Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Lebenslage«

Männer, Frauen und Kinder

10. 10. 2012  •  136 Kommentare

In Deutschland werden wenig Kinder geboren.

Das ist erstmal nichts Neues. Es wird viel zu diesem Thema geschrieben, gerne mit Überschriften wie:

Es scheint, als ob Männer nicht beteiligt wären. Vor ein paar Tagen habe ich den Artikel „Single-Männer. Allein ist spitze“ entdeckt und die Kommentare dazu gelesen. Es schreibt zum Beispiel  john_daniels:

Single ist die Form meiner Wahl. Der Kern der Sache – ganz wichtig, eigene Wohnungen. So süß die Süße auch ist. Wenn Sie eingezogen ist, sind die unkontrolierten Abende mit Bier und Ballerspiel bis in die Nacht, genüßlichen, ausgiebigen Sackkratzen, onlineflirten, Socken in die Ecke werfen und Porno surfen GE LAU FEN ! Sucht euch eine Süße, am besten online, das ist deutlich effizienter und habt Spaß mit Ihr. Wird dann Liebe draus verbringt Ihr eben einfach soviel Tage mit Ihr, wie ihr wollt. Natürlich habt Ihr vorher ganz deutlich klar gemacht, das ihr 2-3 Tage in der Woche für euch alleine braucht. Das muß klar sein.

Das ist ganz lustig – mein Bedauern nur für die Freundinnen, die es nicht checken. Doch dann geht es weiter:

Liebe – noch so eine Frauenidee. Da gehts doch bloss ums Kinderkriegen. Und hinterher heisst es dann: MEIN KIND. Du zahlst. [amidelis]

Und weiter:

Also ich bin Single und überwiegend glücklich. Es gibt die ein oder andere Stunde, wo ich gerne nicht allein wäre – und nicht nur körperliche Nähe suche. Aber im Verhältnis zum Monat beträgt diese Zeit vielleicht einen Tag. Wenn ich das mit dem Aufwand und der Mühe vergleiche, die man ins nicht-allein-sein investiert – und dann evtl. trotzdem weggeworfen wird… lohnt sich nicht. [divstar]

Ihm sind Frauen schnell zu verbraucht:

Keine Genöle, kein Eifersüchteln, keine Komplexe. Kein Arsch der ständig in die Breite wächst, Brüste die runterhängen, zerbräunte Haut, verbleichte Strohhaare, verkrümmtes Skelett mit Haltungsschaden vom ständigen Oberschenkelreiben. Dazu kommt das die meisten Frauen mit 35 psychisch und finanziell ausgebrannt sind und einen Versorger brauchen. Keine Lust an einer Bindung mit Wracks. Kumpels, Downhillen, Surfen, Kiten, Tauchen. [wakaba]

Er möchte ein Rudel führen:

Gehen wir mal back to the roots, zu unserer guten alten Natur. Ziel ist es entweder das Rudel zu führen und damit alles weiblich in seiner Nähe begatten zu können, oder eben zwangsweise Single zu sein. Die vollkommen widernatürliche Eigenschaft des Menschen, dass sich auch der Rudelführer mit einem einzelnen Weibchen zu begnügen hat führt dazu, dass für die anderen Männchen auch noch was übrig bleibt. Aber das natürliche Ziel ist es so lange wie möglich das Rudel zu führen. Paarbeziehungen sind eine Erfindung von Feministen und Pfaffen, haben aber nix mit der REalität zu tun. [DMenakker]

Ihm ist seine Zeit zu kostbar:

[…] Frauen kosten einfach Zeit ! […] Ich will jedenfalls nicht ständig jemanden an der Backe haben und ich will keine Kinder. Das schränkt mich alles viel zu sehr ein. Ich will einfach nicht die Freiheit aufgeben jederzeit alles tun zu können was ich möchte. [shran]

Er war schonmal Opfer:

Partnerschaft? Nein danke! Nie wieder! Auf einen launischen Kontrollfreak, der meint mich erziehen zu müssen kann ich gerne verzichten. Und billiger ist es nebenbei auch noch. [KnoKo]

Außerdem kann ja jeder Seins machen:

[…] Niemand braucht irgendwelche nutzlosen Verpflichtungen oder Bindungen bis zum Tode. Was den Nachwuchs angeht, können die Frauen wohl alleine in unserer Gesellschaft ihre Kinder heranziehen (gleiches würde ich auch den Männern zuschreiben).  [korox]

Lesen Sie sich gerne alle Kommentare durch, es sind insgesamt 240 Stück auf 48 Seiten – 70 Prozent von ihnen in einem ähnlichen Tenor wie die Zitate. Natürlich ist das Spon-Forum nicht repräsentativ, kein Forum ist das. Es entwickelt sich auch immer eine Eigendynamik in einer Diskussion, ein Hang zu extremen Einlassungen, zur Bestätigung, zur Zuspitzung, gerade in der Anonymität.

