Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Tagebuchbloggen«

Emsige Tage, Erlebnisse im Ländle, Spionle und Vorfreude auf die kommende Woche

10. 11. 2023  •  Keine Kommentare

Emsige Tage | Nach meiner Bahnfahrt nach Aalen moderierte ich dort am Dienstag einen Workshop. Der Kunde hatte mich als Preis in der Landesauszeichnung Mobilitätswende gewonnen.

Am Tag darauf, am Mittwoch, fuhr ich von Aalen nach Schwäbisch Gmünd und verbrachte den Tag am Standort eines Kunden. Es war prima, dort zu sein: Die Leute aus dem Süden sehe ich sonst nur als Kacheln auf dem Bildschirm. Besonders die Gespräche zwischen den eigentlichen Terminen waren gut.

Von Schwäbisch Gmünd fuhr ich nach Herrenberg und kämpfte mich mit dem Bus zum Hotel durch. Am Donnerstag beriet ich dort – ebenfalls in meiner Funktion als Preis – einen weiteren Kunden. Am Donnerstagabend fuhr ich wieder heim und kam gegen Mitternach in Haltern an.


Bemerknisse und Ereignisse auf der Reise | Gesehenes und Erlebtes, beginnend mit eine hübschen Morgen.

#1 – In Herrenberg hatte ich einen sehr schönen Sonnenaufgang – nach einer mäßigen Nacht.

Sonnenaufgang: Im Vordergrund ein Baum mit herbstlichem Blattwerk, dahinter roter Himmel

Vom schlimmen Männerschnupfen ist immer noch ein leidlicher Husten übrig, der mich besonders Nachts quält. Immerhin waren die Ghettoblaster vom Flur verschwunden: Als ich in Herrenberg ankam und mein Zimmer bezog, nutzte eine Jugendgruppe den Flur als Wohnzimmer, begleitet von lauter Musik und viel Tohubawohu. Die Jugendlichen gingen im Laufe des Abend jedoch tatsächlich zu Bett. Ich war dankbar.

#2 – Last Stockrose standing in Aalen:

Stockrose auf einem Kirchplatz. Dahinter der Eingang einer Kirche und Stühle einer Außengastronomie.

#3 – Die halbe Welt scheint aus Aalen zu kommen. Jedenfalls erreichten mich über Instagram, über das Kännchenblog, Twitter und Bluesky diverse Nachrichten, wie schön es doch sei, dass ich in Aalen weile, man sei dort geboren.

Ein besonderer Dank geht an Kommentatorin Ina, die mich nicht nur zur Konditorei des Ortes schickte, damit ich mir dort Aalener Spionle kaufte, sondern mir auch noch das Geld für einen Spionle (die Geschichte dazu) in die Kaffeekasse warf. Ich kaufte allerdings nicht nur einen Spion, sondern eine ganze Packung, damit die Daheimgebliebenen auch kosten können. Zusätzlich zu den Spionle erwarb ich auf der Reise diverse Leckereien, und ich lernte Wibele kennen. Die Schätze:

Fünf Packungen Süßigkeiten aus Schwaben:

#5 – In der Tüte in der Mitte ist Quittenspeck. Er ist ein Geschenk von E., die ebenfalls las, dass ich in Aalen bin und mich zu einem schwäbischen Abendessen zu sich nach Hause einlud. Es war ein wunderbarer Abend mit guten Gesprächen, gutem Essen und viel Herzenswärme. Herzlichen Dank nochmal!

#6 – Gelernt: In Schwäbisch Gmünd, in einem roten Haus, werden die Tonies geboren.

Produziert werden sie nebenan bei Schleich. Die sitzen auch in Schwäbisch Gmünd. #bildungsblog

#8 – Herrenberg Downtown: Dort war ich in der Mission „Stadtnavi“ unterwegs. Das Stadtnavi vernetzt unterschiedliche Daten der Kommunen, um einen Mehrwert für den ürger zu schaffen, zum Beisiel um zu wissen, wo die nächste „Nette Toilette“ ist. Vor allem aber dient es dazu, Mobilität zu planen. Hinter dem Stadtnavi liegen Busfahrpläne, aber auch Parkplatzauslastungen und Standorte von Sharing-Angeboten. Hier gibt es mehr Erklärung dazu.

Panorama-Aufnahme des Herrenberger Marktplatzes: Fachwerkhäuser, das historische Rathaus und ein Brunnen

Das Stadtnavi hat den Nebeneffekt, dass Kommunen sich darum bemühen, gezielter Daten zu erheben und mit ihnen zu arbeiten. Die Informationen stehen, einmal erfasst, dann nicht nur einer Anwendung wie Stadtnavi zur Verfügung, sondern der gesamten Öffentlichkeit.

#9 – Die Rückfahrt war gewagt geplant: Abfahrt in Herrenberg am frühen Abend, Ankunft im Münsterland nach 23 Uhr. Ich dachte mir ganz optimisch: Durchgehende Verbindung von Stuttgart ins Ruhrgebiet – das wird schon passen. Als ich jedoch am Stuttgarter Hahptbahnhof ankam, blinkte die Anzeigetafel wie ein Weihnachtsbaum: 70 Minuten Verspätung, 60 Minuten, 40 Minuten, Zugausfälle, Personen im Gleis, Verspätung eines vorausfahrenden Zuges, dies und das.

Keiner der Fernzüge kam pünktlich – außer meiner. Gechillt und nach Fahrplan fuhr ich also ins Ruhrgebiet, stieg in Essen in den Regionalverkehr um und kam gegen halb Zwölf, ziemlich erschöpft, aber guter Dinge in Haltern an, wo der Reiseleiter mich vom Bahnhof abholte.


Bildungswoche | Ich freue mich auf die kommende Woche. Von Montag bis Mittwoch mache ich eine Weiterbildung in Organisationsentwicklung, am Freitag beginnt meine Ausbildung in Systemischem Coaching an der Fernuni Hagen. In beidem habe ich bereits Wissen und Erfahrungen, aber gerade von der Fernuni erhoffe ich mir Fundierung und Hintergrund. Die Ausbildung ist dem Institut für Psychologie angegliedert und wird von Psychologen durchgeführt; ein Blick in die Inhalte zeigt mir eine gute Mischung aus Praxis und akademischer Theorie; ich bin guter Dinge.

Seit ich selbstständig bin, bilde ich mich jedes Jahr weiter. Dieses Jahr habe ich aber einen besonders großen Hunger aufs Lernen. Mein Kundenstamm hat sich in den vergangenen zwei Jahren, nach dem Höhepunkt der Pandemie, deutlich vergrößert. Die Kunden sind ziemlich unterschiedlich. Ihre Anliegen sind zwar im Kern gleich – es geht um die Begleitung in Veränderung -, aber die Ausprägung ist divers: Die Kontexte, in denen der Wandel stattfindet, ist anders; die Branchen unterscheiden sich; die Regeln, nachdem die Branche und die Organisation funktionieren – und natürlich sind die Menschen einzigartig. So kommt es, dass ich, je mehr ich mit meinen Kunden arbeite und je mehr ich dabei erlebe, was ich gut kann, auch erkenne, was ich (noch) nicht weiß und nicht kann.

In diesem Jahre habe ich mehr als 12.000 Euro in mein Wissen und meine Kompetenzen investiert. Ich finde, eine Investition in die eigenen Kompetenzen ist die beste Investition, die ich tätigen kann (viel besser als einen neuen Geschäftswagen oder ein neues Smartphone). Weil ich inzwischen ziemlich breit aufgestellt bin (ich habe das letztens mal aufgelistet), finde ich in jeder Weiterbildung zahlreiche Anknüpfungspunkte. Das macht einen Riesenspaß und ich habe große Freude, Wissen und Methoden zu kombinieren.


Schweine | Jeden Morgen sind die Schweine kurz davor, eine Tierrechtsorganisation anzurufen – so verhungert sind sie. Sehen Sie den vorwurfsvollen Blick?


Gelesen | Björn Höcke: Ein Fall für Artikel 18. Heribert Prantl plädiert dafür, Björn Höcke das Recht auf seine Grundrechte zu nehmen – und damit das Recht auf politische Beteiligung. Das geht: Artikel 18 des Grundgesetzes wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst als Instrument gebaut, damit Rechte die Demokratie nicht mehr mit ihren eigenen Mitteln aushebeln können. Es wird Zeit, den Artikel zu entstauben und anzuwenden.

Gelesen | Frankreich verankert das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung

Gehört | Soziologe und Bildungsforscher Aladin E-Mafaalani im Gespräch mit Matze Hielscher. Keine neuen Erkenntnisse, aber wie immer pointiert. Wir müssen Aladin El-Mafaalani so lange und so oft sprechen lassen, bis unsere Gesellschaft endlich in Schulen und Bildung investiert.

Ein Bahnabenteuer

6. 11. 2023  •  5 Kommentare

Reiseblog | Heute hatte ich ein Eisenbahnabenteuer. Die Tagesaufgabe war, von Haltern am See nach Aalen zu fahren – mit Umstiegen in Münster und Stuttgart. In Münster hieß es erst: zehn Minuten Verspätung. Dann zwanzig Minuten. Dann vierzig. Am Ende fuhr der Zug nach einer Stunde und fünfundvierzig Minuten ein. Reparatur an einem vorausfahrenden Zug, Reparatur einer Weiche, Oberleitungsschaden zwischen Münster und Hamm – alles gleichzeitig oder nacheinander, wie auch immer. Der Wind pfiff über den Bahnsteig. Aber weil die Verspätungsangabe nur in Zehn-Minuten-Schritten vorrückte, jeden Moment vielleicht doch der Zug einfahren würde, konnte ich weder aufs Klo gehen noch mir einen Kaffee kaufen. Zwischendurch organisierte die Bahn gesundheitsfördernde Spaziergänge, indem sie den Zug mehrfach ankündigte, aber mit umgekehrter Wagenreihung. Alle, die in Abschnitt E standen, marschierten zu Abschnitt A, die B-Stehenden zu D und so fort. Eine halbe Stunde später dann retour. Der Zug kam dann doch nicht. Dafür hatte ich eine sehr nette Begegnung am Bahnsteig, wir unterhielten uns gut, litten gemeinsam. Das machte Freude und verkürzte das Warten erheblich.

