Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Wochenende, 27. und 28. Oktober

29. 10. 2018 9 Kommentare Aus der Kategorie »Tagebuchbloggen«

Ich werde alt. In der Theorie ist mir das klar, selten wurde es mir jedoch so offenkundig vor Augen geführt wie in diesem Moment am Samstag, als ich an der Dortmunder Phoenixhalle vorbeiging.

Die Phoenixhalle ist eine Veranstaltungshalle im Dortmunder Süden – Backsteingebäude im Schatten eines Hochofens. Es war 16 Uhr. Eine Menschenmenge schlängelte sich im Gegenlicht der Herbstsonne, vor der Kulisse zerfallender Industriekultur, über zerklüftete Betonplatten.

Modus Mio: Menschenschlange vor Industriekultur und untergehender Sonne

Ich ging an der Schlange vorbei, denn ich wollte nach Hause, und schaute mir die Menschen an, die in der Schlange standen. Niemand war älter als 25, eher jünger, deutlich jünger, aber wer kann das schon so genau sagen. In den Gesichtern der Jungen wuchs jedenfalls kein Haar, die Mädchen kicherten aufgekratzt. In den Händen hielten sie Zigaretten, und sie tranken Wodka aus Flaschen.

Es war wirklich eine beträchtliche Anzahl junger Menschen, die anstand. Die Schlange ging um das Gebäude herum. Aus der Ferne kamen immer mehr Gruppen, größer und kleiner, alle mit Flaschen in der Hand, zu Fuß über das Brachland angeschlurft. Es musste ein wahrhaft denkwürdiges Ereignis sein, das in dieser Halle stattfand; ein berühmter Künstler, jemand von der Kategorie Robbie Williams, die Älteren von uns erinnern sich an ihn. Wieso hatte ich von diesem Ereignis nichts mitgekriegt?

Während ich weiter meines Weges ging, schlug ich im Internet nach und erfuhr den Namen der Veranstaltung: Modus Mio Live. Nie gehört.

Ich las die Beschreibung des Ereignisses:

Mit über 800.000 Fans ist Modus Mio die meistgestreamte Playlist Deutschlands. Genug Grund für uns, sie mit 5 der erfolgreichsten Künstler […] zum Leben zu erwecken. Kein Live-Stream, sondern Live on Stage. Konzert-Modus: ON!

Aha. Eine Playlist tritt auf. Das ist, uhmm, interessant.

RIN ist der größte Shooting-Star der Deutschrap-Szene. Innerhalb der letzten 18 Monaten hat er nicht nur zwei erfolgreiche Alben veröffentlicht und dabei etliche Hymnen und Hits gedroppt, sondern auch auf allen wichtigen Festivals komplett abgerissen.

Ich habe mich daraufhin belesen. Rin ist Renato aus Bietigheim-Bissingen und einer der Hits, die er gedroppt hat, ist der hier. Die Wartenden spielten ihn auf ihren Handys.

Es ist 3 Uhr nachts in der Stadt / ich bin 18 und ich mach, was ich mach / Zehn Packungen Marlboro Gold und einen Gin / alle machen Scheiß / ich mach, was ich will.

Das sangen die Leute laut mit. Das scheint eine der Hymnen zu sein.

Mit Trettmann haben wir einen echten Elder Statesman im Lineup, dessen Karriere in jüngster Zeit komplett abgehoben ist: Seine „Kitschkrieg“-EPs und das „DIY“-Album haben ihm eine komplett neue Fanbase erschlossen, zu seinen erklärten Fans gehören Rapper von Cro bis 187 Strassenbande.

Den „Kitschkrieg“ können Sie hier nachhören.

Als Pragmatikerin finde ich es erdend, Gangsta-Rapper singen zu hören und zu wissen, dass sie am Ende des Tages ebenso wie ich an ihrem Schreibtisch sitzen und ihre Umsatzsteuervoranmeldung machen.

All hail the queen! Nura kennt man natürlich längst als eine Hälfte von SXTN (mit Juju), aber auch wegen ihrer Solo-Hits und Kollaborationen: Als ultrakredibile Rapperin, Social-Media-Influencerin, Allzweck-Abrissbirne und Style-Ikone der Straße ist Nura zur Zeit eine der gefragtesten Künstler_Innen im Deutschrap.

Nura war Mitglied der Band The toten Crackhuren im Kofferraum. Ich empfehle dieses Interview zur Einarbeitung in das Thema „Deutschrap mit Nura“.

Eine Parallelwelt. Verblüffend.

