Der letzte Tag dieser Reise, Tag 30 des geschenkten Monats, den ich in Italien verbringe.
Der Wecker klingelte um 7 Uhr, denn ich wollte heute Großes vollbringen: Bötchen fahren! Ich fühlte mich allerdings sehr müde. Als ich die Küchenuhr sah, wusste ich auch, warum. Es war gar nicht 7 Uhr. Es war 6 Uhr. Sapperlot. Wochentage, Zeitumstellung, alles Schall und Rauch.
Ich frühstückte und stapfte dann den Berg hinunter zum Bootsanleger. Das Dorf schnarchte noch. Ich dachte erst, dass ich die Einzige sei, die zum Monte Isola übersetzen würde. Doch dann kam noch ein Paar mit Teenie-Sohn. Der Teenie-Sohn hatte ebenfalls die Zeitumstellung nicht verarbeitet.
Der See war morgenfrisch, diesig und leicht vernebelt. Die Sonne hatte es noch nicht über die Berge rundherum geschafft. An Deck war es frisch, aber nicht so kalt, dass ich drinnen sitzen musste.
Der Plan für den Tag: Hinauf auf den Inselberg steigen, hinunterschauen, wieder hinab gehen, hinaufschauen und ein Eis essen. Ich war nicht großartig vorbereitet, hatte nur gelesen, dass man am besten von Peschiera aus aufsteigt. Also fuhr ich mit dem Boot bis Peschiera Maraglio.
Dort ging ich einfach bergauf.
Das ist das Gute an dieser Art von Wanderausflügen: Die Orientierung ist einfach. Wenn der Weg sich gabelt, einfach immer die Abzweigung nach oben nehmen.
So stieg ich die Insel hinauf: über Pfade, über eine Straße, über Wiesen und durch das Dorf Cure.
Auf dem Monte Isola gibt es keine Autos. Die Einheimischen dürfen Motorroller fahren. Es gibt ein paar dieser dreirädrigen, kleinen Motocarri; die Bauern haben kleinere Traktoren, aber keine Autos.
Nach etwa einer Stunde kam ich auf dem Gipfel des Monte Isola an. Dort oben gibt es eine Kirche, das Santuario della Madonna della Ceriola.
Die Sonne schien sehr schön an eine Kirchenseite – dort, wo die Bänke stehen. Ich nahm das als Einladung und setzte mich eine halbe Stunde in die Sonne und genoss die Wärme.
Mit der Zeit kamen recht viele Leute – Italiener, die einen Sonntagsausflug machten und auch hinaufgestiegen waren: Freundinnen, eine Wandergruppe, ein Bergjogger mit Hund, ältere Paare, junge Paare und Familien. Sie mussten zur gleichen Zeit wie ich ein Schiff genommen haben, aber von der anderen Uferseite, der Brescia-Seite. Ich wohne auf der Bergamo-Seite.
Danach stieg ich wieder bis nach Cure ab, nahm dann aber den Weg nach Massa und nicht nach Peschiera, wo ich hergekommen war: Ich ging als statt nach 12 Uhr in Richtung 9 Uhr hinab. Das war ein sehr schöner Weg, mal gepflastert, mal unebener, aber immer gut begehbar.
Am Rande des Weges: Frühlingblumen. Yeah! Blühende Blumen in Weiß, Blau und Gelb, außerdem eine Blume, die ich noch nie gesehen habe. Vielleicht kennt sie jemand von Ihnen:
In Orzano, dem Küstenort unter Massa, ging ich gerade den Weg ins Dorf hinab, als ein Opa aus einer Tür trat. Ich bin sehr groß, der Opa war sehr klein. Er ging mir nur bis knapp über den Ellbogen.
„Kommst du von ganz oben?“, fragte er.
„Ja, genau. Von der Kirche.“
„Als ich ein junger Mann war, bin ich in siebzehn Minuten hochgelaufen. Siebzehn waren mein Rekord.“
„Siebzehn?! Von hier aus? Wow. Das ist gut.“
„Ich bin jetzt 85 Jahre alt. Nächsten Monat werde ich 86. Ich bin schon Urgroßvater. Bisnonno, sai? Nonno, Bisnonno – Urgroßvater.“
„Wohnen Ihre Enkel hier auf der Insel?“
„Nur einer. Meine Frau und meine Tochter wohnen auf der Insel. Und einer der Enkelsöhne.“
„Und Sie haben immer hier gewohnt?“
„Nur zwei Jahre nicht. Da habe ich in der Fischerei gearbeitet. Oder, naja, nicht gearbeitet. Ich habe in der Reederei nur beaufsichtigt. Also zwei Jahre nicht gearbeitet. Sonst immer hier. Wo wohnst du?“
„In Tavernola.“
„Dann kannst du gleich das Schiff dort unten nehmen. Hier die Straße runter, und dann rechts.“
„Gibt’s da unten auch eine Gelateria?“
Eine Eisdiele gab es nicht, dafür eine Bar mit einer gut gefüllten Tiefkühltruhe. Es war ja kürzlich Sortimentswechsel, wie wir wissen.
