Auf dem Weihnachtsmarkt gibt es viele Männer: junge und alte, große, kleine, dicke, dünne, langhaarige und glatzköpfige, betrunkene und nüchterne, fröhliche und genervte, in Gruppen oder allein, Glühwein trinkend oder Reibekuchen essend.
Und es gibt diese bestimmten Männer. Mittelalte Männer, meist untersetzt, deren Frauen mikroskopisch kleine Nikolaushütchen im antoupierten Haar tragen. Ihre Arme werden von einem Strauß massiv ausgebeulter Plastiktüten in die Tiefe gerissen, Tüten voller Einkäufe, die sie zwar bezahlt haben, die ihnen aber nicht gehören, von denen sie nichts abbekommen werden, sie dürfen sie nur zum Auto tragen, später, nicht zwischendurch, eine Tüte geht noch, stell dich nicht so an, so schwer sind sie nun auch wieder nicht, wofür habe ich dich eigentlich.
Es sind Männer, die ebenso wie ihre Frauen roten Mützen tragen, allerdings große Mützen, Mützen mit einem Sternenkranz, der von ihrem linken zu ihrem rechten Ohr und wieder zurück blinkt. Sehr lustig ist das, Partnerlook, und das Blinken, hihi, was ein Spaß! Die Batterie hängt ihnen aus dem Hinterkopf, ein weißer Kasten, es scheint fast, als sei es eine Art Schrittmacher – oder der Empfänger einer Fernbedienung, je nachdem.
Da stehen sie also in Gruppen beisammen, meist zwei, selten drei oder vier, während ihre Frauen sich am Glühweinstand besaufen, das Hütchen der Damen sitzt bombenfest in einem Haarspraynest, es könnte ein Wirbelturm kommen, es bliebe dort auf ewig. Die Männer haben keine Hand frei, nicht einmal für ein Würstchen, sie dürfen die Tüten nicht absetzen, denn dann kippen sie um oder werden nass, jemand tritt dagegen und die Sammeltasse für Oma wird beschädigt, sie dürfen sie auch nicht an den Haken unter dem Stehtisch hängen, denn dann werden sie die Einkäufe am Ende noch vergessen, das kennt man ja, das ist ihnen doch letztens erst passiert, vor elf Jahren.
Ihre Schultern sind eingesunken, ihr Rücken ist gebeugt, es mag an den schweren Tüten oder am Leben liegen, vielleicht sitzt auch nur der Herrenmantel ungünstig, ein bisschen sackartig, man vermag es nicht zu sagen. Ihre Stirn blinkt, ihre Batterie wird nie leer, der Spaß ist sparsam. Sie unterhalten sich leise, tauschen sich aus über ihr Schicksal, während die Frauen krachend ihre Weihnachtsmarkttassen aus fester, dicker Keramik gegeneinander prosten und gackernd lachen. Die Tasse werden sie später nicht zurückgeben, sondern mit nach Hause nehmen, denn es ist eine Motivtasse, jedes Jahr anders, sie werden sie zu den Tassen der vergangenen Jahre ins Küchenregal stellen.
Die Männer, sie haben sich in ihr Schicksal gefügt, nur jetzt oder für immer, wer weiß das schon.
Kommentare
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Sie meinen: wenn man diese Huete die Bierdosen halten umgestalten, fuer Gluehweinbecher (nicht zu vergessen: mit dem Akku fuer das Blinken kann man den Gluehwein auch gleich noch warmhalten) passend machen und saisongerecht mit einem roten Zipfel (und weissem Puschel) versehen wuerde – dann gabe es nicht nur einen Markt, sondern es waere eigentlich auch noch eine sozial anteilnehmende Geschichte fuer die Herren Tuetentraeger?
Sie sagen es. Eine Marktlücke. Darauf sollten Sie setzen. Wirkt auch direkt weniger albern. Sogar fast ein bisschen männlich.
Das Taschenbuckelchen. Bekanntes Opfer der gemeinen Prosecco-Hyäne (in Wintermonaten greift dieses Exemplar der Aasfresser auf Glühwein, Feuerzangenbowle oder Kakao mit Schuss zurück, daher leicht zu verwechseln mit der Zimtrotnase).
Haha! Sie kennen sie auch, die Serie, nicht wahr?
Natürlich, aber nur zu Fortbildungszwecken ;)
Kann man übrigens wunderbar zur Weihnachtszeit in Zügen beobachten… Ich freu mich auf meine Fahrt zur Familie.
Gnihihi, pffffr. Sehr schön. Herzlichen Dank für den Hinweis auf diesen Ausflugin die Biologie.
Sozialstudie mit Reim.
bombenfest im Haarspraynest
So mag ich das.
Als Ergänzung: Hier gab es die letzten Jahre noch einen weiteren Typus zu begutachten: Ü70, durch Sterbefall oder auf Tagesbasis in reinen Männergruppen unterwegs. Sie ziehen Wochentags über die Weihnachtsmärkte, sind gegen 18 Uhr schon sternhagelvoll, ziehen Arm in Arm singend durch die U-Bahn-Station „Heinrich-Heine-Allee / Altstadt“ und kotzen in die Mülleimer.
Gelegentlich auch daneben.
Und eine kleine Anekdote aus dem letzten Jahr: Da fand sich an oben erwähnter Station ein Blinkepartnerlookpärchen ein, allerdings beide sowohl schwer alkoholisiert als auch zerstritten. Die lautstarke Begegnung wurde untermalt vom scheppernden Geräusch der mehrfach – zu jedem zweiten Satzende – vom Mann auf den Boden geschmissenen Tragetasche.
