Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

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Ergänzende Worte zu den Piraten

10. 04. 2012  •  128 Kommentare

Ein Nachtrag:

Vor zwei Wochen habe ich mit „Liebe Generation meiner Eltern“ einen Nerv getroffen. In den Kommentaren gab es viel Zustimmung. Aber es gab auch Widerspruch. Diesem möchte ich gerne antworten.

Mitglieder meiner Elterngeneration (oder Kommentatoren, die sich dort einordneten) sagten zum Beispiel:

Es gibt auch die Elterngeneration, die das Internet nutzt, ja schon Internet genutzt hat, als ihr noch im Kindergarten wart und die bereits vor euch die Piraten gewählt haben. 

Ich drücke mich deshalb mal genauer aus: Wenn ich von meiner Elterngeneration spreche, dann spreche von 60- bis 75-Jährigen. Einige davon nutzen das Internet. Mein Vater zum Beispiel. Meine Mutter wiederum nicht, meine Tanten und Onkel auch nicht. Als die ersten Browser erfunden wurden, war ich ein Teenager. Also erzählt mir nicht, dass ich noch im Kindergarten war, als Ihr schon im Internet gesurft habt.

Aber darum geht es nicht. Ich möchte nicht erklären, warum mein Vater oder meine Tante vielleicht Piraten wählt. Oder mein Opa. Das sollen sie selbst schreiben. Ich möchte nur erklären, warum meine Generation in nennenswerter Zahl Piraten wählt – für alle, die danach fragen. Das hat nämlich wenig bis nichts mit dem Internet zu tun.

Mir wird in den Kommentaren des Beitrags vorgeworfen, dass meine Generation „wie die Made im Speck“  lebte, dass wir „vor lauter imaginären Problemen“ vergäßen, wie gut es uns ginge und dass ich „mit Anfang 30″ meine „Midlife-Crisis früh“ durchlebte. Auch schrieb ein Kommentator:

“Euch, den 25 Jahre später geborenen, kann es ja schon kaum mehr besser gehen, da nützt ja die ganze Anstrengung in der Schule schon nichts mehr.”

Genau hier ist der Kern unseres Unmuts, unserer Wut. Wir müssen nicht hungern, haben eine Wohnung. Aber wir arbeiten dafür, wie Ihr es auch tut oder getan habt. Wir kriegen nichts in den Hintern geschoben. Wir haben hohe Abgaben, zahlen hohe Mieten und haben uns unser Studium selbst finanziert. Alles andere ist Klischee. Aber wir können uns nicht verbessern, egal wie wir strampeln.

Nun, da wir seit zehn oder fünzehn Jahren im Berufsleben stehen und gerne mal ankommen, sesshaft werden, eine Basis haben möchten, erkennen wir, dass nichts sicher ist. Immer noch nicht. Wir haben keine sicheren Arbeitsplätze. Wir leben von Zeitarbeit und Zeitverträgen, von außertariflichen Regelungen, von immer neuen Einstiegsgehältern – nach jedem Jobwechsel, nachdem wieder einmal ein Zeitvertrag ausgelaufen ist, müssen wir uns bewähren. Viele von uns ziehen oft um, der Arbeit hinterher. Das ist kein Spaß. Das kostet Geld. Geld, das wir gerne ansparen würden, für später, für ein Eigenheim, für unsere Kinder, vielleicht auch nur für eine neue Waschmaschine. Aber noch bedeutsamer: Es kostet uns ein soziales Umfeld, einen sich über Jahre entwickelnden Freundeskreis, eine vertrauensvolle Familie um uns herum. Es kostet uns Zeit – die wir in Zügen und auf der Autobahn verbringen, auf dem Weg zum Partner, zu den Eltern, Großeltern und zu Freunden.

Ich sage nicht, dass mich das persönlich betrifft. Deshalb durchlebe ich auch keine Midlife Crisis. Mir geht es gut, ich habe einen tollen Beruf, lebe seit Jahren in derselben Region, bin glücklich. Aber ich sehe es bei meinen Freunden, bei meinen Verwandten, den Cousins und Cousinen, den ehemaligen Klassenkameraden und Mitstudenten. Von denen wohnt kaum einer mehr in unserem Heimatort – und das nicht, weil er nicht möchte. Sondern weil er dort keine Perspektive hat.

