Im Vorort, neben Einszehn, in Reichweite des Kleingartenvereins „Einigkeit“, gibt es einen Pizzaimbiss. Ein Ladenlokal: Theke, Ofen, davor drei festgedübelte Tische. Über den Köpfen läuft N24.
Die Bude sieht unscheinbar aus, doch jeden Abend stehen die Leute bis auf die Straße. Sie kommen aus dem ganzen Viertel und darüber hinaus; ich wohne inzwischen woanders, fahre aber trotzdem dorthin: Die Pizza ist die beste der Stadt, die Preise sind unschlagbar, die Öffnungszeiten gehen bis Mitternacht.
Die Kundschaft ist illuster: Mit einer leicht angeschlockerten Joggingbuxe ist man für den Laden perfekt gekleidet, aber auch Abendkleider und Zweireiher wurden schon gesehen. Kinder kommen alleine, schieben Einsfünfzig über die Theke und bekommen eine kleine Margherita. Es finden erste Dates statt; junge Menschen sitzen sich an den Plastetischen gegenüber, ihre Hände spielen miteinander, minutenlang blicken sie sich an, während die Pizzen vor ihnen kalt werden. Ab und an hält ein Streifenwagen: Die Polizei kauft hier gerne Zwei zum Mitnehmen.
Der Laden gehört zwei Singhalesen. Sie malochen wie die Bergarbeiter, von mittags bis Mitternacht, rollen Teig, füllen Pizzaschnecken und nehmen die Bestellungen entgegen. Es gibt keinen Ruhetag, die Beiden hatten noch nie zu und sind immer da.
Ruft man dort an, melden sie sich mit einer Lautfolge, die alles bedeuten könnte – vielleicht „Simsalabim“, vielleicht „Da simma dabei“. Man trägt die Nummern vor, die man bestellen möchte. Sie antworten „Senminuten“. Alles dauert immer „Senminuten“, egal ob man eine oder acht oder zwölf Pizzen bestellt. Abholen muss man selbst, geliefert wird nicht – wie auch, die Beiden müssen ja Pizzen rollen, eine nach der andern.
Vor ein paar Tagen sitzen wir dort, die Turnschwester und ich, in Blazer und Kleidchen. Es ist fast Mitternacht, wir kommen von einem Festakt – einer prima Veranstaltung, doch leider haben wir beim Flying Buffet mehrmals den Check-In verpasst: Unsere Mägen hängen in den Kniekehlen. So sitzen wir in der kleinen Pizzabude, draußen die Großstadt bei Nacht, glücklich mit zwei Minipizzen, die wir dankbar mit den Fingern essen.
Die Singhalesen haben die Außenbeleuchtung schon ausgeschaltet: Schluss für heute, nur noch aufräumen – als drei Halbstarke hereinkommen, Trainingshose, Bomberjacke, Undercut, Silberkettchen, irgendein Migrationshintergrund. Man könnte nun Angst bekommen, doch sie fragen lediglich: „Guten A’md, ’schuldigung, wir ha’m voll Hunger. Könn’wa noch was bestellen, geht das?“
Die Pizzabäcker nicken und machen Margherita und Vegetale und noch etwas, und als die drei Jäuster ihre Pizzen bekommen, wendet sich der Bullige mit der gepiercten Augenbraue zu uns und fragt: „Guten A’md, die Damen“, es klingt nicht ironisch, sondern sehr höflich, „’schuldigung, kann isch mal die Tabasco haben, bitte?“
Ich gebe ihm die Flasche Tabasco, und er sagt: „Danke, ne, und guten Appetit noch, ne. Sie sehen sehr schick aus.“ Die Drei kleckern Tabasco auf ihre Pizzen, dann gehen sie zur Tür. Der Große sagt: „Schüss, ne, und gute Nacht und voll danke, ne“, und die beiden anderen, wie die Chorknaben: „Dankeschön.“
Sie sieht unscheinbar aus, die kleine Pizzabude im Vorort. Aber sie hält viel Schönes bereit.
Kommentare
48 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓
Wo bitte ist das…? Ich will da auch hin. Stadtteil genügt… ich bin Recherchekönigin.
Hörde.
Ruhrpott. Da wird eben integriert und gut isses. Schöne Geschichte!
Wir integrieren hier alle, die nicht schnell genug wieder weg sind. Selbst die, die nicht wollen. Einfach von der Straße wegintegriert werden sie, da kennen wir nix.
Ich würde da auch gerne hin. Suche genau so etwas in Dortmund.
Dann schauen sie mal in Hörde. Dort, wo der Ünver Markt ist, der im Übrigen auch sehr empfehlenswert ist.
Bei dieser Geschichte ging mir das Herz auf. Schön. Dass es passiert und dass es aufgeschrieben wird!
Höfliche Jugend! Juchhuuu, die Welt ist nicht verloren. Danke für diesen Artikel (und alle anderen auch).
Die, von denen man es am wenigsten erwartet, sind oft die höflichsten und hilfbereitesten.
Also Ruhrgebiet, ja, das ist ja so überhaupt gar nicht kein kleines bisschen meine Region. 2 Jahre einmal wöchentlich Hamm ist ja das „ruhrgebietigste“, was für mich zumutbar ist (liegts an meinen Chemnitzer Jahren? Ist das gehasste Chrmnitz das „kleine Ruhrgebiet des Ostens“?) Aber Ihre Geschichten, ja, die wärmen Herz und Seele und legen gleichsam eines Smogs einen glitziglitzi Unipeg-Staub über alles.
