Ich betrete das Behandlungszimmer meines Zahnarztes.
Dort bumsen gerade zwei Störche.
Mein Zahnarzt ist ein Wohlfühlzahnarzt. Auf seiner Webseite steht viel von „Atmosphäre“, „Verständnis“ und „Entspannung“. Im Wartezimmer bekommt man Tee – und im Behandlungsraum jetzt auch Vögel. Denn gegenüber des Behandlungsstuhls hängt neuerdings ein fetter Flachbildfernseher, auf dem in einer Endlosschleife „Nomaden der Lüfte“ läuft.
Die Störche lassen voneinander ab, und ich setze mich in den Stuhl. Die Helferin hängt mir ein Lätzchen um. Ich bin nur zur Kontrolle hier. Es ist nichts Schlimmes zu erwarten, doch die Vögel verunsichern mich etwas. Jetzt balzen gerade Auerhähne, stellen ihre Federn auf, machen mächtig einen auf dicke Hose. Die Helferin tut so, als wäre nichts, und tippt etwas in einen Computer. Mein Wohlfühlzahnarzt betritt den Raum und fährt mich im Stuhl nach hinten. Er hält seinen Spiegel in meinen Mund und murmelt etwas. Ich kriege die Auerhähne nicht aus meinem Kopf. Vorwurfsvoll sagt der Zahnarzt: „Wir haben ja bereits vergangenen Dezember über Ihre alten Füllungen gesprochen.“
Ja, haben wir – das Ganze war aber eher eine unverbindliche Empfehlung, und so lange in meinem Mund nicht Polen offen ist, halte ich ihn gemeinsam mit meiner Geldbörse geschlossen. Denn Gebrauchtwagenhänder, Versicherungsvertreter und Zahnärzte nehmen sich bekanntlich nichts, was ihren Sinn fürs Geschäftliche angeht. Ich brumme unverbindliche Zustimmung, aber gleichzeitig verbindliche Ablehnung.
An dieser Stelle kommen wieder die Auerhähne ins Spiel. Mein Wohlfühlzahnarzt nimmt einen Stift mit Lampe in die Hand, macht damit ein Foto von meinen Zähnen, schaltet die Vögel ab, fährt mich im Stuhl hoch und projiziert meinen Backenzahn in Einmeterfünfzig mal Einmeter auf den Fernseher. „Sehen Sie“, sagt er, „die Ränder der Füllung. Die schließen nicht mehr richtig. Das öffnet Bakterien Tür und Tor. Nicht mehr lange, und es bricht Ihnen alles raus.“
Ich blicke auf meinen Zahn, einen Riesenzahn, ein Zahn, der die ganze Kopfseite des Behandlungszimmers einnimmt – mit einem Grand Canyon aus Zahnschmelz und Kunststoff-Füllung. Ich sehe die Ränder, die der Doktor meint, geradezu scheunentorartig geöffnete Höhlen, einsdreißig mal achtzig und bestimmt zehn Zentimeter hoch. Mir wird heiß und kalt. Vor meinem inneren Augen zieht just in diesem Moment ein Regiment von Karies und Baktus in mein Backenzahnberkwerg ein – in Reih und Glied, die Spitzhacken geschultert, „Heiho, Heiho!“ singend.
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Als ich das Zimmer verlasse, um mir am Empfang zwei Termine zu holen, fliegen an der Wand kleine, braune Gänschen mit wackelndem Hals nach Norwegen. Sie sehen glücklich aus. Ihr Fernseher ist bald refinanziert.

