Gerne würden wir Kinder bekommen – bekommen sie auch. Aber wenn wir Frauen schwanger werden, wird unser Zeitvertrag nicht verlängert. Wenn wir uns dann eine neue Arbeit suchen, werden wir gefragt, wie es mit der Kinderbetreuung aussieht. Wenn wir einen Kita-Platz brauchen, gibt es keinen. Oder nur einen von 7 bis 15.30 Uhr und nicht vielleicht von 12 bis 17 Uhr, wie wir ihn brauchen könnten in dieser flexiblen Welt. Ein Kita-Platz, bei dem die Erzieher – übrigens auch welche von uns – uns um 15.40 Uhr frustriert maßregeln, weil wir unser Kind zehn Minuten zu spät abholen, weil wir im Feierabendverkehr standen, weil wir nicht früh genug wegkamen, weil wir unseren Job gut machen wollten, weil es verlangt wurde. Unsere Eltern können wir nicht fragen, denn sie wohnen weit weg. Manche sind selbst noch berufstätig, sie sind krank oder schon gestorben – auch das gibt es, sogar gar nicht selten.

Jetzt sagt nicht: Warum bleiben die Frauen dann nicht zu Hause? Haben wir auch getan! Ist das Beste fürs Kind! Und für alle entspannter.

Wer sich das leisten kann: gut. Aber ich kenne nur wenige, trotz guter Ausbildung – und nicht wegen überzogener Ansprüche, dem zweiten Auto oder dem dritten Jahresurlaub. Außerdem sehen wir doch bei Euch, wohin das führt. Ihr, unsere Mütter, habt zwei oder drei oder vier Kinder großgezogen und bekommt heute nur eine Mini-Rente. Oder Ihr seid von unseren Vätern geschieden, und weil Ihr nach Jahrzehnten ohne Berufstätigkeit keine Anstellung über 400 Euro findet, lebt Ihr von ihrem Unterhalt. Ein Gehalt für Zwei – da muss schonmal das Einfamilienhaus dran glauben, in das wir einmal einziehen sollten.

Wie wir es machen, wenn Ihr, unsere Eltern, pflegebedürftig werdet, weiß niemand von uns. Sollen wir zurück in die Heimat ziehen? Oder Euch zu uns holen, Euch entwurzeln? Oder Euch in ein Heim stecken, Euch versorgen lassen, dafür monatlich so viel Geld zahlen, dass wir uns deshalb keinen Kita-Platz mehr für unser Kind leisten können – und uns dabei sorgen, dass Ihr Euch wund liegt, ruhig gestellt, schlecht behandelt werdet? Wir lieben Euch. Wir werden für Euer Wohl in die Verantwortung genommen. Das ist in Ordnung so. Aber wir sind ratlos.

Nein, wir haben keine existentiellen Probleme. Wir haben zu essen und ein Dach über dem Kopf. Wir können sogar in den Urlaub fahren, nichts Dolles, aber immerhin. So wie Ihr damals.

Aber im Gegensatz zu Euch sehen wir keine Perspektive. Keine Möglichkeit des Aufstiegs, des Ankommens. Uns fehlt dieses Gefühl: Fünf Jahre noch, dann sind wir aus dem Gröbsten raus, dann wird alles gut.

Wir haben die Nase voll von der aktuellen Politik, die sich um all diese Belange nicht kümmert. Die ein Betreuungsgeld einführt, das jetzt Familien kriegen, die es sich leisten können, von einem Gehalt zu leben. Oder solche, für die es keinen Kita-Platz gibt oder die ohnehin keine berufliche Perspektive haben.

Überhaupt: Geld. Wir wollen kein Geld für unsere Kinder, keine Herdprämie und kein Gebärhonorar. Wir wollen bezahlbaren Wohnraum, gute Bildung und ein gesellschaftliches, auf den Menschen ausgerichtetes Klima, das es uns erlaubt, uns nicht zu zerreißen, sondern mit Freude zu arbeiten, der Gemeinschaft zu dienen, Werte zu erwirtschaften und mit Liebe und Zuwendung unsere Kinder großzuziehen.

Wir haben die Nase voll davon, dass nur Pfründe gesichert werden. Dass niemand in der Politik sich traut, unser Rentensystem neu zu denken. Wir zahlen gemeinsam mit unseren Arbeitgebern Hunderte von Euros monatlich in die Rentenkasse ein und werden mit Glück gerade einmal das Existenzminimum herausbekommen. Wir zahlen zusätzlich in private Rentenversicherungen, und wissen nicht, ob die Konzerne das Geld nicht verjuxt haben werden, wenn wir 67 oder 70 sind – irgendwo an irgendeiner Börse.

