Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Verdammt. Ich höre das Piepen. Renne die Treppen hinunter. Zwei Stufen auf einmal. Höre das satte Schmatzen das Türen. Das Fiepen, wenn die Bahn anfährt. Das Surren der Elektronik. Das Rollen der Räder auf den Schienen.

Ich habe verloren. Der Bahnsteig ist menschenleer. Alle sind  mit meiner verpassten Gelegenheit fort. Auf den nassen, braunen Fliesen spiegeln sich die Deckenlichter. Auf der Anzeigetafel: 19 Minuten bis zur nächsten Bahn.

„Scheiße, ey, 19 Minuten!“, murmle ich.

Aus dem Schatten einer Säule löst sich mit einem Schlappschlapp eine kleine, dicke Gestalt in einem weißblauen Kittel und einem schwarzen Kopftuch. Sie trägt Gesundheitspuschen mit Glitzerriemchen und zieht einen Wischmopp hinter sich her.

„Machst du dir keine Sorgen. Kommt in 10 Minuten.“

„Nee, 19. Dort oben steht: 19.“

„Ich weiß besser. Ich immer hier.“

Vielleicht ist es, weil ich in den Untergrund hinabgestiegen bin, um ihr zu begegnen. Vielleicht sind es ihre knubbelige Nase und die dunklen Augen. Aber ich fühle mich wie Ronja Räubertochter, die auf einen Rumpelgnom trifft.

Die U-Bahnzwergin taucht den Mopp in einen Eimer, wringt ihn aus und feudelt mit routinierten Schwüngen über den Boden. „Schaust du: Ist Wochenende. An Wochenende macht Anzeigetafel frei.“

„Sie aber nicht“, stelle ich fest.

„Ich mache sauber.“

„Danke“, sage ich. „Und für die Auskunft auch.“ Ich wende mich zum Gehen.

„Viele sind so -„, sie unterbricht das Wischen, lehnt den Stiel des Mopps gegen ihr Schlüsselbein und zieht mit beiden Zeigefingern ihre Mundwinkel herunter, „und haben nie Zeit. Du bist so-„, sie nimmt Daumen und Zeigefinger einer Hand, hebt ihre Mundwinkel an und drückt sich die andere Hand auf die Brust, “ und hast Zeit in dir. Du bist gutes Mädchen mit große Herz.“

Ich lächle. Im Weggehen drehe ich mich noch einmal zu ihr um und winke. Sie winkt zurück.

Die Bahn kommt nach zehn Minuten.

Kommentare

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  1. Georg sagt:

    Ja, das Leben ist schön.

  2. eigenhirn sagt:

    Putzfrauen (politisch korrekt: Reinigungspersonal), Hausmeister (politisch korrekt: facility manager) und Portiers (politisch korrekt: security staff) haben immer Recht!

    Nicht nur qua Position sondern auch qua Lebenserfahrung:
    Wenn datt Frollein sacht: „Die nächste Bahn kommt in zehn Minuten“,
    dann KOMMT DIE NÄCHSTE BAHN AUCH IN ZEHN MINUTEN!

    Kostenloser Tipp eines begeisterten Lesers:
    DON’T MESS WITH FROILLEIN!

  3. antagonistin sagt:

    Ach ja, die Rumpelgnome… Es wird Zeit, mal wieder Ronja Räubertochter anzusehen. :)

    1. Nessy sagt:

      Im Web finden Sie sie übrigens am leichtesten, wenn Sie „Wiesu denn bluß?“ als Suchworte eingeben.

  4. Michaela sagt:

    Hach schön… solche Erlebnisse retten einem manchmal einfach den trüben Tag, oder?

    Liebe Grüße,
    Michaela

    1. Nessy sagt:

      Vor allem, wenn sie so überraschend geschehen.

  5. flyhigher sagt:

    Wieso treffen nur immer Sie diese schlauen Leute? Ich treff nie so jemanden! (Gut, es mag daran liegen, dass ich mich selbst für das Maß aller Dinge halte ;-)).

    1. Nessy sagt:

      Ich weiß auch nicht. Fahren Sie Auto statt Bus?

  6. Die U-Bahnputz-Zwerge haben häufig einen therapeutischen Nebeneffekt, sie sind freundlich und schenken ein Lächeln, das fehlt leider! so vielen anderen Zwergen und Riesen ;-)

  7. Nette Story. So soll das Leben sein. Ich glaube solche Szenen hatten die Unruhestifter im Sinn, die 1789 Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ausgerufen haben. Mehr davon. Bitte!

    1. Nessy sagt:

      Ich gebe ja zu: Manchmal wirken meine Texte ein bisschen sozialromantisch. Allerdings kann ich nu auch nichts dazu, dass die Dinge so passieren.

  8. _rain sagt:

    Frau Nessy?
    Ich bin jetzt mal echt neidisch.
    ICH treffe irgendwie nur immer DIE Leute, die mir versprechen:

    Da kommt ein Bus in 15 Minuten. Ganz sicher.
    Oder: Sie haben bis HEUTE ABEND einen Rückruf von uns.
    Oder: Moment, die Kollegin kommt gleich(*).

    Und dann passiert eben genau NICHTS, nichts und niemand kommt.
    Vermutlich, weil ich ein schlechterer Mensch bin?
    Der mit ohne große Herz?

    (*)-Anmerkung:
    Darf sie ja. Aber bitte erst, nach dem sie mit mir als Kunde fertig ist. Tss.

    1. Nessy sagt:

      Seien sie gelassen. Sehen Sie die positiven Dinge. Und wenn der Bus doch erst in 30 Minuten kommt, quatschen Sie einfach mit Ihrem Nebenmann. Wer weiß, was der Ihnen erzählt.

  9. Blogolade sagt:

    Wieder so ein wunderbares Erlebnis, bei dem ich vom Lesen Gänsehaut bekomme.
    Frau Nessy, irgendwas haben Sie an sich, dass sie die weisen Menschen immer treffen.

    1. Nessy sagt:

      Vielleicht, weil ich einfach mit ihnen spreche. Weiß auch nicht so genau.

  10. Es gibt nicht viele Leute mit gutem Herzen. Hast Du schon mal ausprobiert, was Du für komische Blicke erntest, wenn Du den Hausmeister grüßt? Also, nicht vom Hausmeister. Der freut sich nämlich auch!
    Bleib so!

    Liebe Grüße

    Gytha

    1. Nessy sagt:

      Die Putzfrauen, die das Treppenhaus reinigen, durch das man während des Putzens manchmal leider hindurchlatschen muss, sind meistens sehr perplex, wenn man sich entschuldigt und bedankt. Aber gehört sich so, finde ich. Wenn mir eine durch die Arbeit latscht, finde ich das ja auch nicht toll.

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