Hamm. Da gibts Zugteilung. Aber doch kein richtiges Ruhrgebiet.
Genau. Aber mehr geht nich…
Hach! So eine schöne Geschichte!
Hach. (<–mit seufzendem Geräusch lesen)
Hätte gerade fast ein Tränchen verdrückt. So meine ich mich an das Pre-Horrorclown-, AFD- und Primark-Ruhrgebiet zu erinnern. Ganz liebe Grüße von einem Wanne-Eickeler im Essener Exil.
Das Primark-Ruhrgebiet gibts doch nur in der Innenstadt. Da, wo das Leben stattfindet, gibts Büdchen. Aber kein Primark.
rührend.
voll danke fürs aufschreiben, ne.
Voll gern.
Für diese Geschichten liebe ich Dich!
<3
Das Umfeld macht die Musik – wo man sich gut behandelt und wohl fuehlt geht man vielleicht auch eher mit den anderen so um. Oasen erhaelt man. Jedenfalls mag ich das gerne fuer einen guten Grund halten, dass es dort so zu- und hergeht.
Ja. Ist so. Und: Vor dem Pizzabäcker sind alle gleich. Egal, wo se wechkommen.
Gute Geschichte. Aber sagt man jetzt auch im Ruhrgebiet „Plaste“? Das kenne ich nicht von früher.
Plaste ist auch integriert worden.
Jo.
1000 Dank für‘ so liebevolle Aufschreiben!
Gern.
Ach komm, Plaste sagt doch kein Mensch… Zumindest nicht im Pott.
Wieso bekommt man bei Ihren Texten immer nasse Augen? Was für ein unschlagbares Talent. Dankeschön.
<3
Zum Thema „Tabasco und scharf“ fällt mir immer dieser Tweet ein:
Me: do you guys have any hot sauce?
**waitress pulls Tabasco out of apron and places on table**
Me: you could’ve just said „no“
Persönlich habe ich eine neutrale Haltung zu Tabasco. Wir leben mehr oder weniger nebeneinander her.
im stadion verstehnse mich langsam richtig, wenn ich nache augentropfen frage. ja, die sin nich scharf, aber n bisschen is besser wie nix.
.~.
Ja, das isses was ich hier so vermisse! Die Buden! Die Leute!
Früher sachte unsa Oppa immer : Mein lecker Dötzken, geh ma anne Bude und hol mir …..(meistens Zigarellos, die konnten die Kinder damals noch kriegen…)Anne Bude standen immer Leute rum.. Soll ich Dir ma hochheben, dasse drankomms? (Kind klopfte nämlich mit einem Geldstück anne Scheibe, dann kam jemand), hach ja….seufz.
Danke für die schöne, herzerwärmende Geschichte!
Gruß
Meine Sauerlandkindheit, nahe Ruhrgebiet, bestand vor allem aus „süßer Tüte“. Eine süße Tüte für 50 Pfennig mit sauren Pommes, einer weißen Maus und Colaflaschen. Die sauren Zungen mochte eigentlich niemand, aber trotzdem habe wir sie gekauft.
Mir geht das Herz auf.
Nä, watt schön.
Schöne Geschichte!
Allerdings auch etwas traurig. Wenn ich mir die zwei Inhaber so ansehe, dann ist das anscheinend nur ein Leben um zu arbeiten. Oder es sind gar nicht die eigentlichen Besitzer (das wäre noch trauriger…).
Vielleicht. Tauschen wollte ich jedenfalls nicht mit ihnen.
So. Schön.
Ich lese total gerne bei dir, bislang nur still. Toll, wie du immer wieder kleine Lichtfunken findest, danke!
:)
[…] Hach! <3 “Draußen nur Kännchen – Senminuten” […]
Hach, ohne den Hinweis in den Kommentaren gelesen zu haben wo sich diese Pizzabude befindet wusste ich schon um welche es sich handelt!
Damals als die Bruchbude um die Ecke noch als Feuerwache genutzt wurde und wir unsre Samstage beim Hofballett verbrachten haben wir uns dort mit Pizza und Pizzabrötchen verköstigt.
Ein paar Ecken weiter ist übrigens der beste Fleischer und Brötchendealer der Stadt! (Scharfes Hähnchenknusperschnitzel auf Salat und Remoulade…)
Genau, die Feuerwache. Die ist jetzt immer noch eine Bruchbude. Es hieß mal, es solle ein Supermarkt dort einziehen, nach Umbau – das hörte sich gut an. Passiert ist aber bislang nichts.
… Oh!
Wieder so wundervoll einfühlsam…
Dass einem die „Ruhries“ förmlich ans Herz wachsen!
Es gibt im Nachrichtenwesen unseres Planeten eine eklatante Lücke,
für Artikel deiner Art, die verständnisvoll und voller Wärme die Menschen,
das Leben, die Welt beschreiben.
Gut, dass es dich gibt!
Schön beschrieben, den kleinen Pizzabäcker-Mikrokosmos. Bei mir heisst es „Wenige Käse“, wenn ich in meiner Pizzeria auftauche, die eigentlich ein Döner-Laden ist. Alle wissen Bescheid und grinsen mich an.. Pizza Salami mit wenig Käse.
Gibbet eigentlich dat Luvara in Hörde noch? Vor ca. 10 Jahren war ich das letzte Mal dort, die hatten so schweineleckere Pizzen, dat glaubste nich‘!
Ich freu mich auch schon, wenn Frau Nessy mal über zugteilung bloggt
So wunderschön geschrieben. Man fühlt sich, als wäre man dabei gewesen.