Tschüss, macht’s gut | Gestern starben meine Wanderschuhe.
Ihr Tod hatte sich angekündigt. Die Sohle löste sich schon länger an einer Stelle. Vor jeder Wanderung kontrollierte ich, ob sie noch hält. Gestern fiel sie beim Test durch.
Via Instagram erreichten mich zahlreiche Nachrichten und Beileidsbekundungen – und Tipps zum Kleben. Danke dafür! Doch es wäre nur eine palliative Behandlung. Die Schuhe sind 16 Jahre alt, nach der Sohle werden sich als nächstes Nähte lösen. Meine Füße haben sich auch verändert. Es wird Zeit für ein neues Paar.
Aber gedenken wir ihrer noch etwas. Denn eine Ära geht zu Ende.
Ich kaufte sie 2004 in Hamburg-Barmbek, während einer beruflichen Episode bei der dpa infocom. Gemeinsam waren wir in den Alpen, manchmal hätten wir dort Gamaschen gebraucht. Genauso wie im Appenin. Wir liefen in den Abbruzzen und in den italienischen Marken. Wir waren in New York: Es war Februar, wir durchwanderten die Stadt und sie hielten meine Füße warm und trocken. Wir waren gemeinsam auf Gran Canaria und Teneriffa, auf La Palma und La Gomera. In Andalusien wanderten wir über Berge und durch Gestrüpp. An einem Novembertag lief ich mit ihnen zum Ende Norderneys – und musste doch barfuß gehen. Wir waren in Skandinavien, in Schweden, Finnland und Norwegen; ich stand mit ihnen am Nordkap und fror im Nebel. Wir waren in Polen und stiefelten durch die Kaschubei. Wir standen bei Minusgraden an der Ostsee, am Strand der Frischen Nehrung. Ich liefen mit ihnen über die chinesische Mauer und im Jangtse-Tal.
Sie starben am Ort ihrer ersten Kanarenwanderung, nach ihrer letzten Kanarenwanderung. Es ist angemessen, sie hierzulassen. Adieu, liebe Wanderschuhe. Danke, dass ihr mich so weit um die Welt getragen habt. Es war sehr, sehr schön mit Euch.
(Ich bin wirklich ein bisschen ergriffen. M meinte: „Am Mittwoch kommt die Müllabfuhr. Und auch danach den Mittwoch. Wenn du sie nicht gehen lassen kannst, lass sie hier. Ich schmeiße sie dann für dich weg.“)
Mögen sich eure Nachfolger als ebenso treue und freundliche, beständige, abenteuerlustige und bequeme Kameraden erweisen.
Ich kaufte sie heute in Valle Gran Rey nach kurzer Beratung. Es waren die ersten Schuhe, die ich anprobierte. Sie passten, ich nahm sie. Danach führte ich sie ein wenig in Valle Gran Rey spazieren. Einmal vom Wanderladen bis zur Playa del Ingles und zurück.
Die Statue am Strand ist der Rebell Hautacuperche.
Serviceblog #1: Der Wandermann zeigte mir eine gute Schnürung. Sie ist auf dem Bild zu sehen. Bevor es hoch in die Haken geht, die Schnürsenkel zweimal umeinander drehen und dann von oben nach unten einhaken. Das hält den Fuß beim Bergabgehen weiter hinten. Ich hab’s ausprobiert, mit der normalen Schnürung am anderen Fuß als Vergleich: stimmt.
Serviceblog #2: Einen Tipp, den ich zum Thema „Schuhkleber“ erhielt, gebe ich hier weiter. Das Produkt „Aqua Sure“ soll wahre Wunder wirken. Danah überstehen Schuhe wohl Monsterwanderungen und Atomkriege. Ich werde es mir daheim zulegen. Denn ich habe immer wieder Schuhe, bei denen sich mal die Sohle löst – und die im Gegensatz zu meinen Wanderschuhen nicht multimorbid sind, sondern gut noch ein bisschen Zeit ableisten können.
Schlappenspaziergang | Weil ich nicht wandern konnte, machte ich einen Spaziergang in Schlappen durch Vallehermoso: einmal das Tal rauf bis ins Dorf Macayo und wieder zurück.
Trägt man Schlappen mit Zehentrennern, sind die getrennen Zehen nach dem Bergablaufen doppelt so lang.