Für unsere miserable Geburtenrate gibt es viele Gründe: unsichere Arbeitsverhältnisse, eine schlechte Betreuungssituation, Mobilität und dadurch wenig Rückhalt durch die Familie, befristete Verträge und infolgedessen der Verlust des Arbeitsplatzes nach einer Schwangerschaft sowie eine generelle Kinderfeindlichkeit, die sich beispielsweise in der Schwierigkeit zeigt, bezahlbaren Wohnraum für fünf Personen zu finden, von denen drei vielleicht auch mal lauter sind.

Wenn ich aber nachdenke, geben die obigen Zitate recht gut wieder, was Single-Frauen über 30 – neben den wirtschaftlichen Gegebenheiten – auch erleben, wenn sie eine ernsthafte Beziehung eingehen möchten – eine, aus der Kinder hervorgehen könnten: Die Anzahl derjenigen Männer, die Verantwortung für eine Partnerin und eine Familie übernehmen wollen, ist geringer als die Anzahl der Frauen, die sich das wünschen. So kommt es, dass Frauen, die sich nach einer Partnerschaft sehnen, die vielleicht auch ihre Uhr ticken hören, die gerne eine Familie gründen würden, auf Männer treffen, die genau dies nicht wollen, die gerne Sex, aber nicht gerne Verantwortung haben, die, sobald es für sie eng und anstrengend wird, lieber weg sind.

Doch dieser Aspekt kommt in der gesamten Diskussion rund um unsere Geburtenrate kaum vor. Es sind immer nur die Frauen, die sich verweigern.

Die geliehene Bank

24. 09. 2012  •  82 Kommentare

Sie haben ein kleines Reihenhaus. Vor der Tür steht eine Bank.

Auf dieser Bank sitzen sie gerne im Sommer, nach Feierabend, bei einem Gläschen Wein und grüßen die Nachbarn. Manchmal schauen sie nur, wer kommt und geht. Manchmal hält einer der Vorbeigehenden für einen Schwatz an.

Als sie eines Abends nach Hause kommen, ist die Bank fort. Sie wundern sich ein bisschen, machen sich aber keine großen Sorgen. Denn sie verstehen sich gut mit den Nachbarn, und vielleicht hat sich jemand die Bank ausgeliehen. Vielleicht kamen irgendwo mehr Gäste als geplant und man brauchte beim Grillfest ein zusätzliches Sitzmöbel. Das kann vorkommen, sie kennen sich ja alle gut in der Nachbarschaft. Deshalb ist das kein Problem.

Einen Tag später ist die Bank wieder da. Es liegt ein Umschlag darauf, darin eine Karte mit den Worten: „Tut uns leid für die spontane Leih-Aktion! Es war wirklich dringend. Wir hoffen, die Tickets machen es wieder gut!“ Anbei zwei Eintrittskarten für ein Spiel von Borussia Dortmund. Die beiden freuen sich riesig. Er ist großer BVB-Fan, hat einen Aufkleber am Auto und eine Flagge im Garten.

Am betreffenden Tag fahren sie ins Stadion. Es ist ein gelungenes Spiel, der BVB gewinnt. Die beiden sind glücklich.

Als sie nach Hause kommen, ist ihr Haus aufgebrochen und leer geräumt.

Alltagsrassismus

30. 08. 2012  •  57 Kommentare

Ich sitze beim Friseur für Strähnchen.

Neben mir sitzen eine Dauerwelle und einmal Ansatz färben. Beide sind Mitte vierzig, ein bisschen verlebt; Ansatzfärben hat schon graue Haare, das sieht man deutlich, die müssen weg. Die Dauerwelle riecht aus allen Poren nach Zigarettenqualm, ihre Haut ist ganz fahl. Die Friseurinnen ondulieren, drehen Wickler, rühren Farbe, matschen sie auf den Kopf.

Dauerwelle und Ansatzfärben kennen sich aus der Nachbarschaft, das geht aus ihrem Gespräch hervor. Sie unterhalten sich über Menschen, die sie kennen, weil sie sie öfters treffen oder vom Fenster aus sehen. Nää, was ist die fett geworden, und die Dingens, die wirft ihr Altglas immer sonntags ein, unverschämt, die Leute haben keine Manieren mehr, früher hätten wir uns das nicht getraut. Das geht so eine ganze Weile, auch Haustiere bleiben nicht verschont, die kacken nämlich überall hin oder machen so ein lautes Gekreische, da kann man sich mittags nicht mal ’ne Stunde hinlegen, wir sind doch hier nicht bei den Hottentotten!

