Inmitten meiner Renoviererei habe ich etwas Verrücktes gemacht: Pause.
Dazu bin ich nach Bad Sassendorf gefahren. Bad Sassendorf liegt zwischen Werl und Erwitte-Anröchte. In Bad Sassendorf gibt es, das lässt die Verortung bereits vermuten, viel Gegend. Außerdem gibt es viele Rentner. Bad Sassendorf ist nämlich die älteste Gemeinde NRWs: Jeder dritte Einwohner ist über 65, jeder zehnte sogar über 80 (kuksdu).
Bad Sassendorf ist ein Kurort und somit prädestiniert für Erholungssuchende. Also für mich. Der Ort besitzt außerdem eine Therme mit Sauna und Solebad: genau das Richtige nach all dem Schleifen, Streichen und Bohren. Ich packe mich ins Auto, brumme über die A44 und fahre ins Rentnerparadies.
Es ist wirklich sehr ruhig im Thermalsolebad. Unfassbar ruhig. Nirgendwo Kinder. Wirklich: gar keine. Auch keine Jugendlichen. Überhaupt niemand, der jünger als 60 ist. Auch nicht im Schwimmbad, das neben der Saunalandschaft liegt, das zwar keine Rutsche und keine künstlichen Wellen hat, das aber immerhin ein Schwimmbad ist. Stattdessen Rentner, die luftballonesk durchs Wasser treiben. Fast ohne Schwimmbewegungen gleiten ihre silbernen Köpfe im Salzwasser dahin. Im Hintergrund plätschert ein Wasserpilz.
Ich liege eine Weile im Wasser herum. Dann wird es mir zu langweilig, und ich gehe in die Saunalandschaft. Sie bietet ein Dampfbad, eine Kristallsauna, eine finnische Sauna und einen Plan mit stündlichen Aufgüssen. Also alles, was man braucht und noch mehr. Auch hier bin ich die Einzige, die die Wechseljahre noch vor sich hat, vielleicht sogar die Einzige mit eigenen Zähnen.
Trotz der Auswahl an Saunen halten sich die Alten an diesem Tag fast nur im Caldarium auf. Das Caldarium hat um die 60 Grad; das ist nicht sehr heiß, das ist angenehm, ein bisschen wie im Sommer in einer Studenten-Dachwohnung. Auf den Fliesen vor der Glastür stapeln sich die Badelatschen, im Brillenständer neben der Tür lagert Sehhilfe neben Sehhilfe. Wie hingegossen liegen die Leute auf dem Holz. Sie liegen auf dem Rücken und auf der Seite; manche, Männer wie Frauen, schnarchen dort halbe Stunden, die einen rasselnd, die anderen röchelnd, wieder andere nur leise schnaufend. Über ihnen wechselt warmes Licht klackend zwischen den Farben: mal Rot, mal Grün, mal Gelb. Ein Snoozelraum für Senioren.
Sind die Alten nicht im Caldarium, liegen sie nackig und in Gruppen auf einer der Liegen am Thermalbecken, ziehen die Beine an, lassen sie zur Seite kippen, richten sie wieder auf, lassen sie zur anderen Seite kippen. Hüftgymnastik, Rückenschule – so muss das, so rostet man nicht ein, gemeinsam turnt es sich am schönsten. Wer derweil im Wasser treibt, sich abkühlt und vom Fußende aus auf die Liegendturner sieht, blickt auf lange, faltige Hodensäcke, die durch die angewinkelten Beinen hindurchfallen und auf den Pobacken zu liegen kommen. Ja, das ist das Leben, so wird es uns eines Tages allen gehen: Dem einen hängt der Sack, bei der anderen sind’s die Brüste. Ewig jung bleibt nur, wer früh stirbt.