Wir machen uns Sorgen. Wir sind gestresst – und das ist mehr als ein persönlicher Stress, das ist ein kollektives Gefühl. Ein Druck, den Ihr vielleicht auch empfunden habt. Doch Euer „Stellt euch nicht so an!“ hilft uns nicht weiter.

Wegen all dieser Gründe – oder nennt es Befindlichkeiten – muss niemand die Piraten wählen. Aber manche tun es. Aus Protest oder weil sie das Gefühl haben: Das sind welche von uns. Die leben wie wir, die verstehen etwas von unserem Leben, die bewegen noch einmal grundsätzlich etwas – und schrauben nicht nur am Vorhandenen herum.

Das mag ein Trugschluss sein. Aber dann haben wir es wenigstens versucht.

Liebe Generation meiner Eltern,

26. 03. 2012  •  192 Kommentare

Ihr seid entsetzt.

Ihr seid total baff, dass eine Partei wie die Piraten 7,5 Prozent der Wählerstimmen bekommt. Ihr fragt mich, Eure Tochter und Nichte, wie das kommen kann. Wie solche Chaoten, wie Computerspinner, die kein Programm haben, außer das Urheberrecht abzuschaffen, es in ein Parlament schaffen. Ihr fragt Euch, was das für Leute sind, die solche Sonderlinge wählen. Ich erkläre Euch das jetzt mal.

Es gibt in unserem Land eine Generation von Menschen, die mit Krisen und Unsicherheit aufgewachsen ist, aber auch mit einer großen Freiheit, mit einer Fülle von Möglichkeiten und mit der Selbstverständlichkeit, sich immer überallhin bewegen zu können. Das ist die Generation derjenigen, die jetzt um die 30 oder etwas älter ist. So wie ich.

Wir haben Tschernobyl erlebt, die RAF und Glasnost, den Fall der Mauer, die Irak-Kriege, den Balkan-Krieg, das vereinigte Europa, Systemwechsel, Börsenstürze und Helmut Kohl. Wir sind in einer Welt aufgewachsen, die heile und friedlich war, aber auch ständig bedroht. Uns wurde eingebläut, gut in der Schule zu sein, um es einmal besser zu haben als Ihr, unsere Eltern. Deshalb haben wir gelernt, wir haben studiert oder eine Lehre gemacht, wir arbeiten hart, aber wir haben es trotzdem nicht besser. Denn wir haben inzwischen die vierte befristete Stelle, wir führen Fernbeziehungen über hunderte Kilometer, wir können uns nicht für Kinder entscheiden, weil wir vergeblich einen Partner suchen oder weil dann unser Arbeitsvertrag nicht verlängert wird. Wir wollen auch nicht mehr ständig dazu aufgefordert werden, Kinder zu zeugen, besonders nicht mit dem Argument, dass sie unsere Rente sichern und im Alter für uns sorgen werden, denn das tun sie nicht, wenn sie genauso leben werden wie wir.

Wir sind es aber auch gewohnt, in Freiheit aufzuwachsen und ihre vielen Möglichkeiten zu genießen. Wir gehen, wohin wir wollen; wir wohnen, wo wir möchten; wir können für 0 Cent nach Südamerika telefonieren und unsere Freunde dabei sogar sehen. Wir kommunizieren, egal wo wir sind und wann wir sind, denn wir können überall synchron und asynchron, persönlich oder anonym miteinander reden. Wir lieben diese Freiheit und wir fürchten diese Freiheit, sie ist Segen, sie ist Fluch, aber wir würden sie niemals hergeben wollen.

In den Parteien, die uns regieren, sind viele Politiker, denen Ordnung ganz wichtig ist. Sie sind älter als wir; ihre Eltern verbrachten ihre Jugend im Krieg oder in der Strenge der 50er Jahre, nicht wie unsere, im Geiste der 68er und mit Wolf Biermann. Sicherheit ist ihnen sehr wichtig. Freiheit aber ist eine Bedrohung für die Sicherheit, denn sie gebiert Ungewissheit; ihre Basis ist nur das Vertrauen.