Bis Köln war das Bistro geschlossen. Hinter Köln öffnete es und offerierte Freigetränke. Nicht nur das übliche Wasser im Tetrapack: Wir durften aus dem Vollen schöpfen – Cola, Kaffee, alles war möglich. Die Bahn musste wirklich ein schlechtes Gewissen haben. Alle Passagiere, die, während wir in Münster am Bahnsteig ausgeharrt hatten, bei Osnabrück auf der Strecke gestanden hatten, ohne Wasser und Brot, gefangen im Blech, schleppten sich mit letzter Kraft zum Bistro. Eine waggonlange Schlange bildete sich. Ich nahm wieder Abstand vom Angebot.

Blick aus dem Zugfenster auf die Gleise vor Stuttgart. Im Vordergrund Züge, im Hintergrund ein wilder Himmel

Im Nebensitz telefonierte ein Niederländer und fasste die Situation treffend, wenngleich sehr diplomatisch zusammen: „Germany is always a bit disappointing when you‘re travelling.“

Zwei Stunden hinter Plan kam ich dann in Aalen an und war überrascht angesichts meiner Unterkunft. Die hatte ich selbst gebucht – im Zuge eines Buchungsmarathons von mehreren Reisen, die diesen Monat anstehen. Aber irgendwie hatte ich vergessen, was ich gebucht hatte. Jedenfalls schlafe ich jetzt in einer hübschen Appartmentsuite, und ich erinnere mich nun auch wieder, wie das kam: Das Convenience-Hotel gegenüber war teurer.

Tisch mit Pflanzendecko, dahinter ein kleines Sofe, dahinter ein weiterer Raum, Schlafzimmer. Rechts eine Küchenzeile.

Ich bin hocherfreut.


Gelesen | Die Regierung will das Deutschlandticket verteuern, der SZ missfällt das. Mir auch. In meinem Fall würde sich der Finanzminister auch besser stellen, den Preis bei 49 Euro zu belassen. Im Moment lasse ich das Ticket nämlich einfach im Abo laufen. Es gibt Monate, in denen ich es nutze, vor allem auf Geschäftsreisen, in anderen kaum. Ich rechne mir nicht aus, ob es sich lohnt. Es ist bequem, ich muss mir keine Gedanken über Tickets und Tarifzonen machen, kann einfach einsteigen – zuhause, in Berlin, in Stuttgart, in Karlsruhe oder in Hamburg. Das allein ist mir schon einen Betrag wert. Wird es teurer, ist die Rechnung aber wieder eine andere.

Gehört | hr3 Sonntagstalk mit Conny und Manuela Reimann. Überraschend unaufgeregt.


Archivschwein | Aus der Fotosammlung:

Meerschwein mit Mangoldstängel im Mund

Schlimmer Männerschnupfen, Teppichkauf und ein Besuch auf dem alten Opel-Gelände

5. 11. 2023  •  2 Kommentare

Allgemeinbefinden | Nichts passiert, bitte weitergehen. Gearbeitet und danieder gelegen: Schlimmer Männerschnupfen™, elendiges Siechtum. Corona-Tests allerdings negativ, ein schnöder Infekt. Während des Siechtums schaute ich fern. Ich startete mit dem Thementag Eisenbahnromantik: gefällige Bilder und überschaubare intellektuelle Anforderungen in baskischen Schmalspurbahnen und auf den Magistralen der Welt. Der Reiseleiter, der neben mir siechte, wollte jedoch Bodies schauen, eine Serie über vier Zeitebenen mit unglaublich viel Personal. Das war fordernd und trug nicht zu meiner Genesung bei. Während er rasch wieder erstarkte, raffte es mich erst richtig dahin.

Entsprechend begrenzt waren meine Aktivitäten: Am Dienstag, als ich noch einigermaßen fit war, begleitete ich einen Kunden in einem Workshop. Das Ganze fand im Maker Space an der Ruhr-Uni Bochum statt, ein interessanter Ort.

Der Maker Space befindet sich im alten Verwaltungsgebäude des stillgelegten Opel-Werks, das jetzt O-Werk heißt und offen ist für Wissenschaft und Technolgie. Das gesamte Opel-Gelände wird derzeit zu einem neuen Quartier umgebaut. Eine spannende Entwicklung.


Versuchter Teppichkauf | In einem etwas weniger siechen Moment versuchte ich, Teppiche zu kaufen. Das neue Heim hier im Münsterland ist gemütlich. Es gibt bereits seit Längerem überall Vorhänge, aber noch nirgendwo einen Teppich. Hier und da, zum Beispiel vor dem Sofa, wäre ein Teppich jedoch schön.

Ich bekomme online ständig Teppich-Werbung, besonders auf Instagram. Ich bin jedoch dafür, einen Teppich vor dem Kauf auch mal anzufassen, um zu wissen, ob er flauschig oder kratzig, dick oder dünn ist. Also fuhren wir in den stationären Einzelhandel, besuchten ein großes Teppichhaus, ein Möbelhaus und noch ein Möbelhaus. Das Erlebnis war ernüchternd. Im Teppichhaus, in dem ich viel Expertise vermutete, fehlte gänzlich der Service. Der Reiseleiter und ich schlugen kiloschwere Teppiche um, um die darunter liegenden zu betrachten. Ein vorbeilaufender Verläufer murmelte etwas von „Sie kommen zurecht, ja?“, und verschwand wieder im Nirgendwo, während uns bereits die Arme schmerzten. Maße waren schwer ersichtlich; wenn uns etwas gefiel, entpuppte es sich als zu groß, zu klein oder sackteuer. Im Möbelhaus war der Service besser, aber geschmacklich … schwierig. Man stellte uns Teppiche vor, die, je nachdem, von welcher Seite man draufschaut, anders aussehen. Wenn ich den Wohnzimmerteppich also von der Küche aus betrachte, ist er wunderbar freundlich und hell; wenn ich auf dem Sofa sitze, ist er gruselig dunkel und schimmert silbrig, und das für 1.000 Euro. Das Konzept verstand ich nicht. Menschen, die Wohnwände und Sitzwürfel besitzen, sind hier sicher gut aufgehoben; ich fühlte mich nicht abgeholt. Wir kehrten im Möbelhausrestaurant ein, aßen eine Suppe. Dann fuhren wir nach Hause. Ich bestellte online bei einem schwedischen Teppichhaus. Mal schauen, was da kommt.


Gelesen | Die Formel der Hoffnung von Lynn Cullen, übersetzt von Maria Poets. Die Autorin erzählt die Geschichte von Dorothy Millicent Horstmann, die in den 1940er und 50er Jahren zu Polio forschte und nachwies, wie das Poliovirus vom Darm über das Blut ins zentrale Nervensystem gelangt. Damit legte sie den Grundstein für die Entwicklung des Impfstoffs. Eine vielversprechende Geschichte, leider enttäuschend umgesetzt. Die Figuren sind flach und holzschnitzartig, die Sprache ist es ebenfalls. Zudem verliert sich die Geschichte in den einzelnen Phasen der Impfstoffentwicklung und den daran beteiligten Wissenschaftlern. Schade.

Gelesen | Freiheit im Fadenkreuz. In Waiblingen berichtet der Journalist Alexander Roth über Querdenker und ihre Verbindung zur Reichsbürgerszene. Die taz erzählt von der Hetze und Bedrohung, der er ausgesetzt ist.


Schweine | Die Schweine verbringen die Regentage gerne zuhause. Sie freuen sich jedoch, wenn Besuch kommt.

Drei Meerschweine schauen neugierig aus einem Haus und einer Weidenrolle in die Kamera.

Fußballplatz am Sonntagmorgen, Fahrerflucht und Checker Tobi

30. 10. 2023  •  4 Kommentare

Sonntagmorgen auf dem Fußballplatz | Stellen Sie sich einen Fußballplatz in Seppenrade vor. Seppenrade – das liegt zwischen Lüdinghausen und den Borkenbergen, im Südwesten Kökelsum und Rekelsum, im Norden Ondrup und Daldrup. Das wird Ihnen nichts sagen, es ist auch nicht wichtig. Lassen Sie die Dorfnamen einfach auf sich wirken und stellen Sie sich den Fußballplatz vor, über den sich gerade ein ergiebiger Münsterländer Landregen ergießt.

Am Rande des Platzes, unter einer kleinen, überdachten Tribüne, stehen Eltern in Steppjacken und Trekkingschuhen. Sie haben die Schultern hochgezogen, ihre Hände umschließen Becher mit dampfendem Kaffee. Es ist Sonntagmorgen. Es ist zu früh, um hier zu stehen. Es ist zu windig, zu kalt und zu nass. Es ist zu alles.

Auf dem Platz rennen Mädchen, elf und zwölf Jahre alt. Unerschütterlich jagen sie einem Ball hinterher. Das Spiel sieht schon ganz gut aus, viel besser als in der vergangenen Saison. Ballannahme, Passspiel, alles geschieht inzwischen solider, sowohl bei jeder einzeln als auch im Zusammenspiel.

Zu Füßen der Eltern kauern die Geschwister der Spielerinnen und führen dentale Fachgespräche. Es wird besprochen, wem zuletzt welche Zähne ausgefallen sind und was das größere Unbill ist: Schneide- oder Backenzähne. „Mir ist ein Zahn gewachsen, bevor der andere ausgefallen ist“, berichtet ein Mädchen, reißt den Mund auf und lässt die Fachgruppe teilhaben. „Damit musst du zum Zahnarzt“, sagt ein Knilch, der nicht älter als vier sein kann. „Das hatte mein Bruder auch. Der Zahnarzt musste operieren mit ganz viel Blut.“ Schockstarre.

Die Mädchen bolzen weiter, unbeirrt. Auf der faltbaren Ersatzbank am Spielfeldrand sitzen die Spielerinnen im Regen. Sie warten auf ihren Einsatz. Sie lehnen sich zurück und plaudern, reichen Flaschen herum und necken sich, als sei es ein Sommertag.

