Oberinspektor: Feierabend?
Nessy: Für heute.
Oberinspektor: Müssen’Se morgen wieder?
Nessy: Ich fürchte.
Oberinspektor: Dann mach ich morgen auch weiter.
Nessy: Schön zu hören!
Oberinspektor: Muss ja, wa!
Nessy: Dann ’n schönen Abend noch.
Oberinspektor: Ich guck noch ’n büschn ausm Fenster.
Nessy: Frische Luft ist wichtig.
Oberinspektor: Sag ich auch immer.
Nessy: Sagen Sie mir Bescheid, wenn was Wichtiges passiert, ja?
Oberinspektor: Ist doch Ehrensache. Tschüsskes, Frau Nessy, woll.
Nessy: Tschüsskes auch!
Nessy: [denkt, er will nach dem Weg fragen] Kann ich Ihnen helfen?
Fahrer: Sind Sie umweltbewusst?
Nessy: Bitte?
Fahrer: Sind Sie umweltbewusst?
Nessy: Warum?
Fahrer: Man kann als Fußgänger auch mal warten, wenn ein einzelnes Auto kommt. Da muss man nicht über die Straße gehen. Ich muss schließlich abbremsen und wieder anfahren.
Nessy: Und ich komme gerade zu Fuß vom Bahnhof. Das war doch Ihre Frage, oder?
Man sollte viel mehr scheiße sein. Andere sind’s schließlich auch.
24 Erzählungen über die Liebe, mit der Liebe, von der Liebe. „Spannend, anrührend und manchmal verblüffend“ steht auf dem Klappentext. Mich berührte leider keine einzige Geschichte in meinem Herzen. Schade. Nach „Großmama packt aus“ hatte ich mir mehr versprochen.
Milan Kundera. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins.
Eine Liebesgeschichte zur Zeit des Prager Frühlings. Tomas lernt Teresa kennen und verliebt sich sofort. Seine anderen Lieben gibt er aber nicht auf. Die beiden ziehen in die Schweiz und wieder zurück nach Prag, erfahren Nachteile durch das kommunistische Regime – und lieben sich weiter, irgendwie, auf ihre Weise. Die Geschichte mag hohe Literatur sein, berühren tut sie mich nicht. Die Handlung ist zu bruchstückhaft, die Charaktere bleiben auf Distanz.
Stieg Larsson. Verdammnis.
Der Journalist Mikael Blomkvist bekommt Wind von Fällen von Mädchenhandel. Schon bald werden sein Informant und dessen Freundin tot aufgefunden. Lisbeth Salander schaltet sich in die Recherche ein – und gerät bald selbst unter Verdacht. Lisbeths eigenwillige Art ist gewöhnungsbedürftig. Das Bild des benachteiligten, ungerecht behandelten Mädchens nervt. Sie widersetzt sich Gesetzen – und wähnt sich im Recht. Das Buch ist nett und auch recht spannend zu lesen – aber mit Lisbeth werde ich nicht warm.
Rohinton Mistry. Das Gleichgewicht der Welt.
Bombay 1975. Vier Menschen treffen aufeinander: die Witwe Dina, die sich als Schneiderin verdingt und schlechte Augen kriegt. Die Schneider Om und Ishvar heuern bei ihr an. Manek, ein junger Student aus gutem Hause, wird ihr Untermieter. Die Vier treffen Rajaram, den Haarsammler, Bettlermeister, einen Zuhälter für Bettler, und den Korrekturleser Mr. Valmik, der gegen Druckerschwärze allergisch ist. Im Leben der vier Menschen spiegelt sich die indische Gesellschaft wider: das Kastensystem, politische Unruhen, Gewalt und Willkür. Das Buch ist große Epik, fremd, entsetzlich berührend – und nur manchmal etwas zu ausufernd.
Er ist heute ausgesprochen inspektörlich gekleidet: untenrum karierte Pantinen und ein fleckiger Frotteejogger, obenrum ein sauberes, tipptopp gestärktes Hemd. Er wäre ein klasse Tagesschausprecher. Der Karl-Heinz Köpcke aus dem zweiten Stock.
„Ach, wissense“, sagt er und zwinkert sich eine Träne aus den Wimpern. „Jedesmal, wenn ich wat Liebesbrief kriech, hab‘ ich so Käfer inne Augen.“
Ich weiß, dass ich wissen müsste, was er mit „Liebesbrief“ meint. Oder dass er erwartet, dass ich es weiß. Deshalb schaue ich lange genug ziemlich doof, um nicht fragen zu müssen.
