Fieberhaft erwartet, jetzt hier: der Hochzeitsbericht mit Deutschlandachter.
Wir sitzen in der Kirchenbank, als die Rudermannschaft die Kapelle betritt. Katrins Mund steht offen, Jessica fallen die Augen aus den Höhlen, Pia und Sonja schauen sich an. Wir haben nicht zu viel erwartet, nein, wir haben zu wenig erwartet, unsere Vorstellungen reichten für dieses Bild nicht aus. Sie tragen allesamt Anzug, große Anzüge, sehr stattliche Anzüge, sind einsfünfundneunzig und größer, sehr groß. Der Einmarsch der Gladiatoren.
Nach der Trauung, wir warten vor der Kirche, sage ich zu Jessica: „Der da vorne.“ Ich zeige ihr mit meinem Blick einen Ruderer mit blauer Krawatte, Wuschelhaar und Dreitagebart. Pia, die neben uns steht, sagt: „Der sieht aus wie dieser Typ aus ‚Hangover‘.“ – „Bradley Cooper!“
Bradley steht in einer Reihe mit den anderen Jungs und hält sein Ruderblatt in die Höhe. Zu Zehnt bilden sie eine Allee für das Brautpaar, zehn stramme Recken. Wir wischen uns mit dem Handrücken verstohlen Speichel aus dem Mundwinkel. Jessica starrt wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Im Festsaal sitzen wir am Tisch links vom Brautpaar. Die Ruderer sitzen rechts. Die gesamte Verwandtschaft trennt uns, drei mit Plastikefeu geschmückte Säulen versperren uns den Blick. Das Brautpaar wird sich etwas dabei gedacht haben, wollte sich und uns möglicherweise Peinlichkeiten ersparen; wie werden das trotzdem anprangern.
Der Trainer spielt ungeduldig mit seiner Serviette, er hat Hunger und ist verstört angesichts unseres Enthusiasmus. Gereizt moppert er: „Die Jungs sind alle zwei Meter groß – sind die zu doof zum Basketball, oder was? Die fahren rückwärts, und ein Zwerg sagt ihnen Bescheid, wenn sie im Ziel sind. Da steht ihr doch nicht etwa drauf, oder?“ Wir bleiben unbeeindruckt.
Nach dem Essen zeigen Freunde der Braut Jugendbilder des Hochzeitspaares: die Braut beim Handball, der Bräutigam beim Rudern, beim Jubeln im Deutschlanddress und zu guter Letzt mit den Jungs bei einem Klimmzugwettbewerb, mit nackten Oberkörpern. Wir verlangen an der Theke nach Eiswürfeln.
Gegen 22 Uhr starten wir die „Mission Bradley“. Wir erfahren von der Braut, dass Bradley Stefan heißt und Arzt ist. „Arzt!“, entfährt es unseren Mündern, begleitet von einem schrillen Schrei.
„Wie in einem schlechten Film.“
„Nicht nur schön, auch schlau.“
„McDreamy.“
Sonja sagt nur stumpf: „Ich bin raus“, denn ihr Ex-Freund ist Arzt – seitdem stehen Ärzte auf bei ihr auf der schwarzen Liste, nur Veterinärmediziner haben noch den Hauch einer Chance.
In diesem Moment taucht aus dem Nichts eine brünette Schönheit in einem türkisfarbenen Kleid auf, hakt sich bei Bradley ein, stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn auf die bärtige Wange. Jessicas Augen verengen sich zu Schlitzen, Sonjas Lächeln fällt aus ihrem Gesicht wie eine Wassermelone und zerschellt auf dem Tanzboden des Festlokals.
Wir sind konsterniert, trösten uns mit einer Runde Caipis, werden jedoch bald wieder hoffnungsfroh, als sich die Gesellschaft mehr und mehr an der Bar versammelt. Wir mischen uns unter das Ruderervolk; ich fühle mich wie eine Elfe im Eichenwald: Die Zahl der Männer, die kleiner sind als ich, bewegt sich bei weniger als zehn. Ich möchte mich gerne überall anlehnen und meinen Kopf an die Schultern und Brustmuskeln der umstehenden Männer betten, aber ich wahre die Contenance und sauge Rohrzucker durch meinen Strohhalm.
„Warum haben große Männer eigentlich immer kleine Frauen? Das ist doch Verschwendung“, jammert Sonja neben mir.