In der zweiten Halbzeit wird es tatsächlich freundlicher, der Himmel klart auf. Aber der Wind wird frischer. Es ist jetzt nur auf andere Weise kalt. Die Eltern auf der Tribüne ziehen die Reißverschlüsse ihrer Steppjacken hoch, rücken die Mützen auf den Geschwisterköpfen zurecht und schlingen die Arme um den Körper.

Am Ende steht es 0:0. Es werden noch Elfmeter geschossen, auch wenn es nichts mehr zum Ergebnis beiträgt. Aber die Jugend will einen Sieger sehen. Gebrüll feuert die Schützin an – oder die Torfrau, je nachdem, auf welcher Seite man steht. Die Auswärtsmannschaft gewinnt das Schießen mit 3:1.

Als wir zu den Kabinen gehen, Kinder und Rucksäcke im Schlepptau, kommen wir am Kiosk vorbei. Es gab Waffeln, aber sie sind jetzt aus. Die Mädchen ziehen sich um. In kurzen Hosen kommen sie zurück aus den Umkleiden und ernten mahnende Worte: Den Eltern friert, sie sollen sich etwas anziehen. „Aber es ist total warm!“ Immerhin gibt es noch süße Tüten am Kiosk, nicht nur für die Kinder.


Leibesübung | Gerudert und geschwommen, nichts Besonderes. Es war schön, mal wieder eine längere Strecke im Wasser zu sein, auch wenn das Becken sehr voll war. Beim Rudern auf dem Heimtrainer sah ich eine 37°-Doku: Mein Nachbar, der Neonazi. Gruselig, wirklich gruselig. Auch wenn der Film sich an einem hoffnungsvollen Ende versucht: Es bleibt ein schaler Geschmack zurück. Und der Schluss: Es geht nur, wenn alle aufstehen, wenn wir sichtbar werden gegen Rechts.


Lesung | Am Samstag las ich aus meinem Roman vor. Der Ladies‘ Circle Dortmund hatte mich zu einer Charity-Lesung eingeladen. Im Preis für die Eintrittskarte waren nicht nur Sekt und Fingerfood enthalten, sondern auch eine Spende. Der Erlös geht an den Sozialdienst katholischer Frauen in Hörde, um gute Sozialarbeit in meiner alten Hood zu unterstützen.

Es war eine schöne, kurzweilige Runde mit etwa 30 Gästen. Ich erzählte von der Entstehung des Romans, Hintergründe aus der Recherche, und es gab zahlreiche Fragen aus dem Publikum. Hinterher saßen wir noch ein bisschen zusammen. Das war super.

(Keine Bilder – habe verpasst, Fotos zu machen)


Fahrerflucht | Jemand hat mein (parkendes) Auto angefahren und ist abgehauen. Als der Reiseleiter und ich am Auto anlangten, standen dort vier Menschen, sagten uns, was geschehen war – es muss wohl gut hörbar gewesen sein und einen ordentlichen Rüttler gegeben haben – und fügten hinzu: „Wir haben alles gesehen, und wir haben das Kennzeichen.“ Außerdem hatten sie eine Videoaufzeichnung, denn einer der Zeugen fährt einen Tesla: In dem Moment, als der Unfall sich anbahnte, hat er geistesgegenwärtig auf „Aufnahme“ gedrückt. Wir riefen die Polizei, die alles zu Protokoll nahm.

Inzwischen habe ich die Unfallmeldung auf der Wache abgeholt. Die Polizei hat den Halter ermittelt und bereits dokumentiert, dass sein Auto eine Unfall-entsprechende Beschädigung aufweist. Die Versicherung des Halters wird mir den Schaden (Lack- und Schleifschäden am Kotflügel) also ersetzen können, sehr prima.

Der Rest wird für den Halter dann wohl eher unerfreulich, vor allem wenn er auch der Fahrer war.


Gesehen | Checker Tobi und die Reise zu den fliegenden Flüssen. Interessant und lehrreich, auch für Erwachsene. Jetzt habe ich Lust, längere Dokus über all die Orte zu sehen, zu denen Marina und Checker Tobi gereist sind. Ganz toll ist schonmal dieser Drohnenflug durch die Sơn-Đoòng-Höhle in Vietnam.

Gelesen | Beim Sonntagsfrühstück in der taz gelesen und zwei interessante Artikel entdeckt, die es auch online gibt: Matthias Schimpf, ein stellvertretender Landrat aus Hessen, fasst die Sicht der Kommunen zusammen. Lesenswert, ich nickte bei jedem Absatz. Außerdem: Ein kurzer Einblick in den Spekulationsmarkt der Pflegeheime, erhellend.

Gelesen | Sie will doch nur arbeiten [€]. Samikshya Bhurtel ist ausgebildete Pflegekraft und darf nicht arbeiten, obwohl sie bereits einen Arbeitgeber hat, dem zudem die Pflegekräfte fehlen. Eine Geschichte vom Passierschein A38.


Schweine | Nachdem die Schweine während der vergangenen Regenzeit maximal inaktiv waren, erwachten sie am Sonntagnachmittag mit frischer Energie.

Drei Meerschweine drängeln sich in der Stalltür

Grusel, Stau mit Aussicht und ein vergoldetes Schwein

24. 10. 2023  •  16 Kommentare

Brennender Brenner | Ein kurzer Rückblick noch das Südtirol, bevor ich mich der Gegenwart zuwende. Der Rückweg aus Südtirol war hindernisbehaftet. Der Münchener Merkur titelt Klickbait-trächtig: Feuer-Inferno legt Brenner-Autobahn lahm. Wir standen wenige hundert Meter dahinter und konnten nur eins: Warten.

Fotos aus dem Auto heraus: Vor dem Auto ein weiteres, im Hintergrund Bergkulisse

Wir warteten mit guter Aussicht. Und warteten. Zweieinhalb Stunden lang. Dann gaben Polizei und Autobahnmeisterei eine Spur frei, und wir konnten langsam vorbeirollen. Von den Lkws waren nur noch Gerippe übrig. Die Fahrer wurden zum Glück nicht verletzt, und auch sonst gab es nur Sachschaden. Das ist das Wichtigste. Solch ein Unfallgeschehen macht ja immer sehr demütig.


Zwischenstopp | Wir fuhren nicht direkt nach Hause, zumindest ich nicht. In Karlsruhe brachte ich den Reiseleiter zum Zug. Nach dem unfreiwilligen Halt auf dem Brenner erwischte er noch eine Abendverbindung und kam vor Mitternacht im Münsterland an. Ich selbst fuhr zu einem Hotel und verbrachte zwei Tage beim Kunden.

Hotelzimmer: Links ein Doppelbett, die Tapete dahinter gestreift. Vor dem Fenster (geradeaus) eine weiße, blickdichte Gardine. Links ein Glasschreibtisch mit rotem Stuhl davor und ein Fernseher an der Wand. Die Atmosphäre ist kühl.

Der Umstand, dass ich sowohl auf dem Hinweg als auch auf dem Rückweg bei Kunden in Baden-Württemberg Halt machte, war praktisch und wirtschaftlich, erforderte aber Einiges an Planung. So habe ich vor dem Urlaub alle Materialien und das passende Outfit für Kunde Eins eingepackt, alles Zeugs für den Urlaub und alle Materialien für Kunde Zwei, plus ausreichend weiteres Outfit. Im Südtiroler Schrank hingen also Blusen und Hosen, die ich unangezogen wieder einpackte, um sie auf dem Rückweg zu tragen.

Nach dem Auftrag beim Kunden fuhr ich heim: fünf Stunden Fahrt durch den Abend, von Baden-Württemberg ins Münsterland. Erstaunlich, wie viele Fahrzeuge ab 19 Uhr noch unterwegs sind. Die Park- und Pausenproblematik der Fernfahrer war mir bekannt, aber dass ich, als ich anhalten wollte, entlang der A3 keinen Platz fand, um mal zwanzig Minuten meinen Pkw (!) zu parken, hat mich dann doch, ja, erschüttert. Jeder, wirklich jeder freie Quadratmeter war mit Lkws belegt. Ich hatte also einige Mühe, auszutreten und mir Pommes zu kaufen. Anschließend hatte ich Mühe, wieder auf die Autobahn aufzufahren, weil auch die Beschleunigungsspur zugeparkt war. Heikel.

Da sag einer, Bahnfahren sei unkomfortabel. Da hat’s wenigstens ein Klo und man kann in Ruhe etwas essen.


Halloween | Auf Frau Novemberregens Themenvorschlagsliste stand Halloween, das ist ja bald wieder, und ich greife das mal auf. Ich habe nicht direkt etwas gegen Halloween, ich habe aber auch nichts für Halloween. Grundsätzlich finde ich es eher unangenehm, wenn abends, nachdem ich bereits im Jogger bin und es mir auf dem Sofa gemütlich gemacht habe, unaufgefordert Menschen an meiner Tür klingeln. Dass sie seltsam bemalte Gesichter haben, mich anschreien und Süßigkeiten von mir erpressen, macht es nicht besser. Dass es Kinder sind, erwärmt mein Herz nicht sonderlich – wären es Senioren, die Zeugen Jehovas oder Menschen mit kleinen Babykätzchen, wäre die Sache ebenso unkomfortabel. Aber man kann sich im Leben nicht jede Abendgestaltung aussuchen. Folglich ist das wohl hinzunehmen.


Der Cyber-Apostel | Das Gruselthema lässt mich noch einmal gedanklich nach Südtirol zurückspringen. In einer Kirche in Bruneck entdeckten wir auf einem Seitenaltar das Bild eines Jungen. Worte, die sich um sein Bild rankten, und der Schmuck des Altar legten Verehrung nahe. Ich recherchierte.

Der Bub, ein braunhaariger Teenager, heißt Carlo Acutis. Er starb 2006 an Leukämie und ist selig gesprochen. Der Grund: Er war Cyber-Apostel. Die ganze Geschichte ist wild, deshalb hier nur eine Management-Summary: Carlo, Kind eines Investmentbankers, wuchs in einem religiösen Umfeld auf und beschäftigte sich schon früh mit dem Glauben – und mit dem Programmieren. Mit elf Jahren erstellte Carlo eine Datenbank, in dem er 136 überlieferte eucharistische Wunder katalogisierte. Dann erkrankte er an Leukämie und starb. Durch nicht genau nachvollziehbare Entwicklungen – es scheint hier starkes Engagement der Eltern gegeben zu haben – wurde der Junge posthum zum religiösen Helden.

