Drei Tage Berlin.
+++ Tag eins – Freitag +++
Der Freitagmorgen begann bei der zauberhaften Frau Sara von Misses & Marbles, einem kleinen Caféladen im Prenzlauer Berg mit Kuchen, von dem Sie auch eine Nacht später noch träumen.
„Uhmm, eine Frage“, sagte ich, als ich meine Orangina bezahlte. „Kommentieren Sie schonmal bei der lieben Nessy im Blog?“
„Ja“, sagte Frau Sara und guckte verdutzt.
„Dann bin ich die liebe Nessy“, sagte ich und stellte mich vor. Frau Sara lud mich prompt zur Orangina ein.
Am Nachmittag war ich mit Frau Annemarie verabredet. Sie schaut öfters hier im Kännchencafé vorbei, arbeitet in der Verwaltung des Bundestages und darüber hinaus in einem der 22. Ausschüsse. Sie hatte mich nach meinem Beitrag zu einer persönlichen Führung durch die Bundesliegenschaften eingeladen.
Wir trafen uns an ihrem Arbeitsplatz im Paul-Loebe-Haus, gingen durch Sitzungssäle, in den Bundestag, ins Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, in die Bibliothek, fuhren in gläsernen Aufstühlen hinauf und hinab, liefen über Brücken und durch Katakomben, in die Kantine, auf Balkone – bis hinein in die Sporthalle der Angestellten und Abgeordneten, die es gibt, damit die Damen und Herren sich ertüchtigen und nicht dem Gesundheitssystem auf der Tasche liegen.
An dem Tag, als sich der zehnte Präsident der Bundesrepublik Deutschland aus dem Amt verabschiedete, befand ich mich also im Band des Bundes. Ich fühlte mich sehr geschichtlich.
Wie das immer im Leben so ist, ist das, was am Rande stattfindet, viel interessanter als das eigentliche Geschehen. So war das Gespräch mit Frau Annemarie noch um einiges erhellender als die Immobilien, die sie mir zeigte. Menschen, die mit Überzeugung tun, was sie tun, beeindrucken mich stets. Die große, unpersönliche Politik wirkt gleich viel anders, wenn sie plötzlich ein Gesicht hat – und eine Stimme, die erzählt. Herzlichen Dank dafür!
Den schönsten Sitzungssaal hat übrigens die FDP, noch.
+++ Tag zwei – Samstag +++
Am Samstag begab ich mich in die Berliner Unterwelt und stieg in die Zivilschutzanlage am Blochplatz hinab, ein Schutzkeller, in dem 1.300 Menschen für 48 Stunden überleben können – vorausgesetzt, sie drehen schnell genug die Kurbel der Lüftungsanlage. Die Anlage wurde im Zweiten Weltkrieg genutzt und in den 70er Jahren als Atomschutzkeller reaktiviert. Der Atomschutz bestand aus einer neuen Schicht weißer Deckenfarbe – das Übrige war Psychologie und zu nichts nütze.
Unter diesen Umständen halte ich es im Falle eines Atomschlag mit dem Herrn, der uns durch die Unterwelten führte: Wenn es soweit käme, sagte er, nähme er sich eine Flasche Wein, suche sich ein schönes Plätzchen und werde schmerzlos innerhalb von zwei Sekunden verdampfen.
Am Samstagabend Kino in der Kulturbrauerei: „Ziemlich beste Freunde“. Wer den Film noch nicht gesehen hat: Er sei wärmstens empfohlen.
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=COiqxqkm-Ow&w=480&h=274]
+++ Tag drei – Sonntag +++
Sonntag ist seit jeher der Tag der Klassik und der Besinnung – kurzum: der Alten Nationalgalerie. Seit ich mit 15 Jahren erstmals Museen mit Malerei besuchte, mag ich die Bilder und die Geschichten dahinter.
Ermitage, Louvre, Museum of Modern Art, Guggenheim Museum, Tretjakov-Galerie – bislang war ich vor allem im Ausland in Museen. Nun also mal deutsche Kunst. Erstaunlich dabei ist, wen man alles nicht kennt: Anton von Werner zum Beispiel. Dabei malt er Bilder, in denen jeder, der mag, viel entdecken kann.
Ein bisschen erinnern mich diese alten, großen Gemälde an Wimmelbilder: An jeder Ecke gibt es etwas zu sehen.
Anderes weckt eher heimatliche Assoziationen:
Im ersten Stockwerk dann die Überraschung: Auch mir wurde eine Skulptur gewidmet.
