Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Ich betrete das Behandlungszimmer meines Zahnarztes.
Dort bumsen gerade zwei Störche.

Mein Zahnarzt ist ein Wohlfühlzahnarzt. Auf seiner Webseite steht viel von „Atmosphäre“, „Verständnis“ und „Entspannung“. Im Wartezimmer bekommt man Tee – und im Behandlungsraum jetzt auch Vögel. Denn gegenüber des Behandlungsstuhls hängt neuerdings ein fetter Flachbildfernseher, auf dem in einer Endlosschleife „Nomaden der Lüfte“ läuft.

Die Störche lassen voneinander ab, und ich setze mich in den Stuhl. Die Helferin hängt mir ein Lätzchen um. Ich bin nur zur Kontrolle hier. Es ist nichts Schlimmes zu erwarten, doch die Vögel verunsichern mich etwas. Jetzt balzen gerade Auerhähne, stellen ihre Federn auf, machen mächtig einen auf dicke Hose. Die Helferin tut so, als wäre nichts, und tippt etwas in einen Computer. Mein Wohlfühlzahnarzt betritt den Raum und fährt mich im Stuhl nach hinten. Er hält seinen Spiegel in meinen Mund und murmelt etwas. Ich kriege die Auerhähne nicht aus meinem Kopf. Vorwurfsvoll sagt der Zahnarzt: „Wir haben ja bereits vergangenen Dezember über Ihre alten Füllungen gesprochen.“

Ja, haben wir – das Ganze war aber eher eine unverbindliche Empfehlung, und so lange in meinem Mund nicht Polen offen ist, halte ich ihn gemeinsam mit meiner Geldbörse geschlossen. Denn Gebrauchtwagenhänder, Versicherungsvertreter und Zahnärzte nehmen sich bekanntlich nichts, was ihren Sinn fürs Geschäftliche angeht. Ich brumme unverbindliche Zustimmung, aber gleichzeitig verbindliche Ablehnung.

An dieser Stelle kommen wieder die Auerhähne ins Spiel. Mein Wohlfühlzahnarzt nimmt einen Stift mit Lampe in die Hand, macht damit ein Foto von meinen Zähnen, schaltet die Vögel ab, fährt mich im Stuhl hoch und projiziert meinen Backenzahn in Einmeterfünfzig mal Einmeter auf den Fernseher. „Sehen Sie“, sagt er, „die Ränder der Füllung. Die schließen nicht mehr richtig. Das öffnet Bakterien Tür und Tor. Nicht mehr lange, und es bricht Ihnen alles raus.“

Ich blicke auf meinen Zahn, einen Riesenzahn, ein Zahn, der die ganze Kopfseite des Behandlungszimmers einnimmt – mit einem Grand Canyon aus Zahnschmelz und Kunststoff-Füllung. Ich sehe die Ränder, die der Doktor meint, geradezu scheunentorartig geöffnete Höhlen, einsdreißig mal achtzig und bestimmt zehn Zentimeter hoch. Mir wird heiß und kalt. Vor meinem inneren Augen zieht just in diesem Moment ein Regiment von Karies und Baktus in mein Backenzahnberkwerg ein – in Reih und Glied, die Spitzhacken geschultert, „Heiho, Heiho!“ singend.

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Als ich das Zimmer verlasse, um mir am Empfang zwei Termine zu holen, fliegen an der Wand kleine, braune Gänschen mit wackelndem Hals nach Norwegen. Sie sehen glücklich aus. Ihr Fernseher ist bald refinanziert.

Urlaubsbücher:

Carofiglio, Cleave, Devi, Follett, Gavalda

Gianrico Carofiglio. Ragionevoli dubbi. (Das Gesetz der Ehre) 
Ein neuer Fall für Anwalt Guerreri. Diesmal trifft er auf einen Widersacher seiner Kindheit: Fabio Paolicelli. Dem früheren Bandenführer wird Drogenschmuggel vorgeworfen. Guerreri soll ihn raushauen. Genauso wie der erste Band der Guerreri-Reihe, „Testimone incosapevole“ („Reise in die Nacht“), ist „Ragionevoli dubbi“ ein lesenswertes Buch – ein klassischer Gerichtskrimi in einem wunderbar unaufgeregten Schreibstil und mit einer sympathischen Hauptfigur.