Aus dem Wikipedia-Artikel möchte ich Ihnen besonders diese Passage ans Herz legen:

Bereits 2019 wurde der Leichnam Acutis’ aus der Gruft in Assisi gehoben und exhumiert. […] Der Bischof von Assisi, Domenico Sorrentino, stellte später richtig, Acutis’ Körper sei nicht unversehrt aufgefunden worden, sondern habe „den normalen Prozess der Verwesung“ durchlaufen und sei „mit Kunst und Liebe wieder zusammengefügt“ worden.

Das Herz wurde dem Leichnam entnommen und bleibt in einem kostbaren Reliquiar in der Franziskus-Basilika ausgestellt. Der Leichnam Carlos wurde in einem Holzsarg in der Kathedrale von Assisi zur öffentlichen Verehrung ausgestellt. […]

Dort war der wiederhergestellte Leichnam von Carlo Acutis bekleidet mit Alltagskleidung aus seinem Nachlass zu sehen, die Haare präpariert und das Gesicht und die Hände aus Silikon nachmodelliert.

Wikipedia: Carlo Acutis

Sie haben es ganz gut hingekriegt, das „Zusammenfügen“ und „Nachmodellieren“.


Schweine | Nach dem Grusel nun etwas Flausch: Ich bin wieder mit den Meerschweinen vereint. Die Viecher freuen sich. Sie freuen sich allerdings über jeden, der ihnen Essen bringt; ich nehme es nicht persönlich.

Vor dem Urlaub mussten wir mit Abendessen (1. Bild rechts, 2. Bild links) zum Tierarzt. Das Tier hatte eine kahle Stelle am Kopf. Da Abendessen das scheuste der Schweine ist – ein nervöser Charakter, der ständig auf der Hut ist – brauchte es Geschick, um das Tier einzufangen. Der Reiseleiter lockte es in einen Hinterhalt, reduzierte durch strategisches Einkesseln den Bewegungsradius, packte es und verfrachtete es in eine Transportbox. Das Schwein quiekte, als hätte der Habicht zugeschlagen, verfiel in Schockstarre und gab sich anschließend vollends auf.

Der Tierarzt wog das Schwein. Die kleine Spezialität bringt ausreichend Gewicht für eine Jause auf die Waage. Wirtschaftlich betrachtet wäre es die bessere Wahl gewesen, Abendessen entsprechend zu verwenden – oder schlicht zu erwürgen (was ich natürlich nie tun würde, ich zeige nur den Möglichkeitsraum auf). Die Behandlung kostete mit 70 Euro nämlich ein Vielfaches des Schweins.

Diagnose: Pilzerkrankung. Wir haben das Schwein vor unserer Abreise mehrmals mit einem Tonikum betupft, die Schwiegereltern mussten auch ran, sie machten Schweinesitting. Jetzt ist Abendessen wieder behaart, wohlauf und quasi vergoldet.


Eine politische Anmerkung | Seit einigen Wochen wird die Migrationspolitik medial bearbeitet. Der Kanzler fordert auf dem Spiegel-Titelblatt „Abschiebungen im großen Stil“. Dem sind zwei Dinge entgegenzustellen: Alle, die auch nur ein Mü informiert sind, wissen, dass es ein paar formale Petitessen gibt, die der Sache entgegenstehen. Und: Scholz‘ Aussage im Interview ist differenzierter, wenngleich immer noch populistisch. Wir haben also sowohl ein Problem mit einer populistischen Aussage als auch mit einer Redaktion, die diese auf einem Titelblatt noch populistischer zusammenfasst, anstatt sie zu hinterfragen.

Überraschend finde ich, wie die Migrationsthematik plötzlich aufschwappt, als würden gerade Menschen über Menschen unser Land überrennen (was nicht der Fall ist). Schon klar: Es gibt Schmerzpunkte in den Kommunen, bei den Ländern, beim Bund; viele praktische Dinge, die man besser machen kann, und die, weil wir sie nicht gut machen, negative Resultate zeitigen – aber in ihrer Gesamtheit scheint mir die Aufgabenstellung doch eher politisches Liniengeschäft zu sein. Mich persönlich bewegt das Thema jedenfalls nicht über das normale Maß hinaus. Praktisch ist natürlich: Wenn Migration diskutiert wird, muss sich niemand um Bildung, Infrastruktur, Bürokratieabbau und Klimawandelfolgen kümmern; das wird dann automatisch alles super, wenn die 56.000 ausreisepflichtigen Ausländer weg sind. Oder verstehe ich etwas falsch?

Ich sorge mich angesichts dieses von rechts getriebenen Agenda-Settings. Denn es säht nicht nur Zweifel am Grundrecht des Asyls. Es produziert Misstrauen gegenüber Jedem mit internationaler Familiengeschichte, delegitimiert auch diejenigen, die schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben und löst keine unserer großen Herausforderungen.

Ich will gar nicht wissen, welche Wogen erst losbrechen, wenn angesichts des Klimawandels irgendwann viele, wirklich viele Leute bei uns vor der Tür stehen – und zwar nicht über einen Zeitraum von wenigen Monaten wie 2015 oder zu Beginn des Ukraine-Krieges, sondern über Jahre.


Gelesen | Frau Herzbruch war beim Bauaufsichtsamt.

Gelesen | Frau Mohnblume betreut eine Frau mit Behinderung und war mit ihr bei einem niedergelassenen Gynäkologen. Ein würdeloser Besuch.


Broterwerb | Im November stehen beruflich wieder Reisen an: nach Stuttgart, nach Aalen und nach Herrenberg, nach Berlin, nochmal nach Stuttgart, dazu Engegaments innerhalb NRWs. Alles in wilden Kombinationen – Tage nacheinander an verschiedenen Orten. Gestern habe ich Hotels und Zugfahrten gebucht. Ich hoffe, dass Daten, Orten, Zugfahrten und Kunden alle zueinander passen, nd ich nicht in Herrenberg einchecke, obwohl ich eigentlich in Berlin sein sollte. Das wird ein erlebnisreicher Monat.

Die Weiterbildungsagentur Pro Content hat mich für ein weiteres Seminar in 2024 engagiert: Interne Kommunikation: Mitarbeiter:innen informieren & beteiligen – Change-Prozesse begleiten. Das wird sehr handfest und praxisnah.


Geguckt | Sörensen fängt Feuer. Die Theaterszenen waren mir zu abgehoben, aber sonst sehr gerne gesehehen.

Die letzten Tage in Südtirol: Das Messner Mountain Museum, immer wieder neue Menschen, ein UFO, ein See und noch ein Bergpanorama

18. 10. 2023  •  2 Kommentare

Leute | Bevor ich Sie erneut mit einem Bergpanorama belästige, einige Bemerknisse zu den Umständen, unter denen ich in Südtirol residierte.

Die Urlaubsplanung verläuft bei uns so: Wir einigen uns grundsätzlich auf die Art des Urlaubs (Wanderurlaub, Fahrradreise, Pool & Entdecken etc.) und eventuell auf die Region, im konkreten Fall Südtirol. Der Reiseleiter erfragt dann im Sinne eines guten Projektmanagaments die Requirements & Constraints, also die Anforderungen an einen zufriedenstellenden Urlaub und die Einschränkungen, denen wir unterliegen. Die Anforderungen an den Südtirol-Urlaub waren: Wellness, Wandergebiete und leckeres Essen, entweder im Hotel oder durch fußläufig erreichbare, kulinarische Infrastruktur. Einschränkungen: per Bahn erreichbar, Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln.

Der Reiseleiter fand unser Hotel mit Pool und Saunalandschaft, mit der Almencard für die kostenlose Nutzung des Südtiroler ÖPNV und mit Dreiviertelpension, also mit Frühstück, Nachmittagsjause und abendlichem 4-Gänge-Menü. Wir buchten.

Die Wahl stellte sich als hervorragend heraus. Das ist aber nicht das, was ich erzählen möchte. Es ist nur relevant für den Kontext. Wir hatten also dieses Hotel gebucht, für elf Nächte. Elf Morgende und Abende lang saßen wir beim Essen am selben Tisch. Das hatte hotelorganisatorische Gründe und brachte eine interessante Perspektive mit sich: Alle – ja, tatsächlich alle – Menschen blieben nur zwei, drei oder vier Tage, wir hingegen blieben die gleichen. Wir entwickelten ein Angela-Merkel- und Wolfang-Schäuble-Gefühl: Während wir an unseren Sesseln klebten und Knödel aßen, wechselte beständig das Kabinett.

Für vier Tage war zum Beispiel der Schnitzelmann Teil des Geschehens: Anstatt es seiner Begleiterin gleichzutun und seine Hauptspeise aus drei wohlkomponierten Gerichten zu wählen – Fisch, Fleisch oder vegetarisch, moderne Interpretationen Tiroler Küche – aß er jeden Abend SchniPo: Schnitzel und Pommes. Ich bewunderte ihn für seinen unterschütterlichen Mut zur Adilette.

Am Fenster für drei Tage ein Pärchen, er Baggy-Jeans und eine 80er-Jahre-Aviator-Brille (ich musste die modische Bezeichnung wieder nachschlagen, #bildungsblog), sie mit Wuscheldutt auf dem Kopf, weite Wolpullis. Sie unterhielten sich allabendlich; ich verstand nicht, was gesprochen wurde, hörte nur die Tonalität: Ihre Stimme problemschwer, ins Nörgelige driftend, er beschwichtigend, manchmal seufzend.

Für nur einen Abend saß ein schwules Pärchen neben uns: Er, zwei Meter groß und dünn wie eine Zaunlatte, sein Partner nur knapp einssechzig und ebenso schlank. Sie kamen spät, frühstückten nur einen Espresso, schwiegen sich an und waren wieder fort.

