Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Du sollst dir kein Bildnis machen

26. 2. 2009 Keine Kommentare Aus der Kategorie »Lektüre«
Ich blättere in der Bibliothek, lese Dieses und Jenes. Darunter Max Frisch, der im April 1946 in sein Tagebuch schreibt:

„Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei.“
– und bemerke eine Parallele zu Peter Høeg, der „Fräulein Smilla“ sagen lässt:

„In der Großstadt lernt man, die Umwelt mit einem besonderen Blick zu betrachten. Mit einem fokussierenden, punktweise herausgreifenden Blick. Wenn man eine Wüste oder eine Eisfläche überschauen will, sieht man anders. Man lässt die Einzelheiten um der Gesamtheit willen aus dem Fokus herausgleiten. Ein solcher Blick sieht eine andere Wirklichkeit. Betrachtet man dagegen auf diese Weise ein Gesicht, beginnt es, sich in eine ständig verändernde Serie von Masken auszulösen.“
Den Menschen, den wir lieben – und damit meine ich denjenigen, der ein Reserviert-Schild in unserem Herzen hat -, konnten wir nur lieben lernen, weil wir es vollbracht haben, uns aus unserer Verliebtheit – der innigen Detailverliebtheit – herauszulösen. Wir haben es geschafft, unseren Blick von den Einzelheiten abzuwenden, von seinen Augen, seinem Mund, seinem Humor, von seiner Eigenart, ernste Dinge anzusprechen oder auf unernste zu reagieren. Es gab einen Moment, in dem wir ein Stück zurückgetreten sind; in dem die kleinen Mosaiksteine seines Wesens sich zu einem Bild formten, das wir mit Abstand – und nur mit Abstand wahrnehmen können.

Weshalb uns wiederum die Kleinigkeiten entgleiten. Sollten wir einmal den Liebsten beschreiben müssen – wo fingen wir an?

Treten wir zu diesem Zwecke wieder an ihn heran wie an ein großes Bild in einer Museumshalle, so nah, dass die verschlafene Aufseherin uns von ihrem harten Holzstuhl aus zur Ordnung ruft, und lassen wir unseren Blick von links nach rechts nach oben nach unten schweifen, sehen wir nur eine sich ständig verändernde Auswahl kleinster Pinselstriche, von denen wir nicht wissen, wo wir beginnen sollen, sie zu beschreiben. Denn sie scheinen allesamt ungeordnet und wirr in ihrer Einzelbetrachtung.

Wenn wir aber einen Schritt zurücktreten, sehen wir nur noch die Summe der Pinselstriche, nicht aber die einzelnen Streiche. Was wir wahrnehmen, ist das Bild, ist der Geliebte in seiner Gesamtheit. Wenn wir nun aber beginnen, nach Worten zu suchen, das Kunstwerk zu beschreiben, seine Charakterzüge zu erklären, ist es nur seine Wirkung, für die wir eine erschöpfende Darstellung finden – nicht aber für das Gemälde selbst.

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