A propos Hottentotten, sagt die Dauerwelle, hast du gehört, was neulich in der Zeitung stand? Das Asylbewerberheim platzt aus allen Nähten. Und jetzt sollen die auch noch genauso viel kriegen wie Hartz-Vier-Empfänger, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben. Und wem nehmen die es dafür weg? Uns, dem einfachen Bürger.

Ansatzfärben nickt. Die Friseurin hat aufgehört, an ihrem Kopf herumzumachen. Die Farbe muss nun einwirken. Ja, sagt Ansatzfärben, das sind sowieso zu viele, die nach Deutschland kommen. Also nicht, dass sie ausländerfeindlich ist, sonst wäre sie ja nicht mit einem Türken verheiratet, aber sogar ihr Mann findet, dass es langsam ein bisschen viel wird – und wenn der das schon sagt!

Ein paar müssen wir schon aufnehmen, wiegelt die Dauerwelle ab. Es gibt ja wirklich einiges Elend auf der Welt, aber die Leute können auch woandershin fliehen, wo mehr Platz ist. Nach Amerika zum Beispiel, dort ist nicht alles dicht an dicht so wie hier.

Ansatzfärben ergänzt, dass diese Asylanten, also, die denken auch, dass uns hier gebratene Hühner in den Mund fliegen. Dabei haben wir auch unsere Probleme.

Ich sage: Wenn ich kurz stören dürfte? Die Asylbewerberzahlen gehen nachweislich seit Jahren zurück, und für einen syrischen Flüchtling ist Deutschland halt ein bisschen näher als die USA. Wenn einem grad die Familie weggebombt wurde, hat man vielleicht nicht so die Kraft, in einem Holzboot über den Atlantik zu rudern.

Die beiden drehen sich in ihren Sitzen zu mir um und sehen mich an, als hätte ich ihnen soeben die Handtaschen geklaut und wedelte nun mit ihren Geldbörsen, bevor ich lachend wegliefe. Die Dauerwelle entgegnet: Bis in die USA vielleicht nicht, aber doch bitteschön bis nach Frankreich. Sie ahnen ja gar nicht, was ich schon mit diesen Ausländern erlebt habe! Seit drei Monaten leben Rumänen bei uns im Haus. Seitdem kommt kein Paket mehr an, obwohl es nachweislich ausgeliefert wurde. Tja, was meinen Sie denn, wo diese ganzen Pakete wohl sind?

Haben Sie schonmal bei DHL nachgefragt?, antworte ich. Dort gibt es die Möglichkeit der Sendungsverfolgung. Damit können Sie sehen, wer das Paket angenommen hat. Dafür muss der Empfänger schließlich unterschreiben.

Ach!, ruft die Dauerwelle und winkt ab. Das ist doch immer das Gleiche, die unterschreiben einfach mit einem falschen Namen. Das kennt man doch.

Haben Sie das denn von der Post überprüfen lassen?, bohre ich nach, aber Ansatzfärben geht nicht darauf ein, sondern erzählt vom Schmutz im Hausflur und kommt dann von Hölzken über Stöcksken irgendwie auf ihren Ex-Mann, und das Ausländerthema ist durch.

Armins Erbtante

20. 08. 2012  •  44 Kommentare

Jeder wünscht sich eine Erbtante.

Es gibt Leute, die haben tatsächlich eine. Armin zum Beispiel, ein Freund von Freunden, der am Samstagabend auf einer Party wieder einmal ihre Geschichte zum Besten gab.

Die Tante, genauer gesagt die Großtante, wohnte in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Berlin – leidlich bescheiden auf 250 Quadratmetern. Allein das Wohnzimmer hatte 100 Quadratmeter – ein Tanzsaal. Jahrzehntelang hat sie als Buchbinderin geschafft, auch mit 80 Jahren noch. Die Firma war ihr Leben. Mehr als 100.000 Kilometer fuhr sie im Jahr durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, um Geschäfte zu machen.

Weil sie Spaß an schnellen Motoren hatte, kaufte sie sich mit Ende 70 noch einmal einen neuen Wagen: einen Ferrari. Der Wagen war mehr als prollo, leuchtend gelb, und die PS-Zahl nötigte sie dazu, öfter mal die Geschwindigkeit zu überschreiten. So auch einmal auf der Avus, als sie mit ihrem Großneffen Armin unterwegs war und ein mobiles Blitzgerät sie erwischte. Kurzerhand fuhr sie rechts ran und befehligte ihm: „Nimm den Bolzenschneider aus dem Kofferraum und pack das Ding ein!“ Denn den Führerschein zu verlieren, das konnte sie sich als Geschäftsfrau nicht leisten.

