Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

So ein romantischer Typ

12. 11. 2011 41 Kommentare Aus der Kategorie »Lebenslage«

Vielleicht liegt’s an der Strecke.

Vorher bin ich Bus gefahren, am Rand der Stadt entlang, da kam es nicht so oft vor. Jetzt fahre ich mit der U-Bahn mitten hinein. Der neue Job liegt in der Innenstadt. Ich nehme immer die Linie in Richtung Hauptbahnhof. Da geht was.

Als ich heute aussteige und zu den Rolltreppen gehe, steht Amy Winehouse in dick vor mir. Mit toupiertem schwarzen Haar, derangiertem Make up und einer riesigen, Baby-Elefanten verschluckenden C&A-Tüte. „Ööööh“, macht sie, als sie auf mich zuläuft. „Entschuldigen Sie, ja?“ Sie hat einen französischem Akzent, und ihre Stimme geht am Satzende merkwürdig nach oben. Als trete man auf eine Maus. „Wie komme isch nach Düsseldorf?“

„Dafür müssen Sie zum Hauptbahnhof“, sage ich.
„Ist ‚ier nischt der  ‚Auptbahn’of?“
„Nein. Hier ist die U-Bahn.“
„Wie komme isch zum ‚Auptbahn’of?“
„Sie steigen dort vorne in die Bahn, die gleich kommt. Eine Station.“
„Eine Station nach Düsseldorf?“
„Nein. Zum Hauptbahnhof. Dort steigen Sie aus und gehen hinauf in den Bahnhof.“

Eine Bahn fährt ein. Die könnte sie nehmen. Sie könnte jede nehmen, denn von hier aus fahren alle den Hauptbahnhof an. Stattdessen fallen ihre Schultern herab und sie blickt mich an wie ein trauriges Kalb.

„Weißt du, isch bin rausgeflogen bei meine Freund. Isch bin obdachlos. ‚Abe nur das ‚ier“, sie hält die C&A-Tüte hoch, „mit alle meine Kleidung. Ist nur eine Mantel und Stiefel drin und ein bisschen Lingerie. Die ‚at er mir geschenkt. Aber ‚at er nischt gekauft. ‚at der geklaut. Bei C&A.  Für misch.“
„Und er hat eine Tüte dazu gekriegt?“
„Er ‚at mir alles geklaut, was isch ‚aben wollte. Er war so eine romantische Typ. Unglaublisch romantische Typ. Aber jetzt ‚at er eine andere. Eine Schlampe. Jetzt klaut er für diese Bitch.“
„Da kommt wieder eine Bahn. Die könntest du nehmen.“
„Isch ‚abe ‚ier gewohnt, drei Monate. Bei meine Freund. ‚abe sonst keine Wohnung. Nur in Leverkusen, eine WG. Dort ist meine Wohnung mit Freunden. Und in Düsseldorf. Wo gehe isch nach Düsseldorf?“
„Du musst zum Hauptbahnhof. Mit der nächsten Bahn. Nächste Station.“
„Dort ist Düsseldorf?“
„Nein, dort ist der Hauptbahnhof. Dort fährt ein! Zug! nach! Düsseldorf!“
„Jetzt verste’e isch.“
Hoffen wir das. „Schön. Guck. Da. Eine Bahn. Die kannst du nehmen.“

Sie guckt mich an, guckt die Bahn an, guckt mich an und rennt los. Ihre C&A-Tasche schlägt ihr gegen die Beine.

Kommentare

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  1. ist das die mit die bier wo hat so schoen geprickelt in die bauchnabel ? dann heisst der kerl harald..

    1. Nessy sagt:

      Es vermittelte den Anschein, als habe sie eher Schnaps in in ihrem Bauchnabel.

    2. Frau Vorgarten sagt:

      Schnaps? Im Bauchnabel?
      Woran merkt man denn das?
      (ich dachte bisher, Schnaps sei eher für die innere Anwendung…)

    3. na dann isser wenigstens desinfiziert …der nabel

    4. Nessy sagt:

      @Frau Vorgarten: Der Checker kann den Alk dann rausschlürfen.

  2. Du erlebst Sachen … arme Frau…

    1. Nessy sagt:

      Fahren Sie Bahn. Dort findet das Leben statt.

  3. strike sagt:

    Na also: Es gibt sie noch, die Prinzen mit dem (geklauten) Gaul …

    1. Nessy sagt:

      So habe ich das noch gar nicht gesehen.