Chris Cleave. Little Bee. (UK: The Other Hand)
Die Britin Sarah und die Nigerianerin Little Bee sind tragisch miteinander verbunden: Sarah rettete ihr am Strand in Afrika einst das Leben. Nun ist Little Bee als Asylbewerberin in London. Die einzigen Menschen, die sie kennt, sind Sarah und ihr Mann Andrew. Das Buch erzählt aus wechselnden Perspektiven und fließt trotz des schweren Thema leicht dahin. Die Geschichte selbst wirkt etwas unrealistisch. Am besten hat mir die subtile Charakterisierung von Sarahs Liebhaber Lawrence gefallen.

Jamuna Devi. Jamuna.
Jamuna ist 16 und wohnt in Neukölln. Ihr Vater ist Libanese, ihre Mutter Deutsch-Perserin. Als ihr Vater Spielschulden macht, verkauft sie sich als Escortdame. Die Geschichte ist in der Ich-Form erzählt. Jamunas Stil ist rotzig und pubertär – man muss ihn möge. Ich fand ihn authentisch, genauso wie die Figur des 16-jährigen Teenagers, der vorgibt, cool zu sein und klarzukommen, während genau das Gegenteil der Fall ist.

Ken Follett. Sturz der Titanen.
Die große Jahrhundertsaga auf 1000 Seiten: In Europa bricht der Erste Weltkrieg aus. Follett verwebt vor dem Hintergrund dieser Kulisse das Schicksal eines britischen Kohlearbeiters und seiner Schwester, einer Adelsfamilie, eines deutschen Diplomaten und zweier russischer Brüder. Das Buch fesselt nicht so sehr wie bei Follett gewohnt, ist aber trotzdem eine gefällige Lektüre.

Anna Gavalda. Ein geschenkter Tag.
Drei Geschwister – Lola, Simon und Garance – machen sich auf den Weg zu einer Hochzeit. Sie kommen auch an, fahren dann aber fort zu ihrem Bruder Vincent, der in einem nahe gelegenen Schloss den Fremdenführer gibt. Sie erleben einen unbeschwerten Tag und hängen ziellos ihren Kinderheitserinnerungen nach. Eine nette Erzählung – mehr aber auch nicht.

Walchensee

  1. Du stehst immer auf dem Fuß, den du gerade brauchst.
  2. Wäre schön, wenn’s mal wieder bergab ginge.
  3. Bergauf war besser.
  4. Es geht immer noch steiler.
  5. Kein Grat ist zu schmal.
  6. Dem Mann, der das Stahlseil gespannt hat, ein dreifach donnerndes Helau!
  7. Hinter der nächsten Kurve wartet eine Überraschung auf dich – …
  8. … und es ist keine gute.
  9. Mit dem Lift fahren kann jeder.
  10. Auf der Hütt’n schmeckt’s dreimal so gut.
  11. Ist das Schnee? Alta, das ist Schnee.
  12. Radler kann was.
  13. Die Aussicht entschädigt für alles …
  14. … außer, du bist Teil einer Wolke.

Und weil jeder Urlaub ein Lied hat, hier das Ferien-Liedl:

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Nächste Woche beginnt die Saisonvorbereitung mit drei Trainingseinheiten. Endlich wieder Bewegung.

In bayerischen Wäldern lebt ein seltenes Säugetier:
die Baum-Elfe (lat. homo elfus arboris). Im Alpenvorland wurde jetzt ein weibliches Exemplar der behenden Freiluftkraxler gesichtet.

Frau Nessy im Kletterwald

Eine Baumelfe in ihrer natürlichen Umgebung.

Nur mit etwas Glück entdeckt man die Baum-Elfe in warmen Monaten in den Höhen der Wipfel, denn die Spezies ist flink und nicht leicht zu entdecken. Auffälligstes Merkmal der Baum-Elfen (männl. Baum-Troll) ist der orangene Hartplastik-Kopfschmuck, der sowohl dem Männchen als auch dem Weibchen als Schutz gegen Stürze und harte Aufschläge an Baumstämmen dient.

Die emsigen Radlertrinker bewegen sich äußerst waghalsig durch die Höhen der Wälder. Gesichert mit Seilen und Schnüren schwingen sie sich von Baum zu Baum, schaukeln sich über Hinternisse und stürzen sich mit Hilfe von Vorrichtungen aus den Baumwipfeln in federnden Rindenmulch. Einen tieferen Sinn hat dieses Verhalten nicht; lediglich beim männlichen Baum-Troll vermuten Forscher Zusammenhänge zu Balz- und Eroberungsverhalten. Weibliche Baum-Elfen scheinen sich aus reiner Plaisier in Ästen und Zweigen zu tummeln.

