Weil ich rührselig bin:
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Und jetzt noch eine Geschichte:
Die Sängerin im Video ist Vanessa Maurischat. Vanessa Maurischats Stimme erinnert mich an Mia.
Mia lebte in meinem Heimatort. Sie war dünn und rothaarig, auf eine Andrea-Sawatzki-Art-und-Weise apart, mit Sommersprossen und Gliedmaßen, die an ihr wirkten wie Äste im Winter. Sollte ich Mia einen Farbton zuordnen, wäre es Pastell. Oder Cremeweiß.
Ich lernte Mia über Sina kennen. Sina sang in einem Chor. Und weil wir Freundinnen waren, schaute ich Sina manchmal zu, wenn sie mit ihrem Chor einen Auftritt hatte. Mia sang zwar auch in diesem Chor, aber irgendwie auch nicht. Sie war nicht oft da, und wenn, dann stand sie im Publikum, ein bisschen gelangweilt, ein bisschen Dekoration.
Eines Tages aber, es war Winter, und wieder stand der Chor auf der Bühne, wieder saß ich im Publikum, trat Mia vor. Es wurde still im Saal. In der letzten Reihe klirrten leise Gläser.
Kein Klavier zum Einstieg. Der Chor senkte die Köpfe. Mia erhob die Stimme und sang das Lied der Maria Magdalena des „Jesus Christ Superstar“-Musicals. Aus dem kleinen Mädchen mit den roten Haaren, aus dem schmalen Körper mit den Ästen an den Seiten, aus diesem zerbrechlichen Pastellmenschen kam eine Stimme wie ein sattes Rot, voll und warm, durchdringend und verwöhnend. Nicht hoch. Sogar erstaunlich tief. Ihr Klang erfüllte den Saal, umhüllte mich, erfüllte mich, machte eine Atem stockende Gänsehaut. Eine Stimme wie ein Federbett, so dick und weich, dass ich mir wünschte, nie wieder daraus hervorkriechen zu müssen.
Nach diesem Auftritt verließ Mia den Chor, verließ die Stadt und ich hatte niemals wieder die Chance, sie singen zu hören.
Kommentare
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Und jetzt? Hat Googeln geholfen…?
Ich liebe Geschichten von und mit Menschen, die zumindest ein klein bißchen anders wirken (irgendwie bemitleidenswert oder nicht dazugehörig auf eine leise Art) und dann plötzlich mit einer sensationellen Eigenschaft überraschen, dass der Mund offen stehen bleibt.
Oh ja! Davon gibt es einige. Manchmal treffe ich auch furchtbar seltsame Menschen bzw. Menschen, die in einer großen Runde sehr skurril wirken. Wenn ich mich dann in einer stillen Stunde mal mit ihnen unterhalte, erfahre ich oft, was dahinter steckt und entdecke ganz andere Menschen.
Ach, Frau Nessy, wie machen Sie das nur immer, dass diese relativ „banalen“ Geschichten so sehr an meinem Gemüt kratzen, eine Gänsehaut hervorrufen oder mir Tränen in die Augen treiben?
Ich bin doch auch dafür, dass Sie nach der Doktorarbeit – wenn Sie dann eh schon im Schreibfluss drinne stecken – ganzernsthaft über ein Buch nachdenken: Kurzgeschichten, wie das Leben sie schreibt.
Wenn es nicht so eine brotlose Kunst wäre und ich einen Sponsor finden könnte, dann würde ich das tatsächlich tun.
Hab ich ja auch schon gesagt :
Los Nessy, trau dich schreib ein Buch ! :-)
Manche Menschen trifft man nur einmal im Leben, bleiben aber in der Erinnerung ein Leben lang.
Manchmal positiv, manchmal negativ.
Ich hab Gänsehaut am ganzen Körper und kann das sooo nachfühlen… danke für diesen tollen Text.
*singt nicht im Chor*
Aber sonst ist die Geschichte ein Traum…
Danke für das schöne Lied. Jetzt bin ich auch ganz Rührseelig …
ist es diiiiiiiiiiiiiiie mia?