Doch Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Politiker überlegen sich nun, was Leuten, die wie sie sind, gut tun würde und machen danach Politik. Das ist dann Lobby-Politik. Sie wundern sich und werden böse, wenn man sie deshalb angreift – mittelbar über die Presse oder schlimmer: unmittelbar im Internet, diesen Inbegriff der Grenzenlosigkeit, der Unkontrollierbarkeit. Das Internet, das sind in ihren Augen nicht ihre Freunde, ihre Kinder und ihre Nachbarn, sondern das ist eine anonyme, tyrannische Masse ohne Ordnung und Disziplin.

Merkt Ihr etwas, liebe Eltern, Tanten und Onkel? Ich erkläre Euch, warum Menschen die Piraten wählen, und erst im siebten Absatz kommt erstmals das Wort „Internet“ vor. Das ist deshalb so, weil das Piratenwählen nicht nur etwas mit dem Internet zu tun hat. Das Internet gehört zwar irgendwie dazu, aber das Gefühl und die Lebensweise, die dahinter stecken, bestehen aus mehr.

Wenn das Hauskamel niest

14. 03. 2012  •  50 Kommentare

„Mein Hund hat den Aufgabenzettel gegessen“,

war in der Schule eine beliebte Ausrede, wenn es um nicht gemachte Hausaufgaben ging. Eine Freundin, die bis vor Kurzem als Uni-Dozentin in Australien arbeitete, hat die Steigerung davon erlebt. Eine Studentin konnte ihre Hausarbeit nicht pünktlich abgeben mit der Begründung: „Mein Alpaka hat Grippe.“ Wie großartig! Der Satz ist bei uns schon jetzt ein geflügeltes Wort.

„Warum bist du so spät?“
„Tut mir leid, aber mein Alpaka hat Grippe.“

„Morgen joggen?“
„Kann nicht. Mein Alpaka hat Grippe.“

Passt immer. Und bei Ihnen? Schon doofe Ausreden gehört – oder genutzt?

Streik

7. 03. 2012  •  76 Kommentare

Streik im Nahverkehr.

Endlich eine Gelegenheit, nach dem Winter das Fahrrad aus dem Keller zu holen. Draußen sind es knapp vier Grad. Aber Sie kennen mich: Ich bin kein Gelsattelsitzer. Kälte ist kein Feind, Kälte ist eine Herausforderung. Also Mütze auf, Handschuhe an, das wattierte Shirt drunter, los geht’s.

Auf dem Hinweg geht es bergauf, acht Kilometer lang. Mir wird reichlich warm. „Bischt den Buckel ’nauf’g’schnauft?“ fragt die schwäbische Kollegin, als ich im Büro ankomme. Ich bejahe und gebe mich heroisch. Das Team nickt mir anerkennend zu.

Abends dann – nur die Nerds sind noch da, schreiben Ajax-Gedichte und teilen sich knuspernd eine Packung Currywurst-Chips -steige ich wieder aufs Rad. Es regnet. Aber was soll’s. Wetter, Wind, Natur – das ist eins, das gehört zusammen. Da fühlt man erst, dass man lebendig ist.

Nach nur einem Kilometer bin ich durch. Es stürmt. Ich bin nass. Es geht nur bergab. Ich friere wie ein Schneider. Der Regen tropft vom Helm, weht mir in die Augen, bricht das Licht entgegenkommender Scheinwerfer. Ich sehe drei Meter weit, beuge den Kopf, der Wind weht mir in den Kragen. Leise und formelartig murmle ich: „Radfahren ist schön. Radfahren macht Spaß. Total! Spaß!“

Zu Hause dann: kein Team, das anerkennend nickt. 18 Grad in der Wohnung. Ich suche den Flauschbademantel, schäume Milch auf, trinke Kakao.

Keine Pointe.

Knax

22. 02. 2012  •  121 Kommentare

In meiner Kindheit wurde ich zum Sparen erzogen.

Als Pimpf bekam ich eine Spardose. Dort warf ich Pfennige ein. Am Weltspartag trug ich sie in die Sparkasse, bekam ein Knax-Heft und einen Eintrag in mein Sparbuch. Diese Vorgehen war mühsam, aber so einträglich, dass ich das Prinzip auch im Erwachsenenalter beibehalte.