Frau Nessy im Kletterwald

Charakteristisch für Baum-Elfen ist der ausgeprägte Erd-Fleck am Hinterteil. Je dicker
der Fleck, desto graziler und geschickter die Baum-Elfe. Nicht zu verwechseln ist die
Baum-Elfe mit der gemeinen Erd-Hummel, einem eher taumelnden Tier.

Die jüngst gesichtete Baum-Elfe zeigte neben ihrem orangenen Helm ein zweites optisches Merkmal: den ausgeprägten Erd-Fleck am Hinterteil. Er entsteht, wenn die Baum-Elfe – entgegen ihrer sonst geschmeidigen, geradezu elastischen Fortbewegungssystematik – beim Seilbahnflug von einem Baum mit ihren kräftigen Hinterbacken bremst, welche die Natur zu diesem Zweck entsprechend ausgepolstert hat.

Liebes Tagebuch,

Berggasthof Eckbauer

Berggasthof Eckbauer, Garmisch-Partenkirchen, kurz vor dem Gewitter.

bin zwei Stunden durch die Partnachklamm zum Eckbauern gewandert. Dann das einsetzende Gewitter mit einem Radler überbrückt. Eine Stunde wieder hinunter gewandert. Danach dreimal durch die Sommerrodelbahn gebraust. Bahnrekord nicht geknackt. Dafür mit dem Mund Insekten gefangen. Noch ein Radler getrunken. Abends gut geschlafen.

Demnächst mehr.
Deine Frau Nessy.

Das Gute daran, das ich kein eigenes Auto besitze, ist,
dass ich mir öfter mal etwas Nettes miete, um von A nach B zu kommen. Das ist nämlich bisweilen preiswerter als Zugfahren – und mehr Spaß macht es auch.

Tief in meinem Herzen stehe ich nämlich auf schnelle Autos und geilen Technikscheiß. Zum Beispiel auf diesen 5er BMW, mit dem ich 600 Kilometer nach Süddeutschland gefahren bin und in dem ich alle Knöpfchen gedrückt haben, die die Karre an Firlefanz hergibt. Etwa die Abstandsautomatik. Und den „Zeig mir alle relevanten Infos in der Frontscheibe“-Gimmick.

Autofahren im 5er BMW

In der Scheibe: der Tempomat (170), die Abstandsautomatik (rote Linien), das aktuelle Tempo (156) und das Navigationsgerät (noch 211 Kilometer). Nicht im Bild: Frau Nessy,
mit vor Vergnügen geröteten Wangen.

Total krass: Du musst gar nicht mehr selbst fahren. Du haust die Abstandsautomatik rein, stellst den Tempomat ein, und das Auto fährt von allein. Es gibt Gas, und wenn sich einer vor Dich setzt, bremst es. Wenn er wieder weg ist, gibt es wieder Gas. Du musst nix machen, nix!

Alta! Ist das Hamma? Das ist Hamma!

Na gut: Lenken musst du schon noch selbst. Und ab und an musst du auch mal selbst bremsen, wenn jemand nicht in den Rückspiegel geguckt hat. Aber sonst? Mächtig scharfe Nummer. Bin schwer beeindruckt.

In meinem Hotel wohnten zahlreiche Söhne:

Männer in mittleren Jahren, die mit ihrer Mutter den Urlaub zubrachten – Vertreter des Typus „Schwiegertochter gesucht“, kauzig, unbeholfen und gekleidet wie ihr Großvater. Seltsamerweise gab es keine weiblichen Pendants dazu, also keine reisenden Töchter; nur Söhne reisen offensichtlich im Doppelzimmer mit ihrem Elternteil.

Einer von ihnen war mit seinem Vater unterwegs.

Der Vater ist ein Mann mit feudaler Aura. Er ist groß, schlank und bewegt sich mit Eleganz. Ein weißer, kurz geschnittener Haarkranz umrahmt seinen Kopf, ein Henriquatre seinen Mund. Er ist um die 70. Sein Sohn, ein Mann um die 40, wird seine Frisur erben: Sein Haar ist bereits licht. Er hat ein Sitzbäuchlein und einen Rundrücken. Selbst wenn er aufrecht steht, ist er in sich zusammengesunken.

