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Dave Eggers: Der Circle

23. 9. 2014 15 Kommentare Aus der Kategorie »Lektüre«

Aktuell in aller Munde:

Dave Eggers: The Circle

Die Geschichte:

Mae Holland ist 24 und stolz wie Bolle. Sie hat einen Job beim Circle bekommen – der hippsten und erfolgreichsten Technologiefirma, die es aktuell gibt. Der Circle hat Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook und Twitter geschluckt und entwickelt sie weiter.

Mae startet ihren Job in der Kundenbetreuung. Die Firma kümmert sich rührend um ihre Mitarbeiter: Freizeitangebote, Gesundheitsvorsorge – es gibt nichts, was es nicht gibt. Doch die Anforderungen an Mae steigen schnell; Multitasking ist angesagt. Zudem sind die Freizeitmöglichkeiten im Circle weniger Angebote als Pflicht; es wird erwartet, dass Mae sie nutzt – und online über alles schreibt, was sie tut. Das Ganze nimmt mit der Zeit absurde Ausmaße an. Mae jedoch ist begeistert, Teil einer Bewegung zu sein – auch wenn ihr Privatleben zunehmend zerbricht.

Und?

„‚Schöne neue Welt‘ reloaded“, ein neuer Aldous Huxley – so wird das Buch angekündigt. Die Moral von der Geschicht‘ ist deshalb von vorne herein klar: Seid aufmerksam! Wenn Ihr nicht aufpasst, ist Datenschutz bald nicht mehr existent. Ein Monopolist wird alles bestimmen.

Diese Vorhersehbarkeit stört erstmal nicht, denn die Idee des Buches ist aktuell, gerade vor dem Hintergrund, was die neue Apple Watch alles können wird. Außerdem schreibt Dave Eggers zwar ohne stilistische Finesse, aber solide und flüssig. Ein gutes Alltagsbuch also.

Aber:

Die Geschichte kommt mit dem Holzhammer daher: Der Charakter der „Mae“ ist dümmlich und naiv – ein unreifes, oberflächliches Mädel, das nicht in einer einzigen Szene eigenständig denkt. Entsprechend begibt sie sich begeistert in die Hände des Circle, bis sie 24/7 eine Webcam mit sich herumträgt und für die Öffentlichkeit vollkommen transparent wird. Und als ob das nicht genügte, läuft sie in der Liebe einem Mann hinterher, der ihr seine Identität nicht offenbart, den sie aber, gerade weil er so geheimnisvoll ist, wahnsinnig anziehend findet.

Das ist alles schwierig zu ertragen. Man möchte geradezu schreien angesichts dieser stereotypen Figur. Mit einem geistig beschränkten männlichen Protagonisten wäre es mir genauso ergangen, aber die Figur einer arglos-dummen, dem mysteriösen Liebhaber hinterherlaufenden Frau ist maximal klischeehaft und hat es mir schwer gemacht, der Geschichte einen Wert beizumessen. Sie wäre ungleich spannender, wenn im Mittelpunkt der Story jemand stünde, der kritisch denkt und meint, sein digitales Leben im Griff zu haben – und am Ende überrascht wird, wie wenig seine Vorkehrungen nützen. Also jemand, mit dem ich mich tatsächlich hätte identifizieren können.

Die Motive der anderen Seite, des Circle, bleiben im Übrigen völlig im Dunkeln. Warum will der Circle, dass die Menschen möglichst viel von sich preisgeben? Macht? Geld? Beides? Wie werden die Daten verwertet? Worin liegt genau der Profit? Als Leser kann ich es nur ahnen. Das finde ich sehr schade; es hätte das Thema erhellt.

Fazit:

Kann man lesen. Muss man nicht.

Das Buch wurde mir vom Verlag Kiepenheuer & Witsch zur Rezension zur Verfügung gestellt.

Kommentare

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  1. Lobo sagt:

    Ja, es wirkt unrealistisch.

    …. und

    ja, ich habe schon solche Frauen kennengelernt. ;-)

    ich finde das Buch übertreibt an den richtigen Stellen. Vielleicht bewegt es den Einen oder Anderen. ;-)

    1. Frau Nessy sagt:

      Solche Frauen gibt’s, keine Frage. Und Männer auch. Aber ich finde, der Charakter tut der Geschichte nicht gut. Es wäre spannender, wenn jemand kritisch ist, sich für aufgeklärt hält und dann doch reinfällt. Denn, wie gesagt, die Idee des Buches ist an sich prima und auch nicht so hölzern und anstrengend, wie man zunächst denken könnte.

