Immer, wenn ich ankomme, sind sie schon da.
Dabei komme ich früh, gegen viertel vor acht am Morgen. Draußen liegt Tau auf Gras und Blumen, die Luft ist feucht. Drinnen im Reha-Zentrum sitzen die Rentner sitzen schon auf ihren Trimmrädern, gewandet in Trainingshose und Pulsgürtel, und trampeln ihre Pyrennäentour.
„Bin auf dem Pic dü Midi“, sagt der Erste.
„Fahre in Biarritz los“, der Zweite. Beide lachen lautlos, mit wippenden Schultern. Sie sitzen auf ihren Standrädern wie Käfer: Aus ihrer runden Mitte staksen dünne, angewinkelte Ärmchen und Beinchen und klammern sich am Trimmrad fest.
Ich mache im Reha-Zentrum Geräteturnen unter Anleitung, der letzte Therapieschritt für die Bildungsbandscheibe. Die Turnleiterin hat schnell herausgefunden, dass ich, abgesehen vom verunfallten Rücken, recht sportlich bin und erfreut sich an mir als Kontrastprogramm zu den Käferchen. „Na? Geht da noch was?“, fragt sie und bleckt die Zähne. „Da geht doch noch was!“, sagt sie, ohne eine Antwort abzuwarten, und stöpselt den Gewichtenüppel fünf Kilo nach unten.
„Noch 30 Minuten bis Carcassone“, sagt der Erste.
„Dat war’n noch Zeiten, dammals im Frankreich“, sagt der Zweite.
Von den Pyrennäen kommen sie zum Thema „Berge“, von den Bergen zu Tunneln, von Tunneln zum Straßenbau. Der Erste hat beim Bauamt gearbeitet und weiß genau, was heutzutage falsch läuft. In Baustellen. Und im neuen Kreisverkehr. Außerdem: die Jugend! Die weiß gar nicht mehr, wie man arbeitet.
„Pause, dat gab’s für uns dammals nur von zwölf Uhr bis elfneunundfuffzich!“
Die Käfer lachen wieder lautlos.
„Bin in Toulouse!“
„Ich krich dich noch!“
„Hasse’n Garten schon feddich?“
„Steckrüben sind raus. Mache getz Rhabarber und Erdbeeren.“
„Marmelade oder Aufgesetzter?“
„Auch.“
Ich bin in der dritten Geräte-Runde.
„Fünf Minuten noch“, sagt der Erste.
„Zehn“, sagt der Zweite.
Eine Dame betritt die Szene. Eins und Zwei beginnen augenblicklich eine Schussfahrt nach Carcassone.
„Küss die Hand, Helga“, keucht der Erste und deutet über seinem Lenker eine Verbeugung an.
Sie nickt huldvoll, lächelt und plumpst auf ein Rudergerät.
Als ich aus der Umkleide kommen, sitzen sie zu Dritt an der Theke, die Dame in der Mitte, und messen sich gegenseitig den Blutdruck.
„Nächstes Mal ’ne Flachetappe“, sagt der Zweite.
„Ich könnt‘ ja noch“, sagt der Erste.
Die Dame stupst ihm in die Seite.
Er zieht die Schultern hoch und grinst.
Kommentare
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Sehnsema, jetzt hab ich ein Leerzeichen gelesen, wo keins war.
Ich hab gelesen, sie lachen laut los.
Das ist ja ein großer Unterschied.
Hihi, stimmt.
Sehn Sie mal, was das
FittiRehazentrum bildet. Ich habe Carcassone bisher immer nur fuer den Namen eines Brettspiels gehalten. So haelt die Bildungsbandscheibe doch bis ans Ende, was sie versprochen hat.Es ist halt eine Premium-Bildungsbandscheibe mit Langzeit-Effekt. Quasi wie ein gutes Deo.
Das, jpr, kommt davon, wenn man nicht Tour de France guckt.
Carcassonne – übrigens mit zwei n – ist eine der wenigen Städte Europas mit noch vollständiger mittelalterlicher Stadtmauer. Und deshalb touristisch eins DER Highlights im Südwesten.
Und ich glaub, die Katharer waren da auch nicht weit…
Gute Besserung!
Ist schon vorbei. Ich betreibe nur die sportliche Nachbereitung.
Ach so!
So Sportrentner gibt’s hier in der lokalen Muckibude auch. Sitzen auch vorzugsweise auf einem Trimmrad, treten hammerharte 15-20 Watt auf Stufe 1 in die Pedale und passen sehr auf, bloss keine Schweissperle zu vergiessen – die Schweissproduktion muss schliesslich für die anschliessenden Saunagänge aufgespart werden. Der Flüssigkeitsverlust wird dann nach der Sauna mit einem Weißbier kompensiert.
Die lokale Population tritt hier auch abends auf :)
Viele Grüße,
der Ponder
Die machen das doch nur, damit das Hüftgelenk weiter gut schmiert. Und weil es so gesellig ist.
eben. Gesellig wärs auf der Parkbank auch, aber der Doktor hat ja gesagt, man soll sich bewegen.
Nachbarin …. euer Fläschchen! Made my morning. Ich frag mich bloß, ws sie mit „das waren noch Zeiten damals“ meinen …?
Klingt ja irgendwie angenehmer als das normale Fitti. :-)
Hier fahrn se auch Tuur de Franz, aber eher beim Spinning.
Dabei hab ich übrigens mal ein Rad kaputt getreten.
Materialermüdung eben.