Serviceoase | Nach dem Spaziergang ging ich in den Supermarkt. Ich musste mich mit Lebensmitteln eindecken. Die weisen Menschen des Dorfes Tazo haben schlechtes Wetter, womöglich Regen vorausgesagt. Regen bedeutet: Es führt kein Weg für mich aus dem Tal hinaus; es empfiehlt sich, Vorräte anzulegen.
Die Verkäuferin erkannte mich wieder und fragte mich, ob ich denn diesmal eine Box wolle. Bei meinem letzten Einkauf hatte ich alles in meinen Rucksack und zwei Leinentaschen gepackt – unter ihren skeptischen Blicken. Zu ihrer Freude und Erleichterung sagte ich Ja, und sie pfiff einen jungen Burschen herbei, der mir die Box ins Auto trug.
Wetterorakel | Schon am Donnerstag haben die Dorfälteren aus Tazo gesagt: Am Dienstag wird es regnen. Gestern zeigte der Blick auf La Palma beginnende Schleierbewölkung.
Am Abend flossen die Wolken den Berg hinab in mein kleines Tal, und es zog sich zu.
M legte mir Holz für den Ofen vor die Tür. Mit der Pappbox aus dem Supermarkt kann ich prima das Feuer anfachen.
Ziegen | Hier im Tal wohnen Ziegen. Sie gucken immer, wenn ich vorbeifahre.
Würden sie in einer Etagenwohnung in Dortmund wohnen – ich würde beim Vorbeigehen immer vorsichtshalber in Richtung Spion grüßen.
Kommentare
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Ein würdiger Nachruf. Ich hoffe, meine Wanderstiefel bleiben noch eine Weile bei mir.
(Die Ziegen würde ich auch lieber grüßen.)
Die Ziegen waren heute schon wieder am Start und guckten neugierig, als ich meinen Abendspaziergang machte. Wenn ich sie dabei dann offensichtlich ertappe, gucken sie schnell weg. Diese Art von Humor mag ich ja.
Liebe Frau Nessy, danke für den Schnürtipp. Das werde ich sofort ausprobieren!
Sehr gerne! Ich werde die Schnürung demnächst auch einem härteren Praxistest unterziehen.
Vor solchen Wanderschuhen habe ich einen Heidenrespekt. Vor 2 Jahren bin ich in ihnen mit dem Hund im Wald wandern gewesen. Auf dem Rückweg schon in meiner Straße, blieb die Schleife des linken Schuhs in der oberen Öse des rechten Schuhs hängen und ich fiel wie ein gefällter Baum um. Ich habe heute noch diesen Aufprall im Kopf, ohne Abrollen oder Abfeden einfach nach vorn auf die Stirn. Dicke Beule und ein gebrochenes Handgelenk. Ich habe daraufhin die jeweils oberste Öse aus beiden Schuhen rausgebrochen, kann mich aber nicht wirklich überreden sie zu tragen, obwohl sie eigentlich sehr bequem sind.
Das ist … also, ich weiß gar nicht, wie ich … jedenfalls: Das habe ich ja noch nie gehört. Andererseits: Ich glaube die Geschichte sofort. Die schweren Verletzungen passieren immer so unglaublich blöde – das kann sich kein Mensch ausdenken.
Geichzeitig bin ich fest davon üebrzeugt, dass einem einzigen Menschen sowas kein zweites Mal passiert. Wirklich. Das ist einfach eine Verkettung solch unglücklicher Umstände – das geht nicht mehrmals.
Liebe Pauline, das hab ich auch schon geschafft. Gott sei Dank war ich mehr zornig ob des Hinfallens als verletzt. Folgende Lösung für das Problem: Wenn ich lange Hosen anhabe (meine Wanderhose hat unten Klettverschluss zum enger stellen des Hosenbeins) stülpe ich eh die Hose drüber und mache den Klett zu. Somit sind Ösen und Schleife verdeckt. Wenn ich 3/4- oder kurze Hosen trage, stülpe ich mir die Wandersocken nach außen drüber. Ösen und Schleife im Rand der Wandersocken verdeckt. Safe!
Sehr gute Idee! Jetzt, wo Du es schreibst, erinnere ich auch, dass ich das in der Vergangenheit auch schonmal so gemacht habe.
Ja, man kann sich hinterher kaum vorstellen, wie dumm das gelaufen ist. @flighhigher Socken oder Hosenbeine drüber ist eine tolle Idee, das probiere ich aus, weil eigentlich mag ich die Schuhe ja. Danke!