Der Abend endet verschwitzt, müde und friedvoll angetrunken, aber ohne die Idee von Verliebtheit. Doch irgendwas muss uns beseelt haben, denn trotz Schlafmangels spielen wir am nächsten Tag wie die Göttinnen und gewinnen unser Spiel mit bislang selten zutage getretener Eleganz.
Kommentare
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Besten Dank. So herzlich habe ich lange nicht mehr gelacht, wie bei dieser – allerdings recht knappen – Beschreibung einer Regatta. Sagen Sie Ihrem Trainer noch, dass die Durchzuglaenge interessant ist, weswegen man eben grosse Leute beim rudern braucht.
//PS. Und die Geschichte mit den grossen Maennern und den kleinen Frauen: Bei >200 gibt es in der Ansicht quasi nur kleine Frauen, oder nicht?
Ich meine: richtig kleine Frauen. 1,60 Meter und kleiner. Also, auch aus Frauensicht klein.
Ansonsten soll er sich mal das Finale im Männerachter aus London anschauen (bitte mit englischem Kommentar, der deutsche war Mist), das ist eines der spannensden Achterrennen, das ich seit langer Zeit gesehen habe.
Achja, es befinden sich Ruderer unter den Lesern. Ich sage jetzt aber keine Namen :-)
Brauchen Sie auch nicht, ich weiß nämlich schon.
//*Hammacheckerbunny
Ich bin beeindrückt.
//*zwinkert neckisch
Ich finde das auch interessant. mit 1.72m war ich immer zu gross fuer die, die auf kleine standen, und zu klein fuer die die auf grosse standen. habe reelle chancen im Ausland, wo ich ueberproportional gross bin, fuer eine Frau. (und auch bei denen, die sich nicht um groesse scheren)
Ich solidarisiere mich mit dem Trainer.
Köstlich! :-)
Das war die nachhallende Aura erfolgreicher Olympioniken, die Sie da beim handballern verspürten.
Und ja, das so viele große Männer ihre Länge an kleine Frauen verplempern, das ist ein Skandal, der unbedingt angeprangert gehört!
Wir sollten eine E-Petition dazu starten.
ich fordere einen like button nur fuer diesen Kommentar.
Trainer hat keine Ahnung … Rudern ist sehr elegant, puristisch und irgendwie edel :)
Finde ich auch.
Nachdem zumindest der moderne Rudersport seine Heimat in England verortet kann es sich ja auch nur um einen Gentlemans-Sport handeln.
Dass die Herren Huenen also in Hemd und Krawatte anstaendig ausgesehen haben rundet das Bild nur ab.
Sie haben schon recht fein ausgesehen im Anzug.
Sehe ich das Osnabrücker Rad auf den Ruderblättern!?
Sehr schön…
Sie sehen richtig.
War auch das Erste, was mir auffiel…. :)
Von den Osnabrücker Ruderern hab ich mir schon vor Jahren einen gekrallt… aber das ist meiner, den gibt’s nicht, auch nicht ausgeliehen. Vielleicht ist es ein Trost, dass ich locker 25cm größer als dieses Zwergenmädchen bin…. :D
Mit wenigen Worten schaffen Sie es, mich die Szene „sehen“ zu lassen, danke! Köstliche Beschreibung – auch wenn der heimlich für Sie erhoffte „Ruderrecke verfällt Frau Nessy auf den ersten Blick“-Tagtraum sich nicht erfüllt hat.
Ach, gucken reicht.
Mal wieder erstklassiges Kopfkino …. Danke dafür ! :-)
Genau. Der Film war sehr unterhaltsam! Und weil ich an der Uni gelesen habe, kennen jetzt alle Leute, die bei mir gesessen haben, auch deinen Blog :-)
Das ist doch wunderbar. Schließlich ist das hier ein Serviceblog für alle Zielgruppen.
Ein kleiner weiterer Schritt zur Weltherrschaft :)
Der Wassermelonen-Vergleich ist ein Träumchen. Wird nur noch getoppt vom Trainer und seiner wikipediareifen und idiotensicheren Beschreibung des Rudertums.
Gratulation zum 2. Saisonsieg. Reicht das Torverhältnis zum derzeitigen Tabellenplatz 1?
Noch nicht, das wäre nach eine Aufstieg aber auch zu viel verlangt. Es gibt noch Mannschaften, die haben ein besseres Torverhältnis.
Ich war voller Vorfreude auf die Nachlese – und außer dem Hauch von Verliebtsein habe ich alles bekommen. Frau Nessy, wunderschön in Worte festgehalten.