Für zwei Abende war ein Pärchen da, hetero, er drahtig und weißhaarig, Typ Marathon laufender Orthopäde, sie deutlich jünger, vielleicht die Geliebte. Er feierte seinen Geburtstag nach und bekam eine Torte vom Haus, sie erzählte allen, wonach niemand gefragt hatte: dem Reiseanlass („Wir sehen uns nicht oft und gönnen uns ein Wochenende“), von ihrer beruflichen Erfahrung im Tourismus („Ich habe ja auch eine zeitlang in der Hotelerie gearbeitet“), den Ernährungsgewohnheiten (er viele Meeresfrüchte, sie abends nur Rohkost) und ihrem Sportprogramm („Ich jogge viermal in der Woche“). Wir aßen mit Käse gefüllte Knödel.

Während wir dort waren, kamen außerdem drei Busgesellschaften, ebenfalls nur für wenige Tage. Sie kamen jeweils abends an. Das Servicepersonal war gerüstet, lotste zu den Plätzen und durch die vier Gänge. Am darauffolgenden Morgen jedoch, am Frühstücksbuffet, waren die Leute auf sich allein gestellt: Selbstbedienung. Beobachtung: Je mehr Leute, desto mehr stützen sie sich in ihrer Desorientierung: „Der Kaffee …?“ – „Hier drüben.“ – „Nein, nicht hier. Dort. schauen Sie mal, da ist ein Automat.“ – „Aber …“ – „Ach ja, doch nicht.“ – „Woher haben Sie das Spiegelei?“ – „Dort drüben.“ – „Wo?“ – „Da.“ – „Nein.“ – …


Bergpanorama | Jetzt aber endlich schöne Aussicht: die Fane Alm.

Holzhäuser in Bergkulisse unter blauem Himmel mit weißen Wölkchen

Der Reiseleiter näherte sich der Alm von oben, ich von unten.

Weil ich am Morgen noch fürchterlich müde war und allgemeine Schlaffheit verspürte, wollte ich keine lange Wanderung machen und legte mich noch einmal hin. Der Reiseleiter, ein Mann voller Tatendrang, schnallte sich hingegen den Rucksack auf, stieg in den Bus nach Vals und begab sich auf eine Höhenwanderung. Abmachung: Wir treffen uns auf der Fane Alm.

Zwei Stunden später erwachte ich, fuhr mit dem Auto zu einem Wanderparkplatz und erklomm von dort die Serpentinen zur Alm, ein Weg von eineinviertel Stunde; dafür hatte ich gerade noch Kraft. Auf der Alm wartete bereits der Reiseleiter vor einer heißen Zitrone auf mich.

Nachdem wir gemeinsam abgestiegen waren, die Erkenntnis: Ich war mehr Höhenmeter gestiegen als er. Sein Aufstieg bestand aus mehr Bergbahn als Bergmarsch. Na sowas.


Das Ufo | An einem Tag spazierten wir in Meransen umher, ein kleiner Ort oberhalb unseres Quartiers in Mühlbach, Rio di Pusteria. Auf einem Hügel thront ein schwarzes, ovales Objekt. Es nennt sich familiamus, Zitat: „ein Ort für Familien und Kinder in all ihren Formen und Facetten“.

Weniger relevant als die Formen und Facetten scheinen mir die vorhandenen finanziellen Mittel: Die Nacht im Familienzimmer „Happiness“ kostet 310 Euro. Pro Person. Für eine Woche im „magischen Familienreich“ mit „Schatzsuche zu eurem eigenen Ich“ würden wir mit den drei Reiseleiter-Kindern also 7.385 Euro bezahlen. Inklusivleistungen sind unter anderem eine „Snackbar mit raffiniertem Obst- und Gemüse-Fingerfood“ (hier kindliche Würge-Geräusche einfügen) und „Kind- und Jugendprogramme mit Berücksichtigung individueller Entwicklungsbedürfnisse“. Die private Reitstunde ist allerdings – Obacht, Pferdefreunde! – nicht enthalten.

Ich lasse Sie damit mal allein. Wenn Sie sich spontan entscheiden und noch für den aktuellen Monat buchen, ist ein Kind inklusive. Das zeigt die Website aber bei der Preisberechnung nicht an, ein kleiner Fauxpas. Da müssten Sie dann mal nachhaken.


Seespaziergang | Am letzten Tag in Südtirol war es uns zu kalt für große Höhen. Wir fuhren nach Toblach und liefen einmal um den Toblacher See.

Toblacher See mit einem im Wasser auf Stelzen stehenden Restaurants

Toblach ist eine Wasserscheide von europäischer Bedeutung: Die Rienz fließt dort in Richtung Westen und mündet über Eisack und Etsch in der Adria. Die Drau fließt nach Osten, dort in die Donau und ins Schwarze Meer.


MMM | Die Almencard, die wir vom Hotel bekamen, erlaubte nicht nur die Nutzung des Nahverkehrs, sondern auch den kostenlosen Besuch eines Museums. Nach einer Woche bekamen wir eine neue Almencard und konnten ein zweites Museum besuchen. Wir entschieden uns für zwei Standorte des Messner Mountain Museums (MMM): Das MMM Corones auf dem Gipfelplateau des Kronplatzes widmet sich der Geschichte des Bergsteigens. Das MMM Ripa zeigt eine Ausstellung über die Bergvölker der Welt.

Das MMM Corones, Architektur von Zaha Hadid hat beeindruckende Räume: parallele Gänge im Hang, abfallende Wege, verborgene Ecken, Aussichten.

Das MMM Ripa auf der Burg Bruneck: historische Mauern und ein interessanter Einblick in das Leben von Bergvölkern auf allen Kontinenden – mit überraschenden Parallelen.

Die Initialkosten für das Messner Mountain Museum, 30 Millionen Euro, haben zur Hälfte das Land Südtirol und Reinhold Messner getragen. Das Land finanzierte den Ausbau der alten Gemäuer, während Messer sich dazu verpflichtete, seine Austellung für die nächsten 30 Jahre aufrecht zu erhalten, auf eigene Kosten (Wikipedia).


Gelesen | Der Guardian beschäftigt sich mit der Deutschen Bahn: It’s the same daily misery: Germany’s terrible trains are no joke for a nation built on efficiency Dazu passt ein – Oldie, but Goldie – Cicero-Artikel aus dem Jahr 2019.

Gelesen | Frau Novemberregen beschreibt ihren Umgang mit Teenagerleichtsinn.

Gelesen | Fabio Volo: La vita nuova. Paolo ist ein Mann mittleren Alters: Verheiratet, ein Kind, die Ehe kriselt, seine Eltern werden pflegebedürftig. Sein Freund Andrea ist ein Lebemann: Nach wechselnden Beziehungen hat er nun zwar schon länger eine Beziehung, er lebt aber weiterhin in einer eigenen Wohnung und nimmt alles nicht so ernst. In einem alten Fiat 850 Spider fahren die beiden durch Italien, um Paolos Vater mit dem Wagen zu überraschen. Eine Roadstory mit Männergesprächen, spontanen Halten und einer Entwicklung. Leichte Lektüre, aber nicht flach. Gerne gelesen.

Tage in Südtirol: Influencer auf Felsen, ein Höhenweg und viele Friedhöfe

15. 10. 2023  •  12 Kommentare

Drei Zinnen | In den Bergen lernt man viel über Menschen. Über sich selbst und über andere. Zum Beispiel unterhalb der Drei Zinnen, jenem dominanten Gebirgsstock in den Sextner Dolomiten; ein dankbares Motiv für Kühlschrankmagnete und, ja, Influencer. Nun mag es sein, dass ich auch irgendwie Influencerin bin; vielleicht Waffel- oder, seit Jüngstem, Meerschweinchen-Influencerin. Jedenfalls lassen das Zuschriften vermuten, die ich erhalte.

Unterhalb der Drei Zinnen tritt eine Art von Influencer:innen auf, die, nun ja, Überraschung hervorruft. So wanderten der Reiseleiter und ich in angemessener Bergmontur auf einem Geröllpfad aufwärts, auf 2.400 Metern. Wir schnauften etwas, als hinter einer Kurve unversehens eine junge Frau auf einem Felsblock stand, lediglich bekleidet mit – Moment, ich muss das Fachwort nachschlagen – Boyshorts und einem Büstenhalter. Den Rest hatte sie abgelegt, hinter ihr die Berge. Die Frau schob ihren Po raus, streckte ihre Brüste vor, das Kinn ebenso und schürzte die Lippen. Es bedurfte deutlicher Mühe, lasziv auszusehen und nicht vom Felsen zu fallen, Eine andere Frau machte Handyfotos von ihr.

Panoramabild, in der Mitte die drei Zinnen, an ihrem Fuß Menschen. Im Hintergrund weitere Berge.

Es waren viele Menschen dort oben unterwegs. Von der Auronzo-Hütte bis zu den Drei Zinnen zog eine Touristenkarawane. Die Karawane verlief sich jedoch, je weiter wir den Rundweg um die Felsengruppe gingen, eine zehn Kilometer weite Schleife, die erst zur gegenüberliegenden Drei-Zinnen-Hütte führt, dann hinab ins Tal, wieder hinauf auf die Anhöhe und die sich anschließende in einem ausholenden Schwung zurück zur Auronzo-Hütte zieht.

Der Reiseleiter und marschierten also weiter zur Drei-Zinnen-Hütte. Die Aussicht war ausnehmend spektakulär; maximal instagramable.

Panorama: Rechts die Drei Zinnen, links die Drei-Zinnen-Hütte. Hochalpine Landschaft mit Felden und Tälsern, blauer Himmel.

Die Drei-Zinnen-Hütte selbst hatte bereits geschlossen. Wir saßen auf Felsen und schauten in die Gegend. Ins Tal und in die Berge zu schauen, ist hier eine absolut ausreichende Tätigkeit. Ab und zu ließ sich eine Alpendohle mit der aufsteigenden Luft zu uns tragen und wartete auf herabfallende Brotkrumen. Kleine Käfer krochen über Steine. In der Ferne taten die Menschen es ihnen nach.

