In meiner Nähe gibt es eine Stadt, die wie Pasta heißt: Penne. Das genügte mir als Antrieb, diesen Ort zu besuchen. Außerdem hat Penne eine Altstadt aus Terrakotta. Das sieht man ja auch nicht so oft. Dritter Grund: Penne hat 14.000 Einwohner – und deshalb sicherlich eine Eisdiele. Also auf nach Penne.
Der Weg von Capelle sul Tavo nach Penne führt über Landstraßen, Stradi Provinciali. Wenn ich gewusst hätte, was das für ein schöner Weg ist, wäre ich ihn schon öfter gefahren, immer hin und zurück: sattgrüne, hügelige Landschaft vor einer Bergkulisse mit schneebedeckten Gipfeln. Dazu Wein, Wein und nochmals: Wein. Großartig.
Das Angenehme in den kleinen Städten wie Penne oder L’Aquila ist: Es gibt eine Straße, die auf den Ort zuführt, und dort parken alle. Also stellt man sich einfach dazu. Keine Parkplatzsuche, kein Rumgekrauche in irgendwelchen Einbahnstraßen, keine Parkhäuser, bei denen ich mich frage, wie das hier jetzt wieder funktioniert.
Die Stadt Penne gibt es bereits seit der Zeit vor Christus. Karl der Große ernannte den Ort 773 zur Provinzhauptstadt. Die Stadt zieht sich über zwei Hügel. Das Bild oben zeigt den einen, ich stehe auf dem anderen.
Es gibt, Sie ahnen es bereits, viele Kirchen. Ich war nur in einer, der Chiesa della SS. Annunziata, denn so langsam reicht’s mir auch mit den Kirchen. Als ich sie betrat, dachte ich: „Das gibt‘s doch nicht! Da liegt schon wieder ’ne Leiche im Kasten.“ War aber nur ein Holzjesus.
Ich bin ein bisschen traumatisiert von meinem Reliquienfund in Montefiascone.
Das Schöne hier in Italien: Man spart sich den Sport. Immer geht es auf und ab und auf und ab. Man geht Hügel hinauf, kann hinunterschauen, geht wieder hinunter und kann hinaufschauen. Die Eisdiele ist übrigens immer oben. Oder, wenn man oben ist: unten.
In Penne haben sie in den steilen Gassen sogar einige der Terrakottabacksteine aus dem Boden gelassen, damit man im Winter gut zurechtkommt.
Mehr Eindrücke aus den Gassen:
Der Blick von Penne hinab ins Tal – in Richtung Meer:
Eis gab’s übrigens ganz Hervorragendes: Stracciatella, Nuss und Pistazie in kleinen Kugeln. Dazu einen caffè. Ausgezeichnet.
*
Auf dem Hinweg war ich an zwei Weingütern vorbeigefahren. Weil der Montepulciano gestern Abend so gut geschmeckt hat, dachte ich mir: Da kann man ja mal anhalten.
Also stoppte ich erst bei der Familie Contesa, danach bei der Familie Mazzochetti und kaufte ein klitzekleines bisschen ein – rot und weiß und etwas Prosecco. Und Olivenöl.
Liebe Daheimgebliebenen, lieber Stammtisch: Ihr werdet Begünstigte sein.
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Als ich heute Abend gerade das Essen auf dem Herd hatte und die Wäsche reinholte, rief es unter meinem Balkon auf Deutsch: „Hallo! Gehört Ihnen das Auto aus Dortmund?“ Ich war schwer irritiert. Es war erste Mal seit drei Wochen, dass jemand auf der Straße mit mir Deutsch sprach.
Ich beugte mich über die Brüstung. Im Halbdunkel standen eine runde Frau und ein unrunder Mann.
„Ja, ist meins“, sagte ich.
„Wie toll!“, rief die Frau zu mir hinauf. „Wir haben 50 Jahre lang in Hagen gelebt! Endlich kann ich mal wieder Deutsch sprechen. Hörst du“, sie knuffte ihn in die Seite, „endlich können wir wieder Deutsch sprechen.“
„Ihr seid Italiener?“ frage ich.
„Jaja, aber fünfzig Jahre! In Hagen! Hart gearbeitet. Hach, ist das schön. Findest du nicht auch?“, *knuffknuff, „Schön, oder? Eine Stimme aus der Heimat!“
50 Jahre Hagen, das muss man tatsächlich erstmal überstehen.
Sie erzählte, dass sie seit Juni hier im Ort wohnten, im Haus nebenan – gemeinsam mit ihrer Tochter. Sie seien seit einem Dreiviertljahr Rentner und hätten alle Hände voll zu tun: das Haus, die Tochter, die Einkäufe, sie wisse gar nicht, wo ihr der Kopf stehe. Die deutsche Rente, sagte sie, reiche hier wunderbar hin, und die Nähe zur Tochter – sie ist schon vor zehn Jahren hergezogen – sei toll, eine neue alte Heimat, noch dazu viel wärmer. Nur Deutsch könne sie hier nicht mehr sprechen, das sei wirklich traurig. Doch plötzlich habe da dieses Dortmunder Auto gestanden, da sei ihr das Herz aufgegangen. Sie habe in den vergangenen Tagen schon immer anklingeln wollen.
„Wie lange bist du noch da?“ fragte sie.
„Nur noch bis morgen.“
„Ach, wie schade. Dann sehen wir uns gar nicht mehr. Oder doch? Wann fährst du?
„So gegen 11 Uhr.“
„Ich schau dann mal.“
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Gelesen: Diese kleinen Leute – wie sähe Politik für die „kleinen Leute“ (Zitat Seehofer) aus? Wer sind überhaupt die „kleinen Leute“? Eine Putzfrau, ein Taxifahrer, eine Verkäuferin und ein Buchhändler erzählen aus ihrem Leben.
Gesehen, während ich diesen Blogbeitrag schrieb: Eisenbahnromantik. Ich bin ja jetzt 40, da kann ich mich mit Rentnersendungen befassen. Folge: Schienenpilger zwischen Latium und den Abruzzen. Für die Pufferküsser unter Ihnen: Man kann meinen Tripp also auch mit dem Zug machen.
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Morgen geht es weiter: Zum ersten Mal wieder gen Norden. Die Heimreise beginnt. Eine lange Heimreise. Denn es ist ja erst Mitte des Monats.
Nächstes Ziel: Carassai in den italienischen Marken in der Provinz Ascoli Piceno, 1.000 Einwohner.
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Musikalischer Abschluss: Ultimo – Il Ballo delle Incertezze
Kommentare
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Liebe Frau Nessy,
jetzt habe ich glatt Ihren Geburtstag übersehen. Ich wünsche Ihnen alles Gute und noch einen wunderbaren geschenkten Monat – mit vielen Geschichten, die Sie uns erzählen können.
Alles Liebe, Birgit
Dankeschön! Zum Erzählen findet sich bestimmt noch viel.
Ihre Einschätzung bezüglich des Heimatwetters kann ich bestätigen: heute früh ist es leicht überzuckert und es weht ein kalter Wind bei aktuell minus 2 Grad.
Also haben Sie alles richtig gemacht. Genießen Sie die italienische Sonne!
Hier ist es nun auch kühler, falls das irgendwem daheim ein Trost ist. Kaum noch zehn Grad warm.
Und? Hat denn am Morgen bei der Abfahrt die Nachbarin gewunken? Die aus Hagen?
Nein. Ich habe extra sehr langsam und geräuschvoll das Auto gepackt, aber es war niemand zu Hause. Es parkte auch kein Auto vor der Tür.