Wenn Sie sich nun fragen: Das kann doch nicht alles gewesen sein? Was hat sie denn in der Zwischenzeit gemacht? Da bin ich Ihren zahlreichen Restaurantempfehlungen nachgegangen und habe gegessen. Dazu später mehr.
Genächtigt habe ich übrigens hier: Winterfeldt10.
Kommentare
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Das liest sich doch sehr gut… Und weckt bei mir schon die Vorfreude auf die Ferien, wenn es endlich nach Berlin gehen wird. :)
Ich bin gespannt auf die Restaurantempfehlungen und hoffe die Zeit war ebenso schön.
Die Zeit, in der ich esse, ist immer schön.
//Moppel-Ich, Genießernessy
Das Hotel sieht aber nett aus. Und der Rest natürlich auch. Freue mich schon auf die nächsten Berichte.
Das war ein Appartement, und es war tatsächlich nett. Auch gut gelegen. Schöne Umgebung und ein freundlicher Kioskbesitzer nebendran.
Bundestagsgebaeude von innen sind schon noch einmal eine andere Geschichte, als immer nur die gleichen Einstellungen im Fernsehen, keine Frage. Waren Sie dann auch im ueberdachten Teil der Bruecke ueber den Kanal? Der ist ja abgeordneten-privat (macht aber viel eher Schwindel, als der oeffentliche Pfad).
Bei der Lage der Unterbringung hat Sie dann vermutlich auch der BVG-Streik voll getroffen (S-Bahn ist ja nicht so direkt um die Ecke), eher nicht nett von Berlin so Gastgeber zu sein, aber es scheint Sie ja nicht vollstaendig in der Bewegungsfreiheit gemindert zu haben.
//Und wegen des Abbildes: kein Wunder, dass Sie da gelegentlich zum Chiro muessen – bei der verdrehten Haltung…
Der BVG-Streik – nun ja. Was will man machen.
Auf der Brücke über dem Kanal war ich auch. Es war frisch und windig. Das haben sie bei Karstadt in Dortmund besser gelöst. Aber auch hier: Was will man machen.
Fluchen. Machen die Einheimischen auch.
Misses&Marbles is super. Da wird man dick. Nich so super. Hab da im Haus gearbeitet und jeden Tag gabs Kaffe mit Kuchen. Naja, wat willste machen….
U Winterfeldstraße, guter Platz. Schöner Markt am Winterfeldplatz mit netten Cafés in der Umgebung!
Als Berliner muss ich sagen, tolle Tour, nich nur so Tourikram.
U Kino in der Kulte is mein Lieblingskino u der Film schon jetzt mein persönlicher Film 2012.
Bin gespannt wo du gegessen hast.
Das Kino in der Kulturbrauerei ist wirklich schön, nicht nur wegen der Kulturbrauerei selbst. Der Saal ist prima, sehr offen, es sitzt sich hervorragend, auch am Rand.
Zum Markt am Winterfeldtplatz sage ich noch etwas, wenn es ums Essen geht. Der ist einfach bombastisch.
„An dem Tag, als sich der zehnte Präsident der Bundesrepublik Deutschland aus dem Amt verabschiedete, befand ich mich also im Band des Bundes.“
Frau Nessy! Sie haben den Hauch der Geschichte nicht bloß geatmet sondern regelrecht inhaliert! *deeply impressed*
So eine Privatführung durch die Bundestagskatakomben hatte ich auch schonmal, die Bundesturnhalle hat man mir da allerdings schändlicherweise vorenthalten.
Und diesen „Atombunker“, wenn der irgendwo seitlich vom Ku’damm ist, dann hab ich mir den auch mal angesehen. Extrem bedrückend. Ich dachte mir damals, das es darin im Falle eines Falles mit so vielen Menschen auf so engem Raum zusammengepfercht doch vermutlich ziemlich schnell zu Mord und Totschlag kommt. Dann lieber draußen bleiben und schmerzlos verdampfen… *grusel*
Der Luftschutzraum befand sich am Gesundbrunnen, also im Wedding. In der Führung ging es vor allem um die Nutzung ab 1970, bedrückender fand ich aber die Vorstellung, wie die Leute während des Zweiten Weltkriegs dort Schutz gesucht hatten.
Falls jemand übrigens mal in London ist und nicht weiß, was er dort tun soll: Die Chislehurst Caves vor den Toren der Stadt dienten ab 1940 als Luftschutzraum. In ihnen fanden 15.000 Menschen Platz; in dem Höhlensystem wurde eine komplette Stadt aufgebaut.