Statt Pfennige spare ich nun Zwei-Euro-Münzen. Kommt mir eine unter, bringe ich sie nicht wieder in den Umlauf, sondern lege sie in eine alte, hölzerne Zigarrenschachtel. So kommt über Monate ein erkleckliches Sümmchen zusammen. Ich genehmige mir davon Urlaube oder andere Sonderausgaben.

Geändert haben sich seit der Knax-Zeit nur die Kreditinstitute.

Als ich dort vor einigen Jahren erstmalig mit meinem Zigarrenkästchen auflief und sagte, ich wolle dieses gesparte Geld auf mein Sparkonto einzahlen, schaute mich das Schalterfräulein befremdet an. Das seien ja alles Münzen, sagte es, wie ich mir das vorstelle. Ich antwortete, dass ich es mir so vorstelle, dass sie das Geld in eine Zählmaschine werfe, es auf meinem Konto aufbuche und mir eine Quittung darüber aushändige. Eine Zählmaschine, sagte das Fräulein, gebe es in ihrem Hause nicht mehr, nicht für Privatkunden, die habe man abgeschafft, weil es inzwischen schließlich andere Möglichkeiten gebe, wenn man sich mal etwas Besonderes leisten wolle, ob sie mich darüber mal informieren solle. Nein, antwortete ich, das sei nicht vonnöten. Ich sagte, dass ich das Beiseitelegen von Geld für die bewährteste Methode hielte, Anschaffungen zu tätigen und zu Vermögen zu kommen.

Nach einigem Hin und Her zählte das Fräulein das Geld dann per Hand, gab mir aber einige Blätter mit, in die ich die Münzen in Zukunft einrollen solle, falls ich gedenke, weiterhin auf diese antiquierte Weise zu wirtschaften. Seitdem rolle ich die Euromünzen, bevor ich sie zur Bank bringe.

Doch jedesmal, wenn ich umziehe und infolgedessen eine neue Filiale aufsuche, ist das Schalterfräulein gleichermaßen verwirrt und beginnt augenblicklich, mich über Kredite und Anlageformen zu unterrichten. Gestern sagte es – und sah mich dabei an wie Mutter Teresa einen Leprakranken -, auch für den kleinen Geldbeutel gebe es Möglichkeiten. In diesen Zeiten müsse man sich wirklich nichts mehr vom Munde absparen, was denn genau meine Wünsche seien, sie helfe gerne, das sei das Selbstverständnis ihres Hauses.

Mein Wunsch, sagte ich, sei, dass sie mich nicht Kreditangeboten belästige, nicht mündlich und nicht schriftlich, auch wolle ich keine Beteiligungen erwerben oder angerufen werden, was mit den Kröten auf meinem Sparbuch geschehen solle. Ich wolle gerne einfach nur sparen – und bitte eine neue Spardose haben, denn meine Kiste sei in die Jahren gekommen und recht ramponiert.

Spardosen, sagte das Fräulein, gebe sie schon seit Jahren nicht mehr aus.

Speckbarbie

15. 02. 2012  •  42 Kommentare

Zwei picklige Jäuster in der U-Bahn:

J_I: Bistu eigentlich jetzt mit Celina zusammen?
J_II:  Bin ich, Alta. Seit Samstag.
J_I: Is voll das herbe Weib, Glückwunsch, ey.
J_II: Ja, aber sch’ab’n Problem, Alta.
J_ I: Was für’n Problem?
J_II: Sch’ab voll Angst, dass die fett wird. Die is jetzt schon so schwabbel in der Mitte. Also nich‘ fett, aber auch nich‘ so voll flach. Und alle in ihrer Familie sind fett.
J_I: Das würd‘ mich voll nich‘ angeilen, wenn ich so ’ne Speckbarbie hätte.
J_II: Eben, Alta. Und’sch weiß nich‘, was ich machen soll.
J_I: Willstu Schluss machen?
J_II: Das ist genau mein Problem, Alta. Sie is‘ ja noch nicht fett, aber sie könnte fett werden, weißtu, wegen Gene und so. Sie wird ganz sicher fett, und darauf hab’sch kein Bock.
J_I: Voll schwer.
J_II: Kannste ja ma‘ drüber nachdenken.
J_I: Mach ich, Alta.

Die Muttisierung

11. 01. 2012  •  46 Kommentare

Von wegen, Deutschland stirbt aus.

