Nightlife in Böblingen.
Was ein contradictio in adiecto ist, war mein Plan für Freitagabend.
Immer, wenn ich den Einmannblogger besuche, enden unsere Abende gesellig. Auch diesmal hatten wir vor, uns beherzt, mindestens bis zu einem soliden Schwindel, zu betrinken. Allerdings verfügt Böblingen, und das hätte ich von einem schwäbischen Städtle, in dem man Gässle und Wirtschäftla erwartet, nicht gedacht, über den strukturalistischen Charme von Wuppertal – jedoch ohne Schwebebahn (und die Schwebebahn macht ungefähr 90 Prozent des Wuppertaler Charmes aus). Es wurde trotzdem spät. Gegen 3 Uhr, vielleicht war es auch 4, rutschte ich auf mein Schlafsofa im Kinderzimmer des Einmannbuben.
Der Einmannbub ist ein Wicht von drei Jahren, der entgegen seiner ausgeprägten Schmächtigkeit eine Karriere als Bauarbeiter mit Zweitqualifikation Feuerwehrhauptmann anstrebt. Er bereitet sich durch eine grundständige Ausbildung an Duplo-Bausteinen und Plastikkränen auf seinen Berufswunsch vor – und arbeitet, daran gibt es seit diesem Wochenende keine Zweifel mehr, auch mental seine Lektionen durch.
Denn wie ich unter meinem Federbett in den Schlaf glitt, der Kopf schwer, die Augen müde, erschallte aus dem Bettchen am anderen Ende des Zimmers ein zartes, wenngleich unerschrockenes: „Vorwärts Männer, wir müssen graben!“ Ich richtete mich auf und blinzelte ins Dunkel. Dort: nichts. Kein Rascheln, keine Bewegung. Nur die leblosen Schemen einer Schlafstätte. Aber dann: Brummgeräusche! Und die Ermahnung: „Achtung, die Blumen!“
Doch es war zu spät. Auf der Traumbaustelle wurden bereits die Rabatte durchpflügt. Der Vorarbeiter erwies sich jedoch als Mann der Tat: “ So kann das nicht bleiben. Ich telefoniere sofort mit der Gärtnerei. Aber psssst … die Nessy schläft.“
Ganz großes Kino! Ich setzte mich auf. Im Kinderbett weiterhin kein Anzeichen von Aktivität: nur ein Häuflein Mensch in einem weißen Schlafsack. „Eingraben!“ befahl der Schlafsack sogleich, ohne äußerliche Regung. „Aber psssst, die Nessy schläft!“
Damit war das Hörspiel nicht zu Ende: Der Bauarbeiter sang noch „Ringel Ringel Reihe“ und zählte nach getaner Arbeit seine Finger durch – leise, denn „psssst, die Nessy schläft!“ Die Nessy schlief irgendwann wirklich – und war am nächsten Morgen, als die Tagesbaustelle eröffnete, ziemlich übermüdet. Der Mann aus dem Nachbarbett erinnerte sich hingegen an nichts.
Kommentare
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ahh, herrlich, ich liege gerade unterm Tisch. Ganz großes (Kopf-)Kino!
Hier nicht anders (es lebe das Laptop, das mit unter den Tisch geht), aber: Pssst, die Nessy schläft! ;)
*lach* das erinnert mich doch glatt, an meinen 15 jährigen, der im alter von zarten 3 jahren, nachts baggerfahrer spielte, ich wurte munter von dem gemurmel, schaute in sein zimmer weil ich mir sorgen machte und fand ein schlafendes kind welches immer wieder „bagger, bagger, bagger“ murmelte :)
Diese Vorführung beinhaltete ein komplettes Drehbuch – bei null Körpereinsatz. Ich hätte ja vermutet, er sitzt in seinem Bett und spielt. Aber er träumte tatsächlich nur.
Großartig! Ein sehr rücksichtsvolles Kind!
Im Landkreis Böblingen bin ich übrigens aufgewachsen.. ;-)
Klingt so, als hätten Sie es nicht bereut. Nun sind Sie also eine Schwäbin in Hamburg? Hat man eigentlich mal studiert, wie die innerdeutsche Migration aussieht? Ich habe das Gefühl, dass die Leute eher im Süden bleiben, als dass sie dort wegziehen.
Aber natürlich hat das schonmal jemand angeschaut. Das Statistische Bundesamt. Wenn man deren Bericht (Kapitel 2.7 „Bevölkerungsstand und -veränderung in den Ländern“) glauben dann gleicht der Zuzug nach Baden-Württemberg nicht nur die Abwanderung aus sondern übertrifft diese auch noch um 4.400 Menschen. In Hamburg übertrifft die Zuwanderung die Abwanderung „nur“ um 1.500 Menschen pro Jahr. Also auch noch ein Zuzugsgebiet.
NRW hingegen sieht ganz schlecht aus. 23.900 Menschen Abwanderung pro Jahr. Scheint dort niemandem zu Gefallen.
Hoppla, die Antwort hatte ich gar nicht gesehen.
Es heißt tatsächlich immer, der Schwabe bleibt immer im Dunstkreise seiner Familie. Auf viele trifft das auch zu. Aber aus meiner Stufe sind auch viele noch weiter als nach Hamburg gezogen (Amerika und so). Und ich bin ja auch gar kein echter Schwabe, sonder verkappte NRWlerin.
Nein, ich habe es nicht bereut. Ich fand meine große Liebe und habe mehr (richtige!) Freunde als je zuvor. Es heißt auch, wer einmal nach Hamburg kommt, der bleibt dort. Es gibt Ausnahmen, aber auf mich trifft es zu. :)
is ja auch Vollmond…krrrchhhh
LG sweetkoffie
Ein Werwolf war allerdings nicht zugegen.