  2. Katrin sagt:

    Unerträglich ist das richtige Wort … an manchen Stellen des Buchs zumindest. Ich stecke noch mittendrin – wobei, tue ich das wirklich? Immer öfter habe ich den Gedanken, das Buch wegzulegen und nicht zu Ende zu lesen, weil mich die Naivität von Mae einfach immens nervt. Ständig stelle ich mir die Frage „Warum tut sie das?“.
    Bücher mittendrin nicht mehr weiterlesen mach ich eigentlich nicht gern, aber momentan quäle ich mich mit der Geschichte. Und ärgere mich ein bisschen, dass ich diesem Hype-Buch aufgesessen bin …

    1. Frau Nessy sagt:

      Ein Buch mittendrin weglegen ist doof, richtig doof. Aber manchmal geht’s einfach nicht anders, und wenn man’s dann getan hat, ist es auch eine Erleichterung. Ein bisschen wie Schlussmachen.

  3. Ich möchte an dieser Stelle loswerden, dass ich die letzten paar Tage damit verbracht habe, dieses ganze Blog durchzulesen, und ich finde es so gut, dass ich es abonnieren werde.

    1. Frau Nessy sagt:

      //*knickst

      Dankeschön. Machen Sie das mal. Ich biete Probeabos an. Ohne Verpflichtung.

  4. Christine sagt:

    Vielen Dank für die freundliche Warnung, kann ich mir die Lektüre also getrost sparen! Gut, dass es diesen Serviceblog gibt!

    1. Frau Nessy sagt:

      Nun ja – Herr Kinderdok direkt unter Ihnen findet das Buch gut. Jetzt müssen Sie selbst entscheiden.

  5. kinderdok sagt:

    Ich bin noch mittendrin, und komme gerade nicht richtig zum lesen, aber: Ich finde das Buch gut. Ok, Mae nervt, ja, aber Eggers beschreibt recht gut die Klaustropobie, die das ständige Teilen, Bewerten, Mitmachen, Clicksammeln, PartiRanking und Zeitdruck mit sich bringt. Dieses Hineinstrudeln in den Mahlstrom des Circle empfand ich als sehr beängstigend.
    Wahrscheinlich muß ein Buch so geschrieben werden, um möglichst viele zu erreichen. Orwell oder Huxley hätten das sicher dezidierter hinbekommen, aber der Zeitgeist ist inzwischen ein anderer: Heute lesen sicher viele dieses Buch, zucken mit den Schultern und posten schnell ein paar Tweets und FB-Einträge und freuen sich über die entsprechenden Likes.
    Bei mir hat der Circle Nachdenken ausgelöst, was möchte man mehr von einem Buch?

    1. Frau Nessy sagt:

      Ich denke mir die ganze Zeit: „Mädel, wenns Dich nervt, mach’s doch nicht mit! Dann machste halt nen anderen Job!“ Ich würde mich doch nicht versklaven lassen. Irgendwie fehlt mir das Zwingende in der Argumentation.

    2. kinderdok sagt:

      Ich fürchte aber wirklich, es gibt Menschen, die sind sehr empfänglich für diese Politik des Circle. Umfragen ergeben schon eine sehr laxen Umgang kit den eigenen Daten.
      Facebook und whatsapp sind Mist, weil sie ausspähen und Zugriff auf dieses und jenes haben? Egal. Trotzdem machens doch alle und meine Clique ist nur whatsapp erreichbar, dann machen wir fröhlich weiter.

  6. Sister_Ray sagt:

    Also, ich bin auch der Meinung, dass der Holzhammer etwas groß ist – das Buch eignet sich hervorragend – in Auszügen – für den Englischunterricht, wenn es um die Themen „Digital Age“ und so weiter geht, aber insgesamt fand ich, dass das Buch Längen bzw. Probleme mit dem Spannungsaufbau hat und dann am Ende, dann ist es halt vorbei. Hier noch schnell die Auflösung, wer die mysteriöse Person ist und ja, es gäbe die Chance noch etwas zu ändern und das war es dann auch.