„Is vom Gärtner, wissense. Weil wegen Frühjahr. Letzte Woche hatter meiner Frau mit seine Harke den Schopf gekämmt. Und nu‘ schreibter mir in ihrem Namen wat Liebesbrief. Sind aber nur Zahlen drin.“
Ich muss lachen. „Sie sind echt ’ne Marke“, sage ich, weil mir sonst nichts einfällt. Weil es so schwierig ist, den Inspektor in einer Sache zu trösten, in der das Wort „Trost“ so komisch klingt. Trost, das sind ein Lutscher oder ein Pflaster. Aber welches Pflaster ist groß und warm genug, um eine Liebe zu ersetzen?
„Wissense wat, Frau Nessy“, fragt der Oberinspektor ohne Fragezeichen. „Getz schnapp ich mir ersma mein Bärenticket und fahr‘ zur Landesgattenschau. Und nächste Woche fahr ich mitte Caritas nach Italien.“
„Nach Italien?“ echoe ich.
„Wat soll ich denn hier zu Hause wat sitzen. Da werd‘ ich nur tüdelig von. Und wiederkommen tutse davon auch nich.“ Forsch klappt er die Fußauflage des Lifta herunter. Er schwingt sich in den Sitz und klopft auf seine Frotteeschenkel. „Wollense mitfahren?“
Ein Jahr ist es nun her. Langsam, ganz langsam wird er wieder der alte.
So erfuhr ich heute, dass es auf dem Friedhof eine Art Hanky-Code unter den Witwen und Witwern gibt. Wer treu die Blumen auf dem Grab seines Verblichenen gießt und beim Wasserholen die Gießkanne mit dem Trichter nach vorne trägt, ist bereit für eine neue Beziehung. Wessen Ausguss hingegen nach hinten zeigt, der sucht noch nicht wieder.
Vaters Schulfreundin, eine freudvolle Frau Ende 60, hüpfte als junges Mädchen durch Blumenwiesen und schwenkte in der Bewegung die leere Milchkanne. Seit einigen Wochen schlendert sie nun über den Totenacker, die Gießkanne demonstrativ schaukelnd, den Trichter nach vorn.
Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, jetzt ist es wieder Zeit zu geben.
Dr. Siri, Anfang 70, ist der einzige Leichenbeschauer Laos‘. Er arbeitet mit schlechter Austattung, und wenn er doch einmal etwas herausfindet, lässt das Regime seine Erkenntnisse unter den Tisch fallen, weil sie politisch unerwünscht sind. Doch Dr. Siri ermittelt eigenmächtig und mit einer guten Mütze Verschrobenheit weiter. Ein wunderbar ungewöhnlicher Krimi mit kleinen Einblicken in die fremde Kultur. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
Sara Gruen. Wasser für die Elefanten
Ein Zirkus kommt in die Stadt. Der alte Jacob sieht es aus dem Fenster seines Altersheims. 70 Jahre zuvor, in der Zeit der Großen Depression, arbeitete er selbst bei einem Wanderzirkus – mit Artisten, Tieren und einer Dicken Dame. Er verliebt sich: in Rosie, den Elefanten, die nichts kann außer fressen, und Marlena, die verheiratete Dressurreiterin.
Es ist ein Buch mit zwei Jacobs: dem heutigen, der im Kampf gegen seinen geistigen und körperlichen Verfallen lebt, und dem damaligen, der unbedarft bei „Benzini’s Spektakulärster Show der Welt“ anheuert. Ein fröhliches und ein trauriges Buch, eine außergewöhnliche Geschichte, ein aufrichtiger Protagonist. Lesenswert.
Katharina Hagena. Der Geschmack von Apfelkernen
Tante Bertha stirbt. Nichte Iris erbt das Haus. Sie küsst den Bruder einer Kindheitsfreundin und erzählt in Rückblicken die Geschichte ihrer Tante und ihrer Kusinen. Rührselige Geschichte, eindimensionale Handlung. Keine Ahnung, warum das Buch auf den Bestsellerlisten steht. Wahrscheinlich, weil ganze Bataillone von Mittvierzigerinnen sie ihren Freundinnen schenken.
Heinz Strunk. Die Zunge Europas
Markus Erdmann ist Gagschreiber, macht aber die meiste Zeit nichts. Jeden Sonntag besucht er seine grantelnde Großmutter. Mit seiner Freundin Sonja hat er sich in behaglicher Gleichgültigkeit eingerichtet. Dann trifft er die gut aussehende und witzige Janne im Zug. – Eine Woche im Leben des Misanthropen Markus Erdmann: Lebenskrise trifft Zynismus trifft Beobachtungsgabe. Seltam gut, wenngleich ohne große Handlung und bisweilen zu selbstverliebt.