Die Geburtenrate in meinem Umkreis liegt bei gefühlt 6,3 Kindern pro Frau. Na gut, sagen wir 5,2. Vier Freundinnen verdoppeln sich grad, vier weitere sind im vergangenen Jahr niedergekommen. Von den bereits vorhandenen Kindern nicht zu reden. Es gibt außerdem eine eindeutige Neigung zum Drittkind.

Auch das normalste Pärchen wird ein bisschen wunderlich, wenn es Kinder bekommt. Viel zitiert ist in diesem Zusammenhang der Mythos, erwachsene Menschen sprächen plötzlich frei heraus über Fäkalien, auch mit ihren Freunden und auch bei Tisch. Das kann ich so unterschreiben.

Erst jüngst saßen wir beisammen, in trauter Runde, auf dem schweren Eichentisch Rotwein und Käse. Gänzlich unvermittelt sagte der junge Vater, dass sein Sohn heute morgen zum ersten Mal festen Stuhl hergestellt habe – zwei runde Köttel, fast wie die eines Hasen, nur größer. Aber nicht zu groß, genau richtig eben, wenn man die Größe des Kindes berücksichtige. Das sei eine Premiere, auf die man jetzt und hier gerade mal anstoßen könne. Endlich keine Ausscheidungen mehr, die sich bis in den Nacken des Kindes verteilen.

Ich nickte anerkennend und stellte Nachfragen – nicht nur, um die Produktion zu würdigen, nein, aus ehrlichem Interesse. Gab es schon eine Wiederholung? Welche Nahrung wurde vorher gereicht? Diese tiefe Anteilnahme an der Sache entwickelt sich einfach mit der Zeit, wenn Freunde sich derartig vermehren.

Erst jetzt, eine Woche später, fällt mir auf, wie sonderbar das ist. Ich muttisiere. Ganz ohne Kinder.

Musstu zu stehen!

9. 01. 2012  •  34 Kommentare

Am Bahnsteig. Links neben mir telefoniert ein Checker:

„Isch fahr jetz nach Hause … nä, morgen hab isch kein Zeit, morgen muss isch zu Mischälle wegen dem Baby … nä, Alta, geht nisch, muss isch hingehen! Die will, dass isch mitkomm, mit ihr das Ultraschall kuck, musstu machen als Vatta so, sonst bistu scheiß Vatta, un wenn du schon so ne geilen Samen hast, musstu auch zu stehen, dasstu geile Samen hast un  musstu diese ganzen Sachen machen wie Ultraschall kucken un Massage un so, egal ob du Baby wolltest oder nisch, das is Sache von Ehre, Alta, un das fühlst du auch, wenn du das siehst, Alta, auf dem Fernseher, dass da so ein Baby is un das is aus deine Samen entstanden, ischschwör, dann hastu voll Gefühl in dir, dann willstu das auch …
ja, mach isch Alta. Isch ruf disch an.“

2011

28. 12. 2011  •  43 Kommentare

Zugenommen oder abgenommen?
Erst zu-, dann wieder abgenommen.

Haare länger oder kürzer?
Kürzer.

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Eine Dioptrin kurzsichtiger. Die Diss ist Schuld.

Mehr ausgegeben oder weniger?
Weniger.

Der hirnrissigste Plan?
Mmmh.

Die gefährlichste Unternehmung?
Meine Füße an mein Fahrrad geschnallt.

Die teuerste Anschaffung?
Nichts Teures angeschafft. Nur etwas Teures verschenkt: mein MacBook, an mein Patenkind.

Das leckerste Essen?
Dieses Jahr habe ich das Glückscurry entdeckt.

Das beeindruckendste Buch?
The Help. Übrigens auch gut als Film.
Liebeswut. Bitter, aber treffend.

Der berührendste Film?
Die Frau des Zeitreisenden. Dieses Sichverlieben, den anderen aber nicht bei sich haben können, das hat mich einen Eimer Rotz gekostet.

Das beste Lied?
2011 war das Jahr der deutschsprachigen Band:
Still.
Wo bist du.
Ich will dich nicht verlier’n.
Adieu.
Ich will nicht geh’n, wenn’s am schönsten ist.
So Liebesgedöns halt.
Mit der 2011er-Partymucke hatte ich aber auch viel Spaß.

Das schönste Konzert?
Die Popolskis waren gut. Die können was.
Jupiter Jones waren auch gut.

Die meiste Zeit verbracht mit…?
… mir selbst. Und der Mannschaft.