Jeden Morgen brechen sie zu einer Radtour auf, schieben ihre Fahrräder durch die Eingangshalle des Hotels und präparieren sie vor dem Eingang. Der Sohn trägt, von unten nach oben: eine Wandersandale der Marke  „Mit Klettverschluss über Stock und Stein“, Hansaplast-farbene Thrombosekniestrümpfe, es folgt ein Stück freies Knie, eine in zartem Pastell gemusterte Shorts, ein professionelles Radfahrtrikot mit Werbeaufdrucken und eine Kappe mit Nackenschutz gegen die Sonne. Der Vater ist ebenso gekleidet, allerdings ohne Kniestrümpfe. Gegen 10 Uhr radeln sie los, gegen 17 Uhr sind sie wieder da.

Am ersten Abend sitzen sie neben uns im Restaurant. Der Vater erkennt mich sofort als Dame, die ohne Herrenbegleitung reist. Er nickt mir freundlich zu und wünscht vernehmlich „Guten Abend. Sie reisen alleine?“
„Mit einer Freundin“, sage ich.
Er lächelt. Während des Essens ermuntert er seinen Jungen mit Blicken, ein Gespräch zu beginnen. Der Sohn rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her und ringt sich zu der Frage: „Waren Sie schon in einem der Themen-Restaurants?“ durch. Er trägt heute Abend ein schwarzes, übermäßig großes Hemd mit Segelbooten in verschiedenen Neonfarben. 1986 war er damit bestimmt der Held unter der Diskokugel.

Ich sage: Ja, wir seien bereits im Tapas-Restaurant gewesen, und erzähle ihm von der Speisenfolge und dem Service. Er schweigt. Das Gespräch verebbt. So geht es mehrere Abende: Der Vater arrangiert einen Tisch, der Sohn ist steif wie der Römerkragen eines Diakons. Wir nicken uns meist nur freundlich zu.

Dann der letzte Abend. Ich mache mich zurecht und tusche mir die Wimpern: Morgen bin ich nicht mehr da; Sohn soll nochmal etwas zu sehen bekommen. Ich arrangiere einen Tisch neben den beiden, und während der Vorspeise frage ich: „Ihr macht immer Fahrradtouren, ne? Wo fahrt ihr denn immer so hin?“ Ich möchte endlich wissen, wo die beiden jeden Tag hinfahren.

Der Vater lächelt und nickt seinem Sohn zu, er möge doch antworten. Der hat plötzlich Worte gefunden, ein wahrer Schwall von Sätzen entkommt seinem Mund. Er  erzählt von jedem Stein und jedem Strauch, den sie auf ihrer Tour nach Teguise und zum Mirador des Rio passierten. Ich frage nach seinem Namen. Er heiße Bernd, antwortet er. Und: Er sei EDV-Sachbearbeiter im öffentlichen Dienst. Er erzählt mir von seinem System der Dateienarchivierung, dass er immer ganz korrekt sei. Darauf sei er sehr stolz. Es mache ihn nervös, wenn etwas nicht ganz in Ordnung sei. Seine Wangen sind gerötet.

Am Tag unserer Abreise stehen sie wieder in Radmontur vor dem Hotel.

„Oh“, sagt Bernd, „Sie reisen schon ab?“ Er bleibt standhaft beim Sie.
Ich bejahe und erkläre mein Bedauern.
Wir unterhalten uns noch ein wenig. Dann reise ich ab.

Sie sind fünf Damen. Und sie sind sehr britisch.

Sie sind gepflegt onduliert, tragen zurückhaltende Bademode, tiefer Beinausschnitt, hohes Dekolleté. Ihre Hörgeräte sind dezent. Blümchenmuster stehen ihnen gut. Abends sind sie stets gut gekleidet, nicht überkandidelt, aber dennoch adrett. Die Röcke gehen bis über die Knie. Am Buffet lassen sie einander so lange den Vortritt, bis andere Gäste nervös dazwischengehen und ihnen die Runzelkartoffeln wegessen. Sie erinnern mich an die Calendar Girls. Ich bin eigentlich sicher, dass sie es sind.

Es ist ein heißer Tag, ich liege am Pool und bin dem Dekubitus bislang entgangen, indem ich mich halbstündlich umgelagert habe. Plötzlich steht Stijn, der niederländische Animateur, vor mir und fragt: „Water Fitness?“

Ich denke: „Puuh, nee, lass mal.“ Er sagt: „Water Fitness!“, diesmal mit Ausrufezeichen, und ich denke: „Naja, warum nicht, bevor du dich mit Zinksalbe einreiben musst.“ Wir gehen zum Pool. Er holt den Ghettoblaster raus, schmeißt Dr. Alban rein, und wir lassen uns zu Wasser.

