Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Schatöchen | Manche Unternehmungen sind mehr als andere dazu geeignet, ihre Akteure mit Erinnerungen zu munitionieren für die fernen Tage, in denen sie hüftsteif und reisesatt in einem Lehnsessel sitzen. Zu diesen Unternehmungen gehören zweifellos die Ausflüge aufs Schatöchen, die 2018 ihren Anfang nahmen.

Der letzte Ausflug ist drei Jahre her. Seuchenbedingt mussten wir 2020 und 2021 vorbeiziehen lassen; nun war es daran, den bereits Ende 2019 bezahlten Aufenthalt endlich abzuwohnen. Im vergangenen Wochenende reiste ich wieder dorthin, gemeinsam mit drei Handvoll Freunden.

Was werden wir uns erzählen, wenn wir in vierzig Jahre im Sessel sitzen, die Augen trüb, aber die Erinnerungen klar?

Weißt du noch, das Unwetter? Als wir bei 38 Grad Grad dort ankamen und wir uns nachts mit wehendem Gewand gegen die Fenster des Schlosses stemmten?

Wir werden uns daran erinnern, wie das Wasser in die Zimmer lief und wir versuchten, in der stockfinsteren Nacht die Flügel zu schließen, während Regen prasselte und Blitze die Szenerie erhellten. Der Wind drückte gegen die Fenster, und es dauerte, bis es uns gelang, die Mechanik zu überwinden und sie zuzudrücken.

Weißt du noch, wie wir uns die Leiste zerrten, während wir versuchten, das Einhorn zuzureiten?

Wir werden uns daran erinnern, wie wir uns erst den Arm lahm pumpten, um Herbert, das zwei Meter dreißig lange und ein Meter breite Gay Pride Unicorn, zu Wasser zu lassen. Wie wir zunächst erfolglos versuchten aufzusitzen, bis wir den Bogen raus hatten: Man durfte nicht zu weit vorne aufsteigen und musste seinen Po schwungvoll-beherzt, aber ohne hastige Überstürztheit in der Rückenmitte platzieren und sich sofort gegen den Schweif lehnen.

Weißt du noch, der Notarzteinsatz?

Wir werden uns daran erinnern, wie ich mir beim Ausstieg aus dem Pool den Fuß anschlug, und wir dachten, ich hätte mir den Zeh amputiert. Dabei war es nur ein Nagel. Die Ameisen waren sehr interessiert am üppig tropfenden Blut. Schließlich kam der Zahnarzt, legte einen Druckverband an, und die Sache fand ein zwischenzeitliches Ende. Details verbleiben im Nebel der Erinnerung.

Weißt du noch, wie wir aßen und tranken?

Wir werden uns daran erinnern, wie wir gemeinsam in der Küche standen und die Mahlzeiten zubereiteten, wie wir Gemüse schnitten und Feta würzten, wie wir Eintopf und Nudeln kochten, Kartoffel schälten und Gratin buken, wie wir alles hinaus trugen auf die lange Tafel vor dem Pool, wie wir die Töpfe und Platten herumreichten, bis wir uns schließlich zurücklehnten und stöhnend überstreckten, damit die guten Dinge tiefer hinunter sacken und Platz machen konnten für einen Magen schließenden Digestiv.

Weißt du noch, die Besuche im Paradies?

Wir werden uns erinnern, wie wir in den Leclerc fuhren und wieder auf Neues entzückt waren angesichts der Käsen und Pasteten, der Pasten und Marmeladen. Wir kauften Baguette und zehn Sorten Weichkäse – den im Schälchen mehrmals -, wir packten Panaché und Rosenkekse in den Wagen, suchten Geschenke für Daheimgebliebende, nahmen Suze mit nach Hause und schnupperten wie Süchtige an Seifen.

Weißt du noch, das Pferdewasser?

Wir werden uns erinnern, wie uns die Bremsenbremse begleitete, „Ultrafresh Insektenschutz für Tier und Mensch“: Fünfzig Milliliter fürs Kleinpferd, neunzig Milliliter fürs Großpferd, auf den Menschen passen zwanzig. Wir sprühten uns ein und dufteten wie fünf Zitronenbäume.