Als Armin, wohl auch aus Unglauben, zu langsam reagierte, herrschte sie ihn an: „Soll ich das etwa machen? Ich bin 79! Ich kann das Ding nicht heben.“

So durchschnitt Armin das Kabel des Blitzgerätes und trug es in den Kofferraum des Ferrari, ehe die Polizei, die in einem Bus im Gebüsch saß und gerade Kaffee trank, etwas bemerkte. Ab diesem Zeitpunkt stand neben vielen Büchern auch ein Blitzgerät in ihrem Tanzsaal.

Als ihre Augen schlechter wurden, verkaufte sie erst die Buchbinderei. Dann musste der Ferrari weg, denn was sollte das Auto herumstehen. Doch wer kauft solch einen Wagen, noch dazu in leuchtend Gelb, und bezahlt – nur Bares ist Wahres – direkt auf die Hand?

Sie zog ihr bestes Kleid an, fuhr zu diversen Puffs, klopfte dort an und sagte, sie habe ein Angebot für den Chef, ob er mal kurz rauskommen könne. Sie präsentierte den Wagen, sagte, was sie dafür haben wolle. Es brauchte nur wenige Besuche, dann war das Auto verkauft.

Weil das letzte Hemd keine Taschen hat, ging sie vor zwei Jahren, mit über 90, noch einmal auf Weltreise. Ihre letzte Karte bekam Armin aus Tonga. Kurz danach starb sie – irgendwo im Südpazifik. Heute ist sie in Berlin begraben, in der Nähe ihrer ehemaligen Wohnung.

Leider hatte sie dort nur zur Miete gewohnt – mit einem Mietvertrag aus dem Jahre 1946 und einem Mietpreis von etwas über drei Euro pro Quadratmeter. Der Ferrari war verkauft, und auf der Weltreise hatte sie einen Großteil ihres Geldes durchgebracht. Das Wertvollste, was Armin also bleibt, ist die Erinnerung an sie. Und ein Blitzgerät.

Heldinnen in Strumpfhosen

10. 08. 2012  •  112 Kommentare

Wenn Sie mich bislang vor Ihrem inneren Auge in der Kategorie „Sexsymbol“ geführt haben, halten Sie jetzt bitte inne und lesen Sie nicht weiter. Allen anderen erzähle ich, wie ich am Wochenende zur Heldin werde.

Es gibt Menschen, auf die haben Feinstrumpfhosen eine erotisierende Wirkung. Ich gehöre nicht dazu. Was unten am Bein hübsch aussieht, endet im Schritt in einem wulstigen Zwickel, der sich fahrig über das Gesäß windet und in einem dicken, hansaplastfarbenen Bund mündet. Strumpfhosen haben etwas schauderhaft Krankenhausartiges; Melitta-Filtertüten für untenrum; noch dazu fühlen sie sich an, als führe man mit der flachen Hand über ein Fernsehbild.

Ich habe also kein glückliches Verhältnis zu Feinstrumpfhosen. Das betrifft besonders die Exemplare unter 20 den. Dennoch werde ich am Wochenende eines tragen. Denn ich bin auf einer Hochzeit eingeladen, und der Anstand sowie das gewählte Gewand gebieten es, während der Messe, aber natürlich auch sonst, eine Nylonstrumpfhose zu tragen.

Zu meiner pauschalen Geringschätzung Strumpfhosen gegenüber gesellt sich ein praktisches Problem: Aufgrund meiner Beinlänge ist es schwierig, ein passendes Objekt zu finden. Vor allem bei sehr dünnen Modellen gelangt der Schritt nicht dorthin, wohin er soll – stattdessen hängt er zwischen den Oberschenkeln fest; den Bund kann ich dennoch bis unter die Brüste ziehen, weil große Strumpfhosen für kleine Dicke mit massigen Bäuchen, nicht aber für große Normale mit langen Beinen gemacht sind.

Eine Bekannte verriet mir nun einen Trick: „Trag eine zweite Unterhose über der Strumpfhose“, sagte sie, „eine von den festen, baumwollenen. Das hält den Schritt im Schritt.“

Sie wissen sicherlich, wer der einzige Mensch ist, der seine Unterhose über der Hose tragen darf.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=d7M98F_HZJQ&w=480&h=270]

In diesem Sinne:
//*wirft Supernessy-Cape über
//*fliegt zur Hochzeitsfeier

Michael aus dem ersten Stock

15. 07. 2012  •  54 Kommentare

Wir sitzen an der Bar und trinken Erdbeer-Daiquiri.