Panoramaufnahme: Drei-Zinnen-Hütte vor alpiner Kulisse

Als wir genug geschaut hatten, stiegen wir ins Tal hinab. Und dann stiegen wir wieder aus dem Tal hinauf. Das war unerfreulich anstrengend; die Höhe machte sich bemerkbar. Außerdem verspürte ich den Bedarf nach leicht zugänglichen Kohlenhydraten, denn auf der Hütte hatten wir ja nichts bekommen. Wir hatten aber keine Kekse mit, auch keinen Kuchen. Immerhin fanden wir Schüttelbrot und einen Apfel im Rucksack.

Eine Szene noch, bevor ich die Drei Zinnen erzählerisch verlasse: Er, Pullunderträger (nicht in der Ausführung Berlin-Friedrichshain, sondern in der Edition Finanzamt Erlangen) trug die Kompaktkamera. Sie, gesmokte Taftbluse, die Haare hochgebunden mit – auch hier muss ich das Fachwort recherchieren – einem getigerten Scrunchie aus Satin, hielt einen kurzatmigen Pekinesen im Arm. Sie kletterte auf einen Felsen, eine Hand am Stein, in der anderen der Hund im Würgegriff. Das Vorhaben war wackelig, der Pekinese schaute besorgt – Absturz oder Erstickungtod, hier war heute alles drin. Die Frau ließ sich nieder, den Hund weiterhin fest im Arm. Sie strich ihm über den Kopf, richtete sein Fell und drehte sich in Richtung des Pullundermannes mit seiner Kompaktkamera. Gemeinsam mit dem Hund bildete sie ein Ölgemälde-würdiges Motiv vor der alpinen Bergkulisse. Ihr Körper straffte sich noch einmal. Der Pullundermann hielt sich die Komptaktkamera vors Gesicht. Die Frau richtete noch einmal den Hund – Klick!


Reiner Höhenweg | Die nächste Wanderung führte uns in die Einsamkeit des Tauferer Ahrntals, ein Ort gänzlich ohne Influencer und Pekinesen. Von hier aus, so lasen wir, könne man auf die Riesenferner-Gebirgsgruppe und auf Gletscher schauen. Das wollten wir tun, solange es sie noch gibt.

Wie alle Wege hier begann auch dieser unerfreulich steil. Rolltreppen wären eine gute Sache hier und würden manches erleichtern. Aber hier gab es weder Rolltreppen noch Bergbahnen, aber als wir eine erkleckliche Höhe erreicht hatten, konnten wir zur Kirche hinunter schauen. Dort waren wir losgegegangen. Am Hang die Lobiser Schupfen, historische Heuhütten, neu aufgebaut.

Am liebsten mag ich es ja, wenn es nach einem knackigen Anstieg eine zeitlang gerade geht. Wanderbeschreibungen wie: „Der Weg führt uns auf gleichbleibender Höhe am Hang entlang“ begrüße ich.

Paniramaaufnahme vom Reiner Höhenweg

Ebenbfalls toll sind geöffnete Hütten. Auf der Durra Alm genoss ich erst eine Apfelschorle, dann eine Holunderschorle, dann eine Johannisbeerschorle (ich hatte Durst) und aß ein üppiges Käsebrot. Danach war ich bereit für den Abstieg.

Ein Käsebrot und ein Glase Holunderlimonade für Bergkulisse

Ein Haus am Wegesrand, kurz vor dem Ziel:

An die Mauser gepinselt: 
Dies Haus ist mein
und doch nicht mein
der nach mir kommt
kann's auch nicht leih'n
und wir's den Dritten übergeben
er kann's nur haben
für sein Leben
den Vierten trägt
man auch hinaus
sag, wem gehört nun dieses Haus

Friedhof | Wenn ich andernorts bin, gehe ich gerne auf Friedhöfe. Niemand erzählt das Leben so gut wie die Toten, besonders in den Dörfern, wo die Namen auf den Grabsteinen sich ungezählt wiederholen und wo – wie hier in Südtirol – jedes Grab Fotos derjenigen Menschen zeigt, die es beherbergt. Man schaut in Gesichter aus drei Jahrhunderten, Menschen in strenger Tracht und mit ebenso strengen Mienen, Schwarz-weiß-Aufnahmen aus einer weit entfernten Zeit. Man sieht Menschen mit schweren Brillen im Sepia der 1970er und Fotos aus jüngeren Tagen, bunt und fröhlich.

Wer in den Bergorten Südtirols zu liegen kommt, hat eine hervorragende Aussicht. Die Gräber befinden sich an den Kirchen, die Kirchen stehen exponiert im Dorf. Es gibt Gräber voller Lechners, Unterlechners und Siebenlechners, voller Hubers, Unterhobers und Oberhubers.

Wer in der Stadt liegt, etwa in Bruneck oder in Brixen, ist umrahmt von Arkadengängen. In den Arkaden liegen die Reichen und die Honorigen, in der Mitte ruht das gemeine Volk. Auf den alten Grabsteinen: Berufe und Verwandtschaftsbeziehungen. „Güterbesitzer“ war ein auffallend beliebter Beruf der Laubenliegenden.

In der Kategorie „Reproduktion“ geht der Sonderpreis an den Neuhauser Josef jun., der 22 Kinder mit vier Frauen zeugte:

Grabstein der Familie Neuhauser, darauf verzeichnet die Frauen des Josef Neuhaser und die ausgewählte Kinder

Ich möchte Romane über all diese Familien lesen, über die Neuhausers und über die Lechners, die Unter- und die Sieben-, über die Menschen, deren Hof und Herkunft auf dem Grabstein steht, und über diejenigen, deren Spitzname verzeichnet ist, weil sie niemand unter dem richtigen Namen kennt.


Gelesen | Jetzt droht ein großer Krieg [€]. Eine lange Analyse zu den Zusammenhängen zwischen den Angriffen der Hamas, der Rolle Irans und der Rolle Russlands. Sehr interessant, gleichzeitig ausgesprochen unerfreulich.

Ausprobiert | So groß ist der Gaza-Streifen im Vergleich zur eigenen Stadt. Spoiler: Er ist klein.

Die ersten Tage in Südtirol: Wir lassen uns ein und essen mit Käse Gefülltes

9. 10. 2023  •  8 Kommentare

Sich einlassen | Beginnen wir beim Wetter. Es ist warm in Südtirol, sehr warm. Heute hatten wir 28 Grad im Tal. Für die Chronik: Wir schreiben Montag, den 9. Oktober.

Wir hatten mit gutem Wetter gerechnet, aber nicht so gutem. Ich habe nur eine kurze Hose im Gepäck, nachträglich in den Koffer geworfen vom Reiseleiter, der mir nach Stuttgart nachreiste und, seiner Rolle folgend, das Reisewetter im Blick hatte und entsprechend handelte.

Wir wohnen in einem Hotel, das jeden Abend ein Vier-Gänge-Menü serviert. Ein Gang besteht immer aus etwas, das mit Käse gefüllt ist, sanft umgeben von einer Käsesoße. Am ersten Abend gab es mit Käse gefüllte Spinatknödel in Gorgonzolasoße, gestern mit Käse gefüllte und frittierte Canelloni, heute mit Käse gefüllte Rote-Beete-Knödel. Käse ist ein großes Thema hier, beim Frühstück, bei der Jause wie auch beim Abendessen. Wir lassen los und uns darauf ein.

Einlassen ist ein gutes Stichwort: Am ersten Wandertag ließen wir uns auf die Almprinzen ein, ein Volksmusikduo. Es spielt beim Almabtrieb in Nauders, frisch und frohgemut, mit Akkordeon und Gitarre und einer Sammlung Altherrenwitze, die Mario Barth hätte erblassen lassen. Die Wiese an der Spritzenhütte war voll mit Menschen, Touristen wie Einheimischen. Es gab Krapfen mit und ohne Marmelade, Pommes und Bier und eben die Almprinzen. Als wir dort ankamen, hochmarschiert aus dem Tal und etwas außer Puste, war mir sofort klar, dass man sich hier voll in die Situation werfen muss: Trachten, Volksmusik und Tiroler Bauernjugend – das muss man wollen, von Herzen.

Wir blieben dort, bestellten Alkoholfreies und beobachteten, wie Busunternehmen immer mehr Senioren auf die Wiese karrten. In der Warteschlange vor dem Toilettenhäuschen traf ich Frau, graues Haar. Sie sagte sie sei das erste Mal mit einem solchen Unternehmen unterwegs. Ich fragte sie, ob es gut sei. Sie antwortete: „Naja, es ist halt alles organisiert.“

Wiese mit Bergkulisse im Hintergrund. Auf der Wiese sehf viele Biergarnituren, auf denen allesamt Menschen sitzen.

Neben der Festwiese war eine weitere Wiese, doppelt so groß. Auf dieser Wiese parkten die Autos aller Menschen, die nicht wie wir zu Fuß gekommen waren. Mit dem SUV zum Almabtrieb, so macht man das heute, da lohnt sich danna uch die Bodenfreiheit, wenn es über rumpelige Grashügel zurück auf die Dorftstraße geht.

Irgendwann kamen dann auch die Kühe. Die Chefkuh war geschmückt, aber unbeeindruckt vom Trubel; sie kam sich in keiner Weise wichtig vor. Vielmehr hatte man den Eindruck, dass sie ein bisschen genervt war von all den Leuten – wer will es ihr verdenken. Man stelle sich so einen Almabtrieb anders vor, man stelle sich vor, die Kuh wäre ein Mensch, keine Frau, sondern ein Mann, ein Markus Söder unter den Almkühen. Den ganzen Sommer wäre er auf der Alm gewesen, bei Sonne und bei Regen, hätte 3000 Liter Milch nr mit dem eigenen Körper produziert – aus Gras! Ja, Herrschaftszeiten, da hätten wir uns etwas anhören können. Es hätte Reden über die Kraft Tiroler Kühe gegeben, über die Leistung des Almwesens. Ein Herzerl auf der Stirn hätte dann lange nicht gereicht, es hätte ein Krönungsgewand königlichen Ausmaßes gebraucht, um mit ihm von der Alm herunter zu schreiten; weniger wäre der Sache nicht gerecht gewesen.

Kühe auf der Weide, eine davon geschmückt. Dahinter die Festwiese.