HERR.LICH!!! :)
Wenn ich mal Leute mein Schwätzen des Nachts erwische, verstehe ich ja meist kein Wort oder aber kann mich morgens nicht mehr erinnern…
Hm… so hat das bei mir auch mal angefangen… und morgen früh sitz ich trotz Fachabi um 7 aufm Bagger… aber die Theorie und ich wollten einfach nicht so zusammen… Buddeln macht auch viel mehr Spaß…
Niemand sollte sich von seinem Bildungsabschluss zwingen lassen, langweilige, verkopfte Dinge tun zu müssen.
Huch. Link repariert.
Stellen Sie sich vor, der Bub hätte Ambitionen, Politiker zu werden.
„Aber wir bleiben bei unseren Themen und unserem Kurs: Freiheit vor Gleichheit, Erwirtschaften vor Verteilen, Privat vor Staat. Aber pssst – die Nessy schläft.“
„Man kann zur Laufzeitverlängerung stehen wie man will, aber eine solche Argumentation beschädigt die parlamentarische Demokratie und verletzt die Würde des Parlaments. Aber pssst – die Nessy schläft.“
Sie wären morgens nicht nur übermüdet, sondern psychatriereif gewesen.
So gut der Junge sich auch ausdrücken kann: Würde er solche Sätze sprechen, würde er wohl über eine außergewöhnliche Inselbegabung verfügen und aufgrund des begleitenden Autismus psychiatriereif sein.
@Nihilistin
„Aber wir bleiben bei unseren Themen und unserem Kurs: Freiheit vor Gleichheit, Erwirtschaften vor Verteilen, Privat vor Staat. Aber pssst – die Nessy schläft.“
Die Kritik verstehe ich nicht – passt doch. Ausser, dass Nessy schläft – sie hört ja zu.
[…] Frau Nessy hatte Spass mit meinem Buben. […]
*lach*
Bob, der Baumeister bei Nacht :-)
Wenn sich das auf Baustellen durchsetzt habe wir bald kein Baulärmproblem mehr.
„So Jungs jetzt mal den Preßlufthammer ansetzten, aber schön mit Schalldämpfer, ihr wisst ja .. “
Und dann der Bautrupp im Chor :
„Ja Chef , Psst die Nessy schläft!“
Selbiges dachte ich auch und wünsche mir für die laubpustenden und heckeschneidenden Zeitgenossen unter meinem Wohnungsfenster.
Jap sonen Laubsaugernachbarn hat wohl jeder.
Wie sagt man so schön : Wir können zum Mond fliegen, aber nen LEISEN Laubsauger/puster hat noch keiner erfunden.
Bei nem Kumpel von mir, war das kürzlich noch extremer. Ich weiß ja nicht, aber gibt es Dinger auch Benzinbetrieben ? Auf jeden Fall knatterte es beim Nachbarn morgens um 6:30 Uhr am Samstag, als ob Herr Vettel seinen Boliden startklar macht.
Frau Nessy, im Idealfall reicht das für ein Umsatteln in den Bereich Entwicklungspsychoanalyse.
Die klassische Traumdeutung hat ja im Wesentlichen den Erwachsenen im Fokus. Das traumsprechende Kind an sich bietet da doch einiges mehr an Erkenntnissen. Bei häufiger Übernachtung im Einmannbub’schen Zimmer prophezeihe ich tiefgreifende Erkenntnisse in sozialanamnestischer Hinsicht(Kompatibilität von Persönlichkeitsstruktur, beruflichen Möglichkeiten und ähnlichem Krempel).
Falls also die Diss nebst aktueller Branche allzu sehr nerven – move to Einmannbub & take your chance. ;)
Die Erkenntnisse könnten sich ins Unermessliche steigern, wenn der Einmannbub und sein Bruder mit mir ein Zimmer teilen. Ich käme kaum noch mit dem Protokollieren mit.
Wuppertal ist garnicht so übel! Auch ohne Schwebebahn, die steht ja eh meist still und wird umgebaut. Man muss nur wissen, wo man hin muss, um den Charme zu finden…
War klar, dass sich ein Wuppertal-Sympathisant findet.
ja, ja, die lieben kinderlein ;)
aber mal ne frage; war hat in bb bis um 3 uhr auf, außer der pille?
grüße von „indernähevonbb“
petra
Hallo Petra,
das Kicks, das halbe Künstlerviertel und die wirklich dubiosen Buden am Bahnhof sind noch geöffnet.
Viele Grüße
Einmannblogger
Das Künstlerviertel haben Sie nur dazwischengeschoben, damit die Leute nicht denken, wir hätten uns am Bahnhof herumgetrieben, nicht wahr?
Nein natürlich nicht. Ich bekenne hiermit laut und öffentlich das Frau Nessy und ich in den dunkelsten Ecken des Bahnhofsviertels unterwegs waren. Aber das Künstlerviertel wäre trotzdem noch offen gewesen. Wir hätten nur weiter (und vor allem bergauf) laufen müssen.
merkt man, das ich schon länger nicht mehr unterwegs war ;) ?
früher, ja früher als ich noch jung war gings von der klause ins seestudio und von dort auf die autobahnrasstädte um dann mit frischen brötchen daheim aufzulaufen.
man bin ich alt geworden..
lg
petra
Das hört sich richtig kriminell an!
Es gibt echt schlimmere Städte! Viiiiieeeel schlimmere…..
Zum Beispiel?
München finde ich richtig schlimm, oder Hagen. Essen ist jetzt auch nicht so ein Brüller.
Klasse!! Meine liebste Neuentdeckung im weiten WWW ! Es grüßt Dich eine neue treue Leserin! Rieke
Herzlich willkommen! Ich freue mich!