Ich wickel mich in meinen Bademantel und gehe in den Ruheraum. Im Ruheraum, einem gedämmten, gedimmten und abgeschlossenen Bereich mit Schlummerliegen und Kuscheldecken, falle ich in einen komatösen, traumlosen, alle Zeit vergessenden Zustand. Zwei Stunden lang bin ich fort. Dann weckt mich das Ticken der Wanduhr.
Ich gehe noch einmal in die Sauna. Während ich daliege, kommt ein junges Pärchen hinein, immerhin eins. Es legt seine Handtücher aus, unterhält sich kurz flüsternd, setzt sich dann und schwitzt zurückhaltend.
Ich dusche ein letztes Mal. Dann fahre ich heim, zurück in die Großstadt, zurück in Welt. Ich fühle mich sehr erholt.
Kommentare
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Dialog aus meiner Rentner-Therme: „Nach so ville Sport kömma jetzt aba mal nen Stück Schwarzwälder vatragen, watt Jisela?“ Es handelte sich um 8min sanfte Wassergymnastik.
Ich liebe meine Rentnertherme. 5 Stunden dort sind wie 2 Tage Urlaub.
Danke für Ihren Text.
Vielleicht fühlt sich 8 Minuten Wassergymnastik mit 90 Jahren an wie 30 Minuten Bootcamp. Wer weiß das heute schon.
Als Jugendliche war ich mal kurz in Bad Sassendorf. Gruselig, wie alt da die Bevölkerung war.
Es war schon seltsam.
aber je weniger jung man selber ist, desto weniger alt kommen einem die anderen vor.
Ich glaube so eine Pause ist ein nicht zu unterschätzender Beschleunigungsfaktor für die restliche Renovierungs- und Umzugsplackerei – und wir kriegen noch einen schönen Blogbeitrag. Hach!
Nur Mut, es wird alles irgendwann fertig :)
Viele Grüße,
der Ponder
Wenn ich diesen Beschleunigungsfaktor jeden zweiten Tag hätte, würde ich in den Tagen dazwischen doppelt so schnell arbeiten.
Alles in allem eine doch liebevolle Beschreibung auch meiner Zukunft …
Unser aller Zukunft. Vorausgesetzt, unsere Rente reicht für den Thermen-Eintritt.
Aaaaahhhh. Zahlt den nicht die Kasse?
Ich möchte da jetzt unbedingt hin, das klingt sowas von erholsam. Alles Gute für die weitere Renoviererei!
Erholsam war’s. Und sehr leise.
Am schönsten ist es, wenn von jedem Alter was da ist.
Aber für die Resettaste reicht ein Thermalbad.
Man nimmt dann aber sofort Abstand von der Idee der Frühpensionierung.
man muss ja nicht im Thermalbad landen als Frühpensionär.
Ich wüsste viele andere schöne Dinge mit meinem Leben anzufangen.
Teneriffa in den Wintermonaten zum Beispiel.
Schön! Und irgendwie traurig…die gehobene Altersstufe so (fast ganz allein; bis auf Frau Dr. Nessy) unter sich. Ich muss Ihnen was berichten. Berlin, 8:30 Uhr, auf dem Weg zur Arbeit in einer dazu beliebten U-Bahnlinie Richtung Mitte. In diese übervolle U-„wir sind alles ganz wichtig Schaffende“-Bahn erdreistet sich eine Mutter mit 2 Zwergen einzusteigen. Zwerg Nr. 1 hängt im Tragetuch und quengelt enthusiastisch, Zwerg Nr. 2 kann laufen und sprechen und will unbedingt vorgelesen bekommen, was angesichts Zwerg Nr. 1 nicht funktionieren wird. Die ganze Situation eskaliert: Mutter fühlt sich schuldig, wegen lauthals schreiendem Zwerg 1 und vorlese-forderndem Zwerg 2 und ich krieg gleich die Krise, weil keiner der Bürobeknackten einen Sitzplatz anbietet (das ziemlich Einzige, was man angesichts der begrenzten Mgl. hätte anbieten können/ ich hatte leider auch keinen, sonst hätte ich…). Ich denke darüber nach, ob ich Zwerg 2 anbieten soll, ihm vorzulesen. Die Trutsche, die neben uns steht, ist sichtlich genervt und fragt, ob Mutter „denn nicht einen Nuckel hat!“ Hallo!, Geht’s noch?! Ich traue mich und frage Zwerg 2, ob ich ihm vorlesen soll. Er wollte das dann nicht. Aber die Trutsche war doch peinlich berührt. An der nächsten Station stiegen die 3 und wenigstens ein paar andere aus. Die jieperte auf einen Sitzplatz…ich auch. Meine zu lesenden Seminarunterlagen und ich brauchten den dringender;-). Die sah das aus dem Augenwickel und verdrückte sich. Ich schwitze echt, weil ich mich getraut hatte, Zwerg 2 zu fragen und war doch ziemlich stolz… irgendwie. Zurück zu ihrem Therme-Erlebnis: 2 Welten…oder?!
