Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

All you can eat

21. 11. 2017 18 Kommentare Aus der Kategorie »Allgemein«

Eines dieser Hotels im Industriegebiet. Checkin und Checkout, ohne einem Menschen zu begegnen. Vor dem Haus eine Parkplatzstadt: Autozubehör, Dänisches Bettenlager, Subway, Tankstelle, ein Chinarestaurant mit Buffet für 14,90 Euro all you can eat. Ich setze mich ins Chinarestaurant.

Als ich den ersten Teller am Start habe, beugt sich der Mann vom Nebentisch zu mir rüber.

„Ich bin jeden Tach hier“, sagt er. „Is’ besser als Pommesbude. Und du weiß‘, watte kriechs.“

Er trägt einen Fleecepulli und eine Arbeitshose. Sein Doppelkinn legt sich sanft auf seine Brust.

“Bin Frührentner. Hab Zement im Rücken. Zwei Wirbel raus, Zement rein. Und Stützstrümpfe. Ohne Stützstrümpfe geht nix. Wennde die Guten nimms, halten die ein ganzes Jahr.“

Er deutet auf die Theke, hinter der ein Mann Fleisch und Gemüse brät. „Dat is‘ der beste Mann hier. Is aber nur dienstags da.“

Die Kellnerin bringt ihm ein Glas Cola. Er sagt: „Ich trink kein Bier mehr. Da kriechste nur auffe Fresse. Gehste inne Kneipe, und kaum bisse drin: Schlägerei. Hatt‘ ich gestern ers‘. Mit Polizei und allem. Aber ich hab‘n Zeugen. Ich hab nich‘ angefangen. Dann is‘ immer gut, wennde‘n Zeugen has‘. Wenn’s andersrum is’, is’ besser, wenn’de keinen has’.“ Er atmet durch, ein Schnaufer. „Dat is ja heute nich‘ mehr nur mit Schiedsmann und so. So einfach kommste nich‘ davon.“ Noch ein Schnaufer. „Bisse nich‘ von hier? Bisse da im Hotel?“

Ich nicke. Ich habe bis hierhin noch nichts zu ihm gesagt, nicht ein Wort.

“In Elberfeld, da is‘ auch‘n Hotel. Da war ich ma’ mit meine Lebensgefährtin. Ers‘ nur eine Nacht. Dat Hotel war total sauber – dat war schön, richtich schön. Die Bettlaken, ganz glatt. Dat war schöner als bei uns zu Hause. Deshalb sind‘wa noch‘ne Nacht geblieben. Ha’m nur dagelegen und ferngesehen. Dann konnten wir‘n Zettel ausfüllen, da hamwa dat Zimmer für 55 statt für 60 Euro gekriecht. Fünf Euro sind nich‘ viel, aber bei zwei Nächte hasse schon zehn. Dat is‘ dann schon wat.“

“Ich gehe nochmal zum Buffet“, sage ich und stehe auf. Ich spüre, wie „Der beste Mann hier“ hinter der Theke hervorkommt und mir nachschleicht. Als ich mir Krabbenchips auf den Teller häufe, raunt er mir ins Ohr: „Isse immer hier, der Gaste. Wenne du willst, kannste du andere Tisch haben. Machen wir unauffällig.“ Ich raune zurück: „Schon okay.“

Als ich zum Tisch zurückkomme, sagt der Gast: „Sie is ja getz wech, ne, meine Lebensgefährtin. Is einfach wech. Obwohl ich ihr noch’n Teddy vonne Kirmes geschossen und vor die Tür gestellt hab’.“ Dann erzählt er mir von ihr. Und von seiner verstorbenen Frau, wie er ihre Schulden aus dem Versandhandel erbte, wie er Schüttgut fuhr und sich den Rücken kaputtmachte. Er erzählt, dass er eine Tochter, aber keinen Kontakt mehr zu ihr hat, dass sie ihn nicht mehr sehen will, weil er nur Mist redet. Am Ende zückt er sein Handy und zeigt mir ein Video: Ein Mann trägt einen vollen Bierkasten mit den Zähnen.

