Nach Essen-West ein weiterer Stadtteil:
Dortmund-Hörde.
Es hat zwar schon jemand über Dortmund-Hörde geschrieben, aber das kann ich so nicht stehen lassen. Denn so ist Hörde nicht. Hörde ist herzlich. Hörde ist freundlich. Doch von vorn.
Der ganze Humor der Ruhrgebiets zeigt sich im Wahrzeichen der kleinen Hörder Innenstadt: der Schlanken Mathilde, einer dreiarmigen Laterne mit Uhr, der Mittelpunkt des Marktplatzes. Namensgeberin ist der Überlieferung nach eine Bürgermeistersfrau, die ziemlich drall war.
In Hörde ist manches nicht so, wie es scheint: Der Stadtteil hatte lange Zeit einen schlechten Ruf, denn Hörde, das sind einfache Arbeiter, das sind Türken und Italiener, das sind die Russen vom Clarenberg, das ist Hoesch, das Stahlwerk, die alte Hermannshütte, die Chinesen ab- und in China wieder aufgebaut haben. Vier Jahre später hat Dortmund an gleicher Stelle ein Loch gegraben, es war ein großes Loch, 2,5 Millionen Kubikmeter Bodenaushub, hat Wasser reingelassen, und heute ist dort ein See. Der See ist recht hübsch, er kräuselt sich gerne im seichten Dortmunder Wind, rundherum wird viel und teuer gebaut, und an sonnigen Sonntagen schiebt die neue Dortmunder Schickeria mit ihren Bugaboo-Kinderwagen in gleichgültiger Eintracht mit den alten, leicht hinkenden Gastarbeitern und ihren in wallende Gewänder gehüllten Frauen das Ufer entlang. Nebeneinander besteigen sie den zu einem künstlichen Hügel aufgetürmten Aushub und blicken versonnen über die reflektierenden Dächer der Autos, die hinter der Lärmschutzwand über die B236 nach Schwerte und Lünen brummen. Doch das ist, wie alles hier, nur eine Seite der Medaille: Drehen sie sich herum, sehen sie die herausgeputzte Hörder Burg, den gesamten Dortmunder Süden bis zum Westfalenstadion und zum Florianturm.
Von Hörde aus ist alles nah: die Vergangenheit und die Zukunft, der Schwerter Wald, der Botanische Garten, die Ruhr und das Stadion, der Westfalenpark mit seinen Lichterfesten, Industriekultur und Schrebergärten, drei Autobahnen und noch mehr Bundesstraßen, Pferdeweiden und die Hohensyburg.
Während sich alles renoviert, bleiben die Menschen, wie sie sind. Sie sind so normal, man möchte Politiker einladen, hier zu wohnen, in den Ghettolemmi zu gehen, den Wochenmarkt zu besuchen, an einem Sommersamstagmorgen zum Frühschoppen im Hörder Treff zu sitzen, sich von Ludmilla die Hose kürzen zu lassen und die Entenfamilie zu besuchen. Hörde ist alles, Hörde ist gestern und heute, war Stahl und Schmutz, ist jetzt mit der Hand fassbarer Wandel und wird die Zukunft sein, eine der möglichen Zukünfte, die es im Ruhrgebiet derzeit gibt.
Das Alte, das Neue, das Normale, die erstarrte Industrie, das erwachende Grün, die Zuversicht und die prollige Herzlichkeit der Menschen – das alles ist das Schöne an Hörde.
Kommentare
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[…] liebe Nessy meint, dass Dortmund-Hörde eigentlich ganz anders ist. Nämlich herzlich und freundlich. Und außerdem neuerdings mit eigenem […]
Wieviel besser, als mit Ihrem Beitrag kann man eigentlich sagen, dass Schoenheit eben im Auge des Betrachters liegt?
Ich liebe Hörde doch auch. Sehr. Will hier überhaupt nicht weg. Aber die Säufer und Junks sitzen nunmal am Neumarkt. Und es st nicht alles sauber und gepflegt. Ich glaube genau deswegen mag ich den Stadtteil so.
Neumarkt – dort habe ich mich noch nie getraut auszusteigen.
Mensch, noch ein paar Kilometer und dann sind wir bei mir zu Hause – also, da wo ich aufgewachsen bin. Und trotz aller Weltenbummelei, ich liebe das Ruhrgebiet immer noch und besonders Dortmund und Dortmund-Hörde!! Das ich darüber mal einen Blogbeitrag lesen würde….super!
Waren Sie schonmal wieder hier? Hat sich ja einiges verändert in den vergangenen Jahren.
Ja, mindestens einmal im Jahr bin ich daheim und ja, es hat sich viel, viel verändert seit meiner Jugend…seufz.
Sehr geehrte Frau Nessy,
Ein wirklich gelungener Text. Aber eigentlich möchte ich etwas in Ihrer Twitterleiste kommentieren. Warum ziehen Sie denn jetzt schon einen Pullover an? Es ist doch noch gar nicht kalt draußen. Wollen Sie die schon „eintragen“, damit sie dann zu gegebener Zeit auch richtig flauschig sind?
Verwundert,
Iche
die in kurzen Hosen und Top am Laptop sitzt…
Nicht kalt? NICHT KALT? Meine Wärmflasche hat schon mit der Gewerkschaft telefoniert wegen unbezahlter Überstunden.
Auch wenn ich Lüdenscheid-Nord aus Prinzip nicht leiden kann: Genau das macht das Ruhrgebiet für mich so schön, spannend, lebens- und liebenswert
Als ob’s in Herne schöner wär.
Herne ist nicht schöner ;-) (mein Herz kommt ja eigentlich auch von woanders wech als ich wohnen tu.)
[…] vom aktuellen Trend bei meinen präferierten BloggerInnen, wie z. B. bei Frau Gminggmangg und Frau Nessy, folge ich dem Trend und stelle euch mein Stadtviertel vor. Also mein Kaff. Und das Kaff, zu dessen […]
[…] http://dieliebenessy.wordpress.com/2012/11/23/der-rest-vom-ruhrgebiet-dortmund-horde/ […]