Schon steht Michael neben uns. Es ist Samstagabend. Die Freundin und ich tragen Kleid und die Haare offen, das genügt, um ins Gespräch zu kommen. Michael vertreibt Bausparverträge, allerdings nicht in einer kleinen Bausparbude, sondern in größerem Stil. Sein Büro sei im ersten Stock, dort, wo die Leute mit Verantwortung säßen. Das erzählt er uns, nachdem er seinen Namen genannt hat. Wir nicken wohlwollend. Er sei 41, sagt er. Dabei sieht er aus wie 50. Ich entgegne: 41, jetzt flunkere er aber, er sei doch niemals älter als 39. Er fragt, ob ich mit ihm rausgehen wolle, eine rauchen.

Ich sage: „Ich rauche nicht.“ Oh, sagt er, das sei ein Fehler. Er gehe mehrmals täglich mit der Geschäftsführung rauchen, deshalb sei er auch so erfolgreich und deshalb habe er das Rauchen noch nicht aufgegeben. Er fragt, was ich beruflich mache, schiebt dann aber direkt hinterher: „Warte! Lass mich raten! Lehrerin, Grundschule!“ Das sehe er auf den ersten Blick. Er habe auch nichts gegen Lehrerinnen, keine Vorurteile oder so, ganz im Gegenteil, er finde Lehrerinnen süß, also Grundschullehrerinnen, die anderen nicht so, Gymnasiallehrerinnen seien anstrengend und kompliziert, aber ich sei ja eine von den Guten, also keine Panik.

Ich habe keine Panik. Wir gehen raus, und er raucht eine. Er fragt, wie alt ich sei, unterbricht sich dann aber und sagt, das sei nicht wichtig. Wichtig sei, dass man ein gutes Gespräch führen könne, Cellulite hin oder her, die gemeinsame Wellenlänge sei entscheidend, dass ihm jemand zuhöre, dass er seine Gedanken teilen könne. So langsam wird es etwas anstrengend mit ihm. Zum Glück gesellt sich Katja zu uns. Katja ist tatsächlich Grundschullehrerin und hat gerade ihr Referendariat beendet. Ich lasse die beiden allein und gehe wieder rein.

Dort stehen Rainer und Piet und baggern an der Freundin rum. Rainer macht in Marketing, und Piet sieht aus wie Mesut Özil in zehn Jahren. Sie freuen sich, dass ich komme, denn so müssen sie sich nicht zu Zweit eine Frau teilen. Mesut erklärt uns, wie man Golf spielt und dass Golf die komplexeste Sportart überhaupt sei. Sie beanspruche alle Muskelgruppen einschließlich der der Augen, deshalb könne er einen Golfball inzwischen auf 400 Meter in der Wiese liegen sehen.

So geht es den Abend über weiter. Ziehen Sie einfach mal ein Kleid an und lassen Sie die Haare offen. Dann werden Sie es erleben.

Wie beim Schlachter

11. 07. 2012  •  57 Kommentare

Noch zwei Stunden bis zur Prüfung, der hoffentlich letzten Prüfung meines Lebens. Ich fahre mit dem Bus zur Uni. Etwas ungelenk lasse ich mich in einen Sitz neben eine ältere Frau plumpsen, pummelig, Outdoorjacke, graues Haar.

„Entschuldigung“, sage ich, als ich ihren Arm streife.
„Is‘ nich‘ schlimm“, sagt sie. „Is‘ schon wieder verheilt.“
Oh. Sie möchte, dass ich nachfrage. „Hatten Sie sich verletzt?“
„Ich sach‘ Ihnen! Die Treppe bin ich raufgefallen. Ausgerechnet beim Arzt.“
„Und da haben Sie sich die Hand verstaucht.“
„Prellung. Vor die Füße bin ich ihm gefallen. Aber dat Knie, dat war viel schlimmer. Und die Rippe!“
„Die auch?“
„Auch Prellung. Sechs Wochen konnt‘ ich mich nich‘ bewegen. Mein Mann musste mich sogar duschen. Ich konnt‘ ja nich stehen! Und mit dem kaputten Arm. Nä, dat ging nich‘. Und auf Toilette erst.“

Das möchte ich doch gar nicht wissen.