„Dat üb‘ ich getz. Ich trink dat Bier ja nich‘ mehr. Dann kann ich den vollen Kasten jeden Tach rumtragen. Dann komm‘ ich auch auf Jutub.“

Kommentare

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  1. Sarah sagt:

    Danke! Ich saß mit dabei, sah die geschnitzten Chinadrachen und den schon leicht speckigen Buddha am Eingang.
    Danke fürs Geschichten sammeln und mit uns teilen!

    1. Vanessa sagt:

      Am Ausgang gab es noch einen Gratisfächer zum Mitnehmen.

  2. Silke sagt:

    Du hast aber auch immer eine wunderbare Engelsgeduld beim Zuhören!
    Beim Lesen hab ich auch überhaupt gar nicht die Stimme von Horst Schlämmer im Kopf gehabt ;-)

    1. Vanessa sagt:

      Zuhören war, ehrlich gesagt, gar nicht wirklich gefragt. Nur da sein.

  3. Kvinna sagt:

    Und ich bin erschüttert. Ohne Scheiß.

  4. Caramelia sagt:

    Es ist traurig, wie viele Menschen es gibt, die niemanden zum Reden haben und sich dann einfach an völlig wildfremde Personen wenden, um den Überschuss an aufgestauten Worten loszuwerden.

  5. Ach, mir hängt ein Seufzer im Halse fest.
    Aber Danke. Und schade, dass er das nicht mitkriegt –is‘ ja auch so ’ne Acht Jutub hier…

    1. Vanessa sagt:

      Nur ohne Action.

  6. Stör sagt:

    Ein Phänomen der heutigen Zeit: Wir reden zu wenig miteinander.

    1. Vanessa sagt:

      Nun. Er redete durchaus viel.

  7. Carom sagt:

    Die Straßenzüge zwischen Robert-Daum-Platz und Bayer-Werk haben viele solcher Geschichten zu erzählen. Es ist auf eine Art eine wilde Gegend.

    1. mic sagt:

      Hallo Carom,
      lach hast Du das auch direkt an der Beschreibung des Parkplatzes erkannt oder erst bei Hotel in Elberfeld?
      Und Vanessa, ich hoffe Du bist auch in der neuen Schwebebahn gefahren.
      Einen schönen ersten Advent.
      mic

    2. Anja sagt:

      Bei der Parkplatzbeschreibung war die Lage klar, oder? Willkommen im Tal! :-)

    3. mic sagt:

      @Anja
      Stimmt die Parkplatzbeschreibung ist schon einmalig. :)
      Aber wieso willkommen im Tal, ich leb schon immer hier :D

  8. CeKa sagt:

    Wir essen dort auch öfter mal und schauen dabei Leute. Der Bhudda ist ein Löwe und nicht speckig. Wobei wir meist mindestens zu zweit sind und uns die Menschen nicht ansprechen. Das passiert mir (Mann) auch nur dann, wenn ich gerade nicht angesprochen werden will. Irgendwie ist das wohl nicht geschlechts- sondern gesichtsabhängig.

  9. Dirk sagt:

    Schön zugehört und aufgeschrieben!
    Hättze dem Typ ma bessa Sapwäi empfohlen. Da hätter quatschen können! Von wegen „gib mich ma ’ne Käsestulle“. Genau so kompliziert wie diese Kaffeebudenkette. Da musse auch ers ’nen Roman erzählen bevorse deinen Milchkaffe krichs.

  10. Susi sagt:

    Großes Herzgeblubber. Fürs Zuhören und Aufschreiben. Ich werde auch gerne angesprochen und Geschichten habe ich auch schon viele gehört. Irgendwie mag ich das – auch wenn es manchmal nicht passt.

    Danke auf jeden Fall!

  11. […] November noch einmal Vanessa und die Beschreibung einer Alltagsbegegnung. Den Kloß im Hals gibt es […]

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