Ich nahm nicht das Schiff in Orzano, sondern ging am Ufer zurück bis nach Peschiera. Auf der Hälfte der Strecke: die Tankstelle des Ortes, 24 Stunden Self-Service.
Peschiera Maraglio ist der touristischste Ort der Insel. An der Promenade gibt es einige Souvenirläden. Die meisten Besucher landen in Peschiera an. Vor zwei Jahren waren hier auch die Floating Piers.
Ich hatte noch Zeit, bis mein Schiff abfuhr. Also ging ich ein wenig umher und setzt mich dann an die Promenade in die Sonne.
Der Rückweg:
In Tavernola angekommen, musste ich den Berg, den ich heute morgen hinunter gegangen war, wieder hinauf. Sie kennen den Weg.
Das war der letzte Tag in Italien.
*
Trivia #1: Sandra schenkte mir, bevor ich abfuhr, ein Duschgel mit dem Namen „Der Tag gehört dir“. Ich nahm es mit auf die Reise. Heute, am letzten Abend, habe ich die letzten Tropfen verbraucht.
Trivia #2: Gregor lebt und wird gemeinsam mit mir zurück nach Deutschland reisen.
*
Das Seltsame daran, dass ich abreise, ist, dass ich mich fühle, als wäre ich gerade erst angekommen. Nicht zeitlich. Zeitlich habe ich das Gefühl, ich sei bereits drei Monate unterwegs. Ich habe so viel mehr erlebt, als ich in einem Monat in meinem Alltag erlebe.
Was ich mit „Ankommen“ meine, ist: Anfangs war alles neu. Ich hatte keine Ahnung, wie die Dinge funktionieren: Wie man Auto fährt, ohne aufzufallen; an welches der Mauthäuschen man am besten heranfährt; wie die Dinge im Supermarkt angeordnet sind; wie es an der Käsetheke zugeht; welcher Radiosender annehmbare Musik spielt; wie der Tagesrhythmus ist; wann man Salve, wann Ciao und wann Buongiorno sagt. Überhaupt: das Reden. Es fällt mir deutlich leichter als vor einem Monat. Ich fühle mich nicht mehr fremd in Italien.
Nun fahre ich heim. Ich denke, ich werde irgendwann wiederkommen.
Danke, dass Sie mich auf dieser Reise begleitet haben.
Kommentare
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Danke, dass Sie mich auf Ihre Reise mitgenommen haben! Es hat mir sehr gefallen!
Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise.
Dankeschön! Auch die Heimreise ist ja noch Teil der Reise.
Aber eben nicht mehr Italien. Und so ein Monat hat ja auch nur 30 Tage.
Danke, dass Du uns mitgenommen hast. Und schön, dass Du bald wieder in der Nähe bist!
Freue mich auf unser Date!
Es war mir eine Freude die Reise mitzulesen, vielen Dank dafür!
Gern!
Wir danken dir. Von ganzem Herzen.
//*knickst gerührt
Es war sehr schön, auf der Reise dabei gewesen zu sein! Hat mein Herz erfreut! Vielen Dank!
Gern!
Oh Mann! Die allabendliche Reiseteilhabe wird mir echt fehlen! („Watt? Schon ein Monat rum?“.)
Gute Fahrt!
Demnächst dann wieder: „Reisewege Dortmund“.
Natürlich möchte ich nicht versäumen, auch „Danke!“ zu sagen. Einmal dafür, „mitgenommen“ worden zu sein, dann aber auch für das Gefühl, es fast „live“ erlebt zu haben. Daran wird der Blick auf den Bolsenasee, der jetzt in meinem Arbeitszimmer hängt, mich immer erinnern!
Vielen Dank, liebe Vanessa, dass Du uns auf Deine Reise mitgenommen hast. Du kehrst zurück mit dem Herzen voller Gefühle und Erinnerungen und dem Kopf voller schöner Bilder. An diesen italienischen Monat wirst Du Dein Leben lang denken und bestimmt kommen auch nach Jahren mit bestimmten Gerüchen auch die Bilder wieder und damit die Erinnerungen.
Hab‘ eine sichere Rückreise und komm‘ danach ganz langsam wieder im deutschen Alltag an.
Das war auch der Grund für die Reise: Das, was ich danach im Herzen trage.
Ganz vielen Dank, dass wir mitkommen durften und auch für die vielen Denkanstöße. Immerhin werde ich ja in 2 Jahren 50 und kann schonmal anfangen über ein Geschenk für mich nachzudenken
Falls es noch Argumente für eine Reise braucht: Ich bin hier.
Danke für die tollen Berichte!
(Die Blümchen sind Hundszahn/Erythronium – wächst auch bei uns)
Hundszahn … noch nie ghört.
Wieder was gelernt.
Danke, das ich an deiner Reise teilnehmen durfte. Das war eine tolle Zeit. Komm gut heim LgSusanne
Dankeschön.
Danke, ich habe die Reise mit Ihnen sehr genossen!