Und Gratulation zum Sport-Erfolg!
Dankeschön. Die Hühner und ich sind stets bemüht.
Nie wieder werde ich einer Hochzeitsgesellschaft beiwohnen können, ohne in den Mundwinkeln der versammelten „Hühner“ nach Speichelspuren zu suchen …
Köstlich amüsiert!
Einschränkend muss ich sagen: Das ist nicht bei jeder Hochzeit so. Es müssen schon Ruderer zugegen sein. Oder Handballer. Oder Beachvolleyballer. Sie wissen schon: irgendwas in dieser Richtung.
Schachspieler, und wenn sie Olympiateilnehmer sind, machen nicht so viel her.
Man hat so seine Vorstellungen.
Von Hühnern und Hünen… das hab ich irgendwo schon mal gelesen :-)
mir gefällt die „zierliche Elfe im Eichenwald“ am besten.
Ich mag so blumiges Zeugs.
Eine Alliteration ist nicht immer die allerbeste Wahl, aber die Worte trafen meinen Eindruck einfach am besten.
Neeein, ich hatte eigentlich gehofft, dass du die Liebe deines Lebens in einem heissen Ruderer findest!!
Ach, das braucht’s aber doch nicht. Anschauen genügt. Für jeden Tag darf’s auch ruhig unruderigerer sein, ein guter Mann hat ja auch noch andere Qualitäten.
DAS, liebe Frau Nessy, ist eine hervorragende Einstellung zum Thema Liebe & Beziehung!!! :-)
… ich liege immer noch sabbernd in der ecke ;-)
… und jetzt stellen Sie sich erstmal vor, wie’s mir geht!
Hach, wie schade, dass auf Ihrem Foto nur die Ruderblätter zu sehen sind…
Ihre Phantasie füllt den unteren Teil des Bildes doch sicherlich gerne aus.
Wo sind bitte die Fotos???!!! Ruderblätter? Not good enough, honey ;)
Let your imagination run wild, sweetheart!
Klingt nach der Sorte Feier, von der man noch Jahrzehnte später in wohliger Erinnerung schwelgt: „Haaach, schee war’s…“
Auch über die Ruderer hinaus war es wundervoll. Mit Schleiertanz und allem.
So ist das mit Erwartungen.
Sind sie groß, dann hat der Zufall keinen Mut mehr.
Sind sie klein, so kommt er um die Ecke.
Eine wunder chöne Geschichte von starken Männernund erwartungsvollen Fauen.
Ach, ach … der Traum vom starken Mann, der Schulter zum Anlehnen, welche Frau hat ihn nicht schon einmal geträumt. Bei mir waren es Schwimmer …
Cool, der Spruch vom Trainer, Recht hat er ja, aber …
Schwimmer gehen auch.
Schön zu sehen, dass es unter den Kommentatoren einige Ruderer und Ruderinnen gibt. Ich finde, in diesem Blog hier sogar überdurchschnittlich viele.
Riemen- und Dollenbruch an die Herren und Damen, gell?
„Verschwendung“ ist hier genau das richtige Stichwort.
Basketballer, Handballer, Boxer, Zehnkämpfer, Tenniscracks, Ringer, meinetwegen sogar Beachvolleyball(!) – DAS sind vertretbare Verwendungen für halbwegs bewegungstalentierte männliche Wesen von einsneunzig plus X.
„Verschwendung“ statt „Verwendung“ – was drei Buchstaben doch für einen Unterschied machen.
Ich sollte solche Blog-EInträge nicht lesen. Komplexe here I come… -.-
Sie vergleichen sich doch nicht etwa mit Olmypia-Recken, oder? Ich vergleiche mich doch auch nicht mit Naomi Campbell.
Naomi Campbell trifft man aber in der Regel auch nicht auf irgendwelchen Hochzeiten… (mal abgesehen davon, dass die mich nun so gar nicht begeistern würde^^)
… da muss ich glaub ich spontan mal einen Link an die Damen meines Frauenachters rumschicken… (Olympiateilnehmer und -silbermedaillengewinner aus diesem Jahr haben wir auch bei uns im Klub… mmmh…)
Ich darf hier nicht mehr lesen, wenn ich im Büro sitze. Die Kollegen fragten mich alle, warum ich mit so einem Dauergrinsen vor dem Monitor sitze. *ertapptrotwerd*