Zustand | Nachlassendes Siechtum. Mittelprächtige Nacht und unterdurchschnittliches Gefühl am Morgen. Tagsüber jedoch solide.
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Frühstück | Worüber ich mich immer tierisch freuen kann, egal wie oft ich es schon erlebt habe:
- beim Fliegen am Fenster sitzen
- Hotelfrühstück
Heute hatte ich Nummer Zwei, also Hotelfrühstück, und die Eier hatten Gesichter.
Es gab Brötchen und Gemüse und Pancakes und Cerealien und ein wirklich hervorragendes Rührei – so ein gutes Rührei erlebe ich selten, zehn von zehn Punkte.
Morgen darf ich erneut frühstücken, noch dazu ohne Termindruck.
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Reiseanlass | Ich bin in Berlin, um unter anderem an der dpa-Chefredakteurskonferenz teilzunehmen – eine jährliche Veranstaltung der Deutschen Presse-Agentur.
Die Veranstaltung heißt Chefredakteurskonferenz Chefredaktionskonferenz (s. Kommentare), weil dort die Chefredakteure deutscher Medien zusammenkommen – und zwar tatsächlich Redakteure, weniger Redakteurinnen. Die gibt’s nämlich kaum. Suchbild:
Das bemerkte auch Podiumsgast Franziska Giffey, ihres Zeichens Familienministerin, die, angesprochen auf ihre Haltung zur Kanzlerinnenfrage und zum Thema „Frauen in Führungspositionen“, in breitem Berlinerisch entgegnete:
„Also, ick finds jut, wenn überall ein paar mehr Frauen sind. Bei Ihnen is dit ja auch ein bisschen dünn, ja.“
Die dpa selbst zeigte sich anders: Es war immer mindestens eine Frau auf der Bühne, und auch die neuen Personalien, die die Agentur zu Beginn verkündete, waren bunt. Das empfand ich als angenehm und bereichernd. Eigentlich bedauerlich, dass ich das erwähnen muss. Ich erlebe auf vielen Veranstaltungen leider immer noch ein Ungleichgewicht – und es tut diesen Veranstaltungen meinem Empfinden nach nicht gut.
Hintergrund zum Gastgeber | Die dpa ist die größte Nachrichtenagentur Deutschlands und beliefert fast alle deutschen Medien – dazu auch internationale. Sie sitzt in Hamburg und Berlin und hat Korrespondenten in über 100 Ländern. Sie ist genossenschaftlich organisiert und hat 180 Gesellschafter, allesamt Verlage und Medienunternehmen. Die dpa macht ausschließlich B2B-Geschäft, beliefert also nur Geschäftskunden wie zum Beispiel Redaktionen, nicht Leser oder Nutzerinnen selbst.
Ich gehe das Programm mal durch, um Sie ein bisschen mitzunehmen (#serviceblog):
Heizdecken-Content | Nach der Begrüßung zeigte die dpa erstmal, was sie im neu im Portfolio hat, eine kleine Verkaufsshow, aber eine gute. Zum Beispiel arbeitet sie viel mit Daten, beschäftigt sich nun auch mit E-Sports, produziert multimediale Long Reads, also lange Hintergrundgeschichten, und bietet Beratung für Redaktionen. Sie baut auch einen Infokanal mit Slack auf, um Alerts für Toplagen an Redaktionen rauszuschicken. Außerdem im Kanal: Warnung vor Fakes und Transparenz über die eigene Arbeit.
Die E-Sports-Geschichte fand ich spannend; nicht wegen E-Sports an sich – damit habe ich nichts am Hut. Vielmehr ist das ein Feld, das völlig außerhalb meines Radars stattfindet – und, das unterstelle ich mal, auch außerhalb des Radars fast alles Redaktionen. Dabei wird Berlin im September 2019 das Zentrum des internationalen E-Sports mit einer Million Euro Preisgeld.