„Dat war aber nix gegen das eine Mal, wo ich vom Fahrrad gefallen bin.“

Das auch noch! Es sind noch sieben Haltestellen bis zur Uni. Sieben Haltestellen bis zum Showdown. Ich bin apathisch. Dieses Gefühl, nicht gut vorbereitet zu sein. Aber was hätte ich mehr tun können? Was hätte ich anders machen sollen? Wenn ich es wüsste, hätte ich es getan.

„Blut! Alles voller Blut! Dat ganze Bein lief’s runter! Bin wohl mit dem Knie auf einen Stein gefallen. Wie ein abgestochenes Schwein, sach‘ ich Ihnen.“
Ach je. „Und was haben Sie dann gemacht?“
„Ich? Nix! Ich konnt‘ ja nich‘! Mein Mann hat’n Krankenwagen gerufen. Und als der da war – bumms! Drückt der Sanitäter mir eine Mullbinde auf die Wunde, ich dacht‘, ich müsst‘ den schlagen.“
„So weh hat es getan?“
„Weeeeehhh? Schmerzen! Schmääär! Zen! Wie! Beim! Schlachter!“

Noch drei Stationen. Jetzt ist es eh gelaufen. Jetzt kann ich sowieso nichts mehr tun. Wenn es nur nicht so heiß wäre im Bus. Hier weht kein Luftzug. Ich bin schon total durch, bevor es überhaupt losgeht.

„Die ganze Ummantelung war wech. Vom Knochen die, wissen’Se? So tief ging dat rein. Kein Wunder, dat dat so geblutet hat. Bis runter auf den Knochen.  Können’Se sich dat vorstellen? Ihren eigenen Knochen sehen?“

Warum eigentlich immer ich? Es ist ja alles prima, zum Bloggen und so, aber warum ich und warum jetzt – jetzt, wo ich gleich in den Ring steige? Wladimir Klitschko wird doch auch nicht zugesülzt, wenn er schon den Bademantel anhat.

Noch eine Station. Ich sage: „Ich muss dann jetzt auch aussteigen.“
„Stolpern’Se nich‘.“

Während der Prüfung gibt es einen Moment, in dem ich denke: „Wie! Beim! Schlachter!“ So muss es sein, wenn man zerlegt wird. Aber dann ich höre eine leise Stimme: „Stolpern’Se nich‘.“

Nein, nicht stolpern.
Nicht jetzt.
Geradeaus schauen.
Krönchen richten, weiterreiten.

Hat dann ja auch geklappt.
(So trug es sich zu. Jetzt wissen’Se Bescheid.)

An der Bushaltestelle

6. 07. 2012  •  35 Kommentare

„Sommergrippe?“, fragt er.

Ich sitze an der Bushaltestelle. Der dicke, alte Mann neben mir trägt eine Glatze mit Baseballkappe, dazu Polohemd, Goldkettchen und Joggingbuxe. „Hab‘ ich auch“, sagt er und hustet nachdrücklich. „Is‘ manchma‘ noch schlimmer als im Winter.“

Ich bejahe.

„Kommze vonne Schicht?“, fragt er. Er sitzt breitbeinig da. Seine rechte Hand stemmt sich auf seinen Oberschenkel, der schrundige Ellbogen ragt in die Luft. Der andere Arm ruht auf seinem anderen Oberschenkel, die Hand baumelt in seinem Schritt. Ich bejahe wieder.

„Ich mach‘ ja nur noch Nachtschicht“, sagt er. „Sonst sauf’ich zu viel. Weil, watt willze sonst machen, wennde um 14 Uhr nach Hause kommst. Kannste nix anderes machen, machste Pulle Bier auf und noch eine und noch eine. Kommste nur ans Saufen. Ich bin ja alleinstehend, woll, ich hab‘ keinen. Deshalb mach‘ ich nur noch Nachtschicht. Dann kann ich morgens pennen, und am Nachmittach is‘ nich‘ mehr lang bis Nachtschicht.“

Er nimmt seinen Arm vom Oberschenkel und reibt sich mit dem Handrücken laut schiefend unter der Nase entlang. „Dabei hab‘ ich schomma versucht, nochma‘ ’ne Frau kennenzulernen“, sagt er.  „Hab‘ sogar 80 Zuschriften gekricht. Hatte so’n Profil im Internet und inne Zeitung. Macht man ja getz nich‘ mehr, inne Zeitung, abba ich hab’s gemacht, weil, ich bin ja schon ’n gesetzteren Herrn, da kann man dat machen. Abba die woll’n alle nur mein Geld.“

Ich gucke wohl etwas ungläubig, denn, mal ehrlich, er sieht nicht aus, als habe er Reichtümer zu verteilen.