Die Führung in Berlin und die Atmosphäre im Schutzraum erinnerte mich daran, auch wenn die Caves viel größer waren.
Ah, dann war das ein anderer. Der, den ich besichtigt habe, ist, soweit ich mich erinnere, in den 70er Jahren extra als Atombunker gebaut worden und als Parkhaus getarnt und wohl auch einige Jahre als solches genutzt worden.
Guter Tipp für London, da möchte ich sowieso bald mal wieder hin. Beim letzten mal (viel zu lange her…) habe ich mir unter anderem die Cabinet War Room (ganz zentral in Westminster gelegen) angeschaut, auch sehr interessant.
Dort war ich wiederum nicht.
Wenn Sie Zeit und ein bisschen Muße haben, fahren Sie mal raus. Ich fand: Es lohnt sich.
Das ist eine Führung der Berliner Unterwelten (http://berliner-unterwelten.de/) gewesen. Die kann man wirklich nur empfehlen, man sollte sich allerdings immer warm anziehen, da es recht kühl in den diversen Bunkeranlagen etc. ist.
Im Gesundbrunnenbunker war ich auch schon. Sehr faszinierend ist es natürlich auch, wenn man da öfter die U-Bahn nutzt und die Bunkeranlagen direkt daneben sind und man an ihnen vorbei läuft.
Oh, schön Berlin. Die Tipps mit Kino und Essen muss ich mir alle merken um auf den Spuren meiner Vorgängerin zu wandeln. Fahre zu Ostern ein paar Tage hin zum erholen und auftanken vom Lernstress. Vorfreude ist die schönste Freude.
Nur den Bundestag werde ich mir sparen – mir ist Essen und Entertainment lieber :-)
Und shoppen?
Ich durfte die Kurbel im Bunker am Gesundbrunnen schon mal selber drehen – und auch, wenn ich mich als recht fit betrachte, war ich froh, nach fünf Minuten erlöst zu werden.
Aus technisch/historischer Sicht finde ich die Bunker beeindruckend (der Bunker unter dem Humboldthain ist ebenfalls empfehlenswert), aber ich hoffe inständigst, nie in die Verlegenheit zu geraten, einen aufsuchen zu müssen.
Aber das ist es, was ich an Berlin mag, und was auch durch die Zeilen schimmert: das Gefühl, hier überall Geschichte einatmen und erleben zu können.
Ich habe eher den Eindruck, dass die Geschichte ein bisschen untergeht. Ost, West, der Verlauf der Mauer, aber auch die Zeit davor (Luftbrücke, Zweiter Weltkrieg) – davon sind kaum mehr zu entdecken. Einerseits ist gut, dass die Stadt zusammengewachsen ist. Andererseits wünsche ich mir als Tourist ein paar mehr Spuren.
Und – wie so oft – sehen gut geplante Touristinnen viel viel mehr von der Stadt als wir Einheimische. Aber das ist, glaub ich, immer so. Wir denken ja immer: Das und das machen wir dann mal, irgendwann wenns passt und sich ergibt. Wenn man da nicht verflucht hinterher ist, wird es nur nie was.
Es freut mich für Sie, dass Sie trotz Streik und Winterzeit wohl ein sehr schönes Wochenende bei uns verbracht haben, und bin gespannt auf die Fortsetzung(en).
Als Einheimischer weiß man sowieso immer nicht, was man sich angucken soll – zumindest, wenn Besuch kommt. Geht mir jedenfalls so. Und wenn doch mal was los ist, ist man zu faul, muss noch Wäsche machen oder schläft unversehens 24 Stunden durch und verpasst alles.
Hach, wie schön! Berlin ist immer wieder eine Reise wert! Danke auch für den Apartment-Tipp: ist schon notiert.
Der nahe Winterfeldtmarkt ist wirklich toll, die Gegend ist gut angebunden und für den Notfall gibt es einen Kiosk, der fast 24 Stunden auf hat und in dem Sie schnell Bekanntschaft mit türkischen Oppas schließen. Die zwinkern Ihnen dann zu und umarmen Sie. Ist aber alles ganz harmlos.
„Ich fühlte mich sehr geschichtlich“……diesen Satz muß ich mir merken. Super!!! :)
Aufstühle? *snicker* :-)
(stelle mir gerade einen Stuhl mit Schluckauf vor)
Oder „Lifte“? Klingt auch doof.
Was haben Sie gegen die Klassiker „Fahrstühle“ und „Aufzüge“?
