Als rege Besucher des Kännchencafés wissen Sie:
Die Chicks und Checker, mit denen ich Busse und Bahnen teile, sind dankbare Lieferanten blogbarer Begebenheiten. Am Wochenende allerdings versammelten sich derart sonderbare Gestalten im Regional-Express 1, dass ich es selbst nicht fassen konnte.
Der RE 1, so viel sei vorausgeschickt, ist die Hauptverkehrsachse des Ruhrgebiets. Er fährt von Aachen nach Paderborn und hält dabei in allen großen Städten des Potts. An Werktagen schmiegen sich ölige Aktentaschenträger in die Achselhöhlen ihrer Nachbarn. Am Wochenende ist der RE1 das Stangentaxi fürs Partyvolk, der Samba-Express nach Köln. Stets ist es warm und lauschig. Mal riecht es nach Puff, mal nach Schnapsbrennerei.
Als ich am vergangenen Freitag einsteige, betreten mit mir den Zug: ein pöbelnder Tippelbruder mit nur einem Arm und eine Gruppe studentischer Sozialflippies mit Dreadlocks. Ein Bahnbediensteter schiebt außerdem einen bärtigen Muslim mit gestrickter Gebetsmütze in den Waggon: Der Mann hat keine Füße und sitzt im Rollstuhl.
Die Türen schließen sich piepend. Die Reise beginnt. Der Pöbler schwingt sich eine fleckige Jutetasche über die armlose Schulter und macht die Sozialflippies an. Sie sollen ihre Bierflaschen hergeben, die NATO bereite Kriege vor, da brauche er Pfandgeld, es könne jederzeit losgehen. Einer der Jungs sagt: „Nimm, Bruder“, und reicht ihm eine leere Flasche.
„Da ist ja gar nichts mehr drin!“, beschwert sich der Einarmige, hält die Pulle mit dem Hals nach unten und lässt einen Rest Bier auf den Boden kleckern. Während er der Plörre nachguckt, fällt sein Blick auf den Muslim, auf dessen nicht vorhandene Füße das Bier tropft.
„Du hast ja gar keine Füße“, stellt er verwundert fest und sagt: „F*ck, ey, du kannst nicht mal moscheemäßig beten. Du bist echt feist gef*ckt, Alta.“
Der Muslim schaut zu ihm auf, blickt ihn eine Weile an und sagt sehr ruhig: „Dafür kann ich Handstand machen und du nicht.“
Kommentare
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Waah.
Wenn Sie das als Drehbuch ans Fernsehen schicken, würde es bestimmt abgelehnt: „Unglaubwürdig! Zu weit weg vom wahren Leben!“
Das denke ich an manchen Tagen öfters.
„An Werktagen schmiegen sich ölige Aktentaschenträger in die Achselhöhen ihrer Nachbarn.
Allein für solche Sätze, Frau Nessy, müsste Ihnen ein großer Literaturpreis verliehen werden.
Nicht nur ein großer, alle Literaturpreise dieser Welt.
Dankeschön. Und das, obwohl ein L fehlt.
„Achselhöhen“ ist noch viel literaturpreisverdächtiger als die gemeine Achselhöhle.
(Ach, und wenn Sie so was schreiben, dann vermisse ich mein Ruhrgebiet noch viel mehr. Ich fahre ja maximal nur noch auf dem Spätzle Highway und da passiert einfach nix lustiges. Gar nix.)
zitateraten:
hey, du hast keine arme mehr
– woher willst du das wissen?
kratz dich mal
Ich versuche mal: Monthy Python.
Von denen haette die Szene oben uebrigens auch sein koennen. Dann fehlt hoechstens noch die spitze Bemerkung ueber die allgemeinen Umstaende (wenn man nicht die NATO als solche zaehlen will).
Ich kenne nur „Keine Arme, keine Kekse“.
yup, monty python – die ritter der kokosnuss
http://www.youtube.com/watch?v=Tca-AkF2_6w
Gnahaha.
Das hast du dir ausgedacht, oder?
So etwas passiert doch nicht im echten Leben.
Gnihihihi
Sowas passiert nur, wenn ich Bahn fahre.
Herrlich. Sowas gibts nur bei der Bahn. =)
Während meiner aktiven Studentenzeit fuhr ich täglich RE4. Dort ist es zwar nicht so voll aber das Publikum ist ähnlich und es schimmelt durch die Fenster. Neben den standardmäßig gröhlenden Fußballfans und Sekt-trinkenden Damen ü40 kann man auf der Strecke Aachen-Dortmund auch mal einem Pony begegnen. Das kann zwar nicht reden, dafür aber äpfeln, was der Atmosphäre im Zug einen kleinen Hauch von Bauernhof-romantik verleiht.
Ist der Transport von Zwergponys im öffentlichen Personennahverkehr denn in der Beförderungsentgeldverordnung vorgesehen?
Vermutlich nicht. Dem Lokführer war es aber sogar eine Durchsage wert: „Nächster Halt Witten, Ausstieg in Fahrtrichtung links und viel Spaß mit dem Pferd!“
Vermutlich war das der selbe Zugführer, der uns in Ennepetal mit „Sehr geehrte Fahrgäste, hier spricht ihr Kapitän…“ begrüßt hat.