Stattdessen aber waren die Kühe froh, als sie endlich unten waren und sich auf die Wiese fallen lassem konnten.

Am zweiten Wandertag ließ ich mich auch ein – nicht auf die Almprinzen, sondern auf eine Verhandlung mit dem Reiseleiter, der, abweichend von der geplanten Wanderroute, „einen kleinen Abstecher aufs Haunoldköpfl“ vorschlug. Der Abstecher weitete die Wanderung auf 850 Höhenmeter und 15 Streckenkilometer aus. Das wussten wir aber beim Beschluss des Abstechers nicht. Wir folgten nichtsahnend dem Schild „Haunoldköpfl, 1h“.

Der Aufstieg dauerte tatsächlich nur eine Stunde, aber eine Stunde, in der es ausschließlich über Steine und Wurzeln steil bergauf ging.

Weg aus Wurzeln und Steinen

Unerfreulicherweise gibt das Bild nicht ansatzweise das Elend wieder, das wir eine Stunde lang erlebten. Glauben Sie mir also einfach, wenn ich sage, dass es fordernd war.

Als ich auf dem Köpfl ankam, musste ich mich erstmal drei Minuten auf dem Kasten mit dem Gipfelbuch ablegen, sonst wäre ich umgefallen. Zugegebenermaßen entschädigte die Aussicht. Wir hatten einen wunderbaren Blick auf die Dreischusterspitze und die Drei Zinnen, hinab ins Tal nach Innichen. Der Wind umsauste uns, und die Wolken zogen über unsere Köpfe hinweg.

Panorama vom Haunolldkoepfl mit Blick auf die Drei Zinnen

Als ich wieder einigermaßen in Schuss war, platziere ich mich auf einem Stein, zog mir Jacke und Weste über und kramte Brotstangen aus dem Rucksack. Nicht nur, dass sie hier in Südtirol alles mit Käse füllen, sie haben im Supermarkt auch eine Wand aus Grissini zur Auswahl: Grissini aus Mais, Grissini stirati, Grissini mit extra gutem Olivenöl, Grissini in allen Längen und Dicken.

Ich knusperte also Grissini, während ich auf dem Felsen saß und auf die Dolomiten blickte, unter mir das Pustertal.

Vanessa auf einem Felsplateau über dem Tal

Hinunterlaufen ist genauso unangenehm wir hinauf, nur auf andere Art und Weise. Meine Oberschenkel waren jedenfalls butterweich, als wir eineinhalb Stunden später, nach Unmengen verwurzelter Serpentinen, aus einem Geröllfeld herausstiefelten und unten am Berg ankamen. Die Stimmung war zudem angespannt. Denn Grissini sind eine feine Sache, wir hatten aber längst den Moment überschritten, an dem uns trockene Brotstangen weiterhalfen. Wir brauchten etwas Warmes, mit Käse Gefülltes.

Mein Blick schwenkte nach rechts. Da war tatsächlich eine Bushhaltestelle, und aus der Bushaltestellte schauten Beine heraus. „Guten Tag“, sagte ich, „fährt hier etwa ein Bus?“ Ich konnte es nicht glauben. Ja, sagte die Frau, aber erst in einer Viertelstunde. Was für eine hervorragende Nachricht! Ich hätte sie am liebsten umarmt und den Mann, der neben ihr saß, gleich mit. Einträchtig warteten wir auf den Shuttlebus, der uns vier Kilometer Weg einsparte. Es war die schönste Busfahrt seit Langem.

In Innichen fuhren wir mit dem Zug zurück nach Mühlbach. Den Nahverkehr haben sie hier gut organisiert. Und die Bahnhöfe sehen außerdem aus wie aus dem Katalog.


Gelesen | Margret Millar: Die lauschenden Wände, aus dem Amerikanischen von Karin Polz. Ein Buch aus dem Jahr 1959, gefunden im Bücherschrank im Dorf. Ein solider Kriminalroman: Amy Kellog ist verschwunden. Ihr Bruder beauftragt den Privatdetektiv Dodds, um herauszufinden, ob ihr Mann sie ermordet hat. Die Spannung ist überschaubar; dennoch wollte ich wissen, wie es ausgehen. Nette Ferienlektüre.

Von Haltern am See nach Stuttgart

6. 10. 2023  •  5 Kommentare

Der Weg nach Stuttgart | Obwohl ich nach Süden muss, fahre ich erst nach Norden. In Duisburg wird gebaut. Die Bahn fährt Umwege oder gar nicht, deshalb muss ich erst nach Münster, wenn ich nach Stuttgart will. Ich stehe am Bahnhof im Dorf und warte auf den Zug. Gerade habe ich mich von den Schweinen verabschiedet. Sie werden zweieinhalb Wochen ohne mich verbringen, bekümmert von den Schwiegereltern. Für einen Tag reise ich zum Kunden, von dort aus weiter nach Südtirol, Urlaub.

Der Zug kommt pünktlich. Regionalbahngeruch, aber in dezent. Es ist Mittag, der Waggon fast leer. Dülmen, Buldern, Appelhülsen, Bösensell. Endstation Münster, bitte aussteigen.

Münsters Bahnhof zeigt sich als Symbol des heraufziehenden, aber immer noch zu warmen Herbstes. Menschen in Stiefeln, Brauntönen und Daunenjacken mischen sich mit kurzhosigen Herren und Damen in Sommerkleidern. Eine Frau mit ausladendem Rock führt ihre Hausschuhe aus: goldene Schlappen mit fedrigen Puscheln, eine Anmutung von Derrick, die Füße nackt.

Die Anzeigetafel im Foyer zeigt alles an, was das Sortiment hergibt: Gleiswechsel, Verspätungen, umgekehrte Wagenreihungen. Die Zeugen Jehovas lächeln dagegen an. Sie haben sich unter der Anzeige platziert, neben dem Ticketautomaten, strategisch günstig, sollte man meinen. Doch in Zeiten von Bahn-App und Deutschlandticket lässt die Laufkundschaft zu wünschen übrig. Auf dem Handkarren der Zeugen steht, über den Zeitschriften: „Was ist Gottes Reich?“ Ich verstehe die Frage nicht. Was soll das heißen: Was ist Gottes Reich? Wo ist Gottes Reich, ja, das kann man sich fragen – aber was? Vielleicht wollen sie darüber ins Gespräch kommen, dass auch diese Bahnhofshalle Gottes Reich ist, ein Reich zwischen Yormas, Presse & Buch und dem Sanifair-Zwilling rail & fresh. Aber impliziert die Frage nicht, dass Gottes Reich irgendwo aufhört? Wenn es ein Was gibt, gibt es auch nicht Nicht-Was, gibt es auch die Frage: Was ist nicht Gottes Reich? Widerspricht das nicht dem Glauben des allgegenwärtigen Gottes? Ich bin versucht, die zwei Zeugen in genau diese Gedanken zu verwickeln. Ich habe 45 Minuten Aufenthalt, das ließe sich gut an. Aber ich entscheide mich dagegen und für den amerikanischen Kaffeeausschank, dort für einen Reisefrappuccino. 

Ich sitze schon im Zug, während ich diesen Text tippe. Immer, wenn ich „Gottes Reich“ tippe, macht mein Handy daraus „Gittes Reich“. Gittes Reich, wie die Schallplattensammlung meiner Mutter: Gitte Henning, was ist aus der eigentlich geworden? Ich schaue nach und ja, sie lebt noch. Sie ist heuer 77 Jahre alt, und ich bin erstaunt: War sie nicht in meiner Kindheit schon mindestens 60, oder fühlte sich das nur so an, aus der Perspektive des Kindes? Ich lese, dass sie in Aarhus geboren ist. Aarhus, auch so ein Reiseziel, das ich bald besuchen werde, in der ersten Januarwoche. Ich freue mich schon. Ich bin schon mehrmals im Januar verreist, meist allerdings nach Süden. Diesmal wird es Norden, wie damals nach Danzig, wo es erst um 9 Uhr hell und um 15 Uhr schon wieder dunkel wurde. Ich schlief damals viel, es war ein erholsamer Urlaub. Zum Nachmittag hin, wenn es dämmerte, trank ich eine heiße Zitrone mit Danziger Goldwasser, diesem Gewürzlikor mit Blattgoldflocken und 40 Volumenprozent Alkohol. Ich lernte die Mischung sehr schätzen. Während es draußen minus 14 Grad hatte, der Fluss zufror und dünner Schnee durch die historische Hanse-Kulisse wirbelte, saß ich in einem Kaffeehaus und speiste Teigwaren, während das Zitronengoldwasser meine Seele wärmte.

Im Zug eine Frau in Jeans und herbstlichem Mantel, an den Füßen nur Flip Flops. Sie steigt am Frankfurter Flughafen aus. Wo sie wohl hinfliegt? Sicherlich in ein Land, in dem leichte Fußbekleidung angeraten ist. Oder hatte sie nur eine Hammerzeh-OP und fliegt nach Kamtschatka? Ihr gegenüber zwei Herren, die fortwährend Bier trinken und Snickers essen, ein Riegel nach dem anderen, eine Flasche nach der nächsten. Auf ihren Köpfen prangen Zöpfe aus dünnen Haaren, um ihre Ohren und am Hinterkopf ist alles abrasiert. Auch sie steigen in Frankfurt aus. Neben mir ein Geschäftsmann im Anzug mit feinem Schuhwerk, hellbraunes Leder, die Schnürsenkel gewachst; es sind Senkel von der Sorte, die immer aufgehen, zum ungünstigsten Zeitunkt schlappen sie plötzlich um den Fuß herum. Während man mit dem Koffer durchs Bahnhofgedränge schiebt oder gerade zwei Becher trägt, flutschen sie aus der Schleife; man ist zur Doppelschleife gezwungen, damit das nicht geschieht, wie ein Sechsjähriger. Auch der Geschäftsmann trägt Doppelschleife, und er spielt ein Spiel auf dem Handy, Jump‘n‘Run, muss Geldstücke einsammeln. Er macht das gut, sehr routiniert.