Die Gruppe besteht nur aus Frauen und aus Stijn. Wir hüpfen uns ein bisschen warm. Ich habe mich in die letzte Reihe verdrückt. Der Leistungsdruck macht mich sonst fertig.

Auf einmal fühlt es sich an, als nähere sich ein Krokodil. Ich sehe mich um. Eine der britischen Damen schwimmt in sanften Zügen heran, der graue Schopf treibt wie eine Wattebausch über die Oberfläche, federleicht. Sie lässt sich in die Senkrechte sinken und beginnt, unmerklich mitzuhüpfen. Ich nicke ihr zu. Ich weiß, dass sie Mildred heißt. Sie lächelt verschämt.

„Was tun wir gerade?“, frage sie mich auf englisch, weiterhin hüpfend, und ich sage: „Skipping, just skipping.“ Stijn entdeckt sie und ruft: „Hello! Welcome to Water Fitness!“ Sie lächelt milde, winkt majestätisch aus dem Handgelenk und hüpft so lange, wie Stijn guckt.

Dann ist es soweit, und Stijn holt die Pool-Nudeln vom Beckenrand. Er hält eine der Schaumstoffschlangen in die Höhe und ruft: „Spaghetti!“ Wir glotzen ihn an. Stijn wedelt wild mit der Nudel und ruft wieder, diesmal lauter: „Spaghetti!“ Wir machen pflichtschuldig: „Yeah!“ Stijn ist nicht zufrieden mit uns. „Mögt ihr Water Fitness?“, ruft er. Wir wieder: „Yeah“, diesmal noch weniger enthusiastisch, nur ungefähr fünf-Prozent-begeistert. Mildred singt leise: „Yeah! Yeah! Yeah!“ Ich blicke sie an. Sie grinst und zieht verschämt die Schultern hoch. „Ich hatte Prosecco zum Kuchen“, sagt sie entschuldigend.

Stijn verteilt die Poolnudeln. Mildred greift sich eine in rosa. Stijn stellt sich vorne hin und sagt: „Und nun reiten wir ein bisschen auf der Nudel.“

„Das ist das Schmutzigste, was ich seit meinem achtzigsten Geburtstag getan habe“, sagt Mildred und kichert wie eine Sechzehnjährige. Ich kichere auch.

„Up and down, up and down“, ruft Stijn vorne.

Mildred hält inne, senkt ihren Kopf und blickt mich aus trüben, faltenumrandeten Augen von unten nach oben an. Sie sieht sehr lehrerinnenhaft aus. „Wir sollten ernst sein. Das hier ist Sport.“

„Er macht es jeden Tag“, sage ich. „Immer um 15 Uhr.“ Mildred kichert wieder.

Als Stijn genug gehüpft ist und wir unsere Nudeln wieder abgegeben haben, schwimmt Mildred in Richtung Treppe. „Hee!“, ruft Stijn ihr nach. „Wir sind noch nicht fertig!“ Ohne sich umzusehen, streckt sie eine Hand in die Höhe und winkt. Dann treibt der Wattebausch davon.

Sobald ich mich an einem Pool oder einem Strand niederlasse,

setzen sich in meinem Körper kleine Männchen in Bewegung, wandern aus meinem Bauch in meinen Kopf, steigen den Hals hinauf, erklimmen die Treppen zu den Augen und drehen dort an einer Kurbel. Die Kurbel senkt die Lider über meine Augen. Mein Kopf sackt nach hinten. Ich schmatze leise. Und schlafe ein. So habe ich die ersten zwei Tage meines Urlaubs zugebracht.

Am Hotelpool

Rechts: Nessyfüße. Links: Nessyfreundinnenfüße. Weiterhin anwesend: ein schmucker Bademeister (nicht im Bild, aber gut im Gedächtnis).

Dann hatte ich die Männchen im Griff, stundenweise, und habe Kakteen besucht, lange dünne, kleine dicke und große dicke. Das klingt erstmal nicht so interessant, war aber ganz prima.

Jardin de Cactus - Kaktusgarten

Kaktusgarten mit vielen Kakteen, ungefähr 10.000.

Ich habe dort Kakteen entdeckt, in denen ebenso wie in mir kleine Männchen leben. Ich habe die Kakteen sogar ganz leise schmatzen gehört.

Jardin de Cactus - Schluffikaktus

Schluffikaktus (lat. cactus nessy), Opfer der Schlafmännchen.