„Denkste, ich hab‘ keine Kohle, nä? Ich hab‘ dreitausend jeden Monat. Ich war auf Zeche, und dann Staublunge, schwerbeschädigt, lebenslange Rente. Dazu Nachtschicht in Sekuriti – abba nur, um unter Leute zu kommen. Ich kann Geld scheißen. Bis Februar hatte ich ’ne Geliebte, 35 Jahre jünger, nettes Mädken, Polin. Habse von oben bis unten eingekleidet. Im Januar war ich mit ihr auffe Kanaren, obwohl da schon Schluss war, abba egal, alleine is‘ ja auch Mist, also hab‘ ich sie nochma‘ ausgeführt. Abba ich hab‘ ihr gesacht: ‚Hömma‘, hab ich gesacht, ‚machen wa‘ nich‘ Mann und Frau, machen wa Vatta und Tochter, wenn jemand fragt, woll.‘ War mir sonst zu peinlich. Und weißte, watt passiert is? Weißte?“

„Die Typen am Pool haben sie angegraben.“

„Abba sowatt von! Dann bin ich zu denen hin und hab gesacht: ‚Hömma‘, hab ich gesacht, ‚lass deine Finger von mein Mädken, die geht verlobt. Die heiratet in zwei Monate.‘ Abba hat nich‘ geklappt mit der. Am Ende wollnse alle nur mein Geld.“

Hinten an der Ampel steht schon der Bus. Gleich wird er an der Haltestelle vorfahren. Ich stehe schonmal auf.

„Schade“, sagt er. „War schön, mit dir zu sprechen. Weißte, wennde nach Hause kommst und da is‘ niemand, datt is‘ schon scheiße. Aber wennde da sitzt und weißt, da kommt auch niemand, datt tut so richtich weh.“

Schnaufend hält der Bus. Die Reifen quietschen am Bordstein.
„Komm gut nach Hause, woll“, sagt er.
„Alles Gute“, sage ich.

Heiho, Heiho!

11. 06. 2012  •  54 Kommentare

Ich betrete das Behandlungszimmer meines Zahnarztes.
Dort bumsen gerade zwei Störche.

Mein Zahnarzt ist ein Wohlfühlzahnarzt. Auf seiner Webseite steht viel von „Atmosphäre“, „Verständnis“ und „Entspannung“. Im Wartezimmer bekommt man Tee – und im Behandlungsraum jetzt auch Vögel. Denn gegenüber des Behandlungsstuhls hängt neuerdings ein fetter Flachbildfernseher, auf dem in einer Endlosschleife „Nomaden der Lüfte“ läuft.

Die Störche lassen voneinander ab, und ich setze mich in den Stuhl. Die Helferin hängt mir ein Lätzchen um. Ich bin nur zur Kontrolle hier. Es ist nichts Schlimmes zu erwarten, doch die Vögel verunsichern mich etwas. Jetzt balzen gerade Auerhähne, stellen ihre Federn auf, machen mächtig einen auf dicke Hose. Die Helferin tut so, als wäre nichts, und tippt etwas in einen Computer. Mein Wohlfühlzahnarzt betritt den Raum und fährt mich im Stuhl nach hinten. Er hält seinen Spiegel in meinen Mund und murmelt etwas. Ich kriege die Auerhähne nicht aus meinem Kopf. Vorwurfsvoll sagt der Zahnarzt: „Wir haben ja bereits vergangenen Dezember über Ihre alten Füllungen gesprochen.“

Ja, haben wir – das Ganze war aber eher eine unverbindliche Empfehlung, und so lange in meinem Mund nicht Polen offen ist, halte ich ihn gemeinsam mit meiner Geldbörse geschlossen. Denn Gebrauchtwagenhänder, Versicherungsvertreter und Zahnärzte nehmen sich bekanntlich nichts, was ihren Sinn fürs Geschäftliche angeht. Ich brumme unverbindliche Zustimmung, aber gleichzeitig verbindliche Ablehnung.