Markus Zusak. Die Bücherdiebin
Ein Buch, dessen Erzähler der Tod ist. Ein Mädchen, das um des Lesens willen liest. Ihre Pflegeeltern, die an ein Versprechen gebunden sind. Und rundherum der Zweite Weltkrieg, der Holocaust, die Geborgenheit des Straßenfußballs – und Rudi.
Der Erzähler ist distanziert, aber emphatisch; sein Sprachstil ist erfreulich einfach – was das Grauenvolle der 1930er und 40er Jahre noch grauenvoller macht und womit er der Hauptfigur, die kleine Bücherdiebin Liesel Meminger, in ihrem Charakter mit jeder Seite mehr Tiefe schenkt. Ein klasse Tipp, der mich am Ende ein paar Tränen gekostet hat. Lesen!
Knirps: Ich fahre erst zum zweiten Mal mit dem Zug.
Nessy: Und? Gefällt es Dir?
Knirps: Es ist so sanft.
Nessy: Stimmt. Und das Geräusch ist schön. Hörst du es?
Knirps: Das summt wie im Raumschiff.
Nessy: Als ob wir zu den Sternen reisen.
Knirps: [nickt versonnen]
Pause.
Knirps: Wir fahren in den Zoo.
Nessy: Cool. Welche Tiere magst Du am liebsten?
Knirps: Die Esel.
Nessy: Die Esel? Nicht die Löwen oder die Giraffen?
Knirps: Die Löwen und die Giraffen finden doch alle toll.
Pause.
Knirps: Die Esel sind besonders, weil sie schön sind. Aber nicht so, dass es jeder sieht.
Nessy: Du meinst, sie sind lieb und haben ein gutes Herz?
Knirps: Sie sind warm und fühlen sich gut an. Das ist viel besser als ein Löwe.
Ich schaue ihn an und bin plötzlich glücklich, ihn getroffen zu haben.
A-Küken: Wie lange bist du jetzt schon mit ihm zusammen?
B-Küken: Eine Woche.
A-Küken: Und? Hast Du ihn schon angefasst?
B-Küken: Wen, Dominik?
A-Küken: Nicht Dominik! Seinen (flüstert:) P – e – n – i – s.
Vielstimmiges Raunen summt durch die luftfeuchte Kabine. Die Socke bleibt an der Ferse hängen.
B-Küken: Nee …
A-Küken: Noch nicht?!?!
B-Küken: Muss man das schon nach einer Woche?
A-Küken: Wenigstens mal berühren. Zufällig drankommen.
Es ist plötzlich auffällig still. Ich lasse von meiner Socke ab und sehe hoch. Alle schauen mich erwartungsvoll an.
Nessy: Also … das kommt ja auch darauf an, wo ihr euch immer trefft. Wenn ihr euch bislang nur in der Schule gesehen habt, dann … ähm … eher nicht.
B-Küken: Siehst du, muss man nicht.
Das wäre also geklärt.
Andrew Sean Greer. Die Nacht des Lichts
Astronomen, deren Leben dem Lauf eines Kometen folgt. Alle sechs Jahre treffen sie sich wieder. Dazwischen leben sie, lassen sich leben, kreuzen sich ihre Wege, laufen sie auseinander. Ein intelligent konstruiertes Mosaik – doch kommt man als Leser nie an die Figuren heran. Ein Manko.
Andrew Sean Greer. Geschichte einer Ehe
„Wir glauben, die zu kennen, die wir lieben“, denkt Pearlie und erlebt genau das Gegenteil. Doch: Was ist Liebe? Dem Ehemann ein angenehmes Leben bescheren, indem man die schlimmen Nachrichten aus der Zeitung ausschneidet? Oder für ihn auf den eigenen Lebenstraum verzichten? Auch hier: eine Geschichte, interessant konstruiert, aber fern davon, Empathie zu erzeugen.
Jo Nesbo. Der Fledermausmann
Kommissar Harry Hole soll in Australien den Mord an einer Norwegerin aufklären. Er begegnet dabei den Mythen der Aborigines, allerlei verschrobenen Figuren – und verliert sich darin so sehr, dass ich den Krimi nicht zu Ende gelesen habe. Zu langatmig, zu verworren, zu dünne Story, zu wenig stringent erzählt.
Isabell Allende. Das Siegel der Tage
Geschichte der Familie Allendes nach dem Tod von Tochter Paula. Zwei lesbische, buddhistische Nonnen nehmen sich eines elternlosen Säuglings an, der Sohn muss drei Kinder durchfüttern, Allendes Mann versucht sich am Schreiben, sein Buchhalter bestellt eine Frau aus dem Katalog. Alles sehr nett, manchmal ein bisschen zu gefühlig, aber alles in allem gut in der Bahn zu lesen. Definitiv ein Frauenbuch.