Hach… Manchmal vermisse ich das Bahnfahren…
Es gibt doch nichts schöneres als den RE1
Die S1 kommt nah ran.
Frau Nessy: sind Sie sicher, dass sie nicht irgendwo anders im Fernsehen kommen, ohne dass Ihnen das jemand gesagt hat?
Ich hatte das in der Vergangenheit schonmal vermutet.
Diesmal sitze ich laut lachend vor dem Monitor und das passiert mir wirklich höchst selten!
Wo er Recht hat, hat er Recht, der Muslim im Rolli
Es kann natürlich sein, dass der Tippelbruder einhändig Handstand machen kann. Kommt in manchen Kreisen ja vor, Break Dance und so.
Mir ist letztens noch aufgefallen, dass ich möglicherweise noch nie in einem auch nur halbleeren RE1 gesessen habe. Schon allein ob der starken Frequentierung der Bahn ist es also zumindest wahrscheinlicher, dort Absurditäten zu erleben, als auf anderen Linien.
Aber sowas tolles hab ich auch noch nicht erlebt. Dafür fahr ich dann wohl doch zu selten RE1.
Dinge die man im Leben mal tun sollte: Mit Frau Nessy Zug fahren.
Das ist sicher sehr sehr herrlich!
Wahrscheinlich müssten Sie das dann über einen längeren Zeitraum tun. Denn auch wenn es sich für Kaffeehausbesucher vielleicht so anfühlt: Nicht bei jeder Fahrt erlebe ich etwas.
„Mal riecht es nach Puff, mal nach Schnapsbrennerei.“
Was gilt für die Anzugträger, was für die Party People? ;-)
…wieso passiert mir nie sowas und ist das gut oder schlecht?
Was wann gilt, dürfen Sie sich aussuchen und variiert bisweilen auch.
*joooohl*
au
au
au
…diese Bauchschmerzen…
So etwas kann man sich gar nicht ausdenken….danke fürs Berichten :D
Frau Nessy? Ich werde in den Sommerferien zu Ihnen kommen, ja? Ich will einmal im Leben mit Ihnen Bahn fahren… :)
Wie gesagt, wir müssten gegebenenfalls ein paar Tage Runden drehen. Aber irgendwann passiert was Blogbares. Das ist sicher.
Bieten Sie geführte Touren an? Und gibt es eine Etikette wie man sich zu verhalten hat, wenn man so etwas hört? Darf man sofort laut loslachen, hat man den nächsten Bahnhof abzuwarten oder ist nur unterdrücktes Kichern stilgerecht?
Wichtig: Sich nichts anmerken lassen. Pokerface. Sie sind gar nicht da. Sonst gibt’s aufs Maul.
Vermutlich macht das RE1- und S1-Fahren nur mit Ihnen zusammen Spaß, weil Sie von irgendwo her diese Gestalten herzaubern und ihnen preisverdächtige Dialoge entlocken! Ich muss immer mit Aktentaschenfuzzis und genervten Kofferfritzen vorlieb nehmen. Den Düsseldorfer Flughafen müsste der RE1 am besten großräumig umfahren!
Sie müssen sich nur mal bewusst zu den Checken setzen. Einfach den Vierersitz daneben wählen – keine Angst, die tun nix, solange Sie nicht zu lange und zu offensichtlich rübergucken („Was kuksdu? Willzu auf Fresse?“). Tun Sie so, als ob Sie lesen und lauschen Sie.
Danke! Danke! Danke!
So viel Liebe dafür. :)
Sind Sie DIE Emmi?
//*hach!
’schmiegen sich ölige Aktentaschenträger in die Achselhöhlen ihrer Nachbarn‘ – huaaa, da hab ich ja Bilder im Kopf, bevor ich sie will :-) .
Hab auch so einen Satz (von vergessen wo) beizusteuern: „Er sah aus wie etwas, das man auf der Unterseite eines feuchten Steins vermutet.“
Großartiger Satz.
Fräulein Nessy, ich schleiche schon lange drumherum, aber muss es nun einmal loswerden. Ich denke, dies hier ist mein allerliebstes Blog überhaupt auf der ganzen Welt. (Und das nicht nur, weil ich vermutlich nicht viele Kilometer von Ihnen entfernt wohne. Aber als erst kürzlich Zugezogene. Sie haben mir quasi das Ruhrgebiet nahegebracht und erklärt. Vielen Dank dafür!)
Und ja, der öffentliche Nahverkehr hier ist große Klasse. Ich fahr ja immer nur so acht Minuten S1, da erlebt man oft gar nicht viel. Die meisten Begegnungen waren begleitet von Gedanken wie „Oh, da ist ja schon meine Endstation, Gott sei Dank!“.
Sehen Sie. Ich bin eine zeitlang 40 Minuten S1 gefahren, eine Strecke. Also 80 Minuten täglich. Nicht mitgerechnet der Aufenthalt in den Bahnhöfen, wo man ja auch jede Menge Begegnungen hat. Da geht was.
Wenn Sie weitere Fragen zum Ruhrpott haben: immer gerne. Ich fühle mich gut aufgestellt in dieser Sache.
[…] sind bekanntermaßen Lehrstunden in Soziologie, wenn auch, zumindest, was mich betrifft, eher […]