  4. was für eine Story! ich hätte die Geduld verloren.. ;)

  5. ich möchte bitte einmal solche Dinge erleben wie sie geschätzte Frau Nessy! Vielleicht sollte ich mal weg hier vom Land in die Stadt und ein bisschen U-Bahn oder S-Bahn fahren?!

    1. Nessy sagt:

      Ob man solche Dinge unbedingt erleben will – und dann in dieser Fülle, ich weiß ja nicht.

  6. I. sagt:

    Ohaua-haua-ha…
    da weiß ich ja gar nicht, was ich zuerst empfinden soll: Mitleid für Sie oder sie? Genervt sein? Lachen? Weinen? Und ja, ein bisschen Hilflosigkeit ist auch dabei…
    Wobei man nicht unbedingt in einer großen Stadt leben muss, um so denkwürdige Momente zu erleben. Regionalbahn ist da auch ganz nah dran, besonders im Fahrradabteil, wo sich mehrere Leute gegenüber sitzen können.
    Fährt diese Regionalbahn dann auch noch Richtung Kegelklub-Mekka Norderney, dann wird’s ganz sch(m)erzhaft.
    Hach, irgendwie mag ich Ihre Geschichtchen…

    1. Nessy sagt:

      Die Kegelklub-Bahnen kenne ich von Zugfahrten ins Sauerland. Frauen mit Pinnchen um den Hals, Männer mit Dosenbier, das Abteil riecht wie eine Schnapsbrennerei und aus dem Ghettoblaster singen Andrea Berg und Wolle Petry ihre schönsten Lieder.

  7. Zaphod sagt:

    Scheinbar hatte ich bisher völlig falsche Vorstellungen von Romantik. Ich geh dann mal Einbruchswerkzeug kaufen…

    1. Nessy sagt:

      Das hängt auch ein bisschen davon ab, wer Ihre Zielgruppe ist, frauentechnisch.

  8. FF sagt:

    Glaub‘ ich ihr nicht… Die erzählt einen Film.

    Es gibt da einen (eher seltenen) Menschenschlag: Märchenerzähler.

    Hatte im Sommer auf der A 3 (von Würzburg bis Bonn) ein Musterexemplar auf dem Beifahrersitz. Dreiteiler, Krawatte, Staubmantel, Ledermappe, teure Brille/Uhr/Schuhe. Gepflegter Managertyp, Mitte fünfzig. Stimmig.

    Sein Auto sei gestohlen. Dienstwagen. Mit allem. Geld, Handy, Laptop (vielleicht auch E-Reader). Den Schlüssel hatte er noch. Audi A 8.

    Vier Stunden dezenter small talk. Seine Firma, Job, Familie, Verein, Hobbies.

    Bonn Hbf. steigt er aus, will mit dem Zug zu seinem Termin. Ob ich ihm Geld für’s Ticket leihen könne. Er zeigt mir seinen Ausweis, drückt mir eine Visitenkarte in die Hand. Ich laß‘ mich breitschlagen.

    PS.: Nie wieder was gehört. Ausweis und Visitenkarte seien wohl gefälscht, sagt die Polizei. Die Firma exisitiert nicht. Der Typ offiziell auch nicht. WTF?

    1. Nessy sagt:

      Mmmh. Aber was hat er davon? Er wird mitgenommen, okay, und kriegt ein paar Euro fünfzig fürs Ticket. Aber dafür der Aufriss?

      Obwohl – wenn man öfters reist, lohne es sich vielleicht …

  9. jpr sagt:

    Hoffen wir, dass sie nicht von der Tasche verschulcjt wurde (Baby-Elefanten verschluckend – grossartig).
    Fuer uns anderen ist es ein Hinweis, was man in selbstgebastelte Adventskalender fuellen kann: Glasschneider, Brechstangen oder aehnlich ‚vielfaeltig‘ einsetzbares Werkzeug. Eben ganz romantische Dinge.

    1. Frau Vorgarten sagt:

      au ja.
      letztes Jahr hatte ich Türschlossenteiser* drin, aber das eröffnet ja völlig neue Horizonte.

      * = zur großen Begeisterung der Person, die den AK. gekriegt hat. Die hatte da sonst immer nur Nippes drin und Süßigkeiten.
      Aber nicht bei mir!!

    2. Nessy sagt:

      Ich habe letztens erst ein Haushaltszangenset gekauft, Damengröße. Perfekt zum Anschneiden von Kleingehölz und zum Durchzwicken von Gerberadraht.