Die schönste Zeit verbracht mit…?
… mir selbst. Und der Mannschaft.
Und der Kindheitsfreundin.
Und der Kommune, einschließlich Neu-Mitglied Cedric-Pascal.

Vorherrschendes Gefühl 2011?
//*heul! 

2011 zum ersten Mal getan?
10 Kilometer gelaufen.
Sushi gemocht.

2011 nach langer Zeit wieder getan?
Richtig oft, richtig gut, richtig lange und mit viel Freude laufen gewesen.
Eine Fahrradtour gemacht.
Den Job gewechselt.

Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
Liebeskummer.
Liebeskummer.
Ein ausgerenkter Rückenwirbel.

2011 war mit einem Wort…?
Scheiße. Wurde aber nach hinten raus besser. Bin deshalb guter Dinge.

23. Dezember

23. 12. 2011  •  45 Kommentare

Es ist der 23. Dezember, und es gibt noch eine Menge zu tun.

10.23 Uhr:
Huch. Halb elf? Und ich wache erst auf. Wie kann das sein?

10.24 Uhr:
Oh. Wecker war aus. Naja. Dann bin ich wenigstens fit und ausgeruht. Schließlich steht viel an heute: Geschenke einpacken, Lebensmittel einkaufen, backen, Pakete aus der Packstation befreien, Maniküre, bügeln, Wäsche waschen, Weihnachtsmails schreiben, nochmal durchs Bad gehen und im Fitti die zukünftigen Kalorien wegturnen, vorsorglich.

10.26 Uhr:
Erstmal Rechner hochfahren. Gucken, was es Neues gibt.

11.10 Uhr:
Boah. Hunger.

11.11 Uhr:
Brötchen auf den Toaster gelegt. Jetzt aber schonmal eine Maschine Wäsche einstecken. Leerlauf nutzen. Synergien schaffen.

11.15 Uhr:
Erste große Tat. Wäsche läuft. Jetzt Frühstück. Hab ich mir verdient.

11.55 Uhr:
Vatta calling. Morgen Bescherung: 19 Uhr. „Pünktlich!“ Jaja. Schaffe ich schon. Ich könnte sogar vorher noch backen. Dann habe ich heute weniger vor der Brust. Genau. So mache ich es.

13.20 Uhr: 
Die Freundin wird Tante! Tolle Neuigkeiten. Schön, dass sie angerufen hat. So ein kleiner Tratsch am Morgen ist doch toll. Äh, am Mittag. Wie auch immer. Wäsche ist jetzt fertig.

13.35 Uhr:
Wäsche aufgehängt. Boah, bin ich gut drauf heute. Nun Einkaufszettel schreiben, dann kann’s auch gleich losgehen zum Ghettonetto.

13.55 Uhr:
Ach nee. Musste erst ein Backrezept ersurfen, bevor ich die Zutaten einkaufe. Es gibt aber auch eine Auswahl! Und alles so lecker. Hamma. Man sollte viel öfter backen.

13.56 Uhr: 
Jetzt also einkaufen. Oder lieber bloggen, was ich schon alles geschafft habe? Geschenke einpacken kann ich auch heute abend noch. Dann ist es auch viel stimmungsvoller, so im Dunkeln, im Kerzenschein.

14:05 Uhr: 
Bisherige Großtaten ins Blog geschrieben. Frau Nessy, du bist ein Tausendsassa.

14.06 Uhr: 
Weihnachtsgruß ergänzen!

Liebe Kaffeehaus-Gäste,
ich wünsche Ihnen ein friedliches und geruhsames Weihnachten!

Feiern Sie fröhlich im Kreise Ihrer Lieben.
Genießen Sie das Essen und die Lichter.
Sie haben mich dieses Jahr reich beschenkt:
mit vielen tollen Kommentaren,
Geschichten,
Mails und
dem ein oder anderen persönlichen Kennenlernen.
Haben Sie herzlichen Dank dafür!
Ich habe mich über jeden Ihrer Beiträge sehr gefreut.
Ohne Sie wäre das Kaffeehaus nicht das, was es ist.

Ihre Frau Nessy 

14.11 Uhr:
So. Jetzt aber ghettoshoppen.

Update, 18.06 Uhr:
Pläne geändert. Doch noch gebacken: Berliner Brot.

Berliner Brot in einer Schüssel



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