du fragst dich, warum meine Generation so wenige Kinder bekommt und hast deshalb eine Studie in Auftrag gegeben.
Das ist insofern bedauerlich, als dass diese Studie bestimmt sehr teuer war und du auch durch Nachdenken zu einem Ergebnis hättest kommen können. Aber Schwamm drüber. Schauen wir lieber in die Zukunft. Damit du demnächst das Geld sparen und es für gute Kinderbetreuung einsetzen kannst, hier mal ein paar Eckpunkte, die uns Mitt- und Enddreißiger im Zusammenhang mit dieser Kindersache bewegen.
1. Wir wollen, aber können nicht.
Unglaublich, aber wahr: Viele von uns möchten sehr gerne Kinder haben – können jedoch keine bekommen. Weiß der Geier, was im Einzelnen der Grund dafür ist, aber ich kenne einige Paare, die schon lange nicht mehr verhüten. Trotzdem stellt sich keine Schwangerschaft ein.
2. Wir haben keinen Partner.
Desgleichen kenne ich viele Menschen, denen der Partner oder die Partnerin fehlt. Mal liegt es an den Männern, die mit Mitte 30 noch den Lebenswurf von 16-Jährigen haben, mal an den Frauen, die kein Auge für Normalos haben und sich einen Prinzen auf dem Pony wünschen. Mal liegt es auch an den Umständen, an häufigen Jobwechseln, an Schichtarbeit, Umzügen, am sich ständig wiederholenden Sich-neu-einleben – oder daran, dass wir müde werden auszugehen, weil wir einfach erschöpft sind von all den Ansprüchen, denen wir genügen sollen.
3. Einer will, der andere nicht.
Oft ist es der Mann, der nicht will – so zumindest mein Eindruck quer durch den Bekanntenkreis. Kinder? Lieber nicht, zu anstrengend, zu unbequem. Bei einer Trennung hat er oft keinen Anspruch mehr aufs Kind, muss aber Unterhaltszahlungen leisten. Oder: Er würde sich gerne fortpflanzen, aber nur, wenn er keine Abstriche machen muss. Das macht sie aber nicht mit. Also bleibt das Paar kinderlos, oder wir sind wieder bei Punkt zwei.
4. Wir sind schwul oder lesbisch.
Dann gibt es noch die (gar nicht so kleine) Gruppe derer, die gerne Kinder hätte, aber keine bekommen kann – und auch keine großziehen soll, zumindest nach Willen der Politik. Ich kenne sowohl schwule als auch lesbische Paare, die gerne Kinder erziehen würden.
5. Wir leben nicht an einem gemeinsamen Ort.
Ihr im Familienministerium, ihr pendelt doch bestimmt viel. Guckt euch mal an, wer freitags und sonntags am Bahnsteig steht, zwischen den Kegelclubs. Oder wer über die Autobahn brettert. Das sind alles junge, gebährfähige Menschen. Menschen, die pendeln, um Beruf und Partnerschaft unter einen Hut zu kriegen. Genau die, die so begehrt sind, weil sie mobil sind; die, die in ihrer Heimat keine Anstellung finden; oder die, bei denen es Teil des Jobs ist: Studenten, Handwerker, Manager, Projektleiter, Arbeiter auf Montage, Soldaten, Fernfahrer. Bekommen sie Kinder, ist einer der Partner unweigerlich allein erziehend. Oder die Frau muss ihren Job aufgeben, weil sie zum Partner zieht – denn umgekehrt wäre es ja Schwachsinn: Ihr Gehalt fällt nach der Geburt schließlich erstmal aus.
6. Wir müssen arbeiten.
Es ist eine gern genommene Phrase: Ein Kinderlachen entschädigt für alles. Das mag stimmen, wenn wir von durchwachten Nächten reden. Aber nicht, wenn es um die Existenz geht. Ich kenne kaum einen in meinem Alter (und wenn, dann sind es in der Mehrheit Männer oder LehrerInnen), die einen unbefristeten Job haben. Was passiert, wenn frau schwanger wird und der Arbeitsvertrag regulär endet, ist leicht auszumalen. Die Tatsache, dass Frauen Mitte 30 bisweilen, sagen wir, kuriose Bewerbungsgespräche führen müssen, verstärkt diesen Eindruck. Okay – man könnte argumentieren: Ist ja kein Problem – der Partner hat einen Job, die Frau bleibt eh erstmal zu Hause und stillt. Das stimmt – aber was kommt nach Ende des Elterngeldes? Viele Paare, auch Akademiker, haben das Problem, dass ein Gehalt nicht ausreicht, schon gar nicht in Großstädten, wo aber die Arbeit ist.
7. Wir wollen arbeiten.
Wir sind keine Arbeiter- oder Agrargesellschaft mehr. Wir sind eine Dienstleistungsgesellschaft, viele von uns leben vom Denken, vom kreativen Schaffen, vom Erfinden oder Verbessern von Produkten, von der Forschung, vom Verkauf. Arbeit ist nicht nur Maloche, Arbeit ist auch ein Stück Persönlichkeit. Wir arbeiten gerne, weil wir gerne gestalten. Oder weil wir gerne mit Menschen zusammen sind, gerne Menschen helfen. Das hört mit der Geburt eines Kindes nicht auf.