Der Boulevard | Im Anschluss trafen BILD-Chef Julian Reichelt und der Professor Volker Lilienthal von der Universität Hamburg aufeinander. Es ging um Qualität im Boulevardjournalismus, und Julian Reichelt zeigte eindrücklich, dass es sie nicht gibt und niemals geben wird – zumindest nicht, wenn man die üblichen journalistischen Standards zugrunde legt.
Lilienthal war leider zu detailliert und zu wissenschaftlich unterwegs, um Reichelt beim Kragen zu packen. Letzter schwadronierte, unterbrach, stellte Gegenfragen, ging nicht auf die Frage ein und gab eine solch optimistische Sicht auf BILD zum Besten, dass dpa-Chefredakteur Sven Gösmann ihn fragte: „Wenn ich Ihnen so zuhöre, müssen Sie sich doch manchmal fragen: Sind die anderen alle Geisterfahrer oder ich?“
Franziska Giffey | Familienministerin Franziska Giffey stand Rede und Antwort zur Familienpolitik, zur Plagiatsprüfung ihrer Dissertation und zur neuerdings launigen Benamung von Gesetzen („Gute-Kita-Gesetz“, „Respekt-Rente“).
Giffey berlinerte sich durch den Talk und haute ein klares Statement nach dem anderen raus, allesamt bodenständig und mit Herz, dazu ein paar schelmische Sprüche. Insgesamt kurzweilig und sympathisch.
Im journalistischen Interview ist es angesichts der munteren und bodenständigen Art Giffeys sicherlich schwierig, kritische Distanz zu wahren.
AKK | Auf Franziska Giffey folgte Annegret Kramp-Karrenbauer. Der Kontrast hätte größer nicht sein können: Es fühlte sich an, als würde man von einer guten Party zur Sprechstunde ins Finanzamt wechseln.
Ich hatte Schwierigkeiten zu folgen, es fehlte mir auch Kaffee. AKKs Sätze waren ausgesprochen lang, mein auditives Gedächtnis ist überdurchschnittlich kurz.
Twitterampel | Es gab eine Twitterampel, die anzeigte, ob das Bühnengeschehen gerade vertraulich war oder nicht.
Bei Giffey und AKK war sie grün. Bei Gast Bibiana Steinhaus, Schiedsrichterin in der Fußball-Bundesliga, und beim Dinner-Gast Gerhard Schröder, ehemaliger Bundeskanzler, war das Gespräch vertraulich.
Hashtag zum Nachlesen: #dpa19
Gerhard Schröder | Gerhard Schröder kam am Abend als Dinnergast – mit roter Ampel, aber so viel kann ich sagen: Es ist gut, dass er nicht mehr in der Politik tätig ist. Ich empfand ihn als einen aus der Zeit gefallenen, selbstgerechten Mann.
Dabei ist es nicht so sehr das, was er sagt, sondern wie er es sagt – und welche Haltung dahinter steckt, nämlich die eines Managers, den Details nicht interessieren.
Während er sprach, wurde mir wieder ein Stück klarer, was das Problem der SPD ist: Sie betreibt eine theoretische, funktionale Sozialdemokratie, die sich wie ein Verwaltungsakt anfühlt. Das ist durchaus seltsam, denn gleichzeitig gibt es Personalien wie Franziska Giffey, die alles andere als theoretisch und funktional rüberkommt.
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Heimweg | Auf dem Rückweg zum Hotel kam ich am Halleschen Tor vorbei:
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Gelesen | Der Narkosedoc bietet einen super Service: Er hat eine dynamische Patientenverfügung für junge Leute formuliert – für alle, die das immer schonmal machen wollten, aber immer vor sich herschieben.
Kommentare
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Frühstückseier mit Gesicht – das finde ich lustig, das mache ich ab jetzt auch, wenn ich Besuch bekomme, der zum Frühstück bleibt.
Schön, dass es Ihnen in der Hauptstadt wieder gefallen hat. Wir geben uns immer größte Mühe.
Liebe Nessy,
wir freuen uns über das Lob, aber eine kleine Korrektur muss ich anbringen: Die Veranstaltung heißt Chefredaktionskonferenz.
VG nach DO
Danke für den Hinweis – ist korrigiert.