//*murmelt: „Aufstuhl. Aufstühle. Aufstuhl …“
Ich wusste doch, dass irgendwas an dem Wort komisch ist.
Sehense, das ist die automatische Worterkennung in meinem Hirn.
Ich hab wohl Aufstühle gelesen, weils ja da steht, aber das gleich unter Aufzug/Fahrstuhl abgespeichert.
Um den Gegenstand dieses Wortwechsels wiederzufinden, musste ich getz zweimal den ganzen Artikel lesen.
Frau Nessy, schreibense einfach, wie Ihnen die Finger gewachsen sind.
Wir sortieren selber.
Wie ist das so wenn man sich geschichtlich fühlt? Kribbelt es im kleinen Zeh oder juckt es eher am … :-)
Bezüglich London, ja der Cabinet War Room, vom Imperial War Museum verwaltet ist sehenswert. Fast schon schockierend war für mich ein kleines Blatt Papier das dort ebenfalls ausgestellt war. Darauf befiehlt Chamberlain in wenigen wenigen nüchternen Sätzen, man muss es fast zweimal lesen um es zu verstehen, den Eintritt in den zweiten Weltkrieg, nachdem das Ultimatum an Deutschland abgelaufen war. Kein großes Tamtam wie später bei der Rede im Radio, nur ein, ein kleiner Fetzen Papier.
Wenn man sich geschichtlich fühlt, kribbelt es an der Kopfhaut. So, wie wenn man Läuse hat.
der Film sei noch wärmer als wärmstens empfohlen.
die Musik ist übrigens, sofern von niemand anderem, vom fabelhaften Ludovico Einaudi, wissense, der, der die Musik gemacht hatte zu dem herzanrührenden Video, das Frau Nessy mal zum el teide gezeigt hatte.
Ja, hier bin ich auf ihn aufmerksam geworden.
Man muss nicht nach Berlin, um Geschichte zu atmen.
Den Einsatz von Herrn Einaudi habe ich im Vorspann auch mit großer Freude zur Kenntnis genommen.
Ja, das fühlte sich plötzlich an wie „Insiderwissen“, „dabei gewesen“ oder so.
Von Omar Sy und den anderen hatte nich nie gehört, aber L.E.
Das nuvole bianchi (vom El teide) hab ich aufm Händi und hör es regelmäßig an, wenn ich ein bisschen Ruhe im Herz brauche.
Herrn Sy habe ich gerne bei der Berufsausübung zugesehen. Nicht nur wegen der schauspielerischen Leistung.
jahaa!!!
*nickt zustimmend*
Gestern einen durchaus ernst gemeinten Kommentar verfasst (jap. Kunst) – kann den heute aber hier nicht mehr finden…
:(
Der Link führte auf ein furzendes Bild und hatte keinen Zusammenhang mit dem Berlin-Beitrag. Deshalb habe ich ihn kommentarlos entfernt.
Da haben Sie wirklich einen ganz und gar durchmischten Eindruck von Berlin bekommen, und dann noch selbst an der Geschichte gedreht…
Die Unterweltenführung habe ich auch schon einmal mit Besuch gemacht, da aber wirklich auf den 2. Weltkrieg gemünzt bis hin zum Bunker Gesundbrunnen. Das ging über mehrere Stunden inkl. U-Bahn-Fahrt. Nachher war das gruseligste, wieder in die Gegenwart zurück zu kommen…
Wenn ich nicht diese Tour gemacht hätte, hätte mich auch noch der Mutter-Kind-Bunker interessiert. Die Ost-West-U-Bahn-Geschichte fand ich auch interessant. Nächstes Mal dann.
Liebe Frau Nessy,
an dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz ganz arg doll bedanken für Ihren spontanen Besuch in meinem kleinen Lädchen! Es war zauberhaft! :)
Ich hoffe, es verschlägt Sie bald mal wieder nach Berlin. Vielleicht im Sommer? Denn wenn man vor dem Laden in der Sonne sitzt, schmeckt die Orangina doch immernoch am Besten! :)
„Ein bisschen erinnern mich diese alten, großen Gemälde an Wimmelbilder: An jeder Ecke gibt es etwas zu sehen.“ – dieser satz ist so großartig, da verzeihe ich ihnen (fast), dass sie nicht bei mir im aufbauhaus waren.
thien duc ist notiert. wehe, das ist nicht super duper gut ;0)
Das nächste mal wenn es in berlin etwas zu essen geben soll kann ich auch bestimmt ein paar Gourmet Tipps geben ..
jetzt ists ja wohl zu spät – hoffe es hat viel spaß gemacht :-)