8. Teilzeitarbeit und Anwesenheitskultur
Selbst Freunden, die in großen Konzernen arbeiten, wurde Teilzeitarbeit abgelehnt – „das geht bei uns in der Abteilung nicht“. Wenn Teilzeit möglich ist, gehören eine berufliche Weiterentwicklung und Verantwortung oft der Vergangenheit an. Besonders Frauen sind in Teilzeit nicht mehr „die Fachkollegin, die Projekt Y betreut“, sondern nur noch „unsere Teilzeitkraft Frau B.“, als ob jegliche Qualifikation mit der Geburt des Kindes abhanden käme. Hinzu kommt die Anwesenheitskultur: Als fleißig gilt, wer lange da ist.
9. Es gibt keine ausreichende Kinderbetreuung.
Nehmen wir nur mal eines der größten innerstädtischen Einkaufszentren Deutschlands, den Limbecker Platz in Essen, eröffnet im Jahr 2009. Wie kann es sein, dass fast 80.000 Quadratmeter Verkaufsfläche entstehen, 200 Geschäfte, ein Center, in dem rund 2000 Menschen arbeiten – und die Betreiber erhalten nicht die Auflage, Betreuungsplätze für die Kinder dieser 2000 Menschen einzurichten? Wo sollen die Verkäufer und Verkäuferinnen bis zum Verkaufsende um 22 Uhr ihre Kinder betreuen lassen? Die Kinderbetreuung in Deutschland ist ein Witz, ist zu teuer und basiert immer noch auf dem Gedanken, dass um 16 Uhr Feierabend ist oder die Oma es zur Not richten wird. Aber viele meiner Freunde, ich eingeschlossen, müssen auch mal länger arbeiten, müssen flexibel sein, wohnen nicht mehr in der Nähe ihrer Eltern. Oder die Eltern arbeiten selbst noch. Oder sind krank. Oder bereits tot.
10. Die Atmosphäre ist kinderfeindlich.
Anwohner klagen gegen Kitas, gegen Spielplätze, gegen spielende Nachbarskinder. Eine fünfköpfige Familie findet in der Stadt kaum bezahlbaren Wohnraum. Die Bürgersteige sind zugeparkt mit Autos, kein Kind kann mehr auf der Straße spielen, nicht mal mit dem Kinderwagen kann man zwischen Beifahrertür und Hauswand entlangschieben, weil alles dicht ist. In den U-Bahnen funktionieren die Aufzüge nicht, beim Tragen hilft niemand. Lacht ein Kind dort oder schreit es: genervte Blicke. Mehrwertsteuer auf Hundefutter: sieben Prozent, auf Babynahrung: 19 Prozent. Eine Kita-Gebühr, die schon im ersten Monat alles übertrifft, was man jemals für sein Studium bezahlt hat. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, aber ihr wisst, was ich meine.
11. Eltern können es niemandem recht machen.
Arbeiten Frauen, sind sie Rabenmütter. Bleiben sie zu Hause, sind sie Glucken. Nehmen Männer Elternzeit, können sie ihre Karriere begraben. Nehmen sie sie nicht, sind sie egoistische Machos. Eine Mutter soll stillen, aber nicht länger als sechs Monate, sonst klammert sie. Stillt sie nicht, wird das Kind ein fettleibiger Allergiker mit Bindungsstörung. Spielen die Kinder im Hof zu laut, sind es schlecht erzogene Gören. Spielen sie drinnen, sind es computerabhängige Psychopathen. Man kann sich jetzt hinstellen, den Eltern ermunternd auf die Schulter klopfen und ihnen raten: Schert euch nicht darum, was andere sagen. Doch permanente Beurteilung, gerade wenn sie nicht wohlwollend ist, zermürbt – auch bei dickem Fell.
12. Wir haben die Wahl.
Die Pille wurde in den 60ern erfunden. Unsere Eltern sind die erste Generation, die sie angewendet hat, alle Generationen davor konnten das Kinderkriegen nicht sicher verhindern. Wir sind dementsprechend die erste Generation, die von Eltern erzogen wurde, die uns das Bewusstsein dieser Wahlmöglichkeit mit auf unseren Weg gegeben haben. Außerdem sind wir die erste Generation, in der Mann und Frau nicht nur auf dem Papier gleichberechtigt sind, sondern die diese Gleichberechtigung auch bewusst leben möchte; in der Frauen wie Männer in gleichem Maße Abitur machen, ein Studium aufnehmen und mit gleichen Amibitionen ins Berufsleben starten, in der Frauen finanziell unabhängig sind und in der sie bewusst entscheiden. Wir haben die Wahl – und wir machen davon Gebrauch.