Jetzt, wo Sie es schreiben, bin ich mir fast sicher, dass sich darin Sammeltassen befanden.
Habe Mitleid mit dem männlichen Geschlecht. *Mascha rennt weg, da sie von der Schwarzer gejagt wird. Alice versucht ihr eine Glühweintasse an den Kopf zu werfen, damit das Emanzipationsaggressionsfeld im Gehirn wieder aktiviert wird*
Nachdem ich das gelesen habe, fühlt es sich auf einmal gar nicht mehr so schlimm an, Single zu sein. Das gelegentlich auftretende drückende Gefühl der Einsamkeit schwindet im nu! Ich werde den Artikel bookmarken und weiterempfehlen.
Es sind aber doch nicht alle so. Allerdings – für Momente des Traurigkeit …
treffender hätte ich es auch nicht ausdrücken können…
Sehr schön beobachtet, das. Könnten einem beinahe leid tun, diese deformierten Vertreter der männlichen Spezies. Lebenslänglich in der Doppelzelle.
Am schlimmsten ist: das feist-grelle, überlaute Wohlstandslachen, das unweigerlich entsteht, wenn sich weibliche Wesen der Ü-50-Kohorte zu einem fressenden und saufenden Rudel zusammenschließen.
Auch im Regionalexpress zu beobachten, freitags, zum Wochenendausflug.
Oh, ja! Im Regionalexpress ist mir das neulich auch aufgefallen… Das ist ein gar riesiges Rudel gewesen, und ich habe vor lauter Berührungsängsten freiwilligst auf einem Notsitz Platz genommen.
Willkommen im Sauerlandexpress. Ihr Ziel ist Willingen Hauptbahnhof. Wenn Sie woanders aussteigen, sind Sie falsch. Am Hauptbahnhof bitte rechts halten, dort gelangen Sie zum Sauerlandstern und zum Brauhaus. Dankeschön.
Sehr schön ! :-)
Konnte ich vergangenen Sonntag auch auf unserem Weihnachtsmarkt begutachten. Ich bin ja eigentlich nicht so der Weihnachtsmarkttyp, hatte aber „Budendienst“
Es war bestimmt kalt in der Bude, oder?
ich bin ein verheirateter mann und kann gerade nicht lachen.
(nicht dass ich mich in dem text wiedererkennen würde – meine frau mag blinkende mützen nicht, und ihre einkäufe trägt sie lieber selbst, ehe ich noch was beschädige oder irgendwo vergesse)
Es ist ja auch nicht zum Lachen, sondern eine ernste Sache.
Es gibt definitiv auch andere Männer, ohne Mützen, ohne Tragetaschen … aber solche, die Sie hier beschreiben, habe ich auch schon beobachtet.
Einmal im Jahr, einmal im Jahr muss ich da auch durch, muss mit auf einen dieser blöden Weihnachtsmärkte, jedes Jahr einen anderen.
Nur muss ich zum Glück kein blinkendes Mützchen tragen, es geht auch in Zivil. Wenigstens das.
Sehr schön beschrieben, das Drama.
Sie sind sehr tapfer.
Jetzt lief mir beim Lesen wirklich ein kalter Schauer über den Rücken. Besonders, wenn ich mir dann überlege, dass diese Paare vermutlich mal verliebt waren, minutiös ihren „grossen Tag“ geplant und gefeiert haben und die Zukunft ihnen rosig erschien.
Ja und irgendwann und irgendwie mutierte der bunte Mantel des Lebens unmerklich zur beigen Tunnelgürteljacke.
Vielleicht sind Sie ja heute auch noch verliebt? Wer weiß das schon.
Ein sehr schönes Bild! Aber sie gibt bestimmt noch warm, die beige Tunnelgürteljacke! (Ach so, ich meinte Fragezeichen!)
Außerdem meinte ich treffend irgendwie, schön ist vielleicht dann doch anders, irgendwie. Fragezeichen?
Mein Gott, da ist mann mal nett und hilft seiner Frau beim Weihnachtshopping, und schon wird man als Weichei hingestellt.
Was soll ich als Frau erst sagen? Da setze ich dem Kerl einmal eine blinkende Mütze auf, schon werde ich als das letzte, debile Sauerlandsternchen abgekanzelt.
Eine Sternstunde des Online-Journalismus. Ganz ohne Ironie.
Ich finde es ja ganz erstaunlich, das es solche Menschentypen überall, wirklich überall gibt !
Weit verbreitet !
Erinnert mich auch stark an die Reisebus-besoffskis, die noch vor der Abfahrt den Prosecco zücken ,beim ersten Gas-geben unkontrollierte Töne von sich geben und grundsätzlich das letzte Lachen in der Tonlage und der Lautstärke nochmal übertroffen werden muss.. Habe ich mal eine ganze Reise durch die Schweiz hindurch mitgemacht und mich danach nur vom Zuhören so gefühlt, als bräuchte ich dringend mal Urlaub !
Das war für mich persönlich bisher dein deprimierendster Blogeintrag.
… und darum haben frauen auch eine höhere lebenserwartung, als männer …
… oder, wie ein Freund zu sagen pflegt: »Warum sterben Männer früher als Frauen? Weil sie wollen.«
[…] »Es sind Männer, die ebenso wie ihre Frauen roten Mützen tragen, allerdings große Mützen, Mützen mit einem Sternenkranz, der von ihrem linken zu ihrem rechten Ohr und wieder zurück blinkt.« Draußen nur Kännchen: Männer auf dem Weihnachtsmarkt […]