Ich packe mein Brötchen aus: ein Kartoffelbrötchen mit Camembert und Marmelade, zu Hause geschmiert und in Butterbrotpapier verstaut. Die eigenen Stullen sind immer noch die besten. Ich höre Tatort Ostsee, die ersten drei Folgen einer Investigativrecherche zur Sprengung der Nord-Stream-Pipelines. 

Signalstörung im Raum Biblis. Wir bleiben immer wieder stehen, fahren Verspätung ein. Ich blicke in Gärten mit Apfelbäumen, an denen rot und schwer die Früchte hängen. Auf einzelnen Feldern steht noch Korn. Nebenan auf der Landstraße staut sich der Verkehr. 

Wir holen die Verspätung wieder auf und erreichen Stuttgart fast pünktlich. In Stuttgart das gleiche Bild wie in Münster, nur vereint in einer Person: Ein Mann, Kopf und Füße nackt, oben Glatze, unten Sandalen, dazwischen eine Daunenjacke. Auf dem Bahnsteig steht ein Mann im Hasenkostüm, er kann mit dem Schwanz wackeln. Ich googele später, wie man den Schwanz eines Hasen nennt; „Blume“, heißt er, das war mir entfallen. Ich begebe mich auf den Fernwanderweg 21, die hölzerne Allee ums Banhofsbauloch. Ein Junge hält sich an seinem leeren Kinderwagen fest und brüllt mir zu: „Wie schön, dass wir beisammen sind! Wir gratulieren dir, Geburtstagskind!“

Ich fahre mit der S-Bahn bis Feuersee und laufe den Rest zum Hotel. Es geht den Hügel hinauf und den Hügel wieder hinab. Ich hatte vergessen, wie wellig es hier ist.

Auf dem Weg liegen viele Stolpersteine: Manfred und Alice Straus und Sophie Fellheimer. Die Steine liegen vor einem Fabrikgebäude. Das ist ungewöhnlich, ich schlage später nach. Einige Meter weiter Sigmunde Friedmann, direkt daneben Karl-Bernhard Rothschild. Ich gehe die Treppe hinunter und treffe Paul, Wilhelm und Anny Kohn. Man muss sie alle sehen, diese vielen Stolpersteine. Das ist gut so.


Gelesen | Im Zug und im Hotel las ich wunderbares Buch. Ich habe es vor einigen Wochen auf dem Flohmarkt eines Supermarktes gefunden und für zwei Euro mitgenommen. Ursula März erzählt das Leben ihrer Tante Martl, feinfühlig und in einer poetischen Sprache. Es ist das Leben einer Frau, die als Lehrerin arbeitete, ihre Eltern versorgte und zeitlebens ohne Partner:in blieb. Ein zauberhaftes Portrait einer Frau und gleichzeitiger einer ganzen Generation. Das beste Buch seit langem. Große Empfehlung.

Gelesen | Christa Anita Brück: Ein Mädchen mit Prokura. Geschrieben in den 1930er Jahren, es spielt auch in den denselben. Erzählt wird die Geschichte von Thea Iken, die als Bankangestellte und rechte Hand des Chefs unter der Beobachtung der Männer steht. Als die Weltwirtschaftskrise auch das Bankhaus erfasst und jemand stirbt, gerät sie in Verdacht. Auch ein prima Buch, wenngleich nicht so nahbar wie Tante Martl. Aber ein interessantes Zeitdokument.


Neues Angebot | Das Seminar, das Katja King und ich in Chemnitz gegeben haben, steht nun auch auf meiner Website: Mit schwierigen Persönlichkeiten professionell umgehen und die eigene Gestaltungsmacht ausbauen. Wir sind käuflich und kommen gerne zu Euch in die Organisation.

Experiment | Für Frühjahr plane ich gemeinsam mit einer anderen Kollegin, Katharina Hermanns, ein Angebot speziell für Frauen mit Kindern: Stark durch den Alltag – ein Seminar für Mütter. Gemeinsam wollen wir Mütter stärken, die zwischen Beruf und Kindern jonglieren, die entkräftet sind von der Rolle als Familienmanagerin und ihre Denkmuster und Routinen hinterfragen möchten.

Der Preis für den Tag steht noch nicht fest – und der genaue Ort auch noch nicht. Ich werde in meiner Umgebung im Raum Dortmund/Münsterland anfragen. Ich würde gerne erstmal abschätzen, ob überhaupt Interesse besteht.

Das Angebot ist auch zur Vernetzung gedacht. Gerne können wir nach dem Programm den Abend gemeinsam verbringen (das wäre dann nicht mehr in der Leistung inkludiert, aber vielleicht sehr stärkend und unterhaltsam). Bei Interesse freue ich mich über eine E-Mail oder eine Interessensbekundung über die Seminarseite.


Schweinebild aus dem Archiv | Beim Snacken:

Die Fahrt mit der Möw-e und Pflaumenkuchen

4. 10. 2023  •  Keine Kommentare

Man fährt, wenn man fährt | Das lange Wochenende war ausgesprochen entspannt. Ich fuhr mit der Möwe auf dem Halterner Stausee. Meine Tante war zu Besuch, sie ist 80 Jahre alt, und die Fahrt war eine Möglichkeit, ihr lokale Attraktionen zu bieten. Die Möwe heißt eigentlich Möw-e, weil sie ein Elektroschiff ist. Ein Mordswortspiel.

Ginge es nach den Betreibern, den Stadtwerken, hieße das Schiff eMS Lebensfreude. „eMS“ steht dabei für „Elektromotorschiff“, also elektro-Motorschiff Lebensfreude. Kurz bevor das Schiff zu Wasser gelassen wurde, enthüllten die Stadtwerke den Namen. Entsetztes Schweigen in der Bevölkerung: Ein Name wie ein schwimmendes Seniorenheim. Oder wie ein Männergesangsverein: „eMS Lebensfreude: Der Melodienstrauß ist breit aufgefächert“ – nein, das konnte nicht wahr sein.

Nach einem Moment der Schockstarre geriet der ganze Ort in Aufruhr. Beim Bäcker, beim Friseur, an Marktständen – überall gab es nur ein Thema. Man schickte Brandbriefe an die Stadtwerke und an die Lokalzeitung. Mit Erfolg: Das Schiff heißt nun wieder Möwe, so wie sein Vorgänger aus dem Verbrennerzeitalter. Alles bleibt also, wie es ist, nur in umweltfreundlich.

Die Fahrt mit der Möwe, pardon: Möw-e, ist, nun ja, entschleunigend. Mit der Geschwindigkeit einer Ente schiebt sich das Schiff über den See. Niemand muss sich am Geländer festhalten, niemand muss Angst um seine Frisur haben. Es bleibt ausreichend Zeit, die Sehenswürdigkeiten am Ufer zu betrachten. Diese bestehen im Wesentlichen aus Bäumen. Das Schiff hält bei Jupp am Biergarten, an der Jugendherberge und in der Stadtmühlenbucht, an letzterer sogar eine halbe Stunde. Das Anlegen, das Ein- und Ausladen von Menschen, alles dauert so lange, wie es dauert. Der Ticketkontrolleur, der Snackverkäufer, die reisenden Seniorengruppen: Es ist so, als gebe es die Welt drumherum nicht, als sei man in einem eigenen, eineinhalbstündigen Universum. Alles ist ganz wunderbar. Man fährt, wenn man fährt, man steht, wenn man steht – mehr muss man nicht wissen.


Fortgang Elektroauto | Die Elektrofahrsache nimmt (Achtung, Wortspiel) auch zuhause Fahrt auf. Ich habe eine Wallbox bestellt. Ein Elektrofachbetrieb wird sie installieren.


Kulinarik | Der Garten gibt noch etwas her, Mangold zum Beispiel.

Mangold, die Stiele bereits angeschnitten, auf dem Tisch. Daneben eine Schüssel, Zwiebeln, Knoblauch und ein Messer

Ich kochte Mangoldpasta: Mangold, Zwiebeln, Knoblauch, Salz und Pfeffer, abgelöscht mit etwas Sahne. Dazu aufgerauhte Linguine, damit die Soße gut haften bleibt, und Parmesan.

Außerdem buk ich Pflaumenkuchen. Nach der Fahrt mit der Möwe kamen wir in Haltern Downtown beim Früchtejuwelier vorbei, ein türkischer Gemüsehändler mit ambitionierten Preisen, aber auch mit guter Qualität. Ich kaufte eineinhalb Kilo Pflaumen und verarbeitete sie am Feiertag zu Kuchen.

Pflaumenkuchen in Nahaufnahme

Pflaumenkuchen geht bei mir nur mit Quark-Öl-Teig. Der wird schön fluffig und schlotzig. Alles andere ist mir zu trocken.


Gelesen | Frau Novemberregen schreibt über Strategien zur Berufswahl, die auch den meinen entsprechen:

Ich habe schon alles Mögliche gearbeitet. Im Nachhinein kann ich all diese Jobs zu einer überzeugenden Geschichte zusammenfügen in der alles Sinn ergibt und die gar keinen anderen Schluss zulässt, als dass ich meine jetzige Stelle habe. In Wirklichkeit ist das aber Quatsch, es war eine Aneinanderreihung von Zufällen und genutzten Gelegenheiten ohne jede Strategie. Ich wusste gar nicht, dass es Arbeitsplätze wie meinen jetzigen gibt; meine Eltern, Tanten, Onkel, Großeltern haben nie in einem Büro gearbeitet.

3. Oktober 2023

Ich beobachte bei jungen Menscheneine eine große Sorge, die falsche Entscheidung zu treffen, was die Wahl des Ausbildungsplatzes oder des Studiums angeht. Mitunter mündet diese Sorge in völliger Tatenlosigkeit. Ich kann nur ermutigen, irgendwas anzufangen. Legt einfach los, lasst Euch ein. Es wird sowieso nicht Eurer letzter Job sein, wahrscheinlich nicht einmal Eure letzte Ausbildung, sondern nur die erste von vielen. Einfach starten – der Weg zeigt sich beim Gehen.


Schweine des Tages | Der Dicke, kuschelbedürftig, auf der Suche nach einem Anschmiegeschwein.

Zwei kuschelnde Schweine, eins sitzt im Häuschen und streckt den Kopf raus, der Dicke schmiegt sich von außen an


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