Neben Kakteen gibt es weitere Pflanzen auf Lanzarote: Palmen. Zum Beispiel in Haría. Dort wachsen sogar so viele, dass die Gegend das „Tal der 1000 Palmen“ heißt. Ich habe nicht nachgezählt, aber es mag wohl stimmen. Am besten sieht das Ganze von oben aus, wenn man vom Mirador del Haría zum Meer schaut.

Haira, Stadt der 10.000 Palmen

Haría im Tal der 1000 Palmen.

Stellen Sie sich zu diesem Bild bitte vor, dass Sie in einem Backofen stehen, Umluft, ein heißer Wind umspielt Ihre Glieder. Sie sind leicht klebrig, haben heute schon drei Liter getrunken, aber nicht einmal pinkeln müssen. Während Sie ins Tal hinabblicken, fühlen Sie, wie Sie eine knusprige Kruste bekommen.

41 Grad

Entscheidend: die Temperaturanzeige unten links.

Aber ich wäre kein Checkerbunny, hätte ich nicht einen Kühlschrank gefunden.

Cueva de los Verdes

Lanzarotes unterirdischer Kühlschrank: die Cueva de los Verdes, 18 Grad.

Der Kühlschrank entstand vor vielen Jahren, selbst an Jesus war noch nicht zu denken. Damals brach ein Vulkan aus, Lava floss ins Meer, kam mit dem kalten Wasser in Berührung, irgendwas explodierte und bumms!, gab’s die Höhle. So ungefähr hat es die Höhlenführerin erklärt, die allerdings nur Spanisch sprach. Deswegen kann es sein, dass auch alles ganz anders war.

Cueva de los Verdes - Höhlensee

Sie ist tatsächlich grün, die Höhle.

Nicht nur in der Höhle war es kühl. Auf Lanzarote lebte ein Mann, der auf der Insel ungefähr alles gestaltet hat, was es Wichtiges zu gestalten gibt: César Manrique. Er hat auch den Kaktusgarten gemacht. Außerdem hatte er ein Haus in Tahíche, was irgendwo bei Teguise ist. Mehr müssen Sie nicht wissen; wenn Sie mal dort sind, werden Sie es finden. Das Haus ist in Lavablasen gebaut, also ebenfalls fast wie eine Höhle.

Lava im Haus von Cesar Manrique

Lava im Haus von César Manrique. Ist kein Baumangel, sondern so gewollt.

Irgendwann musste ich dann doch mal pinkeln, so nach dem vierten getrunkenen Liter. Wir waren gerade auf dem Weg zu einem Kirchlein irgendwo im Nichts und fragten uns, ob es wohl gestattet sei, in der Nähe eines Gotteshauses Wasser zu lassen, mitten in die Natur, ganz ohne Klosett. Die Gelegenheit war günstig, weil niemand zu sehen war. Meine Freundin, Sauerländerin und von daher ehrfürchtig katholisch, hegte Zweifel, war aufgrund ihres Harndrangs jedoch geneigt, beim Austreten an etwas Frommes zu denken – dann sei es wohl in Ordnung.

Als ich den Kirchhof betrat, wurde unsere moralische Debatte allerdings obsolet, denn just in dem Moment, in dem ich das Törchen durchschritt, verschwand nur zehn Meter weiter, kurz vor der weißen Kirchmauer, die den Hof begrenzte, ein Mann hektisch hinter einer Palme. Gleichzeitig richtete sich eine Frau auf, die vor ihm gehockt hatte und blickte mich mit großen Augen an. Ihr Mund formte ein stummes „Oooh“, ob aus Gottesfurcht oder aus Überraschung, werden wir nie erfahren.

Kirchlein im Nirgendwo

Das Kirchlein der Sünde.

Was haben wir noch gesehen? Vulkane und Lava, im Timanfaya-Natinalpark gibt es jede Menge davon. Man fährt mit einem Bus hindurch. Die Fahrt dauert 40 Minuten und ist wie ein Ritt mit der Wilden Maus. Mir war nicht gut danach.

Timanfaya Nationalpark: Vulkangestein und viel Nichts

Timanfaya Nationalpark: die Wilde Maus unter den Naturparks.

Wir waren auch am Strand von Famara und haben dort Surfer gesucht.

Frau Nessy am Strand von Famara

Frau Nessy am Strand von Famara, Surfer suchend.

In meinem nächsten Beitrag erzähle ich Ihnen dann von den Calendar Girls, die mit mir im Hotels wohnten – und wie ich mit Mildred Wassergymnastik gemacht habe.



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