    3. jpr sagt:

      Zangen. Das ist allerdings sehr multifunktional. Aber nicht sehr ueberraschend, wenn man es formnah einpackt. ;)

  10. Ellala sagt:

    Also in Anbetracht der Tatsache, dass ich auch wirklich, wirklich oft U-Bahn fahre, in einer wirklich, wirklich großen Stadt, frage ich mich: Ist bei Ihnen der Anteil bekloppter/interessanter Menschen (noch) höher ODER sind Sie einfach das Licht für diese Motten?

    1. Frau Vorgarten sagt:

      Licht für die Motten.
      Ganz sicher.

      (Weswegen sonst sollten wir alle uns hier immer wieder einfinden?)

    2. Nessy sagt:

      Ich habe mich das auch schon gefragt. Ganz ernsthaft. Entweder fahre ich immer genau zu den Zeiten, in denen auch dieser Schlag Leute unterwegs ist. Oder ich habe ein solch vertrauenswürdiges Gesicht, dass mich alle anquatschen.

    3. Nihilistin sagt:

      @ellala: Ich denke, wir sind einfach nur nicht so aufmerksam wie Frau Nessy. Ich vermutlich, weil ich keinen Blog schreibe. Viel U-Bahn in großer Stadt (Berlin), und ich denke ich erlebe ähnlich viel. Bin nur viel unaufmerksamer. Frau Nessy hätte die Stories der 3 Teenagermädels nach Sylvester („Ey isch hab krasse Schreckschusspistole gehabt und durch die Straßen gefeuert“) oder die der obdachlosen Bettlerin, die JEDEN Morgen heulend-plärrend die Leute anschnorrte und ihr Heulen-Plärren direkt beim Aussteigen wieder abstellen könnte, sicherlich in total spannende Geschichten verbloggt. Ich bin da unbegabt.

    4. Nessy sagt:

      Vielleicht, ja. Manchmal weiß ich sofort nach einem Ereignis: Das blogge ich. Manchmal denke ich mir auch: Scheiße, dass du das jetzt nicht bloggen kannst.

  11. to sagt:

    solche tiffen gibt’s. ich kenne ja so einen typen, der mir schon in verschiedenen städten begegnet ist, wirklich. vollkommen durchgeknallt, aus dem bayerischen wald, honigverkäufer. vielleicht poste ich mal was zu dem…

    1. Nessy sagt:

      Ich kenne nur einen Straßenmusikanten, der mir immerzu in verschiedenen Städten begegnet. Ich glaube, er verfolgt mich.

  12. die U-Bahn: hier treffen sich eben alle schichten;)

  13. Liebe Frau Nessy!
    Bei der Beschreibung der jungen Dame musste ich aufhorchen. Ich versichere Ihnen: Die habe ich gestern Abend auch gesehen! In der U-Bahnstation Südtiroler Platz in Wien. Das liegt nur eine Station entfernt vom Wiener Südbahnhof, der zur Zeit eine einzige Baustelle und außer Betrieb ist. Mein Gott, was hatte ich für ein Glück, dass sie mich nicht nach dem Weg nach Düsseldorf gefragt hat! Ich hätte ihr nicht einmal den komplizierten Weg zum Ausweichbahnhof erklären können und die C&A-Tasche muss Sie unterwegs verloren haben.
    Auch Ihre Wegbeschreibung scheint demnach nicht wirklich durchgedrungen zu sein …

    1. Nessy sagt:

      Sie hat es bis nach Wien geschafft? Respekt! Ich hätte gewettet, sie fährt die nächsten zwei Stunden im Kreis.

  14. Super lustig!!! Ich lach mich tot!!! :)

  15. Aber die ´erkunft der Tüte bleibt im Dunkeln, ööh? Isch wette, er war gar keine Romantiker. ´at er die Lingerie niischt geklaut sondern ´eimlisch bezahlt, der Schuuft!

    1. Nessy sagt:

      Weiß isch nischt, wo’er die Tüte kommt. Viele ungeklärte Rätsel begleiten meine U-Bahn-Fahrten, oui.

  16. rudyratlos sagt:

    Amy Winehouse in der fülligen Version ergibt doch Beth Dito. Gefällt mir. LG Rudyratlos

    1. Nessy sagt:

      Nun, selbst das Doppelte von Amy Winehouse ist ja noch nicht wirklich dick. Insofern … nein, Beth Dito war’s noch nicht. Mehr so dazwischen.

  17. Herrlich. Ich hoffe, sie hat den „Weg“ nach Düsseldorf gefunden.

  18. Danke für die Bekanntschaft mit dem Ochochochfrollein. Geht sie dann zur der längsten Theke der Welt? Hoffentlich findet sie da ‚was Gescheites und Besseres…

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