Am Hals dunkle Flecken. Das Kostüm lila mit einer Brosche. Die Haare gebürstet. Fast hätte ich sie nicht erkannt, so steif, wie sie dalag. Lebend hat sie immer gelacht, war munter, pumperlrund und hatte etwas von einem Apfelbäumchen – fest verwurzelt, an der Rinde ein bisschen knorrig, aber doch immer fröhlich, mit wiegendem Schritt und geröteten Bäckchen.
Der Moment, in dem sie den Sarg zu Grabe lassen, ist ja immer der schlimmste. In diesen zehn Sekunden manifestiert sich die Endgültigkeit des Verlusts. Deshalb ist es auch dieser Augenblick, in dem der Oberinspektor alle Contenance verliert, das verstohlene Schnäuzen sein lässt und zu weinen beginnt. Einsamer kann ein Mensch nicht sein als dieser alte Mann, der im strömenden Regen seiner Frau eine letzte Blume auf den Sarg wirft.
„‚Vatta‘, hat meine Tochter am Dienstach zu mir gesacht‘, ‚getz musse dir aber ma wat weißes Hemd kaufen für die Beerdigung vonne Mutti'“, erzählt er beim Kaffeetrinken nach der Beisetzung. „Da bin ich im Kaufhof und hab mir wat weißes Hemd gekauft. Aber guckense ma, Frau Nessy,“ – er zieht den Arm aus dem schwarzen Jacket – „hab ich wat für’n Sommer erwischt. War dann doch wat kalt am Grabb!“ Er lacht und gibt mir einen freundschaftlichen Stupser. Seine trüben Augen schimmern wässrig.
Drei Tage nach dem Tod seiner Frau, sagt er, habe er zum ersten Mal gekocht: Bratkartoffeln. „Hab ich meine Tochter angerufen und gefracht, wat ich da machen muss. Und ich muss sagen: Hab ich gut gemacht. War nur’n bissken wat wenig. Dat hatte meine Frau besser raus mit mein‘ Appetit.“
Als ich mich für heute von ihm verabschiede und noch einmal herzliches Beileid wünsche, zwinkert er mir zu. „War ich doch die Tage immer inne Totenhalle und hab mit meine Frau wat Zwiesprache gehalten. Hab se gefracht, wie et da oben aussieht im Himmel. Und wissense was, Frau Nessy? Sie hat mir nich geantwortet, auch nache fünfte Frage nich. Aber dat is wie inne letzten 40 Jahre auch: Ich kann ihr einfach nich böse sein.“
Wir müssen jetzt ein bisschen auf ihn achtgeben.
Kommentare
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[…] Opa und ich – und alle gemeinsam haben wir nach dem Oberinspektor gesehen, der nach dem Tod seiner Frau zu vergehen drohte wie eine welke Tulpe; und nach der Ketchup-Familie, damit den Jungen nichts […]