Weißt du noch, unsere Fahrt über die Dörfer? Wie ausgestorben alles war?

Wir werden uns daran erinnern, wie wir nach Vertus fuhren und dort nichts erleben, außer dass die Boulangerie schloss, als wir ankamen. Entgeistert standen wir vor verschlossenen Türen und drückten unsere Nasen platt – die Macarons unerreichbar und wir untröstlich. Wir fuhren daraufhin zu einem Champagnerwinzer, verköstigten vier Sorten, kauften drei und fühlten uns wieder besser.

Weißt du noch, die Baguettes in den Mehlsäcken?

Wir werden uns daran erinnern, wie es zwei unserer Männer trotz mäßigen Französischs gelang, die Bäckerei zu dreimaliger Lieferung von Baguettes und Croissants zu überreden. Die Baguettes kamen in Mehlsäcken und dufteten köstlich. Croissants hatten sie wohlweislich mehr bestellt, als wir Reisende waren. Es blieb an keinem Tag etwas übrig.

Weißt du noch, wie wir einfach beieinander waren?

Wir werden uns nicht mehr daran erinnern, worüber wir sprachen, aber wir werden noch wissen, dass wir Gespräche führten über große und kleine Dinge des Lebens, Freuden, Zweifel und Alltägliches. Mehr als unser Kopf wird unser Herz wissen, wie es uns gefiel, befreundet zu sein und diese Freundschaft zu feiern, mit diesem Aufenthalt, ohne Programm. Denn das Programm waren wir selbst.

Wir werden uns an all dies erinnern, wenn wir in unseren Lehnstühlen sitzen und nicht mehr reisen können – oder vielleicht nicht mehr reisen wollen, weil wir so voll sind von Erlebnissen, dass wir sagen: Jetzt ist es genug, jetzt genügen die Erinnerungen, denn sie sind schön und ohne Beschwernis.


Serviceblog | Chateau de Pleurs, Rue du Château, 51230 Pleurs, Frankreich. Buchbar über Olivers Travels oder Airbnb France. Man kann nur das ganze Schloss mieten, die Nacht kostet 1.515 Euro – geteilt durch die Anzahl der Personen, mit denen man reist. Wir waren noch zum preiswerteren 2019er-Kurs dort. Wenn Sie es wie wir machen und eine WG-Kasse eröffnen, aus der Sie Essen und Trinken bezahlen, rechnen Sie mit etwa 40 Euro pro Person für drei Tage, Kinder die Hälfte.

Kommentare

8 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓

  1. ANNA sagt:

    Ich hab da was im Auge

    Das ist der schönste Text über ein Lebensgefühl den ich seit sehr langer Zeit gelesen habe . Da war man ja körperlich selbst mit anwesend gefühlt -danke dafür !

  2. Thomas sagt:

    Ich glaube ganz in echt, dass man das nicht besser (be)schreiben kann.

  3. Christian sagt:

    Das ist das Schönste und Wahrste, was ich seit langem las. Danke.

  4. PaulineM sagt:

    Wenn dieser Freundesurlaub so schön war, wie Ihr Bericht, dann gibt es jetzt 15 glückliche Freunde. Hab mich beim Lesen miterholt. Vielen Dank für den Blick in unsere zufriedene Lehnstuhlzukunft. Auch ich sammle schon eifrig Stoff für solche „Weißt du noch…“-Gespräche.

  5. Nihilistin sagt:

    Darauf dann, altersgerecht, in 30 Jahren einen Dujardin.

  6. Kathi sagt:

    Ach, schön..

    Und ich kenne wohl Herberts Zwillingsbruder, er heißt Detlev Horni (getauft von einer ganzen Reihe Männer). Leider ist er nun an einem ziemlich unerreichbaren Ort.

  7. Tine sagt:

    So schön!

  8. Esthi sagt:

    Wie Herr K schreibt:
    Nichts bleibt, mein Herz.
    Und alles ist von Dauer.

    Dankeschön für den schönen Text, Esther

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