*

Um Reiseempfehlungen auszusprechen, habe ich meinen Tallinn-Estland-Beitrag rausgekramt. Außerdem meinen Ausflug nach Riga. Und die Danziger Bemerknisse. Hach. <3

*

Eine Freundin glücklich gemacht, die einige Jahre in China gelebt hat und zum Teigtaschenehepaar wollte, um alte Chinagefühle aufleben zu lassen. Hat funktioniert.

*

Buchhaltung erledigt (vgl. Gangsta-Rap). Außerdem Kontowechselbriefe geschickt und SEPA-Lastschriftmandate bestätigt, trotz Nutzung des Kontowechselservice. Es hatte schon Gründe, warum ich den Kontowechsel immer wieder hinausgezögert habe.

*

Darf ich vorstellen? Der Nachbarskater Moritz.

Der schwarz-weiße Nachbarskater Moritz auf Augenhöhe

Moritz kommt regelmäßig vorbei und sieht nach den Vögeln im Garten. Er wirkt auf dem Bild zielstrebig und gefährlich. Das ist irreführend. Soweit ich das als Katzenlaie beurteilen kann, ist sein Jagdverhalten, nun ja, ausbaufähig. Es sei denn, es gehört zu einer ausgeklügelten, undurchsichtigen Ablenkungstaktik, dass er beim Auflauern von der Mauer stolpert und seine Hechtsprünge die Dynamik von Kartoffelbrei haben. Wahrscheinlich ist das alles nur Understatement.

Kommentare

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  1. Alexandra sagt:

    Ich glaube, ich möchte auch gerne ultrakredibil sein, das ist ein hübsches Wort. Was man dafür wohl tun muss?

    1. Alexandra sagt:

      Ohje, ich glaube nicht, dass meine Kompetenzen fürs Influenzen ausreichend. Dann wird das wohl nichts.

  2. Kathi sagt:

    Singen die wirklich „sie frägt“?
    Beim Nachverfolgen der Links kam ich mir jedenfalls in etwa so alt vor, wir damals, als ich versuchte Snapshat zu verstehen. Danke fürs Mitnehmen!

    1. Vanessa sagt:

      Sie „frägt“, jaja. Das habe ich mir im Wochenende in anderem Zusammenhang erklären lassen. Das ist Dialekt, das sagt man so.

      Ich habe an der Stelle jetzt noch den Text ergänzt, den die Leute laut mitsangen.

  3. Toll, vielen Dank für die Recherche und Aufklärung.
    Etwa so ging es mir vor ca. acht Jahren, als ich eines Nachmittags in Berlin mit Freundinnen an einer ähnlich besetzten Menschenschlange vorbei kam und durch Nachfragen erfuhr (man hatte uns für abholende Mütter gehalten), dass es Events gab, bei denen man gegen Eintritt berühmte YouTuber erleben konnte. Allerdings hatte meine Energie nicht für eine Recherche der konkret zu besichtigenden Menschen gereicht.

    1. Vanessa sagt:

      Sehr gerne.
      //*serviceblog

      Bei sowas bin ich dann ja immer neugierig und gucke nach.

  4. Nina sagt:

    Also ich bin 24 und hab noch nie von dieser Playlist gehört. Das Genre kenn ich allerdings schon – cloudrap nennt sich das. Das bekannteste Lied ist mit Sicherheit Bianco, aber ich kann auch Jugo Ürdens empfehlen, ein Wiener Rapper mit Wurzeln im ehemal. Jugoslawien, wie der Name schon sagt. Was ich eigentlich sagen wollte: wer sich nicht für solche Musik interessiert, den ganzen Tag Radio hört, nicht mehr 15 ist und weder Youtubern folgt noch groß auf Instagram unterwegs ist, an dem geht diese Musik auch in meiner Generation vorbei. Mir persönlich gefällt die britische Version besser, die grimiger (von Grime abgeleitet) ist und an Garage/Dubstep aus den ’90er und 2000ern anschließt. Z.B. https://www.youtube.com/watch?v=yN0m2HJaN90. In den Niederlanden ist das Genre grade auch auf wachsen, ein Beispiel dafür – https://www.youtube.com/watch?v=2kkZcvVE6mk . Und als Abschluss noch ein Lied aus der Schweiz- https://www.youtube.com/watch?v=BWOwmLvRVqo.

    1. Vanessa sagt:

      Super Service, vielen Dank. Das britische Englisch macht sich gut zum Rhythmus. Guter Sound.
      Von dem Schwyzerdütsch verstehe ich selbstredend gar nix. *lacht

      Werde mal weiter in dieser Richtung stöbern.

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