Und ich erst! :)
Vielen Dank, dass Sie uns mitgenommen haben. Da ich auch im März Geburtstag habe, habe ich einfach so getan, als wäre das auch mein geschenkter Monat und war in Gedanken mit dabei – vielen Dank dafür.
//*Ghettofaust
Danke für die Reise, hängen Se doch noch ein paar Wochen dran ;-)
Meine liebste Botanikerin meinte, daß die Blume eine Hundszahnlilie ist. https://de.wikipedia.org/wiki/Hunds-Zahnlilie
„In Deutschland kommt die Art nicht vor.“
Deshalb kam sie mir auch so exotisch vor.
Ich schließe mich an – vielen Dank fürs Mitnehmen und fürs Gusto machen auf den nächsten Italien-Urlaub!
Gern!
Ach, war das schön, mit Ihnen in Italien! Danke fürs Mitnehmen. Das hat Lust auf mehr gemacht…
Und jetzt wünsche ich gute Heimreise und einen stolperfreien Wiedereinstieg in den Alltag.
Liebe Grüße von Ute
Ich glaube, ein bisschen Umgewöhnung brauche ich schon.
Naja, es gibt ja die Ostertage zum Akklimatisieren.
Vielen Dank, dass wir mitreisen durften. Es war toll. Und Du solltest unbedingt Dialogübersetzerin werden!
Dialoge gehen ganz gut, ne? Ich überleg’s mir.
Es war spannend hier jeden Morgen beim Frühstückskaffee mitzulesen. Dafür herzlichen Dank!
Machen Sie doch einmal eine mindestens 6 Monate lange Europareise, mit anschließendem Buch und Vorträgen. Denke, das nicht nur ich erstaunt bin, was Sie so über andere Länder zu Tage fördern. Das wäre wirklich mal etwas…
Darauf hätte ich Lust.
Habe mich täglich auf die Eindrücke auf dieser Reise gefreut – Danke dafür :-)
Falls irgend wann einmal alles schon bekannt vorkommt, kommen Sie doch mal hier in die Gegend: http://www.centerofportugal.com/de/die-universitat-von-coimbra/
Ich würde mich freuen
In Portugal war ich noch nicht.
Auch von mir, Danke fürs Mitnehmen!
Gern.
Danke, ich war auch gerne dabei. Manchmal waren mir die Bilder fast zu entzückend! Ich bin das nicht mehr gewohnt.
Viele Grüße aus New York
Und im Original erst!
Vielen Dank fürs Mitnehmen und teilhaben lassen.
Gerne! Und: ebenso.
Ach, war das eine schöne Reise! Danke, dass auch wir Eindrücke mitnehmen durften!
Das mit Salve, Ciao etc. habe ich übrigens auch nach 5 Jahren nur nach Gefühl gemacht und nie erklären können. Und sicher oft genug falsch gemacht – merkt man, wenn man in der edlen Bar am Platz mit Nachdruck ein Buongiorno! auf sein Salve! geantwortet bekommt. ;-)
Gute Heimreise!
Habe den Eindruck, es folgt keiner Regel. Hat eher was mit der Person zu tun.
Danke fürs mitnehmen! Es war sehr schön!
Das freut mich. Gern.
Vielen Dank für diesen wunderbaren Reisebericht. Und krass wie schnell so ein Monat verfliegt!
Ich finde auch, dass ich noch einen dranhängen sollte.
Schön war’s – vielen lieben Dank !
Einen guten Start in den Alltag und viele Blümchen!
Herzlichst Jule
Die gibt’s im Garten nach den Eisheiligen. :)
Vielen Dank, es hat großen Spaß gemacht! Bergamo ist jetzt wieder ganz weit oben auf der Liste der zu besuchenden Orte!
*nachdrückliche Empfehlung
Danke auch von mir für die virtuell geschenkte Reise, für die vielen Aufstiege und Aussichten, Sonnenschein-Bilder an grauen Tagen und die kleinen Orte, die Sie entdeckt haben (von der heiligen Lucia schweige ich lieber, aber neulich in der Kirche war ich froh, dass diese zu modern für Krypta und Grüfte ist).
Bin jetzt auf alles vorbereitet, wenn ich eine Kirche betrete.
… obwohl ich nicht täglich Mitgeniesser deines Reisetagebuches war, die wertschätzende- fast zärtliche Beschreibungdiesrs Landes und seiner Sehenswürdigkeiten hat mich sehr beeindruckt.Deine unnachahmliche „Schreibe“ ist so mitreissend, dass ich , wie viele andere Vor mir denke, du solltest es zum Buch machen.
Naja, so gut war’s auch nicht. Das hätte ich anders angehen müssen.
Aber so eine Europareise unter Buchgesichtspunkten … //*grübelt
Vielen Dank für die interessanten und unterhaltsamen Reiseberichte, ich bin froh, dass ich dies teilen durfte. Die Reise hat meine Neugier geweckt und Pläne angestossen (z. B. unbedingt Bergamo besuchen…). Gute Heimreise und gutes Ankommen im Alltag. Herzliche Grüsse
Gern. Wenn’s noch Tipps braucht: Ich bin hier.