An dieser Stelle kommen wieder die Auerhähne ins Spiel. Mein Wohlfühlzahnarzt nimmt einen Stift mit Lampe in die Hand, macht damit ein Foto von meinen Zähnen, schaltet die Vögel ab, fährt mich im Stuhl hoch und projiziert meinen Backenzahn in Einmeterfünfzig mal Einmeter auf den Fernseher. „Sehen Sie“, sagt er, „die Ränder der Füllung. Die schließen nicht mehr richtig. Das öffnet Bakterien Tür und Tor. Nicht mehr lange, und es bricht Ihnen alles raus.“

Ich blicke auf meinen Zahn, einen Riesenzahn, ein Zahn, der die ganze Kopfseite des Behandlungszimmers einnimmt – mit einem Grand Canyon aus Zahnschmelz und Kunststoff-Füllung. Ich sehe die Ränder, die der Doktor meint, geradezu scheunentorartig geöffnete Höhlen, einsdreißig mal achtzig und bestimmt zehn Zentimeter hoch. Mir wird heiß und kalt. Vor meinem inneren Augen zieht just in diesem Moment ein Regiment von Karies und Baktus in mein Backenzahnberkwerg ein – in Reih und Glied, die Spitzhacken geschultert, „Heiho, Heiho!“ singend.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=wYojgJgwuQ8&w=480&h=360]

Als ich das Zimmer verlasse, um mir am Empfang zwei Termine zu holen, fliegen an der Wand kleine, braune Gänschen mit wackelndem Hals nach Norwegen. Sie sehen glücklich aus. Ihr Fernseher ist bald refinanziert.

Frühlingstag

28. 04. 2012  •  50 Kommentare

Liebes Tagebuch, heute habe ich …

… ein rosa Blümchen gekauft.

Blümchen in der Blühbirne

Blümchen in der Blühbirne

… der Winkequeen und der Winkeblume beim Winken zugeschaut. Hamma, was bei praller Sonne geht. Die Winkeblume hat sich in einen totalen Rausch gewinkt.

Winkequeen mit Winkeblume

Winkequeen mit Winkeblume

… einen Haufen Blumen gekauft und den Balkon gepimpt. Danach auf den Balkon gelegen, Musik gehört und in der Sonne gechillt. Im Bikini. Im April. Goil.

Balkon gepimpt.

Balkon gepimpt.

… lecker gekocht: Hähnchenkeule auf Spargel und Rhabarber. Mit Sekt und Rosmarin. Ein Rezept von Frau Juliane. Der Sektgeschmack war super. Morgen gibt’s die zweite Portion.

Hähnchenkeule mit Spargel und Rhabarber

Hähnchenkeule mit Spargel und Rhabarber

… die zuletzt gelesenen Bücher fotografiert. Diesmal wieder mit Hund.

tschick, River, Das wird ein bisschen wehtun

Bücher

Wolfgang Herrndorf. tschick.
Maik ist ein Langweiler. Er steht auf Tatjana, traut sich aber nicht an sie ran. Dann feiert Tatjana Geburtstag, aber Maik ist nicht eingeladen. Es sind Sommerferien, Maiks Mutter ist in der Entzugsklinik, und sein Vater ist mit seiner Geliebten auf Geschäftsreise. Dann steht plötzlich Tschick mit einem geklauten Lada in der Auffahrt von Maiks Elternhaus. Eine wilde Fahrt beginnt. – Ein prima Roman, kurzweilig und temporeich. Die einfache, unverblümte Sprache gefällt mir. Kann man gut lesen.

Donna Milner. River.
Kanada, 1960er Jahre. Natalie Ward lebt mit ihren Eltern und ihren Brüdern auf einer Milchfarm. Eines Tages steht River, ein Hippie aus den USA, auf dem Hof. Das Leben der Familie nimmt eine Wendung. – Ein eindringlicher Roman. Irgendwann habe ich geahnt, welche Richtung die Geschichte nimmt. Aber das hat sie nicht minder spannend gemacht.

Stefan Schwarz. Es wird ein bisschen wehtun.
Max ist Mitte 40, mit Dorit verheiratet und in seine Kollegin Nergez verknallt. Als sein Sohn Konrad seine erste Freundin anschleppt und sein Vater pflegebedürftig wird, kommt er in eine Lebenskrise. – Das Buch beginnt gut, die Geschichte hat Potential. Aber dann wird sie schnell stereotyp. Besonders die Story rund um die dicke Vroni, die Fernsehjournalist Max mit einer neuen Badewanne beglückt, ist plump und dümmlich. Fazit: geht so.

… und weil wir ein wichtiges Spiel haben, habe ich dann noch mein Hello-Kitty-Glückstattoo aufgeschnallt.

Hello-Kitty-Glückstattoo

Hello-Kitty-Glückstattoo

Ein toller Tag.

Tschüs,
Deine Frau Nessy



In diesem Kaffeehaus werden anonym Daten verarbeitet. Indem Sie auf „Ja, ich bin einverstanden“ klicken, bestätigen Sie, dass Sie mit dem Datenschutz dieser Website glücklich sind. Dieser Hinweis kommt dann nicht mehr wieder. Datenschutzerklärung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen