Metaebene | Tagebuchblogkulisse.
Von rechts schallen Geräusche eines Volksfestes herüber. Bässe, der Gemurmelteppich vieler, sehr vieler Menschen, herüberwehende Melodien. Im Vordergrund, ebenfalls von rechts, aber näher dran, das Bellen eines Hundes, ein hohes Bellen – ich stelle mir einen kleinen, nervösen Hund vor, ein Tier mit einer spitzen Schnauze und einem Hang zu Dramatik. Eine Frau weist ihn zurecht.
Von links Schlagermusik. Immer wieder wird der PUR-Hitmix angespielt.
In der Ferne das Rauschen eines fahrenden Zuges.
Auf dem Balkon neben mir wohnt ein Mann. Ich sah ihn, als er sein Zimmer betrat: Anzughose, weißes Hemd, eine Kofferkombination wie ein Smoking, schwarz und adrett. Er hört sehr laut einen englischen Fernsehsender, bis eben Nachrichten, nun eine Sendung, in der sich zwei Männer konstant anschreien.
Von irgendwoher Klavierspiel.
Teenager laufen plappernd durch die Straßen. Mädchen in kurzen Röcken, Jungs in engen Hosen und Shirts mit V-Aussschnitt, um die Schulter Taschen, die wir einst um die Hüften trugen.
Amorbach – eine Stadt mit vielen Geräuschen.
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Vor dem Aufbruch | Heute Morgen brach ich hierher auf. Nach dem Wochenende auf dem Schatöchen nun ein Wochenende im Odenwald. Es wird nicht langweilig.
Ich entschied mich, direkt am Vormittag zu fahren. Zuvor noch etwas Herumräumen zu Hause, den Garten gießen, nach dem Gewächshaus sehen.
Dort totale Eskalation.
Die Gurken baumeln von der Decke. Die Thorstomaten hängen in üppigen Bündeln.
Ich goß kräftig. Sonnenschein ist angekündigt – 33 Grad, 36 Grad.
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Expedition in den Odenwald | Ich bin hier anlässlich eines Geburtstags. Zwei Menschen werden 40 und feiern. Viele Menschen reisen aus allen Orten Deutschlands an.
Ich kam am frühen Nachmittag hier an, nach einer problemlosen Fahrt die A45 hinunter, auf der es weder Stau noch besondere Vorkommnisse gab.
Ich freue mich übrigens jeden Tag über das Geschenk von Sandra: einen Gummikummerbund für meinen Beifahrersitz. Er hält meinen Proviant fest.
In Amorbach bezog ich mein Hotelzimmer. Das Hotel ist neu. In den Fluren riecht es nach frisch verlegtem Teppich, das Parkett ist jungfräulich, die Möbel sind noch möbelhausig.
Amorbach hat keine 4.000 Einwohner. Nach acht Stunden in der Stadt meine ich, alles gesehen zu haben. Natürlich täusche ich mich. Es gibt bestimmt noch viel mehr zu entdecken.
Gesehen habe ich bereits das Templerhaus, das zweitälteste erhaltene Fachwerkaus Deutschlands. Es stammt aus dem Jahr 1291.
Es war einst ein burgartiger Adelssitz, bevor die Besitzer in eine wirkliche Burg umzogen.
Es ist beschaulich hier. Ich begegnete nur wenigen Menschen, und auch in den Geschäften schien niemand. Nur vor der Eisdiele standen die Leute ein: Eiscafé Dolomiti,laut Werbeschild seit Jahrzehnten im Familienbesitz, ist der heimliche Star des Ortes.
Es war heiß heute, allerdings angenehm heiß. Ich freute mich über die Sonne auf der Haut und auf den Beinen. Wegen Bürositz, Pendelei und allerlei zu tun habe ich mich diesen Sommer noch nicht viel in die Sonne gehalten. Das war sehr schön heute.
Die Kirchengemeinde nutzt die Temperaturen für Werbung in eigener Sache. Der Unique Selling Point des Sonntagsgottesdienstes ist dieser Tage nicht die Predigt.
Ich war auf der Suche nach einer Einkehrmöglichkeit: ein Wirtshaus oder ein Bistro – irgendwas mit Herzhaft für über den Tag. Doch die Lokale hatten noch geschlossen.
in der Bäckerei erwarb ich ohne Fastenabsicht eine Fastenwähe, außerdem eine Sesambrezel und aß sie auf der Bank vor der Abtei des Ortes.
Es gibt hier eine Fürstliche Abtei; sie ist vielfach ausgeschildert. Bei jedem Schild lese ich „Fürchterliche Abtei“; es setzt auch beim fünften Mal kein Lerneffekt ein.
In der Nähe der Bäckerei gibt es zudem eine Metzgerei. Sie bietet eine besondere Attraktion: einen Selbstbedienungsautomaten für Wurst. Man kennt solche Maschinen aus Foyers und Büros: Spiralen drehen gegen Einwurf kleiner Münzen Snickers heraus. Hier sind es vakuumierte Würste.
Ich gehe weiter durch den Ort. Es ist alles sehr hübsch hier.
Allerdings begegnet mir auch Seltsames: ein Hause mit einer Treppe wie an Peter Lustigs Bauwagen, dazu Skelette. Es klärt sich nicht auf, warum das alles.
Nach meinem Rundgang kehre ich zurück ins Hotel. Im Hotel arbeite ich für den Rest des Nachmittags.
Am Montag und Dienstag ist Storytellingseminar im Haus Busch. Das Seminar ist diesmal ausgebucht; die Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben mir ihre Projekte und Fragestellungen geschickt. Ich arbeite sie in mein Seminarkonzept ein.
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Angeschaut | Dolmetscherin Verena Laouari zeigt, wie es in einer Dolmetscherkabine aussieht und welche Technik es beim Simultandolmetschen gibt.
Angeschaut | Junge Geflüchtete überwinden ihre Angst vor dem Wasser und lernen schwimmen. Berührende Fotokollektion mit dem Titel „The Big Sea“ – und ein Interview mit der Fotografin.
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Bemerkt | Als ich gerade Google befragte, was das wohl für eine Veranstaltung zu meiner Rechten ist, bemerkte ich zum ersten Mal, dass die Suche Veranstaltungskalender kann.
Das haben Lokalzeitungen ja auch nie wirklich hingekriegt. Brauchen sie nun auch nicht mehr.
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Mchmchchchchchh | Nebenan nun kein Fernsehton mehr. Stattdessen Schnarchen; ein Rachenreiben, wie es entsteht, wenn der Mund geschlossen ist, das Gaumensegel aber dennoch flattert. Die Atemzüge mal länger, mal kürzer, auch sehr kurz. Dann wieder sehr lang, energisch, beinahe wütend. Bisweilen, in der Mitte eines Atemzugs, klemmt das Segel; dann bleibt der Schnarcher dumpf stecken. Von rechts weiterhin die Bässe des Volksfests.
Kommentare
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Die Stühle an der Hauswand sehen aus wie eine Katzentreppe, würde ich sagen.
K. M. Gauß ist einer der Lieblingsschriftsteller von H: Ein Meter Buchregal von ihm.
Das Geschenk:
Ich wollte das auch haben und wurde nicht richtig fündig. Da fiel mir dann die Meterware elastischen Schlauchstoffes ein, die ich übrig hatte. Passt super und ist genauso praktisch. Geht sicher auch mit Loops, ausrangierten Pullis, T-Shirts … unschlagbar!