Haltern – Fredericia | Wir starten um kurz nach Sieben vor der Haustür: zwei Erwachsene, drei Kinder, fünf Fahrräder, zehn Packtaschen. Der Plan: vier Züge, drei Umstiege. Ziel: Fredericia in Süddänemark. Wir sind gleichzeitig schläfrig und ausgelassen, wie wir uns und die Fahrräder um kurz vor Sieben vor dem Haus aufreihen. Dann geht es los.
Wir blinzeln die Müdigkeit aus den Augen, fahren zum Vor-Ort-Bahnhof und steigen in den Regionalzug nach Münster. Im Fahrradabteil sitzt ein Mann, Kopfhörer, das T-Shirt zu kurz für den Bauch. Er singt:
Verlieb‘ dich nie, nie, nie, niemals nie
In das Mädchen hinter der Theke
Verlieb dich nie, nie, nie, niemals nie
In das Mädchen hinter der Bar
Egal wie schön sie auch ist
Egal wie durstig du bist
Es ist ihr Job, dass sie dich mag
In Münster Frühstück in der Bahnhofshalle. Es gibt Kaffee, Kakao und Croissants. Bahnhofshallen sind heute nicht mehr fürs Sitzen und Warten gemacht, fürs gemütliche Reisen, fürs Verweilen und Betrachten der Menschen. Sie sind dafür gemacht, sie zu durcheilen, mit Rucksäcken und Rollkoffern, hastig, mit einem Pappbecher in der Hand.
Wir steigen in den ICE nach Hamburg. Wer die Fahrradabteile in den Fernzügen designt hat, gehört mit Zu- und Ausstieg nicht unter 50 Haltestellen bestraft. Wir hieven uns, die Taschen, die Räder in den Zug. Es ist eng.
Ein Paar mit E-Bikes kommt hinterdrein. Wir schieben die Kinder schon auf die Sitzplätze durch, reichen die Taschen an und helfen den nach uns Kommenden. Es braucht zwei Erwachsene von kräftiger Statur, um die E-Bikes in die Aufhängung zu heben. Dann sitzen wir, spielen UNO und essen Knoppers. Ein Hauch von 1992 durchweht die Reise.
Ausstieg in Hamburg: Kinder raus, Taschen raus, ich raus, Fahrräder raus, Reiseleiter raus. Ein Rad verhakt sich in der Aufhängung, alles verkeilt sich. Es ist ein wildes, verschwitztes Gefummele, so ruppig und unter Druck wie einst beim ersten Geschlechtsverkehr.
Der RE von Hamburg nach Flensburg: ein Saunabetrieb. Hätten wir Birkenzweige, wir würden uns damit abpeitschen. Auf dem Bahnsteig in Flensburg holen wir tief Luft. 22 Grad, eine Brise weht. Das Glück ist klein und gleichzeitig groß.
Wir haben hier zwei Stunden Aufenthalt. Auf den Rädern fahren wir in die Stadt, finden Pommes und Eis.
Wir sehen Boote, Möwen und Wasser. Dann sitzen wir im Intercity nach Fredericia. Die Fahrradabteile sind bekannt kommod, die Sessel polsterig. Ich werde augenblicklich müde, ein Schlummer ergreift mich. Wunderbar.
In Fredericia wohnen wir nur wenige hundert Meter vom Bahnhof entfernt.
Ein Zimmer im Danhostel, der dänischen Jugendherberge. Wieder das Gefühl von 1992, als wir uns zu Fünft das Zimmer beziehen. Wir, zehn Taschen, vier Betten, eine Matratze und ein Tisch – das Zimmer ist voll. Am Ende sind wir alle zu müde, um es unbequem zu finden.
Wir fahren noch kurz zum Strand, stecken einmal die Füße ins Wasser.
Zur zweiten Halbzeit sind wir wieder im Danhostel: EM-Halbfinale, Spanien gegen Frankreich. Das Bild auf dem kleinen Fernseher stockt und ruckelt, das nimmt den Dribblings deutlich den Charme. Dann ist das Spiel vorbei, der Tag ist vorbei, und es braucht keine Gute-Nacht-Geschichte mehr, um einzuschlafen.
Fredericia – Billund | Der erste Radfahrtag führt uns nach Billund: 60 Kilometer durch Südjütland. Wir frühstücken und bepacken die Räder.
Das Gelände ist wellig; wir bemerken es schon nach wenigen Kilometern. Die Fahrt führt auf Hügel hinauf und in Täler hinab – nicht wirklich hoch und auch nicht wirklich tief, aber so, dass es ein stetiges Auf und Ab ist.
Nach acht Kilometern ist bereits ein Dynamo abgefallen, ein Kind musste sich nochmal umziehen, an einem Rad schleift das Schutzblech, wir mussten das erste Mal schieben, haben ungefähr fünfzehn Nacktschnecken überfahren, und der erste Reiseteilnehmer hat schon wieder Hunger. Nach fünfzehn Kilometern halten wir für die erste Rast.
Nach Zufuhr von Zimtschnecken geht es zügiger voran. Dann beginnt es zu regnen. Wir verpacken uns in unsere Regenkleidung: Der Reiseleiter und die Kinder haben Regenjacken und -hosen. Ich habe einen Radponcho, der sich groß und gelb über mich und meine Beine bis zum Lenker spannt: Ich bin ein Riesenküken. Wir sind einen Kilometer gefahren, als aus der Reisegruppe ein „Können wir anhalten, ich muss zum Klo!“ tönt. Wir fahren die nächste Kirche an. An Kirchen sind in Dänemark immer Toiletten.
Wir fahren eine Weile. Es hört zu regnen auf, wir fahren auf, wir fahren ab. Am Grab des Egtved-Mädchens machen wir eine Pause. Vom Grabhügel können wir in die Landschaft schauen. Es hat aufgeklart.
Das letzte Stück nach Billund geht über eine Landstraße. Mehr als zwölf Kilometer zieht sie sich schnurgerade durch Felder und Wälder und will kein Ende nehmen. Die Kinder verlangen nach Ankern im immer Gleichen: Jeden Kilometer sage ich an, wie weit es noch ist. So geht es gut, so kommen wir an, erreichen Billund und unser Ferienhaus.
Am Abend, auf dem Weg zum Supermarkt, besteigen wir noch das Lego-Haus. Auf verschiedenen Terrassen hat es Spielgeräte, Schaukeln und Klettermöglichkeiten.
Auf dem Sofa, beim EM-Halbfinale Englands gegen die Niederlande, schlafen wir alle ein.
Gelesen | Alena Schröder: Bei euch ist es immer so unheimlich still. Ein Roman vor der Kulisse der Deutschen Wende 1989: Silvia hat gerade ein Kind bekommen. Der Vater will nichts davon wissen. Mit einem klapprigen Polo fährt sie von Berlin nach Ildingen zu ihrer Mutter, mit der sie seit mehr als einem Jahrzehnt keinen Kontakt hat. Eine Reise in die Vergangenheit – und von dort aus in eine neue Gegenwart. Denn während sie in Ildingen ist, verändert sich nicht nur Deutschland, sondern auch Silvia. Ich habe die Geschichte gerne gelesen: eine Familiengeschichte, die in sich schlüssig und nicht verkitscht ist. In großen Teilen habe ich sie im Legoland gelesen. Dazu mehr beim nächsten Mal.
Kommentare
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Ein Abenteuer. Wie schön. Hoffe, dass Wetter ist gnädig. Wobei ich auch ein Kükenfoto nicht verkehrt fände ;)