    Mae selbst fand ich gar nicht so schlimm – sie ist naiv und sie rafft manches nicht, aber sie wird auch durch Schlafentzug, Dauerarbeiten, Isolation etc. vom Denken abgehalten. Ihre Perspektive ist aber natürlich sehr beschränkt und ganz am Ende ist sie natürlich nur noch gruselig.

    Die Aquarium-Tiefsee-Metapher fand ich auch ein bisschen bemüht…
    Insgesamt ziemlich plakativ.

    Was ich außerdem auch nicht glaube, ist die zugrundeliegende Vorgeschichte, dass, seit alle unter Klarnamen im Netz unterwegs sind, dass mit der Trollerei etc. aufgehört habe und sich plötzlich alle gut benehmen. Nie im Leben! Kotzbrocken außerhalb des Internets stören sich ja auch nicht daran, dass sie anecken.

  7. Christine sagt:

    Ich muss zugeben, ich habe das Buch verschlungen.
    Aber es bleibt ein fahler Nachgeschmack. Spannend nur bis zum letzten Drittel, bis die hundertste Idee des Circles seitenlang vorgestellt wird, bis die Hauptfigur immer gesichtsloser wird, bis die Auflösung (Kalden=Ty) eigentlich keine Überraschung mehr ist. Auch ich hätte mir gewünscht, dass Mae irgendwann aufwacht aus ihrer Passivität, hat sie am Anfang des Buches die ein oder andere Sache hinterfragt oder sich immerhin gewundert ob des seltsamen Verhaltens ihrer neuen Arbeitskollegen.
    Mir fehlt in dieser Geschichte ein ernsthafter Widersacher. Die, die sich versuchen gegen den Circle aufzulehnen stellen das nicht gerade klug an und scheitern viel zu leicht.
    Ziemlich unrealistisch und irgendwie hölzern aber doch spannend geschrieben.
    Ich gehe d’accord: Kann man lesen, muss man aber nicht ;)

  8. Vernon Jeckmann sagt:

    Nun ja, ich habe dieses Buch auch in Arbeit. Es ist jetzt nicht ein belletristisches Highlight, macht jedoch die zunehmende Digitalisierung deutlich. Was die Firma will, geht daraus hervor, dass sie jedem Bürger per Gesetz einen Circle-Account verordnen will. Damit muss jeder Bürger sämtliche Dienstleistungen des Staates über den Circle abwickeln. Er kann zum Wählen gezwungen werden, indem ihm sonst sämtliche Services blockiert werden. Die Privatfirma Circle will weitgehend die Funktionen und die damit verbundene Macht übernehmen. Der Staat führt nur noch ein Schattendasein. Wir müssen deshalb von den Bigdata-Vorhaben der Privatfirmen mehr befürchten als von Ueberwachungsmassnahmen des Staates. Ich denke, dass wir schon mitten in der digitalen Ueberwachung und Steuerung des Einzelnen durch private Firmen sind.
    Nicht nur die Figur von Mae Holland ist nervig und holzschnittartig, sondern auch alle anderen Protagonisten.
    Zur Ergänzung empfehle ich zum Thema die Bücher „Blackout“ und „Zero“ von Marc Elsberg. Die Romane sind ebenfalls keine belletristischen Meisterwerke, lesen sich aber flüssig und sind mit sehr viel Sachverstand geschrieben. Weiter zum Thema „EGO“ von Frank Schirrmacher und „Der Angriff der Intelligenz“ von Yvonne Hofstätter. Summa summarum ist es erfreulich, dass über die Bigdata-Thematik Bücher erscheinen, die nicht nur dem Fachmann aufzeigen, was die Digitalisierung unseres Lebens bedeuten kann.
    PS: Ich mag Ihren Blog und Gruss anThorsten.

    1. Frau Nessy sagt:

      Dankeschön! Ist ausgerichtet.

      Na klar, es ist schon prima, dass das Thema die breite Masse erreicht. Vielleicht bin ich einfach nicht so richtig Zielgruppe. Ich denke halt, dass im Verborgenen schon viek, viel mehr passiert, als wir ahnen. Und dass man als Einzelperson gar nicht mehr in der Lage ist, seine Daten alle beisammen zu halten. Bei EC-Kartenzahlung fängt es ja an.

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