben.
Vielleicht tut’s auch ein Anhänger…
Pssst, Frau Nessy… der SLK ist ein reiner 2-Sitzer :-)
LG von der SLK-Fahrerin
xeena
schöne Geschichte! Ich glaube, Armin hat dafür viele tolle Erinnerungen an seine Tante geerbt, das kann auch nicht jeder sagen.
Eine Wundervorlle Geschichte, Frau Nessy! Vielen Dank, dass Sie diese mit uns Lesern teilen!
Und ja, die Erbtante wäre wirklich eine Paraderolle für Inge Meysel gewesen :-)
wow. was für ein vorbild. das ist die sorte erbtante, die ich gerne mal werden möchte.
Wenn es genau aufgeht und nichts bleibt außer wunderbaren Erinnerungen, hat man es richtig gemacht und bekommt einen Smiley auf den Grabstein.
Einen zwinkernden.
Ich kann mir für die Erbtante nicht Inge Meisel vorstellen. Zu ihr passt kein Ferrari, obwohl sie eine taffe Frau war.
Brigitte Mira wäre die bessere Besetzung :-)
Die wenigsten potentiellen Erben haben dafür Verständnis, wenn Oma, Mutti oder Erbtantchen ihre Kohle mit einem jüngeren Liebhaber oder mit einem Ferrari durchbringen. In den meisten Fällen kommt dann der Versuch, ihr einen Betreuer zu verpassen.
Leider. Ich kann gar nicht nachvollziehen, wieso jemand annehmen könnte, er (sie) habe einen größeren Anspruch am Vermögen als der (die) Eigentümer(in).
Gieriges Pack.
Trotzdem: tolle Geschichte. Ist sie wahr ? :-)
Lieben Gruß :-)
Ich kann es auch nicht nachvollziehen habe es aber selbst erlebt, gerade von denjenigen von denen man es am wenigsten erwartet hätte: Erbstreitereien sind was Schlimmes. Allein aus diesem Grund ist es das Beste das Vermögen selbst aufzubrauchen.
Und auch selbst erlebt: Wenn jemand geht, der einem nahe steht, dann vermisst man vieles was man vorher kaum oder als Selbstverständlich wahrgenommen hat – aber bestimmt nicht das Vermögen des/der Verstorbenen.
Wie auch immer: schöne Geschichte.
Das Schönste, was man erben sind, sind doch meist die Gegenstände, die man eng mit der Person verbindet: Alltagsgegenstände, Möbel, vielleicht Schmuck. Materiell sind die Dinge oft von überschaubarem Wert.
Dann soll der Armin doch das Blitzgerät doch einfach auf Tantes Grab schrauben. Das würde ihr bestimmt viel besser gefallen als irgendwelche Engelchen oder was sonst so Gräber zu schmücken pflegen. Und er selbst wäre das Ding los.
Hervorragende Idee. Ich weiß zwar nicht, was die Friedhofsverwaltung dazu sagt, aber das ist erstmal zweitrangig.