Beides ist nicht schön. Aber beides kommt vor. Und es kann ja niemand etwas dafür, dass er a) alt wird oder b) jung ist.
Das war wie Generalprobe: „Will ich nun alt werden oder will ich doch lieber nicht?!?!?!?!“
Abschreckend war’s jetzt nicht. Ich möchte nur nicht ausschließlich von Gleichaltrigen umgeben sein. Aber das wollte ich schon als Teenager nicht.
Und ich wollte als 10jährige schon nicht „alt“ werden. Wahrscheinlich ist „Alter“ sowieso eine Interpretationssache, denn für die Jugendlichen bin ich reif für den Bestatter oder so.
war mal in bad wörishofen auf ner mutterkindkur, da wollte ich mir das kurkonzert anhören (alternativen gabs nicht viele) wurde jedoch von meinem sitzplatz von einer älteren herrschaft vertrieben weil sie seit 2 wochen auf diesem stuhl sitzt, obwohl rundrum alles frei war. und mein mann sagte eifersüchtig muss er hier nicht sein. einen kurschatten müsste ich eh im rollstuhl vor mir herschieben. soviel zu thermalbad.
Die Nörgelrentner, jaja. Die gibt’s überall. Viel auch in Bus und Bahn.
Ha, ein Snoezelraum. Kennt normalerweise außerhalb der Branche kein Mensch. Der Vergleich ist super. :)
Es fehlte nur das Bällebad.
Soso, da ham se also gewaltig den Schnitt gedrückt :-)
Ich geh auch gerne in „meine Therme“ und wissen Sie was, ich glaub,die freuen sich auch über die zwei, drei jungen Hühner, die da mit im Wasser stampfen und zuckeln. So haben beide Seiten was davon…und das meine ich ganz harmlos. Bin naemlich beieibe kein junges Huhn mehr, sondern könnte auch schon Oma sein. Vielen lieben Dank für diesen Text und Gruß von da,wo die deutschen Rentner Urlaub machen.
Malle?
Wenn ich meine beste Freundin im hohen Norden besuche, suchen wir immer die dortigen Jugendbrunnen heim. Das ist in Bad Bevensen – aber bis auf den Namen scheint es nicht viele Unterschiede zu geben.
Wobei: nach Beobachtungen konnten wir bei der dortigen Population Wanderschübe feststellen, die sich nicht mit den Aufgußzeiten erklären lassen. Gab’s das bei Ihnen auch, Frau Nessy?
So kuschelig liest sich das! Sind doch allesamt nicht die schlechtesten Aussichten….
das hätt ich mir jetzt als Podcast gewünscht ;-)
herrlich. und bildlich gerade zu vorstellbar.
doch so ist die Zukunft… vorausgesetzt dann können sich dies die meisten noch leisten. oder das ganze Geld ging schon für den Zahnersatz drauf. ;)