Aktuell auf dem Nachttisch: Ian Rankin. So soll er sterben.
Ein Ausländer wird erstochen. Im Keller eines Pub finden sich zwei Skelette. Eine Bürgertochter verschwindet. Die Kommissare Rebus, Clarke und ihre Kollegen ermitteln. Bis Seite 200 – dort bin ich jetzt – ist allerdings wenig Schwung in der Geschichte. Größtes Problem: zu viele Ermittler an zu vielen verschiedenen Orten. Ich werde aber trotzdem weiterlesen. So arg schlecht wie „Der Fledermausmann“ ist es bislang nicht.
Fazit: alles nicht der Burner. Hat jemand Lesetipps?
Am Gleis sind es minus 10 Grad, vielleicht minus 15. Wie Pfähle stehen die Menschen im Schnee und starren auf die Schienen. Atemwolken steigen auf. Die Minuten vergehen.
Dröhnend und knirschend zieht eine Diesellok drei Waggons vor deine Füße. In der Bahn: Hitze, Langlauffreunde, Wehrdienstleistende und eine Gesellschaft spaßwillliger Hausfrauen. Ich steige zu. Ein Seesack stürzt sich aus der Kofferablage auf mich herab. Der Zug fährt an. Ich plumpse neben einen Burschen in Flecktarn.
Ringelheim. Die Gruppe likörschwangerer Hausfrauen liest sich aus dem „Männerhasserbuch“ vor. „Warum ist ein Mann nur einssechzig wert?“ Wildes Gackern. Der Zug bebt. Ich sehe aus dem Fenster. Der Schnee bedeckt, was noch bleibt vom Restlicht des Tages. Die Sonne senkt sich hinter den Horizont.
Baddeckenstedt. „Wie lange muss ein Mann kochen?“ Die Frauen kreischen und reichen kleine Feiglinge herum. Der Wehrdienstleistende neben mir scharrt mit den Kampfstiefeln. Er liest ein Buch mit einer silbernen Axt auf dem Einband. Ich erwarte Böses.
Derneburg. Die einsetzende Dunkelheit verschweigt dem Reisenden, ob er noch im Diesseits fährt oder durch ein schwarzes Loch hindurch in eine andere Galaxie gelangt ist. Die Männerhasserinnen und ich – Vertreter des Planeten Erde auf dem Weg zu Centaurus A.
Groß Düngen. Themenwechsel von Männern zu Bohnen, marginal, wie sich zeigt: anschwitzen oder nicht, pfeffrig oder laff? Die Langläufer erheben sich knisternd, verpackt wie Geschenke in ihren Thermohosen und wattierten Jacken, und holen ihre Skier aus den Ablagen. Nur knapp entgehe ich meiner Erdolchung. Wir nähern uns also dem Ziel.
Die Diesellok zieht mich, die Skiläufer und die Hausfrauen ins Licht. Nicht Centaurus A, kein Quasar, sondern Hannover. Endlich. Eine halbe Stunde Aufenthalt ist vorgesehen. Zeit für eine Brezel und ein Wasser, dann hinein in den ICE gen Süden. Doch es kommt anders.
Weiße Schrift auf blauem Grund zeigt 30 Minuten Verspätung an. Der Wind auf dem Gleis macht kalte Ohren, kriecht die Beine hinauf und frostet dein Gemüt. Raucher drängeln sich zusammen. Auf einem Servicewägelchen schunkeln als heiß gekennzeichnete Kaltgetränke. Die Menge schweigt.
Dann: „Aufgrund von Störungen im Betriebsablauf verzögert sich die Einfahrt des ICE acht – vier – sechs nach Trier um weitere 20 Minuten.“ Erboste, zornerfüllte Münder speien hässliche Worte über den Bahnsteig. Gewalt gegen das Servicewägelchen bricht aus. Dann Gemurmel. Schicksalsergebene Ruhe. Du kommst nicht heraus aus der Gegend, sie hält dich fest.
Nach 30 Minuten Aufenthalt und 50 Minuten Verspätung: Der ICE, der dich fortbringt. Erwartungsfrohes Füßescharren auf dem Bahnsteig. Neben mir harren zwei Bayern auf Einstieg. „Näkste Mal kimma mit’m Radl.“ – „Da samma schneller.“ – „Und kälter is a net!“
Wir betreten den Waggon und fahren fort aus dem Harz.
Es geht also doch.